Retten, was verloren ist? – Die #LaTdH vom 3. November

Krach in der Schweiz: Die Reformierten streiten schwer bewaffnet über die „Ehe für alle“. Außerdem: Bunte Meldungen von A wie Amazonas-Synode bis Z wie Zachäus.

Debatte

Die Liebe hat den langen Atem – Michael Wiesmann u.a. (reformiert.info)

Mit einem Manifest setzen sich 280 Pfarrerinnen und Pfarrer in der  Evangelischen Kirche der Schweiz für die kirchliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ein. Damit reagieren sie auf die in der Vorwoche veröffentlichte Erklärung von 182 Pfarrpersonen gegen die „Ehe für alle“. Kurz vor der Abstimmung im Kirchenbund gehen die Wogen hoch, die Auseinandersetzung ist ideologisch aufgeladen und führt zu Grabenkämpfen.

Während die Gegner sich auf die Bibel (ihre Website ist nach Mt 19,4 benannt: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie von Anfang an als Mann und Frau geschaffen hat?“) und die Leuenberger Konkordie berufen, antworten die Befürworter einer kirchlichen Trauung pathetisch im Stil der Barmer Erklärung:

Wir verwerfen deshalb jede falsche Lehre, welche die Begrenzungen ihrer eigenen Geschöpflichkeit vergisst und damit über die Würde des anderen Geschöpfes hinweggeht. (…) Wir verwerfen deshalb jede falsche Lehre, welche subjektive, partikulare menschliche Erkenntnis für absolut erklärt oder in exklusiver Weise Wahrheit (z.B. Bibeltreue) für sich vereinnahmt. (…) Wir verwerfen deshalb jede falsche Lehre, welche ihre Erkenntnis über diejenige der Liebe Gottes für uns Menschen stellt, wie sich diese in bedingungsloser Weise in Jesus Christus, seiner Person und seiner Botschaft des Evangeliums zeigt.

Streit um die „Ehe für alle“ – zur kirchlichen Diskurskultur – Matthias Zeindler (diesseits.ch)

Für Matthias Zeindler (@mzeindler) erweist sich die „oft gepriesene innere Vielfalt“ der reformierten Kirchen in diesen Wochen als „anspruchsvolles, ja schmerzhaftes Projekt“. In seinem Kommentar bei Diesseits, dem Blog der Reformierten Kirche im Kanton Zürich (@zhrefch), ruft er zur Mäßigung in der Debatte auf:

Auch ich bin mir bewusst, dass in den Fragen von Ehe und Trauung für alle in den Kirchen Entscheidungen gefällt werden müssen. Ich halte aber dafür, dass dies nicht ohne sorgfältige Gesprächsprozesse, in welchen alle Seiten Gehör erhalten, geschehen darf. Solche Prozesse haben nur da Aussicht auf Erfolg, wo alle Beteiligten ernsthaft zu verstehen versuchen, was für jene, die andere Auffassungen vertreten, auf dem Spiel steht. Das Bemühen, die Bibel nach bestem Wissen und Gewissen zu verstehen, müssen wir auch jenen zugestehen, die dies methodisch anders als wir tun und die zu anderen Schlüssen kommen. Wo wir einander die Treue zur Bibel streitig machen, sprechen wir uns gegenseitig das Christsein ab.

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (@sekfeps) hat die wichtigsten Argumente zur Ehe für Alle (EfA) in der Art eines „Wahl-O-Mat“ auf seiner Website zusammengestellt. Das Pfarrforum des Bistums St. Gallen (@BistumSG) stellt in seiner aktuellen Ausgabe die Position(en) der römisch-katholischen Kirche der Schweiz zu diesem Thema vor.

Segensfeiern? Nein, danke! Queere Kritik an Paarsegnungen für Homosexuelle – Ruben Schneider (feinschwarz.net)

Eine Kritik an dem Bemühen um eine Segnung von homosexuellen Partner_innenschaften formuliert Ruben Schneider aus queerer Perspektive. Im Theologischen Feuilleton feinschwarz.net (@feinschwarz_net) stellt er dabei die Übernahme traditioneller Muster hetero-normativer Gesellschaften in Frage:

Letztlich handelt es sich aus queerer Perspektive bei der Homo-Ehe nicht um eine Gleichstellung von Schwulen und Lesben als solchen, sondern lediglich um eine Erweiterung des Wirkungsbereichs jener althergebrachten Strukturen, die zuvor noch zur Ausgrenzung von Schwulen und Lesben führten. (…)

Ist eine kirchliche Festlegung dessen, was eine segenswerte homosexuelle Beziehung ist und was nicht, denn wirklich das, was wir jetzt brauchen? Homosexuelle sind Opfer des psychisch und sozial missbräuchlichen heterosexistischen Systems und es ist absurd, wenn sich genau dieses System auf einmal bei seinen Opfern anbiedern will.

