„Spürbarer Druck“ – really?

Dreizehn TheologInnen machen mit einem Offenen Brief auf die Gefahren geschlechtergerechter Sprache aufmerksam. Eine Antwort von „Sektion F“-Kolumnistin Carlotta Israel.

Am 5. Januar 2023 meldete die FAZ unter der Überschrift „Spürbarer Druck. Theologen gegen Gender“, dass sich „dreizehn Theologen (sic!) gegen den verpflichtenden Gebrauch von Gendersprache an den Hochschulen und in kirchlichen Ausbildungsstätten“ wehrten. Die FAZ nahm den Ende 2022 in einer Zeitschrift publizierten aber auch an theologische Bildungseinrichtungen verschickten Offenen Brief (hier abrufbar) zum Anlass dieser Meldung. Dreizehn sind nicht besonders viel angesichts mehrerer Tausend Theolog*innen allein in Deutschland, aber trotzdem werfen wir jetzt mal einen Blick in das Papier dieser Leute, da sie ja versucht haben, es prominent zu streuen.

Zunächst ein Hinweis, den auch der Offene Brief benennt: Es handelt sich bei den Unterzeichner*innen vor allem um Mitglieder der Fachgruppe Theologie im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Das Netzwerk diagnostiziert: „Hochschulangehörige werden erheblichem Druck ausgesetzt, sich bei der Wahrnehmung ihrer Forschungs- und Lehrfreiheit moralischen, politischen und ideologischen Beschränkungen und Vorgaben zu unterwerfen […]“.

Ok, könnte mensch jetzt sagen, hier fühlen sich Menschen bedrängt. Wahrscheinlich geht es ihnen dabei um moralische, politische und ideologische Meinungen, die nicht den ihren entsprechen. Denn vermutlich möchten sie ja nicht ohne jede Moral forschen, verfolgen bei (selbst-)kritischer Reflexion selbstverständlich auch selbst politische Ziele und setzen die eigene Forschungs- und Weltanschauung erst einmal nicht dem Ideologieverdacht aus.

Falls sich noch jemand fragt: Ja, es geht um die (falsche) Annahme einer „Cancel Culture“ (so z. B. auch in der eigenen Vorlesungsreihe am 14. November 2022 – „schade“, dass ich das verpasst habe) und die Abgrenzung vom „Wokesein“ (den Vortrag dazu am 19. Dezember habe ich „leider“ auch verpasst). Kurze Erinnerung: woke heißt so viel wie „aufgewacht sein“ und daher Diskriminierungen wahrnehmend. Diesen Begriff negativ zu verwenden, heißt, sich auf die Seite der Diskriminierenden zu stellen und die Augen vor verschiedenen Diskriminierungensstrukturen zu schließen.

Noch ein zweiter Hinweis zu den dreizehn Personen: Es handelt sich um fünf Menschen, die einen (wie auch immer gearteten) Lehrstuhl innehaben, vier Privatdozenten und vier Promovierte, darunter eine weiblich gelesene Person und ein Ehrendoktor. Es sind Gelehrte aus dem römisch-katholischen, dem evangelisch-lutherischen, -reformierten wie auch dem -freikirchlichen Kontext. Sie arbeiten teilweise in Kirchengemeinden, aber auch an Hochschulen und Universitäten nicht nur im deutschsprachigen Raum. Einige haben ihrem Argwohn z.B. gegen Gender-Sternchen schon mal Ausdruck verliehen (wie Dr. Hans-Gerd Krabbe), andere sind im „Gemeindenetzwerk“ aktiv, in dem sich auch Peter Hahne (Hintergrund) engagiert, wieder andere sind öffentlich bzw. in ihrem Werk noch nicht zu diesem Themenbereich in Erscheinung getreten.

Was aber steht nun im Text?

In Briefform gehalten, wendet er sich an „Kolleginnen und Kollegen, Kommilitoninnen und Kommilitonen“. Und das ist dann auch das letzte Mal, dass eine weibliche Form verwendet wird. Danach geht es um die „Redefreiheit von Dozenten gleichermaßen wie von Studenten […]. Es geht um die Nötigung, statt des generischen Maskulinums eine als ‚inklusiv‘ deklarierte Sprache zu verwenden.“ Dieser Nötigung dürfe mensch sich verweigern.

