Newsletter #LaTdH

Tu Felix Austria?! – Die #LaTdH vom 12. Januar

In Österreich soll ein waschechter Rechtsextremist die Regierungsgeschäfte führen. Was sagen die Kirchen dazu? Außerdem: Neues aus Jüterbog, vom Datenschutz und Theologie zu Taylor Swift.

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„Wird aus diesem Lagerfeuermoment ein Erweckungserlebnis?“, habe ich in den #LaTdH vor einem Jahr angesichts des millionenfachen Protests gegen die AfD auf den Straßen des Landes gefragt, der sich im Anschluss an die „Geheimplan gegen Deutschland“-Recherche von Correctiv entfaltet hatte. Ein Jahr später und mitten im Bundestagswahlkampf können wir sagen: Nein. Vielmehr haben die demokratischen Parteien die Chance liegen lassen, aus dem Protest ein Bündnis zu schmieden.

Auch dieser „Aufstand der Anständigen“ (Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000) ist eher versandet. Nachdem die Umfragewerte der AfD zeitweise gedrückt wurden, feierte sie bei der Europawahl und dann im Herbst 2024 in Ostdeutschland Wahlerfolge. Nun ist ja klar, dass man einer rechtsextremen Radikalisierung nicht allein mit Demos von Gegner:innen beikommen kann, aber ich sehe das Versäumnis deutlich bei den Vertreter:innen der demokratischen Parteien, die den von der Zivilgesellschaft – und den Kirchen! – gegebenen Impuls nicht aufnahmen. Auch hier spielt die Meta-Debatte über die Bedeutung von Institutionen für unser Zusammenleben wieder hinein (s. #LaTdH von vergangener Woche).

Mehr noch: Im Jahr 2024 befleissigten sich die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP und die Union, insbesondere in der Migrationspolitik eine deutliche Verschärfung von Politik und Rhetorik vorzunehmen, die man schwerlich nicht als vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Rechtsradikalen werten kann. Jedenfalls ist die Politik der demokratischen Parteien deutlicher stärker von einem fehlgeleiteten Appeasement der Rechtsradikalen geprägt, als dass sie sich vom demokratischen Druck von der Straße hätten leiten lassen.

Das Versagen liegt vornehmlich bei der SPD. Weil man sich von den Sozialdemokrat:innen schlicht mehr erhofft und erwartet. Bundeskanzler Olaf Scholz hat das strategische Potential der Anti-AfD-Proteste, vermutlich wieder mal aus Arroganz gegenüber einer emotional aufgeladenen Bürger:innenschaft, nicht genutzt. Seine kalte Schulter gegenüber den Kirchen und Christ:innen ist davon nur ein Teil (s. hier & hier in der Eule). Der Kabarettist Dieter Hildebrandt legte einst dem SPD-Politiker Herbert Wehner den Satz in den Mund: „Man möge mir meine Leidenschaft verzeihen, ich hätte Ihnen die Ihre auch gerne verziehen!“

In diesen Tagen beobachten wir, wie in Österreich viele tausende Menschen gegen die drohende Kanzlerschaft Herbert Kickls (FPÖ) auf die Straße gehen. Kickl ist ein waschechter Rechtsextremist. Seine Politik für Österreich fußt auf Rassismus, Familie und Glauben. „Wer sich selbst hilft, dem hilft Gott“, formulierte er im Kontext der „Remigrationspläne“ seiner Partei. Die Muslime sollen gehen, damit Österreich wieder zu sich findet und groß wird. Was sagen die Kirchen dazu? Mehr dazu in der „Debatte“ dieser #LaTdH.

Uns allen bleibt die Aufgabe, nicht in einer Angststarre zu verharren oder dem neuerlichen Aufschwung rechtsradikaler Parteien und Bewegungen vornehmlich als Katastrophentourist:innen beizuwohnen, sondern Menschenwürde und demokratischen Rechtsstaat aktiv zu verteidigen. Auch und besonders als Christ:innen, die erkannt haben, dass „nur eine demokratische Verfassung heute der Menschenwürde entsprechen kann“, wie es die Demokratiedenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD, PDF) bereits 1985 formulierte.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Mit dem „glücklichen Österreich“ aus dem geflügelten Wort „Tu Felix Austria!“ war vormals die Heirats- und Bündnispolitik des Hauses Habsburg gemeint, das die Geschicke der Österreicher:innen und vieler weiterer europäischer Nationen über Jahrhunderte in zunehmend zitternden Händen hielt. Im 20. Jahrhundert hat sich der Satz als historischer Irrtum erwiesen. Gleichwohl hängen nicht wenige Menschen in Österreich weiterhin Lügen an, gerade auch über die eigene Geschichte, die der „Alpenrepublik“ den Weg in eine gedeihliche Zukunft versperren. Über die langfristige Wirksamkeit von Geschichtsmythen und Sakralisierung von Nation, Vaterland und Politik ließen sich anhand der aktuellen politischen Entwicklungen in Österreich wohl Bücher schreiben.