Was wir brauchen, ist eine Streichung der Nr. 2375 des Weltkatechismus, ein Ende der lehramtlichen Stigmatisierung unserer Sexualität, ein Ende der missbräuchlichen Ideologie, die unsere Psyche durch den toxischen Selbsthass der internalisierten Homonegativität zerfrisst.

Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare? Aber ja! – Jens Ehebrecht-Zumsande (feinschwarz.net)

Der Religionspädagoge Jens Ehebrecht-Zumsande (@ZumsandeJens) erwidert am gleichen Ort und wirbt für einen positiven Blick auf die Segnung von Andersheit:

Die Diskussion um die Segensfeiern mutet kirchlichen Akteur*innen viel zu. Es geht um Grundsätzliches: um das Gottes-, Menschen- und Kirchenbild, um ein Grundverständnis von Pastoral, um die Frage, wozu Kirche überhaupt da ist und wem sie dient. Das ist vor allem eine Chance für Wachstum. (…)

Es muss sichergestellt werden, dass der Segen verbindet und nicht trennt. Dies erfordert von allen Beteiligten die Differenzen nicht nur aushalten, sondern sie lieben zu lernen. Homosexuelle Menschen und ihre Beziehungen sind anders. Deshalb liebt Gott sie genauso wie heterosexuelle.

nachgefasst

Wenn der Fluss über die Ufer tritt … Über die gerade abgeschlossene Amazoniensynode – Birgit Weiler (feinschwarz.net)

Prof. Birgit Weiler gehört dem Orden der Missionsärztlichen Schwestern an. Als Spezialistin für indigene Theologien lehrt sie systematische Theologie an der Jesuiten-Universität in Lima und nahm als vom Papst ernannte Expertin an der Amazoniensynode teil. Bei feinschwarz.net zieht sie eine Bilanz dieses weltkirchlichen Ereignisses:

Im Prozess der Synode hat sich die Identität der Kirche Amazoniens, die sich vom Territorium und den verschiedenen Kulturen prägen lässt, danach trachtet, sich in diesen Kulturen zu beheimaten („inkulturieren“) und im Kontext Amazoniens das Evangelium in Wort und Tat glaubhaft zu verkünden, weiter ausgeprägt. Die Kirche in Amazonien ist sich ihrer Partikularität noch stärker bewusst geworden sowie der Notwendigkeit, viel intensiver und in vernetzter Weise zusammenzuarbeiten. Zugleich hat sich das Bewusstsein ihrer Würde als Partikularkirche gestärkt, die sich eine Weltkirche wünscht, in der die Einheit in der Anerkennung und Wertschätzung der Vielfalt gründet.

Hat man je einen Papst übers Wasser laufen sehen? – Werner Kleine (Dei Verbum)

Die Interpretationen des Schlussdokumentes der Amazonien-Synode (s. #LaTdH von letzter Woche) schwanken zwischen Aufbruchseuphorie und Resignation: Zwar wurde über die Lockerung des Zölibats nachgedacht, statt der erwarteten „viri probati“ wird es aber maximal die Priesterweihe für verheiratete Diakone geben – zunächst beschränkt auf die Amazonasregion. Wenn große Hoffnungen auf kleinen Glauben treffen, so zieht Werner Kleine (@WernerKleine) im Blog Dei Verbum (@Verbum_Dei) Bilanz:

Die Amazonien-Synode hat verbindlich ein Schlussdokument beschlossen. Die Mehrheitsverhältnisse sind passabel, aber nicht überschwänglich. Synoden sind Beratungsforen, die dem Papst bei seiner Entscheidung helfen sollen. Das verbindlich beschlossene Schlussdokument liegt nun auf dem Tisch Papst Franziskus‘; verbindlich beschlossen ist damit noch nichts. Das allein obliegt dem Papst (…). Es ist nun an ihm, aus den Beratungen verbindliche Entscheidungen und Lehren zu formulieren. Ob die dann nur für Amazonien gelten oder ob sich daraus auch für den Rest der Weltkirche verbindliche Regelungen ergeben, weiß zur Zeit niemand.