Wir nehmen schon mal den Begriff der „Nötigung“ mit und, dass es um Sprachverwendung geht. Es werde ein künstlicher Sprachwandel durch den „Zugriff einer großformatigen Sprachplanung“ in Form von „Verordnungen“ zu gendersensibler Sprache vorgenommen, schreiben die Verfasser*innen weiter. Zur „Nötigung“ kommt also auch noch die „Verordnung“. Alles klar, weiter im Text: „Die Nötigung zu einem bestimmten Sprachgebrauch bedeutet grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit von Dozenten wie Studenten.“ Zudem müssten linguistische wie philosophische Grundlagen geprüft werden. Mit einer Allensbach-Studie belegen die Dreizehn, dass 80% der befragten Hochschullehrenden dafür eintreten, dass die Verwendung des generischen Maskulinums erlaubt bleiben müsse.

„Glaubwürdig“ finden die Verfasser*innen, „Berichte, nach denen Studenten beklagen, dass sich der Verzicht auf die Verwendung gegenderter Sprache negativ auf die Bewertung von Studienleistungen auswirke“. Studierende sollen also schlechtere Noten bekommen haben, weil sie nicht genderten. Von einem FAZ-Artikel ausgehend, der dies belegen soll, waren die dreizehn Autor*innen auf die „Handreichung zum Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten“ der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Greifswald gestoßen. Dort wurde auch gendersensible Sprache thematisiert: „In einer Seminararbeit ist auf geschlechtergerechte Sprache zu achten.“ Wow, was ist das für eine Nötigung? Eine schlimme Verordnung?!

Das waren natürlich ironische Fragen. „Es ist darauf zu achten“, ist justiziabel wohl kaum eine Nötigung! Außerdem wird ein Satz der Handreichung zitiert, der die Grenzen des generischen Maskulinums thematisiert. Die Greifswalder Handreichung (PDF) wird sodann mit einer Äußerung der Frauenbeauftragten der Humboldt-Universität zu Berlin verbunden, der auch eine „Nötigung“ attestiert wird. Das war dann schon die ganze Problemanzeige der Dreizehn, gegen die sie drei Thesen erheben.

Sie wehren sich erstens gegen die Kritik am generischen Maskulinum, zweitens gegen den „moralische[n] Anspruch […], mit dem die Verfechter ‚geschlechtergerechter‘ Sprache auftreten, wodurch offene sachliche Diskussionen verhindert“ wird und drittens wird ein (vermeintlich) spezifisch theologisches Problem ventiliert, nämlich die Trennung zwischen „Wissenschaft und Praxis“, die durch gegenderte Sprache betrieben würde.

Fans des generischen Maskulinums

Für die Rettung des generischen Maskulinums versuchen sie, „generisch“ – also Gattungsbezeichnungen, die ihrer Meinung nach keine geschlechtliche Konnotation hätten, wenn sie männlich wären – zu erklären. Dafür verweisen sie auch auf die Ente, bei der ja der generische Begriff die eigentlich weibliche Bezeichnung sei und sich trotzdem alle Erpel mitgemeint fühlen dürfen, äh oder so ähnlich. Super Idee, das mit den Tiervergleichen!

Richtig schön ist auch das zweite Argument pro generisches Maskulinum: „Der generische Gebrauch maskuliner Begriffe ist auf Grund von Lebenserfahrungen und Vorwissen verständlich.“ Darüber allein lässt sich schon schmunzeln, wenn wir uns daran erinnern, wie am Ende der Ära Merkel die „Kann auch ein Mann Bundeskanzlerin werden?“-Frage gestellt wurde. Offensichtlich handelt es sich auch dabei um Erfahrungswerte, aber offensichtlich prägt das Geschlecht – das, wie die Dreizehn meinen, erst mit dem Femininum hinzukäme und nicht schon beim „neutralen“ Maskulinum dabei ist – dann eben doch Vorstellungswelten.

Und das liebe Vorwissen? Sich darauf zu stützen, wo es doch um akademische Ausbildung geht, ist schon lustig. Denn während des Studiums soll es ja ausgebaut und infrage gestellt werden. Ist es Vorwissen, bei dem mensch stehen bleiben sollte, dass nur von den „Jüngern Jesu“ gesprochen wird, auch wenn Frauen ihm folgten – bis zu seinem Grab?

Wer ist (mit-)gemeint?

Es folgt der nächste Witz: „Im alltäglichen Sprachgebrauch besteht kein Problem, das generische Maskulinum inklusiv zu verwenden und zu verstehen“. Hier nutzen die Verfasser*innen eine random Schlagzeile über „Lehrer“, obwohl mehrheitlich Frauen in dem Beruf arbeiteten. Wow, was ein krasser Beleg!

Dass auch Frauen das generische Maskulinum gut finden, droppen sie dann gleich als nächstes. Ja, why not! Weil sich irgendeine Rieke (in diesem Fall) total mitgemeint fühlt, reicht doch das generische Maskulinum … Ah, es gibt noch andere außer Rieke? Und sogar Menschen, die nicht männlich oder weiblich sind? Eine ernstgemeinte Frage an die Dreizehn: Würden Sie auch sonst vorschlagen, dass sich wissenschaftliche Texte an „der“ Umgangssprache orientieren sollen?

