Kolumne Sektion F

Reclaiming Muttertag: Zurück zu den Ursprüngen

Blumen aus Dankbarkeit und die Reproduktion von exkludierenden Bildern von „Mutterschaft“: Wie können wir heute in Kirche und Gesellschaft den Muttertag begehen? Vielleicht hilft ja ein Blick in die Geschichte:

Gestern war Muttertag. Der zweite Sonntag im Mai. Wer an diesem Tag in meiner Herkunftsgemeinde konfirmiert wurde, brachte im Konfirmationsg*ttesdienst der Mutter – sofern vorhanden! – eine Blume. Ein stranger Feiertag. Ich will ihm ein wenig nachgehen und von ihm aus auf aktuelle Diskussionen um „Mutterschaft“ und Konsequenzen für kirchliche Kontexte schauen. Gibt es eine HerStory des Muttertags als Feiertag?

Die Hintergründe des Muttertags gehen eigentlich auf die US-amerikanische Frauenbewegung zurück: Ann Jarvis war darum bemüht, Familien von (gefallenen) Soldaten opponierender Lager im und nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg miteinander ins Gespräch zu bringen. Dafür organisierte sie mit ihren Mitstreiterinnnen den Mothers Friendship Day, um sich miteinander auszutauschen. Das Setting war pazifistisch.

Nach ihrem Tod 1905 trieb unter anderem ihre Tochter Anna Jarvis das Anliegen voran, einen festen Muttertag zu etablieren. Als erster Muttertag gilt der 10. Mai 1908, an dem Anna den dritten Todestag ihrer Mutter in einer methodistischen Kirche in Grafton (West Virginia) beging. Das Gebäude heißt heute International Mother’s Day Shrine. Im Jahr darauf wurde der Muttertag bereits in 45 Bundesstaaten der USA begangen.

Der „Export“ nach Deutschland erfolgte Anfang der 1920er-Jahre und wurde vom Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber vorangetrieben. Die ideologische Aufladung von Mutterschaft im Nationalsozialismus – Stichwort: Mutterkreuz bzw. Karnickelorden –  und die Kommerzialisierung insgesamt bilden heute die Hauptkritikpunkte am Muttertag aus Perspektive einer emanzipatorischen Linken.

Wie auch an anderen Feiertagen, zum Beispiel dem 8. März oder dem nahenden IDAHOBIT (Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie) am 17. Mai, wird auch kritisch gefragt, ob ein Tag ausreiche für das „Thema“. Selbstverständlich nicht! Solche Daten sind jedoch Erinnerungsanker für diejenigen, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen befassen. Den Erfahrungsexpert*innen und Allies bieten sie eine Chance, ihre Anliegen laut vorzubringen.

Was aber ist heute eigentlich das Anliegen des Muttertags? Im Jahr 2025 sollte statt floralen Dankbarkeitsbeteuerung gegenüber Müttern doch an mehr gedacht werden!

Mutterschaft ist nicht alles

Mutterschaft ist nicht alles, das eine Person auszeichnen kann oder könnte. Wenn Frauen über Mutterschaft definiert werden, also biologistische Ansprüche an Frausein formuliert werden, scheiden vielerlei Frauen aus. Denn Frauen sind nicht permanent schwanger und auch im Falle von cis Frauen überhaupt nicht ihr Leben lang dazu in der Lage, es zu werden – geschweige denn, dass sie es wollen.

In der Geschichte des (Differenz-)Feminismus wurde Mutterschaft als Spezifikum von Weiblichkeit und eigenem femininem Erfahrungswissen formuliert. Ich kann das nachvollziehen: Erst einmal das aufwerten, was übersehen worden ist!

Und trotzdem sind Verhältnisse von Kindern zu ihren primären Bezugspersonen nicht zentral von deren Geschlecht oder der biologischen Abstammung geprägt. „Mutterschaft“ allein sagt noch wenig aus! Eltern(!)-Kind-Beziehungen sind komplex. Ich möchte auch nicht so tun, als ob Elternschaft (!) genügend gesellschaftlich und politisch berücksichtigt werden würde. Angesichts der politischen Umstände ist zum Beispiel zu hoffen, dass die Möglichkeiten queerer Elternschaft nicht beschränkt werden und dafür zu kämpfen, dass sie erweitert werden.

Die Probleme, die wahrscheinlich die meisten Menschen mit Kindern teilen, sind ähnlich: Wie können Familie und Beruf miteinander vereinbart werden? Was tun, wenn die Kita spontan schließen muss, das Kind krank ist, unvorhergesehene Ereignisse bisherige Pläne über den Haufen werfen? Und etwas herausgezoomt: Wie geht die Care-Chain, die Pflegekette, weiter?

Maternal Gatekeeping und Weaponized Incompetence

In der Diskussion um „Mutterschaft“ ist mindestens seit zehn Jahren ein Begriff im Umlauf, der in unterschiedlicher Weise Zustimmung und Betroffenheit hervorruft: Maternal Gatekeeping, übersetzt: mütterliches Türstehen. Mütter kontrollieren demzufolge den Zugang insbesondere von Vätern gegenüber ihren Kindern. Abgesehen von dem sehr heterosexuellen und „intakten“ Familienbild, das hier suggeriert wird, hänge ich an einem Punkt fest: Frauen sind dem Gatekeeping nach also selbst schuld, dass sie mehr Mental Load übernehmen?!