Zölibat: Tür auf? – Raoul Löbbert (Christ & Welt)

Raoul Löbbert (@RaoulLoebbert) analysiert in seiner Bilanz in Christ & Welt (@christundwelt): Je länger Papst Franziskus lebe, regiere und Bischöfe ernenne, die denken wie er, desto größer und einflussreicher werde das Lager seiner Unterstützer. Die Synode sei daher auch Ausdruck der machtpolitischen Ausdauer des Papstes:

Fest steht schon jetzt: Das schrumpfende konservative Lager kann sich künftig nicht mehr so leicht auf Rom und die katholische Wahrheit berufen, um Veränderungen zu verhindern. Die Wahrheit, das ist die unterschwellige Botschaft des Abschlusspapiers der Amazonas-Synode, ist nicht in Stein gemeißelt, sondern Auslegungssache. Man kann und muss sie den Bedürfnissen anpassen, nicht umgekehrt.

Sind bald alle Priester verheiratet? – Interview mit Thomas Schüller (Der Spiegel)

Kirchenrechtler Thomas Schüller (@tschueller61) glaubt, dass die Entscheidung der Synode auch die Kirche in Deutschland verändern könnte. Im Interview mit dem SPIEGEL (ohne Bezahlschranke zusammengefasst bei @katholisch_de) rechnet Schüller mit einem „Domino-Effekt“:

Bischofskonferenzen aus allen Teilen der Welt, in denen ebenfalls Priestermangel herrscht, werden sagen: Was im Amazonasgebiet gilt, muss auch bei uns erlaubt sein. Deutschland gehört dazu.

Auf die Frage des SPIEGEL, ob der nächste Papst den Plan wieder kippen könne, antwortet Schüller entwaffnend ehrlich:

Ein Papst darf alles. Das Amt ist aufgebaut wie eine absolutistische Wahlmonarchie.

#Amazonien auch bei uns! – Paul M. Zulehner (Blog zu Welt und Kirche)

Die Amazoniensynode werde auch in die hießigen Ortskirchen Bewegung bringen, wenn dieser Kairos jetzt genutzt werde, glaubt der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner (@PaulMZulehner). Deshalb fordert er die Kirchenleitungen im deutschsprachigen Raum in einer Online-Petition auf, dem Papst ähnliche mutige Vorschläge zu machen – und liefert gute theologische Argumente dafür in seinem Blog.

Gegenüber dem Synodalen Weg der Katholiken in Deutschland agieren Papst Franziskus und der Vatikan jedoch widersprüchlich (vgl. dazu auch die #LaTdH vom 22. September). Der Pontifex stelle damit den Kern seines Reformprojekts in Frage – kritisiert Matija Vudjan (@Durchgedacht) hier in der Eule.

Buntes

Und was ist mit dem Abendmahl? – Burkhard Schäfers (DLF)

Vor 20 Jahren schien manchen die Einheit der evangelischen und römisch-katholischen Kirche greifbar nahe. Doch seitdem ist nicht viel passiert – auch, weil sich die Kirchen 1999 zwar über die Rechtfertigungslehre einigen konnten, aber nicht über ein viel größeres Problem: das Abendmahl.

Burkhard Schäfers (@b_schaefers) hat für seinen Beitrag im Deutschlandfunk (@DLF) mit Theologen beider Konfessionen gesprochen. In eineinhalb Jahren findet in Frankfurt der Dritte Ökumenische Kirchentag statt. Etliche, die sich für die Einheit der Kirchen einsetzen, fordern, dort müsse es ein gemeinsames Abendmahl geben. Die befragten Wissenschaftler winken ab: Das sei nahezu ausgeschlossen!

Hätte, hätte, Bischofskette – Hannes Leitlein (Christ & Welt)

Für Hannes Leitlein (@hannesleitlein) zeigt der Fall Rentzing (ausführlich hier in der Eule), dass Kirche nicht ohne Politik zu machen ist – und Politik nicht ohne Kirche. In der ZEIT-Beilage Christ & Welt (@christundwelt) bedauert Leitlein eine verpasste Chance – Rentzing habe seine Bekehrung (sofern sie denn wirklich wahr sei) nicht in ein politisches Programm verwandelt:

Was wäre dieser Kirche gedient gewesen – und darüber hinaus dem Land und womöglich sogar der ganzen Republik – mit einem geläuterten Bischof, der seine Theologie glaubwürdig vermitteln hätte können, der Buße getan und Vergebung erfahren hat, der aus guten Gründen sagen hätte können, inwiefern das Parteiprogramm der AfD nicht vereinbar ist auch mit einem konservativen Gottesverständnis.