Besonders konsistent ist die Argumentation des Offenen Briefes allerdings nicht, denn gleich im Anschluss soll es richtig toll wissenschaftlich bei den Dreizehn werden. Denn sie haben sich auch noch mit Psycholinguistik beschäftigt. Es gibt Psycholinguist*innen, stellen die Verfasser*innen fest, die herausgefunden hätten, dass es gar nicht unbedingt so ist, dass mit männlichen Begriffen gar keine Frauen assoziiert werden. Ehrlich gesagt, bin ich darüber angesichts der vielfältigen Wissenschaftslandschaft auch in diesem Fach nicht wirklich überrascht: Unterschiedliche besser oder schlechter begründete und erforschte Positionen, die von verschiedenen Wissenschaftler*innen eingebracht werden – wer hätte das gedacht?

Womöglich leiden die Verfasser*innen an einer etwas falschen Vorstellungen von Wissenschaft, in der es keinerlei Fachdiskurse mehr bedarf und Ergebnisse anderer Wissenschaftler*innen komplett unhinterfragt stehen gelassen werden müssen. Noch eine Frage an die Dreizehn: Einen „endgültigen“ Wissenschaftskonsens (auch) in der Psycholinguistik würden Sie also hinnehmen und unabhängig vom Ergebnis ganz sicher nicht unter Ideologieverdacht stellen?

Als nächstes schauen die Autor*innen des Offenen Briefes nach Schweden– ein „Land, in dem früher und intensiver als im deutschsprachigen Raum über Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung diskutiert wurde“. Weil dort die Erzbischöfin als „Erzbischof“ bezeichnet wird und anscheinend auch Frauen anderer Berufe das Maskulinum ok finden und sich darin aufgehoben fühlen, soll es doch auch hier für alle genügen. Tut es aber nicht, ihr Dreizehn! Ihr sucht nach Argumenten dafür, dass einzelne Frauen sich durch das generische Maskulinum nicht unsichtbar gemacht fühlen. Das ist für jene, auf die das zutrifft, ja auch schön, sei ihnen unbenommen und hängt wohl auch z.B. mit unterschiedlichen ost-/westdeutschen Prägungen sowie mit grundsätzlichen feministischen Positionen zusammen.

Trotzdem geht es mindestens mir nicht so. Und abgesehen davon, geht das Argument in eine falsche Richtung: Es geht bei theologisch-wissenschaftlichen Texten in der Regel nicht um mein persönliches Mitgemeintsein, sondern um wissenschaftliche Sorgfalt. Die Sorgfaltspflicht, die die Briefautor*innen von der Theologie gegenüber der Sprache einfordern, kann ich guten Gewissens gegen ihre Argumente wenden: In jedem Fach der Theologie geht es auch um Menschen. Diese verstehen sich als Angehörige meist eines Geschlechts. Das drückt sich auch sprachlich aus. Dies zu ignorieren, widerspricht jeder Sprachsorgfalt. Ich glaube nicht ans generische Maskulinum.

Mein moralischer Anspruch

Die Verfasser*innen unterstellen, wegen des moralischen Anspruchs ihrer Verfechter*innen fände keine sachliche Diskussion über gendersensibler Sprache statt. Und ja klar: Da kann ich auch nicht aus meiner Haut! Ich sehe für mich einen moralischen Anspruch, dass ich Menschen inkludieren möchte, sie wahrnehmen und daher auch sprachlich vorkommen lassen möchte. Diesen Anspruch leite ich auch durchaus biblisch her.

Es ist mir auch ein wissenschaftliches Anliegen, in meinem Fall im Fach der Kirchengeschichte, zu benennen, ob Frauen anwesend waren oder nicht. Deswegen gebrauche ich das Maskulinum für Männer und als Gruppenbezeichnung * – z. B. Christ*innen. Ehrlich gesagt, geht das ganz schnell, dass „Genera“ einfach so inklusiv werden.

Weniger moralisch, sondern politisch kreiden die Briefverfasser*innen an: Wenn es sich doch um ein gesellschaftsveränderndes Konzept handele, das im Zusammenhang mit gendersensibler Sprache umgesetzt werden soll, müsse dies diskutiert werden können. Klar, Feuer frei! Schießt los und erklärt mir, warum Menschen ausgeschlossen werden sollen! Darüber können wir sicherlich mit einigen Bibelzitaten hin- und herwerfend diskutieren. Noch eine Frage an die Autor*innen des Offenen Briefes: Ist euer Problem nun die Gleichstellung oder die Sprache? Denn hier vermischt es sich enorm! Welche Debatte wird dadurch sachlicher? Die politische durch ein Gender-Verbot oder die sprachliche durch Exklusionsziele?