Fixpunkt dieser Entwicklung ist abermals die Migration mit ihrem doppelten Angesicht als tatsächliche politisch-gesellschaftliche Herausforderung für den glücklichen Kontinent Europa und als mobilisierungsfähige Krisenerzählung der politischen Rechten. Genau mit diesen Zusammenhängen befasst sich die österreichische Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin Judith Kohlenberger intensiv, u.a. in ihren im Jahr 2024 erschienenen Büchern „Grenzen der Gewalt: Wie Außengrenzen ins Innere wirken“ und „Gegen die neue Härte“.

Inside Austria: Verliert Österreich die Kontrolle über die Migration? (SPIEGEL, DER STANDARD, 64 Minuten)

Im gemeinsamen Podcast des Hamburger SPIEGEL und des österreichischen DER STANDARD werden Politik und Gesellschaft Österreichs anhaltend intensiv so erklärt, dass auch bundesdeutsche Zuhörer:innen verstehen, worum es geht. Im Sommer 2024 waren in „Inside Austria“ die MigrationsforscherInnen Judith Kohlenberger und Gerald Knaus zu Gast. Knaus gilt als Vordenker für das EU-Türkei-Abkommen und leitet in Berlin die Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI). Ausgangspunkt des Streitgesprächs ist damals das Umfragehoch der FPÖ gewesen, „weil sie mit dem Versprechen antritt, die irreguläre Migration auf null zu reduzieren. FPÖ-Chef Herbert Kickl spricht von einer »Festung Österreich«, die er errichten will.“

Die Strategie der „Selbstverharmlosung“

Bei der FPÖ, die in vielen österreichischen Bundesländern, Städten und Kreisen mitregiert, handelt es sich um ein Vorbild für rechtsradikale Parteien in vielen Ländern. Zum Rechtsradikalismus in Deutschland bestehen seit Jahrzehnten hervorragende Verbindungen, auch weil die österreichische Rechtsextreme seit jeher auch einen starken deutschnationalen Flügel hat. Im vergangenen Jahrzehnt war zudem die Identitäre Bewegung in beiden Ländern aktiv, häufig mit starken personellen Überschneidungen.

In Österreich sind „Vordenker“ der Neuen Rechten aus Deutschland, wie Götz Kubitschek, immer noch gern gesehene Gäste. Er hat in der Neuen Rechten die Strategie der sog. Selbstverharmlosung propagiert, der auch die AfD in Deutschland ganz ähnlich wie die FPÖ in Österreich gehorchte, die sich als populistische Heimatpartei mehrfach neu erfunden hat.

Doch neuerdings scheint es, dass sich FPÖ und AfD gleichermaßen, ermutigt nicht zuletzt durch den Wahlerfolg Donald Trumps in den USA und den (sozial-)medialen Aufschwung rechtsextremer Ideen, von dieser zentralen Strategie abkehren, die zum großen Erfolg der extremen Rechten in Europa bisher beigetragen hat (s. Marine Le Pen in Frankreich und Georgia Meloni in Italien). Dieser Erfolg gründet nicht zuletzt in der Unfähigkeit der politischen Kontrahenten und auch vieler Medien, der Selbstverharmlosung einer Kritik entgegenzusetzen, die nicht zugleich die Talking Points der Rechten implizit ins Recht setzt (schönen Gruß an Julia Klöckner (CDU)).

