Que Sera – Die #LaTdH vom 16. Februar
Was wird nur aus der katholischen Kirche nach „Querida Amazonia“? Außerdem: Christliche Seefahrt, evangelische Publizistik & predigende Frauen.
Wir kommen gar nicht umhin, die Debatte dieser „Links am Tag des Herrn“ dem nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ (QA) von Papst Franziskus zu widmen – oder doch zumindest des Versuch zu wagen, es in den Kontext des aktuellen Katholizismus einzuordnen. Das fällt schwer, weil QA in den ersten drei Kapiteln seiner Zeit voraus ist und im vierten Abschnitt, der die kirchliche „Vision“ des Papstes zum Thema hat, ins 19. Jahrhundert zurückfällt.
Debatte
Im Wortlaut: Querida Amazonia von Papst Franziskus (Vatican News)
Das Nachsynodale Apostolische Schreiben „an das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens“ ist ein poetischer Longread, oder wie es selbst Freunde des Papstes eingestehen müssen: Franziskus erklimmt schwärmerische Höhen, wenn er über die Amazonas-Region schreibt. Dabei bleibt die Verständlichkeit auf der Strecke. Franziskus‘ „Träume“:
Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen (autochthonen) Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird.
Ich träume von einem Amazonien, dass seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt, wo auf so unterschiedliche Weise die Schönheit der Menschheit erstrahlt.
Ich träume von einem Amazonien, das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt.
Ich träume von christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken.
Im Fokus der Amazonas-Synode und auch von QA steht die ökologische Katastrophe im Amazonas-Gebiet und deren Konsequenzen für die (Ur-)Einwohner und die restliche Weltgemeinschaft. Gegenüber US-Bischöfen hat der Papst nach der Veröffentlichung den Fokus der Berichterstattung über QA kritisiert, berichtet das Jesuitenmagazin America.
Denn natürlich schauen europäische Christ*innen nach, was über ihre Anliegen im Schreiben gesagt wird. Das ist auch ganz ok so, erinnert man sich der warmen Worte über die „Inkulturalisierung“ des Glaubens, die Franziskus findet. Inkulturalisierung heißt auch, dass Leser*innen aus Europa berechtigt sind, das Schreiben aus ihrer Perspektive heraus zu deuten.
Not on the Same Page? – Massimo Faggioli (Commonweal Magazine, englisch)
Querida Amazonia entpuppt sich als starker Kontrapunkt zu den Beschlüssen der Amazonas-Synode, die in einem eigenen Abschlussdokument veröffentlicht wurden. Schneller als je zuvor antwortete ein Papst nun auf genau diese Beschlüsse und verrammelte im Kirchenkapitel erneut die Türen für das Priesteramt „bewährter Männer“ (viri probati) und das Diakonat von Frauen. Ganz, ohne beides überhaupt beim Namen zu nennen.
Nun stehen sich also zwei Ergebnisschriften der Synode diametral gegenüber, von denen nur Letzere (eben QA) Teil des „ordentlichen Lehramtes“ des Papstes ist. Für Massimo Faggioli (@MassimoFaggioli) stellen sich daher Fragen nach der von Franziskus so gelobten „Synodalität“:
Man sollte das Schreiben im Kontext Franziskus‘ Neuinterpretation des päpstlichen Vorrechts in einer synodalen Kirche verstehen, und als seinen Weg damit umzugehen, dass er der Mehrheitsmeinung der Synode persönlich nicht zustimmt. Die Sprache, mit der er im vierten Kapitel das Priestertum beschreibt, erinnert mehr an die vorkonziliare, denn an konziliare oder nachkonziliare Theologie der Weiheämter, wenn er die Einzigartikeit und exklusive Identität des Priesters beschreibt. Die wichtigsten Quellen, aus denen er in diesem Abschnitt schöpft, stammen aus der Ära Johannes Pauls II.: Die starke Betonung darauf, was die Laien tun können, um das klerikale System genau so zu bewahren, wie es ist. Anstatt die Vorschläge der Synode für die Ordination von viri probati zu Priestern aufzunehmen, schlägt Franziskus als Lösung vor, für Berufungen zu beten und Kleriker effizienter einzusetzen.
