Das in der Kritik stehende Transparent an der St. Petri-Kirche in Hamburg (Foto: Michael Roth / Twitter)
Politik

Missverständnis oder Kirchenbashing?

Die Kritik des SPD-Außenpolitikers Michael Roth an einem Transparent vor einer Hamburger Kirche zieht auf Twitter Kreise. Wir haben bei der Hamburger Gemeinde nachgefragt.

Ein Transparent an der Hamburger Hauptkirche St. Petri sorgt für heftige Diskussionen auf Twitter. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Michael Roth twitterte ein Bild des Transparentes mit scharfen Nachfragen an die EKD. Sein Tweet erntete unter Ukraine-Unterstützer:innen starke Zustimmung – und kritische Nachfragen von Nutzer:innen, die darin eine überzogene Kritik der evangelischen Kirche sehen (darunter der Autor dieses Artikels).

Das Transparent wurde nicht von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sondern von der St. Petri-Gemeinde aufgehängt. Darauf befindet sich der aus der Gründungserklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) bekannte Slogan: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“. Die Eule hat beim Hauptpastor der St. Petri-Gemeinde, Jens-Martin Kruse, nachgefragt, was es mit dem Transparent auf sich hat:

„Ich bin etwas verwundert über die Aufregung, weil St. Petri eine der Hamburger Gemeinden ist, die sich stark mit der Ukraine solidarisiert“, erklärt Pastor Kruse, „seit Beginn des Krieges wird hier bei zahlreichen Friedensandachten und Gottesdiensten für die Menschen in der Ukraine gebetet. Anfang September wird es ein großes Benefizkonzert für Flüchtlinge aus der Ukraine geben.“

Gegenüber der Eule zeigte sich Kruse überrascht, dass das Transparent als Aufhänger dafür genutzt wird, der evangelischen Kirche eine Gleichstellung von Tätern und Opfern des Krieges zu unterstellen. Einige Kommentator:innen interpretieren den Slogan wegen der Farbgebung des Transparents in den ukrainischen Nationalfarben als Botschaft an die Ukrainer:innen, sie sollten sich nicht gegen den russischen Angriffskrieg verteidigen.

Dieser Interpretation tritt Pastor Kruse entgegen: „Bei der inhaltlichen Frage hoffe ich doch sehr, dass der Satz »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein« nach wie vor Konsens unter Christen ist. Wenn wir friedlich miteinander leben wollen, dann geht das nur ohne Krieg. Dass sich die Aussage durch die Farbgebung des Transparents verschieben könnte, hatten wir gar nicht im Blick.“

Solidarität mit Ukrainer:innen trotz Meinungsverschiedenheiten

An der friedensethischen Position seiner Gemeinde will er keinen Zweifel aufkommen lassen: In großer Solidarität mit den Ukrainer:innen halte man in Kirchenräumen auch solche ukrainischen Stimmen zum Krieg aus, die man aus Perspektive einer christlichen Friedensethik nicht vollumfänglich unterstützen könne; zuletzt bei einem Festakt zum Unabhängigkeitstag der Ukraine im Hamburger Michel, der ursprünglich in der St. Petri-Kirche durchgeführt werden sollte und nur aufgrund eines Terminkonflikts im Michel stattfand.

Kruse ärgert sich auch über die Kommunikation seiner Kirche in diesem Fall. Die Nordkirche hatte auf Twitter erklärt, das Transparent gebe „dezidiert nicht die Position der Nordkirche, sondern der Kirchengemeinde“ wieder, die Landessynode hätte sich „differenziert geäußert“. „Die Überzeugung der Gemeinde unterscheidet sich nicht von der, die auch die Landessynode formuliert hat“, erläutert Pastor Kruse, „es wäre schön gewesen, man hätte mit uns gesprochen, bevor man das fälschlicherweise so kommuniziert hat.“

Auf Twitter zieht der Tweet des SPD-Bundestagsabgeordneten inzwischen weite Kreise. Dabei überwiegt die Zustimmung zu Michael Roths kritischen Nachfragen. In der Tat sprechen die evangelischen Christen in Deutschland zum Ukraine-Krieg nicht mit einer Stimme. Die Vielstimmigkeit des evangelischen Friedenszeugnisses ist gleichwohl Teil der evangelischen Freiheit. Die evangelische Kirche kennt kein verbindliches Lehramt, erst recht nicht in ethischen Fragen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges gibt es eine ausführliche und kontroverse Diskussion über die evangelische Friedensethik (in der Eule z.B. hier, hier & hier, alle Beiträge zum Ukraine-Krieg hier).

Klare Verurteilung des russischen Angriffskrieges

Doch sollte man die Differenziertheit und Vielstimmigkeit evangelischer Positionen zum Ukraine-Krieg nicht mit Unentschiedenheit verwechseln. Anders als es auf Twitter viele Kommentator:innen der EKD vorwerfen, wird der russische Angriffskrieg von den evangelischen Kirchen in allen offiziellen Stellungnahmen deutlich verurteilt. Viele Gemeinden und Christen haben sich darüber hinaus nicht nur mit der Ukraine solidarisch erklärt, sondern sind in die praktischen Hilfe für Flüchtlinge und die ukrainische Bevölkerung involviert.

„Meine Kritik zielt auf die mangelnde Klarheit + Konkretion der Botschaft, die fehlende Kritik an den russischen Tätern + die unzureichende Empathie für die ukrainischen Opfer“, erklärt Roth seinen Tweet auf meine Nachfrage hin auf Twitter. Pastor Kruse findet es hingegen „sehr schade, dass Herr Roth uns nicht angesprochen hat. Er kennt die Arbeit der Gemeinde in diesem Kontext offensichtlich nicht.“

In die Diskussion auf Twitter wolle er sich trotzdem nicht einmischen, erklärt der Hamburger Pastor gegenüber der Eule. Auch mit Rücksicht auf die ukrainischen Freunde wünsche er sich einen anderen, respektvollen Dialog: „Wenn das Debattenklima in Deutschland inzwischen so weit ist, brauchen wir dringend andere Formen, um miteinander im Gespräch zu bleiben. An St. Petri ist Herr Roth für ein Gespräch immer willkommen!“


Alle Eule-Beiträge zum Ukraine-Krieg hier.