Kickl bekannte sich im Wahlkampf ausdrücklich nicht nur zur Idee der „Remigration“, sondern auch zur Verwendung des Begriffs, der vor allem von Martin Sellner (Identitäre Bewegung) in die politische Debatte eingespeist wurde, u.a. ja vermittels des Potsdamer Treffens und der Berichterstattung vor einem Jahr. Die Rede der AfD-Kanzlerinnenkandidatin Alice Weidel auf dem Bundesparteitag gestern im sächsischen Riesa weist – wie auch ihr „Gespräch“ mit dem X-Eigentümer und Shooting Star der internationalen Rechten Elon Musk – in die gleiche Richtung. Die Rechtsextremen meinen, sich nicht mehr schämen zu müssen. Kubitschek ist out, Musk ist in.

Und die Kirchen?

Umso wichtiger erscheint es, nicht nur deutlich zu machen, wie infam Forderungen und Äußerungen der Rechtsradikalen sind, gerade in Bezug auf die Schwachen in der Gesellschaft, sondern sich deutlich von ihrem missbräuchlichen Umgang mit Christentum und christlichem Glauben abzugrenzen. Diese Aufgabe fällt den Kirchen zu. Was sagen die österreichischen Kirchen zur FPÖ-Dämmerung?

Nora Tödtling-Musenbichler, Präsidentin von Caritas Österreich, erklärt im Interview beim Kölner Domradio, was die mögliche Regierungsverantwortung der „in Teilen als rechtsradikal geltenden FPÖ“ (really, Domradio?) bedeuten kann. Trotzdem es ganz offenbar nicht um ein business as usual gehen kann, ist die Caritas-Präsidentin darum bemüht, bei ihren Leisten zu bleiben.

Der Auftrag der Caritas bleibt gleich und klar. Unabhängig davon, wer unser Land regieren wird, müssen wir Not sehen und handeln und auch ständig darauf hinzuweisen, wo es Probleme gibt. Auch in dieser Konstellation werden wir gut darauf achten, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Oder wie es unser Bundespräsident gesagt hat, dass die Prinzipien der Verfassung eingehalten werden. Das wird ein großer Fokus für uns sein, denn für uns als Caritas ist es ganz wichtig, Menschen zu schützen, Menschen aus der Armut herauszuholen und sie nicht zu verfestigen.

Wir müssen darauf pochen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention und alle Asylrechte eingehalten werden. Es geht darum, dass wir auf ein gutes Miteinander schauen und dass es nicht zu populistischer Politik kommt, die nur auf Meinungsumfragen schielt. Wir brauchen eine tragfähige, gute Gesellschaft, die von Solidarität geprägt ist.

Etwas deutlicher in seiner Kritik wird der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Michael Chalupka, in einem Brief an die Gemeinden seiner Kirchen (PDF), über den der Evangelische Pressedienst Österreich berichtet:

“Die Liebe Jesu zu den Armen, Kranken, Alten und Schwachen sowie zu den gesellschaftlich Geächteten ist im Neuen Testament so eindeutig, dass das Christentum die Verpflichtung zum sozialen Handeln – auf persönlicher und politischer Ebene – niemals aus den Augen verlieren kann”, zitiert der Bischof weiter aus der Denkschrift und erklärt abschließend: “Alle, die diesen Auftrag haupt- und ehrenamtlich wahrnehmen, verdienen den besonderen Schutz der Gemeinschaft in den Evangelischen Kirchen. Alle, die dabei an ihre Grenzen stoßen, und alle, die sich durch die Sorge um die Zukunft dieses Landes belastet fühlen, können auf den seelsorglichen Zuspruch der Evangelischen Kirchen zählen.”

Deutlicher noch als der Inhalt des Schreibens zeugt vielleicht dessen pure Existenz von der Größe der Sorgen, die man sich in der Kirche macht. Der Evangelischen Kirche in Österreich gehören ca. 300.000 Menschen an. Sehr viel größer ist natürlich die römisch-katholische Kirche in Österreich. Doch von den katholischen Bischöfen gibt es aktuell keine gemeinsame Stellungnahme.

Noch im Wahlkampf hatten sie einzelne Slogans der FPÖ kritisiert. Gleichwohl gibt es zwischen FPÖ-Wähler:innenschaft und katholischer Kirche gewaltige, auch inhaltliche Überschneidungen, gerade bei der Familienpolitik, in der Kritik von „Genderideologie“ und LGBTQI+. Die katholische Kirche hat sich zur Verteidigungslinie die Religionsfreiheit gewählt, die gleichwohl auch von rechtsextremen katholischen Influencer:innen und Akteur:innen in ihrem Kampf gegen „Christianophobie“ im Munde geführt wird (wir berichteten).

