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Schande – Die #LaTdH vom 16. Mai

Während Christen den 3. Ökumenischen Kirchentag begehen, werden Jüdinnen und Juden in Deutschland bedroht. Außerdem: Feedback-Schleifen in den Gemeinden und verbale Duelle.

Herzlich Willkommen!

Während die christlichen Kirchen aus Frankfurt (Main) den 3. Ökumenischen Kirchentag begehen, finden in vielen Städten des Landes antisemitische Demonstrationen statt, werden Synagogen und Jüdinnen und Juden Ziel von Angriffen. Das alles mag eine Reaktion auf den wieder aufgeflammten Gaza-Konflikt sein, doch der allgegenwärtige Antisemitismus weist tiefer: Wer Juden den Tod wünscht, der will keinen Frieden stiften.

Es ist wirklich ein Grund sich zu schämen, wie unbehelligt und wohl nicht ohne die Sympathien vieler Menschen sich in Deutschland antisemitischer Protest artikulieren kann. Und ein bedenklicher Kontrast zur Freiheit, die Christen genießen dürfen, auch wenn sie sich nicht zu Tausenden in Frankfurt (Main) haben treffen dürfen.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

Debatte

Gestern kam es auf antisemitischen Demos in mehreren Städten zu Ausschreitungen. Die Tagesschau bietet einen Überblick über die Demos, die sich nicht allein dem aktuellen Gaza-Konflikt verdanken, sondern dem Nakba-Tag, an dem Palästinenser:innen an ihre Vertreibung im Kontext der israelischen Staatsgründung erinnern. Auch in der Kirchentags-Gastgeberstadt Frankfurt (Main) wurde demonstriert:

In Frankfurt am Main versammelten sich rund 1.500 Teilnehmer zu einer israelfeindlichen Demonstration. Der Großteil trug Masken, aber die Abstände seien nicht immer eingehalten worden, sagte ein Polizeisprecher. Auch rund 150 Gegendemonstranten hätten sich eingefunden. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt das am Freitag von der Stadt verhängte Verbot der „Nakba“-Demonstration aufgehoben.

Während Israelflaggen angezündet werden und Jüdinnen und Juden auf den Straßen der Tod gewünscht wird, Synagogen beschmiert und von Demonstrant:innen belagert werden, sind sich Vertreter:innen der großen demokratischen Parteien, Kirchen und Religionsgemeinschaften einig in ihrer Ablehnung von Antisemitismus und Gewalt. Unterdessen besuchten mehrere PolitikerInnen jüdische Gottesdienste und Synagogen, um ihrer Solidarität Ausdruck zu verleihen.

Die größeren muslimischen Dachverbände (z.B. DITIB und ZMD) verurteilen die Gewalt und rufen ihre Mitglieder auf, sich nicht an gewalttätigen Protesten vor Synagogen zu beteiligen. In den Kirchen werden Solidaritätsnoten verfasst und gegen den Hass angepredigt, wie auf einem ökumenischen Gottesdienst anlässlich des Kirchentages in Hannover mit den Bischöfen Wilmer (röm.-kath., Hildesheim) und Meister (ev.-luth, Hannover):

„Wir müssen gegen den Judenhass aufstehen, für Antisemitismus ist in Deutschland kein Platz“, sagte Wilmer bei einer Predigt in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis […]. Die Tatsache, dass Juden in Deutschland stärker Angst haben, als in der Vergangenheit, erfülle ihn mit Grauen. Sie seien die älteren Geschwister im Glauben. Daher könne es für Christen keine Alternative geben: „Wer Juden verhöhnt, verhöhnt uns. Wer Juden angreift, greift uns an. Wir Christen stehen an der Seite der Juden, ohne Wenn und Aber.“

Gegen die, die gegen Juden sind – Ebru Taşdemir zu Gast bei Julius Stucke (Deutschlandfunk Kultur)

Bei Deutschlandfunk Kultur spricht Julius Stucke (@meinhirn) mit der taz-Journalistin Ebru Taşdemir. Die Beiden ordnen die Ereignisse der Woche ein: Die antisemitischen Ausschreitungen, der Nakba-Tag, das islamische Zuckerfest werden kontextualisiert und sogar auf den Kirchentag kommen sie zu sprechen. Hörenswert!