Das schmerzt. Und das muss so pauschal auch falsch sein. In der Diskussion wird oft das Phänomen beschrieben, dass Frauen durch gesellschaftliche Bilder („Mutterschaft“) und dadurch, dass sie zu einem Großteil Elternzeiten ausüben, eine gesteigerte Kompetenzerfahrung im Vergleich mit Vätern hätten. Die führe dann dazu, dass sie sich als (alleinige) Expertinnen wahrnähmen. Und ich muss zugeben: Ich habe Bilder vor Augen. Ich kann solche Dynamiken nachempfinden. Und trotzdem bleibt zunächst die Eindimensionalität.

Aber: Das Gegenstück, das solche Strukturen erst so richtig zementiert, ist Weaponized Incompetence, also strategische Inkompetenz (von Vätern). Taktisches Vorgeben, etwas nicht zu können.

Es sind sicherlich verschiedene Ebenen, auf denen Maternal Gatekeeping und Weaponized Incompetence ermittelt werden können. Dass Gatekeeping-Verhalten vor allem Müttern angelastet wird und sie monokausal schuld sein sollen für ungleiche Verhältnisse in Familienkontexten, ist eine unzulängliche Verkürzung. Gesellschaftspolitisch ist zum Beispiel an das Ehegatt*innensplitting, an Elternzeit und -geld sowie deren Aufteilung  zu denken. Um strukturelle Änderungen herbeizuführen, müsste man dort anpacken.

„Eule-Podcast Q & R“ live auf dem Kirchentag 2025

Am 1. Mai diskutierten Carlotta Israel und Philipp Greifenstein mit Teilnehmer:innen des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentages live auf der Podcastbühne des Kirchentages über Intersektionalität angesichts des Rechtsrucks, Machtmissbrauch in der Kirche, den Eröffnungsgottesdienst des Kirchentages, den Kirchentag als Protestort und (digitale) Protestformen. Hier kannst Du das gesamte Gespräch mit Eule-Redakteur Philipp Greifenstein und Carlotta Israel nachhören:

Jetzt reinhören!

Konsequenzen in kirchlichen Kontexten

Heißt das jetzt, dass es keine Blumen mehr in Konfirmationsg*ttesdiensten am Muttertag geben darf? Ich glaube: Ja! Ein Hype um „Mutterschaft“, der alle Frauen in ihrer Lebensentfaltung einschränkt, sollte nicht unterstützt werden. Weiblichkeit und Muttersein sollten nicht in eins gesetzt werden. Was jedoch durchaus von der ursprünglichen Muttertagsbewegung übernommen werden sollte: Es braucht Gesprächsräume für Eltern und für Familien, um sich auszutauschen und auch, um sich zu verbünden.

Eine wirkliche Eltern-Lobby hat es gerade schwer oder verfängt gerade nicht: Es ist Kita-Notstand! Hier ist Kirche als Arbeitgeberin im Kita-Bereich gefragt! Und Kirche ist als Arbeitgeberin gegenüber für sie arbeitenden Eltern gefragt: Welche Möglichkeiten gibt es für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den verschiedenen kirchlichen Berufen? Wie geht es zu in einer Institution, in der ein Großteil der Beschäftigten – Kantor*innen, Diakon*innen, Pastor*innen – zu Zeiten arbeiten, zu denen keine Betreuung durch Kita & Co. angeboten wird?

Die Kirche ist außerdem als Bildungsmultiplikatorin gefragt: Welche Familienbilder werden bereits vermittelt? Wie sehr werden Gegensätze zwischen Vätern und Müttern geschürt, vielleicht oder gerade im Rückgriff auf Rollenvorbilder aus der Bibel oder Kirchengeschichte? Maria und Josef, Martin Luther und Katherina von Bora – sind sie heute echt noch vorbildlich? Und warum? Wie kann kirchliche Bildungsarbeit zu positiven Elternschaftsbildern beitragen, die unabhängig von Geschlecht und Familienkonstellation konstruiert werden? Und die Kirche ist als – teilweise unerwünschte – Gesprächspartnerin der Politik gefragt, um für eine gerechtere Familienpolitik einzutreten!


Alle Ausgaben der Kolumne „Sektion F“ von Carlotta Israel hier in der Eule.


Unterstütze uns!

Die Eule bietet Nachrichten und Meinungen zu Kirche, Politik und Kultur, immer mit einem kritischen Blick aufgeschrieben für eine neue Generation. Der unabhängige Journalismus und die Stimmenvielfalt der Eule werden von unseren Abonnent:innen ermöglicht. Mit einem Eule-Abo unterstützst Du die Arbeit der Redaktion, die faire Entlohnung unserer Autor:innen und die Weiterentwicklung der Eule.

Jetzt informieren und Eule-Abo abschließen!