Das Schreiben enthält einen sehr kleinen Hinweis auf die Möglichkeit eines Ritus für die Amazonas-Region. Er erscheint gerade im Vergleich zum Abschlussdokument der Synode als sehr klein. Und Franziskus‘ Rede über Frauen ist typisch und erbärmlicherweise ungeeignet, seine Lobpreisung des „Weiblichen“ ist kontraproduktiv. Was er hier sagt, passt in das Muster dessen, was er schon immer zu diesen Themen gesagt hat. Man fragt sich, was aus der päpstlichen Kommission für das Frauendiakonat werden soll – ob sie einmal wieder konstituiert wird oder nicht, und wenn doch, auf welcher Grundlage. (Übertragung ins Deutsche von mir.)
Für den Herbst lädt der Papst zu einer weiteren Bischofssynode in den Vatikan ein. Was soll die ganze „Synodalität“ bringen, wenn er am Ende nach eigenem Gutdünken über die Ergebnisse solcher Beratungen hinweggehen kann?
Rom hat gesprochen, die Debatte ist eröffnet – Ernst-Wolfgang Böckenförde (FAZ)
Schon etwas betagt, aber immer noch instruktiv ist diese „Glosse“ Ernst-Wolfgang Böckenfördes in der Frankfurter Allgemeinen (Danke für den Tipp an @kemmereralex.). Der vor ziemlich genau einem Jahr verstorbene Staatsrechtler und Rechtsphilosoph geht jedenfalls mit seinen Gedanken über das (außer-)ordentliche Lehramt des Papstes und innerkirchliche Debattentraditionen weit über das hinaus, was sich in deutscher Sprache zur Aufnahme Querida Amazonias finden lässt.
Mit Blick darauf, dass die päpstliche Lehre beim Kirchenvolk nicht so richtig ankommt, formuliert er:
Solche Rezeptionsverweigerung, tritt sie verbreitet auf, erweist sich dann, wird sie aus dem Lebensprinzip der Kirche heraus verstanden, als Zeichen für das Lehramt selbst, als Anruf zum Hinhören auf den sensus fidelium. Dieses Hinhören kann Anlaß für das Lehramt sein, die eigene Lehre vor sich in Frage zu stellen, sie vielleicht anders und überzeugender zu begründen oder aber sie zu modifizieren oder auch zu korrigieren.
In Deutschland verharren viele Akteur*innen vor allem dabei, Papst Franziskus‘ Schreiben für die je eigene Agenda einspannen zu wollen. Das ist langweilig. Wenn sowohl Maria 2.0 als auch die Reaktionäre von EWTN/CNA und kath.net jubeln, kann irgendwas nicht stimmen. Ein Gespür dafür hat sich der Chef-Zyniker des deutschen Katholizismus, Kirchenrechtler Thomas Schüller (@tschueller61), erhalten:
Das wird für die Frauen, gerade in Deutschland, Europa und den USA, sicherlich eine herbe Enttäuschung sein. Mich persönlich überrascht diese Position weniger, weil Papst Franziskus immer wieder betont hat, dass Papst Johannes Paul II. bezüglich der Priesterinnenfrage die Tür zugemacht habe, dass das also entschieden sei. Nach meiner Einschätzung ist mit diesem Schreiben aber auch die Diakoninnen-Frage entschieden, weil Franziskus generell die Weihe als wesensfremd für die Frau erklärt.
Revolution der Mutlosigkeit – Raoul Löbbert (Christ & Welt)
Über die katholische Kirche kann dieser Tage nicht geschrieben werden, ohne auf ihren Umgang mit der Missbrauchskrise zu sprechen zu kommen. Raoul Löbbert (@RaoulLoebbert) beschreibt in der Christ & Welt kenntnisreich die Malaise, in die sich die deutschen Bischöfe beim Thema Entschädigungen für Missbrauchs-Betroffene manövriert haben.
Das hat – als kleine Ergänzung zum hervorragenden Artikel Löbberts – auch eine ökumenische Dimension, denn das Gerede über Milliardensummen und die Verwendung von Kirchensteuermitteln für Entschädigungen wurde von den katholischen Bischöfen den evangelischen Kolleg*innen im Herbst direkt vor die Nase gesetzt (z.B. von Bischof Ackermann einen Tag vor Beginn der EKD-Synode, die sich ebenfalls mit dem Missbrauch beschäftigte, wir berichteten). Nun sieht es so aus, als ob nicht nur alles beim Alten bliebe, sondern auch im Rahmen dessen, was evangelische Praxis ist. Unbefriedigend!
nachgefasst
Christliche Seefahrt – Kai Müller (Tagesspiegel)
Kai Müller vom Tagesspiegel war ganz nah dran, als die Beschaffung des Forschungsschiffes „Poseidon“ für das Bündnis #United4Rescue klar gemacht wurde. Sein Artikel enthält wertvolle Einblicke in die Entstehung dieser Aktion von der Idee, über die Kirchentags-Resolution, bis zur Umsetzung, und ist geeignet den Blick der Beobachter*innen einmal von der Person des Ratsvorsitzenden, @landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, abzuwenden.