Nebenprodukt dieser Initiative aus dem Erzbistum Wien ist ein Schulterschluss mit muslimischen und jüdischen Akteur:innen. Das kann in der aufgeheizten Stimmung nicht schaden – im Gegenteil! Kardinal Christoph Schönborn, Oberrabbiner Jaron Engelmayer und der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Ümit Vural, haben in der „Wiener Eklärung“ die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften für den Frieden und ein gutes Miteinander in der Gesellschaft betont.

Die Erklärung wird als (fast) letzte Amtshandlung des Wiener Kardinals in Erinnerung bleiben, der kurz vor seiner Ablösung steht. Die Neubesetzung durch den Vatikan wird auch ein Fingerzeig sein, wie Papst Franziskus von jenseits der Alpen auf die Schwierigkeiten der österreichischen Demokratie blickt. In Washington hat er Donald Trump gerade einen expliziten Kritiker des MAGA-Kults vor die Nase gesetzt.

nachgefasst

Was von den Massenprotesten übrig bleibt (Tagesschau, RBB)

Vor einem Jahr veröffentlichte Correctiv eine Recherche zu einem Treffen rechtsextremer Kreise in Potsdam. Es folgten ein deutlicher medialer Aufschrei und deutschlandweite Proteste. Auch damals waren die Demonstrant:innen übrigens nicht blauäuig, wie ein Policy Paper des progressiven Zentrums zeigt:

Im Widerspruch [zum] dominanten Gefühl der Sorge steht allerdings ein eher nüchterner Blick auf die Wirksamkeit der Proteste: Dass sich die Politik durch sie zum Handeln bewegen lässt, hält nur ein gutes Drittel (36 Prozent) für wahrscheinlich und an ein Umdenken von AfD-Anhänger:innen glaubt gar nur jede:r Zwölfte (8 Prozent). Dagegen hält eine große Mehrheit (84 Prozent) den Gang auf die Straße vor allem dafür geeignet, ein Zeichen zu setzen und dem als solchen empfundenen Rechtsruck gegenüberzutreten. Die Teilnehmer:innen eint also nicht unbedingt ein geteilter Erwartungshorizont, wohl aber die Einsicht, dass öffentliche Sichtbarkeit wichtig ist und einen hohen symbolischen Eigenwert besitzt.

Ein Jahr nach der Protestwelle schauen viele Medien nach, was von ihr übrig geblieben ist – auch und besonders in Ostdeutschland, wo in vielen Städten und Gemeinden zum ersten Mal zahlreiche Menschen gegen AfD und Rechtsradikalismus auf die Straße gingen. Der RBB hat sich in gleich mehreren Beiträgen z.B. mit den Protesten in Luckenwalde befasst.

Den Rechtsextremismus in Deutschland habe die Bewegung nicht geschwächt, so der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung an der Uni Leipzig. „Von der anfangs beeindruckenden und breiten Mobilisierung ist wenig geblieben. Die Politik ist nicht auf die Forderungen der Demonstrationen eingegangen. Das hat schnell zu Frustration bei den Beteiligten geführt“, bilanziert Kiess.

Die Parteien der Mitte hätten sich zwar zunächst auf die Seite der Proteste gestellt. Ein gefordertes Demokratiefördergesetz zur Stärkung der Zivilgesellschaft aber gebe es bis heute nicht. Auch das Bestreben nach einem AfD-Verbotsverfahren sei kaum vorangekommen. Ebenso wenig hätten die Demonstrationen letztlich Wahlerfolge und hohe Umfragewerte populistischer Parteien verhindern können. Und die Debatte um Migration und Asyl habe sich weiter nach rechts außen verschoben.

Dennoch sieht Kiess in der Reaktion auf die Correctiv-Enthüllungen vor einem Jahr positive Signale für die Demokratie: „In viele ostdeutschen Kleinstädten waren das die ersten und größten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Das hat gezeigt, dass breite Bevölkerungsschichten die völkisch-rassistischen Narrative der AfD ablehnen“.

Nagelprobe Jüterbog

Gerade in dieser Woche erst haben wir in den Reaktionen auf die verbalen Angriffe des AfD-Bürgermeisters von Jüterbog auf evangelische Pfarrer:innen gesehen, dass es durchaus ein neues (?) Empfinden für die Notwendigkeit öffentlicher Solidarität gibt. Auch vom Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Christian Stäblein, und dem Landesbischof der Nachbarkirche Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, gab es Solidaritätsbekundungen.