„Dem Volks aufs Maul schauen“

Zur dritten Beschwerde der Briefautor*innen, durch geschlechtergerechte Sprache würde einer Trennung von Wissenschaft und Praxis Vorschub geleistet: Hier holen sie nochmal ihr Verständnis von „Nötigung“ raus und verweisen auf die Besserwisserei von Vertreter*innen des Genderns. Das mache sicher auch ich, indem ich diesen Text schreibe. Das ist ein Punkt, den ich annehmen kann. Da habe ich so ein bisschen was Missionarisches in mir, das gebe ich zu. Aber ich weiß auch, dass ich das bei der Bewertung von Hausarbeiten ablegen muss. Ob die Verfasser*innen es aber hinnehmen könnten, wenn ich bei ihnen eine gegenderte Hausarbeit abgebe?

Und dann formulieren sie etwas, von dem ich sehr erstaunt bin, weil es mir in meinem Studium nicht begegnet ist: „Zugleich ist aber im Theologiestudium die Kunst einzuüben, komplexe Sachverhalte in einer Sprache auszudrücken, die außerhalb des akademischen Milieus verwendet und verstanden wird. Dass die Theologie ‚dem Volk aufs Maul schauen‘ muss, ist keineswegs ein spezifisch lutherischer Standpunkt.“ To be honest: So habe ich das Studium überhaupt nicht wahrgenommen, sondern gehe davon aus, dass in dieser Hinsicht das Vikariat schult. An der Universität habe ich vielmehr einen akademischen Sprachduktus trainiert. Vielleicht bemerken die Verfasser*innen ihre eigene Abgehobenheit beim Sprechen selbst gar nicht mehr?

Dann glaube ich, wohnen die Briefeschreiber*innen ein bisschen auf einem anderen Stern. Oder reden eben mit ganz anderen Studis als ich z.B. in München, wo übrigens die einzige Mitautorin des Briefes arbeitet. Die Verfasser*innen gehen davon aus, Gendern sei nichts Alltagssprachliches. Das nehme ich sehr anders wahr. Sie äußern die Sorge – sicherlich im Zusammenhang mit der Befürchtung, dass die Kirche zur reinen Moralinstitution verkomme –, die Theologie bzw. theologisch ausgebildete Personen würden anderen mit gendersensibler Sprache etwas aufdrücken.

Natürlich sind weder Kirche noch Theologie frei von milieuspezifischen Prägungen, sicher ist auch das Privilegienbewusstsein mancher Theolog*innen ausbaufähig. Aber so zu tun, als ob quasi alle nicht-akademisch-gebildeten Menschen dann wieder in den Gottesdienst kämen, wenn keine gegenderte Sprache verwendet würde, halte ich für eine starke Verkürzung und andererseits auch Überschätzung der Wirkkraft von gendersensibler Sprache. Sprachliche Offenheit für Vielfalt könnte eher Türen öffnen.

„Spürbarer Druck“ – really?

„Spürbarer Druck“ lautete die Überschrift in der FAZ. Irgendwie freut es mich ja auch, dass Menschen anscheinend davon ausgehen, dass Gender in der Theologie überall relevant ist. Das wäre ja mal was! Auch wenn die Dreizehn das als druckhaft empfänden.

Am Ende der Lektüre des Offenen Briefes ist aber leider klar, dass sich hier einfach auch im Kreise der Theologie ein Fanclub des generischen Maskulinums zusammengeschlossen hat und Demagogie wittert, wo einfach kein starker Druck herrscht. Wie viele wissenschaftliche Verlage verbieten denn schon das generische Maskulinum? Welcher Verlag, der theologische Literatur vertreibt, verpflichtet zu gendersensibler Sprache? Und warum können sich die Verfasser*innen nicht auf Sprachkomplexität einlassen, wo Theologie an vielen Stellen doch genau das ist?

Den Überzeugungen der Dreizehn hängen sicherlich einige weitere Theolog*innen an. Das ist mir auch klar. Wie das in der Schickeria der Theologiewelt aussieht, kann ich nicht genau einschätzen. Was ich aber weiß, ist, dass es nicht um einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit geht, wenn um adäquate Sprache gebeten wird. Davon auszugehen, dass wissenschaftliche Sprache sonst frei von Regularien wäre und jetzt erstmalig regulierende Mechanismen zum Einsatz kämen, ist massiv ignorant und geschichtsvergessen. Das generische Maskulinum reicht nicht, um die Vielfalt unserer Welt und Theologie angemessen zu beschreiben.


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