Unter der Überschrift „Aktuell ist anders“ erklärt Martin Benninghoff (@Benninghoff_M) in der FAZ, warum auf dem Ökumenischen Kirchentag zwar immer wieder vom Antisemitismus die Rede ist, das alles aber so weit entfernt von der Eskalation dieser Tage scheint: Viele Veranstaltungen sind vorproduziert.

Das Gespräch mit Schuster und weiteren Gästen war bereits Mitte der Woche aufgezeichnet worden und konnte deshalb nicht auf aktuelle Ereignisse der vergangenen Stunden Bezug nehmen. Die Veranstalter wollen eruieren, ob sich kurzfristig ein Podium zu den Ereignissen in Israel einrichten lässt, wobei Sternberg auf organisatorische Schwierigkeiten in der Pandemie hinwies. Sternberg und Bettina Limperg teilten am Freitag für das ÖKT-Präsidium mit, es sei „eine ökumenische Aufgabe, unsere jüdischen Geschwister im Kampf gegen den Antisemitismus zu unterstützen“.

Die Schande von Berlin – Philipp Peyman Engel (Jüdische Allgemeine)

Philipp Peyman Engel kommentiert in der Jüdischen Allgemeinen sowohl den Frankfurter Versuch, die Nakba-Demo zu verbieten, als auch die Unfähigkeit des Berliner Senats, den antisemitischen Parolen Einhalt zu gebieten. Er erinnert daran, dass judenfeindliche Übergriffe und Parolen auf diesen Demos Tradition haben. Niemand könne sagen, er wüsste nicht, was auf den Demos abgeht.

Tacheles gesprochen: Die Bilder, die wir heute auf Berlins Straßen erneut sehen mussten, sind ein Schlag ins Gesicht für die jüdische Gemeinschaft. Ein Schlag ins Gesicht für jeden Demokraten. Und die Bilder entlarven einmal mehr die häufig bei Schoa-Gedenkveranstaltungen geäußerten Versprechen von viel zu vielen politischen Entscheidungsträgern als das, wie sie bei vielen in der jüdischen Gemeinschaft leider viel zu häufig wahrgenommen werden: als wohlfeile Floskeln. Wenn unsere Politiker schon keine Verbote von Israel-Hass-Kundgebungen anstreben, dann mögen sie uns künftig zumindest ihr »Nie wieder!« ersparen.

nachgefasst

Abschied nehmen – Aber wie? Zur Diskussion um den assistierten Suizid – Reiner Anselm und Ralf Frisch (Dekanat Hof, YouTube)

Auf einem von der Evangelischen Erwachsenenbildung Hochfranken e.V. und der Diakonie Hochfranken organisierten Podium kreuzen die Theologieprofessoren Reiner Anselm und Ralf Frisch die verbalen Klingen und streiten über den assistierten Suizid.

Anselm verantwortete gemeinsam mit Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und der Theologin Isolde Karle (Eule-Interview) Anfang des Jahres den Debattenaufschlag zum Thema in der FAZ (kompletter Text auf zeitzeichen.net). Frisch hatte sich damals in einem rhetorisch indiskutablen Beitrag in dem evangelischen Magazin zu Wort gemeldet (s. #LaTdH vom 17. Januar). Die Debatte verfolgen wir intensiv hier in der Eule.

Aussetzung des EKD-Betroffenenbeirates

Über die Aussetzung des EKD-Betroffenenbeirates habe ich in der Eule bereits vorvergangenen Freitag und noch einmal in dieser Woche ausführlich berichtet. Einige der verbliebenen Mitglieder haben in einem langen ZEIT-Interview ihre Sicht der Dinge dargestellt. Am Freitag widersprachen sie nochmals der Darstellung der EKD, interner Streit habe zur Aussetzung geführt.