Arne Raue ist vor einigen Wochen der AfD beigetreten und damit Brandenburgs erster hauptamtlicher AfD-Bürgermeister. In seinem von ihm selbst als privat bezeichneten Youtube-Beitrag vom 31. Dezember wirft er Pfarrerin Falk unter anderem vor, Straftaten von Flüchtlingen gedeckt zu haben. Wiarda wirft er vor, er hetze und spalte „den ganzen Tag“. In dem Youtube-Beitrag greift Raue unter anderem auch Sozialdemokraten, Grüne und die Initiative „Omas gegen Rechts“ an, mokiert sich über die Parole „Nazis raus“, kritisiert Zuwanderung und wirbt für die AfD.

Bischof Stäblein betonte, er danke Pfarrerin Falk und Pfarrer Wiarda „für den sehr guten Dienst, den sie für ihre Kirche und die Menschen in Jüterbog machen“. Die Landeskirche unterstütze beide in ihrem Tun und stehe an der Seite der engagierten Christinnen und Christen in Jüterbog. Von der Landeskirche hieß es, Raue verunglimpfe die Pfarrerin und den Pfarrer und greife sie „in hetzerischer Art und Weise“ an.

Bemerkenswerter Weise zielt der AfD-Bürgermeister genau auf jene Kreise, aus denen heraus viele der Proteste im vergangenen Jahr organisiert wurden. Die Angst vor der demokratischen Zivilgesellschaft sitzt den Rechtsradikalen doch im Nacken. Übrigens: Alles Institutionen, die im Osten selbst eher schwachbrüstig sind und ums Überleben kämpfen.

Buntes

Eule-Podcast (38): Die Kirchen und der Datenschutz – Felix Neumann bei Michael Greder (Die Eule, 48 Minuten)

In der aktuellen Episode des „Eule-Podcast“ ist Felix Neumann zu Gast, den #LaTdH-Leser:innen vor allem als Redakteur bei katholisch.de kennen, dem Nachrichtenportal der Katholischen Kirche in Deutschland. Mehr als ein Hobby ist für Neumann die Befassung mit dem kirchlichen Datenschutz geworden. Seit fünf Jahren bloggt er auf artikel91.eu über den Datenschutz und das Datenschutzrecht der Kirchen – und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Transparenz kirchlichen Handelns.

Im „Eule-Podcast“ bei Podcast-Host Michael Greder spricht Neumann darüber, ob man nun in der Kirche WhatsApp nutzen darf und welche Schwierigkeiten es bei der Umsetzung von Datenschutzregeln gibt. Was bedeutet der Datenschutz für Mitgliederkommunikation in den Kirchen? Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat gerade erst ihr Datenschutzgesetz (DSG-EKD) überarbeitet. In der römisch-katholischen Kirche steht die Novelle des Datenschutzgesetzes (KDG) noch aus. Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass die Kirchen ihr Datenschutzrecht selbst schreiben? Wo liegen Unterschiede zwischen staatlichem und kirchlichen Recht? Was haben Datenschutz und die Aufarbeitung von Missbrauch miteinander zu tun?

Auch wer bisher einen weiten Bogen um den Datenschutz in der Kirche gemacht hat (machen konnte), wird am Gespräch sicher Gefallen finden, denn in und mit und unter dem Datenschutz werden zahlreiche aktuelle Fragen zum Selbstverständnis und Wirken der Kirchen berührt.

Brauchen wir „Väterlichkeit“? – Carlotta Israel (SektionF, Die Eule)

In ihrer intersektionalen Eule-Kolumne schreibt Carlotta Israel im Januar im Anschluss an das neue Buch von Hans-Martin Gutmann „Wir brauchen Väterlichkeit. Ein Plädoyer“ über Vorstellungen von Vaterschaft und die Frage, ob wir eine „Väterlichkeitsbewegung“ brauchen. Ein interessanter Debattenauftakt!