Schließlich engagieren sich hier viele Akteur*innen für ein lohnendes Ziel. Dass die evangelischen Kirchen sich aus guten Gründen für die Seenotrettung einsetzen, wird durch die Kontextualisierung in der jüngeren Geschichte der Seenotrettung besonders deutlich.
Eigentlich sieht sich das EKD-Bündnis gefordert, „bis das Schiff fährt“. Aber Thies Gundlach ist sicher, dass es auch danach „auf politischer Ebene“ nützlich sei. Es soll offenbar nicht wieder soweit kommen, dass die Aktivisten von Politikern der EU kriminalisiert und quasi zu humanitären Freibeutern erklärt werden. Das Bündnis würde sich mit seinen Partnern – von Ärzte ohne Grenzen über DGB und katholische Jugend bis zu Pro Asyl – schützend vor sie stellen. Alles andere wäre eine schlechte Investition.
Bisschen ärgerlich ist es allerdings, dass Müller trotz aller Nähe zu den Akteuren gleich im zweiten Absatz meint, die Evangelische Kirche sei nun „Eigentümer“ der Poseidon, wo doch #United4Rescue genau deshalb gegründet wurde, um dem Eindruck zu wehren, die EKD würde eine „Reederei“ werden.
Als nächstes wird die „Poseidon“ im abgesperrten Teil des Kieler Hafens umgetauft (Wiedertaufe also jetzt ok, oder wie?). Die Veranstaltung ist aufgrund Platzmangels nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, und soll darum nach Wunsch der Organisator*innen nicht beworben werden. Aber wir können ja aus der Ferne gerne mal spekulieren, unter welchem Namen das Rettungsschiff noch in ersten Jahreshälfte in See stechen soll: Jona? St. Nikolaus? Oder doch ein Schiff, das sich „Gemeinde“ nennt?
Buntes
Evangelische Journalistenschule steht womöglich vor dem Aus – Elisa von Hof (SPIEGEL)
Dass beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) trotz neuer Aufgabenfelder („Evangelisches Content-Netzwerk“, „Digitale Kirchtürme“) 1,9 Millionen Euro gespart werden müssen, war schon im Herbst bekannt. Dass dadurch die Existenz der Evangelischen Journalistenschule (ejs) in Berlin bedroht ist, war zumindest auf der EKD-Synode im November (wir berichteten) kein Thema.
Sowohl der schriftliche, als auch der mündliche Bericht von Geschäftsführer Jörg Bollmann kamen ohne diese Information aus – so denn „damals“ schon feststand, was vor wenigen Tagen der Öffentlichkeit bekannt wurde. Man möchte meinen, dass die geplante Einstellung des Ausbildungsbetriebs nach dem noch laufendem Lehrgang einer Information an die Synodalen wert gewesen wäre, die den Ausführungen Bollmanns über die journalistische Qualität von epd, Chrismon & Co. warmen Applaus spendeten.
Nun haben sich eine Reihe ehemaliger Journalistenschüler*innen der ejs zusammengetan, um ihre alte Schule zu retten. Mehr dazu im Bericht von Elisa von Hof (@elisavonh) im SPIEGEL. Was romantisch klingt, wächst sich angesichts dessen, dass die Ehemaligen in allen großen Medien des Landes arbeiten, zu einem PR-Desaster für das GEP und mittelbar für die EKD aus. Die Hoffnungen der Retter*innen liegen beim Rat der EKD, der Ende des Monats zusammenkommt. Guter Journalismus ist ein wertvolles Gut, gerade in einer fragmentierten Mediengesellschaft. Es stünde der EKD gut an, an diesem gesellschaftlichen Engagement festzuhalten.
(Offenlegung: Gelegentlich habe ich als freier Autor für evangelisch.de geschrieben, das ebenfalls zu den Medienmarken des GEP gehört.)