Was stimmt denn nun? Am Ende werden das die Beobachter:innen und Leser:innen selbst entscheiden müssen. Am Sachgehalt der ausführlichen Erklärung vom Dienstag hat sich nichts geändert, außer dass der EKD-Missbrauchsbeauftragte, Landesbischof Meyns (s.u.), auf einem Podium des ÖKT nun von mehreren Bitten um Auflösung von Mitgliedern des Beirates spricht. Bisher hatte es unisono gehießen, nur eine solche Bitte wäre geäußert worden (wie und warum steht im Artikel von Dienstag).

Buntes

Kommen wir zum 3. Ökumenischen Kirchentag (ÖKT), der bisher wenig Resonanz bei uns im Magazin gefunden hat, was unmittelbar damit zu tun hat, dass die Veranstaltung kein Kirchentag ist. Das hängt, so viel kann man schon vor Ende der Veranstaltung sagen, nicht allein daran, dass der ÖKT der Corona-Pandemie wegen hauptsächlich digital stattfinden muss, sondern daran wie er digital umgesetzt wird.

Einen fröhlichen Überblick bieten Markus Bechtold (@MarkusBechtold) auf evangelisch.de und Christoph Strack (@Strack_C) bei der Deutschen Welle.

Merkel: Mehr für den Klimaschutz tun – Benjamin Lassiwe (Weser-Kurier)

Eine Zusammenfassung der auf dem ÖKT geführten Diskussionen bietet Benjamin Lassiwe (@lassiwe) im Weser-Kurier. Er nimmt Bezug auf die prominent besetzten Podien, das Fernduell der KanzlerkandidatInnen und auf die Diskussion um die Missbrauchskrise, die auf einigen Veranstaltungen ihren Weg auf den Kirchentag fand:

Mit dem Fernduell der beiden Spitzenpolitikerinnen zeigte sich indes auch schlaglichtartig, vor welchem Problem der digitale Kirchentag stand: Die für die Christentreffen sonst so typische Debattenkultur, der Markenkern von Kirchen- wie Katholikentagen schlechthin, musste, den Erfordernissen des Internets angepasst, vielfach Federn lassen: Weil die Veranstaltungen mit Merkel und Baerbock vorher aufgezeichnet wurden, waren die sonst üblichen Rückfragen des Publikums nicht möglich.

Sieben Minuten für Betroffene von tausenden Minuten ÖKT-Streaming – Felix Neumann (katholisch.de)

Das Durcheinander um die Beteiligung von Betroffenen an den Diskussionen auf dem Kirchentag fasst Felix Neumann (@fxneumann) auf katholisch.de zusammen. Die Statements der Betroffenenbeirätinnen Johanna Beck (@MmeSurvivante, DBK) und Katharina Kracht (@KraaaankyKat, EKD) haben wir gestern hier in der Eule vollständig dokumentiert. Neumann schreibt:

Das Statement verhallt aber. Auf die Betroffenen reagiert niemand – jedenfalls niemand mit Verantwortung. Das Moderatorenduo […] zeigt sich betroffen, ein Gegenüber von Seiten der Institutionen haben weder Beck noch Kracht. Nur der tanzende Theologe Frieder Mann kommentiert die Beiträge: mit einem hochkant mit dem Handy aus einer schlecht beleuchteten Kirche gestreamten Ausdruckstanz.

Neumann erklärt auch den Konflikt um die Ausladung von Kerstin Claus (@kerstinclaus, hier in der Eule) als Moderatorin des Gesprächs zwischen dem EKD-Missbrauchsbeauftragten Landesbischof Christoph Meyns (Braunschweig) und seinem DBK-Pendant Bischof Stephan Ackermann (Trier). Die Journalistin Claus, Mitglied im Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), war von der Moderation zurückgetreten, nachdem Meyns einen Auftritt unter ihrer Moderation ablehnte. Unter der Woche hatte sie beim MDR die Missbrauchsaufarbeitung der Evangelischen Kirche eingeordnet.