Die Väterlichkeitsbewegung, die Gutmann vorschwebt und zu der er explizit aufruft, ist also eine, die auf Menschlichkeit abzielt, wie sie in den Menschenrechten verbrieft sind. Ich finde es sehr angenehm, dass Väterlichkeit bei Gutmann erstmal nichts Reaktionäres sein soll. Das ist bei einem „alten Mann“ (S. 6) in unserer Zeit ja nicht selbstverständlich. Es hätte mich auch sehr irritiert, weil Gutmann, der ehemalige Assistent der großen Göttinger Theologin Hannelore Erhart, sonst auch echt sehr vom Weg abgekommen wäre. Das passiert gerade nicht wenigen. Aber warum nennt er sein Gegenprogramm zu reaktionärer Ideologie „heilsamen Konservativismus“? Vielleicht will er den Begriff zurück-claimen und nicht den Rechten überlassen.

Theologie

„Take us to Church, Taylor!“

Unter dem Titel „Take us to Church, Taylor!“, der selbst schon eine Anspielung auf eine bekannte Pop-Hymne von Hozier ist, haben Nachwuchswissenschaftlerinnen in Wien zu einem Workshop zu den theologischen Implikationen des Wirkens und Werkes von Taylor Swift eingeladen. Darüber berichten dank einer Meldung von Kathpress zahlreiche deutschsprachige Medien, u.a. Der Standard und der Stern und eine Reihe von Glamour- und Promi-Magazinen. Dort spielt ja die Theologie selten mal eine Rolle, wenn es nicht gerade um die „Ulknudel“ Gloria von Thurn und Taxis geht, deren identitäre, rechtsradikal-katholische Umtriebe dabei regelmäßig unerwähnt bleiben oder verharmlost werden. Der ORF berichtet:

Obwohl Swift dezidiert keine religiösen Aussagen mache, vertrete sie in ihren Liedern, die von Nächstenliebe und Respekt zeugten, sowie im Umgang mit Menschen christliche Werte, so [Linda] Kreuzer, die sich dem Phänomen Taylor Swift in ihrem Vortrag aus feministisch-theoretischer Sicht nähert.

„Sie ist zum Symbol für eine inklusive Gesellschaft geworden; ihre Konzerte wollen ein ‚Safe Space‘ sein, insbesondere für Frauen und die LGBTQIA+-Community.“ Aus theologischer Sicht sei die Frage interessant, ob ihre Auftritte einen „religiösen Impact“ auf die Menschen haben und wie sie es schaffe, ihren Fans emotionalen Support zu bieten.

Die Befassung mit Taylor Swift, der prägenden Künstlerin der 2020er Jahre, ist für eine kultursensible Theologie ohnehin nötig. Schon gibt es Taylor-Swift-Gottesdienste, die „Swifties“ verkörpern als FollowerInnenschaft Lichtmomente und Schattenseite gegenwärtiger Fankulturen, Swifts Arbeitsbiografie erzählt eine Emanzipationsgeschichte inmitten des Kapitalismus und verschiedener Medienkrisen (z.B. Taylor Swift gegen Spotify / Streamingdienste), und nicht zuletzt sind ihre Songs doch voll von religiöser Metaphorik, wie es sich für eine US-amerikanische (ehem. Country-)Sängerin gehört.

Was ich persönlich erstaunlich finde: Einer messianischen Inszenierung verweigert sich Swift ausdrücklich, stattdessen ist die Bildsprache in Videos und bei Konzerten auf (weibliche) Emanzipation und wholesome Gleichberechtigung aus. Trotzdem wird Swift „als eine Art Alltagsheilige“ verehrt, erklärt eine der Organisatorinnen des Workshops, die Wiener Sozialethikerin Linda Kreuzer, das Interesse am Popstar. Ergebnisse des Workshops sollen in nächster Zeit veröffentlicht werden.

Bis es soweit ist kann man im Netz einige theologische Auseinandersetzungen mit Swift nachvollziehen: Auf dem Blog der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt haben Mark Porter und Paula Greiner-Bär je einen Artikel über Aspekte des Phänomens veröffentlicht, im Sommer 2024 berichtete Annette Zoch in der Süddeutschen Zeitung (€), die Kirchen würden auf den „Hype“ um Swift aufspringen, und bereits 2022 schrieb Andreas Mertin über Swifts Video zu „Anti-Hero“: „Mal so richtig auskotzen“.

Ein guter Satz

„In Zeiten der Verunsicherung bleibt es die wichtigste Aufgabe unserer Kirche, das Evangelium Jesu Christi in Wort und Tat zu verkünden.“

– Bischof Michael Chalupka, Evangelische Kirche A.B. in Österreich


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