Evangelische Publizistik im Netz: Meine Abschiedsrede – Hanno Terbuyken (Confessio Digitalis, evangelisch.de)
„Ohne die Bereitschaft, Vorhandenes auch einzustellen, sollte man sich freilich nicht auf den Weg machen“, zitiert zum Abschied der scheidende Digital-Chef des GEP Hanno Terbuyken (@dailybug) GEP-Gründer Robert Geisendörfer. Allerdings meint er damit wohl nicht die ejs, sondern eher das miteinander von zentralen und dezentralen publizistischen Angeboten, das auch digital immer wieder neu austariert werden muss.
In solchen Zeiten braucht es andere Wegweiser als „das haben wir schon immer so gemacht“. Der Gründer des GEP, Robert Geisendörfer, hat uns einen solchen mitgegeben, den im GEP alle kennen: „Was kann evangelische Publizistik? – Etwas öffentlich machen, Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen“. Das ist ein gutes Leitwort für das „warum“ unseres Handelns.
Im Frühjahr wechselt Terbuyken zum Gemeinde-Software-Anbieter ChurchDesk. Beim GEP ersetzt ihn in Denis Krick (@DenisKrick) ein erfahrener Journalist und Onliner, der nun auch die nicht gerade einfache Aufgabe von Terbuyken übernimmt, das digitale Engagement des GEP – das für viele Beobachter*innen eh nur „die EKD“ ist, man erinnere sich an den Jana-Streit (wir berichteten) – den zahlreichen Akteur*innen der Kirche im digitalen Raum zu erklären. Terbuyken hat das mit Geduld und Wärme und der Bereitschaft stets dazuzulernen getan, nicht nur auf seinem Blog „Confessio Digitalis“, dessen Lektüre für #digitaleKirche-Jünger*innen unverzichtbar war.
Beethoven, aber wie? – Ulrich Ruhnke (Oper!)
Mit diesem Beitrag von Ulrich Ruhnke, Herausgeber und Chefredakteur von Oper! (@opermagazin), geht es mir weder um Opern noch um Beethoven, sondern um die klugen Gedanken, die sich Ruhnke zum Opernbau macht:
Nicht nur im Hinblick auf die bisherigen Negativerfahrungen mit Generalsanierungen und explodierenden Kosten stellt sich die Frage: instand setzen oder abreißen und neu bauen? Zumal die Anforderungen an ein Opernhaus heute grundlegend andere sind als früher, auch als in den 50er- und 60er-Jahren. Das Operntheater von heute muss nicht nur arbeitstechnisch ganz anderen Ansprüchen genügen, auch gesellschaftlich soll es eine komplett veränderte Rolle spielen, als ganztägig geöffneter, von nicht nur opernaffinen Menschen genutzter öffentlicher Raum, der seinem (potenziellen) Publikum permanent positiv begegnet. Die Zeiten der architektonisch wehrhaften Gralsburgen, die sich nur in den Abendstunden zur Zelebration der heiligen Kunst öffnen, sind jedenfalls vorbei.
Was Ruhnke über die Tempel des Musiktheaters schreibt, lässt sich mit ein wenig Phantasie auf den Kirchenbau übertragen. Bisher steht hier vor allem der (denkmalschutzgerechte) Erhalt der Bauwerke im Fokus. Gerne wird in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Kirchen eine gemeinschafts- und heimatstiftende Funktion erfüllen – auch für Menschen, die nie zum Beten hinein gehen. Welchen „ganz anderen Ansprüchen“ aber müssten Kirchen heute genügen, um als lebendige Orte des Glaubens genutzt zu werden?
Werden sich #Medien und #Talkshows in den nächsten Wochen mit den Ängsten & Forderungen dieser besorgten #Zivilgesellschaft beschäftigen; PoC, Minderheiten, Bürgerrechtler*innen, Sozialarbeiter*innen, Gewerkschafter*innen, Historiker*innen usw. zu Wort kommen lassen? #Erfurt https://t.co/tOmJS87lQn
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) February 15, 2020
Predigt
Heute zwei der Form nach ungewöhnliche Predigten: Zunächst der erste Vlog des neuen evangelischen YouTube-Formats „Anders Amen“. Und dann das hier (in englischer Sprache):
Was officially reprimanded today for using profanity in a sermon (this sermon: https://t.co/s6XeydhKFd)
— Hannar Reichel (@citizentheology) February 14, 2020
Ein guter Satz
„Der Glaube fragt nicht,
ob gute Werke zu tun seien,
sondern ehe man fragt,
hat er sie getan
und ist immer im Tun.“
– Martin Luther