Am Samstagabend fanden in Frankfurt und „dezentral“ überall im Land ökumenisch-sensible Gottesdienste statt. Dabei besuchten der katholische ÖKT-Präsident und ZdK-Vorsitzende Thomas Sternberg und die evangelische ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg jeweils Gottesdienste der anderen Konfession und nahmen dort „gemeinsam am Tisch des HERRn“ an Abendmahl bzw. Eucharistie teil. Sie vollziehen damit vor aller Augen, was in vielen Gemeinden des Landes all-sonntägliche Realität ist.

Das Programm in Richtung des weniger gesetzten Publikums erweiterten das evangelische Content-Netzwerk yeet und das ökumenische Content-Netzwerk ruach.jetzt* mit dem „füreinander.stream“, unterstützt von den Gastgeberkirchen Bistum Limburg und Evangelischer Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Warum das 24-Stunden-Angebot so mangelhaft in das ansonsten recht überschaubare Programm vor allem für junge Menschen, integriert wurde, bleibt ein weiteres Rätsel dieses digitalen Kirchentages. Mit der Freigabe von Deutungshoheit, die mit einer Dezentralisierung logischerweise einhergeht, tut sich der Kirchentags-Betrieb aber sowieso schon schwer, auch ohne Corona-Digitalisierung.

Heute um 10 Uhr läuft der Abschlussgottesdienst des 3. Ökumenischen Kirchentages u.a. im ZDF (barrierefreier Livestream). Viele Podien und Gespräche und auch das Kirchentags-Oratorium kann man weiterhin in der Kirchentags-Mediathek nachschauen.

Theologie

Download, Moses! – Ulrich Schnabel (DIE ZEIT)

Mit der Digitaldenkschrift der EKD setzt sich Ulrich Schnabel in der ZEIT auseinander. So richtig begeistert ist er ob der Verwendung der 10 Gebote für das Zeitalter der Digitalisierung nicht:

So ist das Problem heute nicht der Mangel, sondern die Vielfalt möglicher Dekaloge, die einen vor das klassische Dilemma der digitalen Welt stellt: Wofür, um Himmels willen, soll ich mich entscheiden? Vielleicht müsste man darüber mal vierzig Tage und Nächte auf einem einsamen Berg nachdenken – aber ohne Handyempfang. Das wichtigste Gebot der Digitalzeit war schließlich schon Moses bekannt: Gönn dir eine Auszeit, und schalte mal ab!

Liken geht auch analog – Philipp Greifenstein (zeitzeichen)

Der Leipziger Theologe Alexander Deeg (hier zuletzt in der Eule) legte auf der EKD-Synode vergangene Woche Wert darauf, „dass die Suche nach Professionalität im Digitalen“ sich nicht auf den analogen Gottesdienst niederschlagen sollte und dort das Unperfekte, „Schiefe und Schaurige“ verdrängt.

In meiner Kolumne für zeitzeichen.net rufe ich demgegenüber zu einer richtigen Qualitätsdiskussion über die analogen Angebote der Gemeinden und Kirchen auf. Jetzt ist die Zeit, „Feedback-Schleifen“ in den Gemeinden zu legen!

Trotzdem ist es schade, dass beiden Volkskirchen der Verlust der Selbstverständlichkeit ihres Kultus droht. Ich glaube nicht, dass dies mit Absicht geschieht. Es ist wohl einfach der Zeitenlauf. Ich bewundere jedenfalls Juden und Muslime und „unsere“ Orthodoxen gelegentlich dafür, dass sie ihre Liturgien (zum großen Teil jedenfalls) hübsch widerständig einfach so in der Weltgeschichte herumstehen lassen. Wer zum Freitagsgebet geht, der geht zum Freitagsgebet, nicht um sich „abholen zu lassen“, sondern um sich selbst rauszuholen. Irgendwie muss ich gerade an Taizé denken.

Ein guter Satz

„Nicht damit wir Teil der Kirche werden, sondern weil wir Teil der Kirche sind.“

aufgeschnappt bei einem Workshop zum Thema Kirche und Barrierefreiheit, Julia Schönbeck (@schaumbuergerin) zugeschrieben


* Offenlegung: Das ruach.jetzt-Netzwerk wirbt gelegentlich in der Eule für seine Formate und Produkte.