Neben dem Hinweis auf die offiziellen Statements der Landeskirche zur „Verabschiedung von Landesbischof Dr. Rentzing“ sei auch ein Blick in den Blog von Christian Wolff (@Chriwo49) empfohlen, der die „Reformation in der Krise“ sieht, Erklärungen des zurückgetretenen Landesbischofs aus den beiden letzten Monaten zusammenfasst und eine eigene kurze Einschätzung gibt:

Nach dem vollzogenen Rücktritt von Dr. Carsten Rentzing muss die sächsische Landeskirche dringend ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit (schließlich ist die Kirche eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und der Landesbischof bekleidet genauso wie ein/e Gemeindepfarrer/in ein öffentliches Amt), zum Gebrauch der neuen Medien, zum Rechtsnationalismus und zu einer lutherischen Theologie klären, die in der säkularen Gesellschaft die biblische Botschaft zu vermitteln weiß.

Die Demokratie geht vor die Hunde und die Kirche schaut zu – Volker Resing (katholisch.de)

Nach der Wahl in Thüringen sei außer lahmer Empörung von den Kirchen nicht viel zu hören, kritisiert Volker Resing (@Volker_0409). Im Kampf um den Erhalt der Demokratie agierten kirchliche Institutionen und Verbände schwach, schreibt der Chefredakteur der Herder-Korrespondenz in seinem „Standpunkt“ bei @katholisch_de:

Wo ist die große Initiative des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) für junge Politikinteressierte, sich in Parteien zu engagieren? Wo gibt es eine neue Kampagne für politische Bildung in katholischen Akademien und Einrichtungen? Wo werden beim BDKJ ehrliche und kontroverse Debatten organisiert, die Jugendliche für Politik begeistern – anstatt nur die üblichen wie eingeübten Beschlüsse gegen Klimawandel, gegen Armut und für eine gerechte Gesellschaft abzusegnen?

Bibel

Ein Sonntag für die Bibel – Elisabeth Birnbaum (feinschwarz.net)

Papst Franziskus rief am 30. September 2019 – für die meisten überraschend – einen weltweiten „Sonntag des Wortes Gottes“ aus. Die Reaktionen darauf bewegen sich zwischen „Endlich!“ und „Wozu?“. Elisabeth Birnbaum, Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks, schreibt bei feinschwarz.net über begründete Vorbehalte und vorbehaltlose Gründe für einen „Bibelsonntag“:

Der Bibelsonntag ist in manchen Punkten nicht zu viel, sondern eher zu wenig des Guten. Aber er zeigt zumindest eines: Die Bibel ist in der katholischen Kirche von höchster Stelle gewünscht. Katholische Frömmigkeit und Bibellektüre sind kein Gegensatz mehr. Katholik/innen dürfen und sollen die Bibel hochachten und beachten, sie lesen und bedenken, und zwar weltweit. Das Dokument selbst ist ein begeistertes, hoffentlich auch begeisterndes Plädoyer für die Bedeutung der Bibel in der katholischen Kirche. Dafür ist dem Papst nicht genug zu danken.

Predigt

Tagesevangelium am 31. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C): Lk 19,1-10 – Pascal Schmitt (bibelwerk.de)

Die Begegnung des Zöllners Zachäus mit Jesus findet sich nur im Lukasevangelium. Und dort steht sie an prominenter Stelle – am Ende des Weges Jesu nach Jerusalem, wo sich seine Verkündigung in Tod und Auferstehung vollenden wird.

Für Pascal Schmitt spricht schon von daher vieles dafür, dass Lukas in dieser Szene die Botschaft Jesu, wie er sie theologisch versteht, verdichtet hat. Beispielhaft werde hier gezeigt, was christliches Handeln ausmacht:

Das Reich Gottes ereignet sich dort, wo Vorurteile, Ausgrenzung und Abwertung enden und Menschen durch die Begegnung mit Jesus bzw. mit uns allen, die wir uns Christinnen und Christen nennen und ihn sicht- und erlebbar machen sollten, Heil(ung) erfahren. Nicht die moralische Verurteilung, ja nicht einmal die Lehre Jesu stehen im Vordergrund, sondern die gelebte Nähe, mit der Jesus deutlich macht, wer und wie Gott ist.

Ein guter Satz