Foto: Clemens van Lay (Unsplash)

Von B wie Barth bis K wie Kirchenwahl – Die Themen 2019, Teil 1

Autor*innen und Redaktion der Eule schauen zurück auf wichtige Themen des Jahres 2019, die uns auch im kommenden Jahr beschäftigten werden.

Mit 2019 geht ein spannendes Jahr für die Kirchen und Religionsgemeinschaften zu Ende. Die Debatten der Zeit um Antisemitismus, Rechtsradikalismus und die Klimakrise ragen auch in die Kirchen hinein. Einige der Themen des Jahres haben wir in der Eule intensiv nachverfolgt. Welche Themen werden uns im kommenden Jahr beschäftigen?

Ein Jahr, das heißt auch 52 Ausgaben unseres wöchentlichen Themennewsletters „Links am Tag des Herrn“ (#LaTdH). In der Zusammenschau ergibt sich ein beeindruckendes Bild des vergangenen Jahres (alle #LaTdH-Ausgaben). An dieser Stelle allen Autor*innen der #LaTdH herzlichen Dank für die Mühe, die es bedeutet, jede Woche die wichtigen Themen aufzuarbeiten!

Zum Schluss des Jahres haben wir uns die Themen des Jahres in der Eule noch einmal angeschaut. Einige wichtige von ihnen, die uns auch im kommenden Jahr weiter beschäftigen werden:


B     Barth

2019 war Barth-Jahr. Vor 100 Jahren veröffentlichte Karl Barth die erste Auflage seines Römerbrief-Kommentars, und gab damit den Anstoß für die sogenannte Dialektische Theologie. Er und seine Mitstreiter (Emil Brunner, Friedrich Gogarten) grenzten sich dabei von der sogenannten liberalen Theologie ihrer Lehrer ab, indem sie ihre Theologie konsequent bei Gottes Offenbarung beginnen und nicht – wie sie z.B. Schleiermacher vorwarfen – bei der menschlichen Religiosität.

Das Jahr 2019 brachte zu Barth, Barths Leben und Barths Theologie einige neue Studien und Beiträge: Einen Roman zu seiner Dreiecksbeziehung, neue Biographien bis hin zu eher exzentrischen Studien. Der Output war sehr hoch. Dabei geht es den meisten Autor*innen zunächst auch darum, das Potential der Barth’schen Theologie für das 21. Jahrhundert zu ermessen. Über Barths Theologie und dessen Bedeutung wurde und wird dann auch allenthalben in den sogenannten sozialen Medien diskutiert. Gerade die Barth-Tagung am Leuenberg wurde auf Twitter sehr gut für Nicht-Anwesende aufbereitet, ein Blick auf #DreiTageBarth lohnt sich. Die Diskussionen erbrachten manchmal bessere Erkenntnisse, manchmal endeten sie auch mit dem Ergebnis, dass sich die Fronten zwischen B(arth) und Nicht-B noch mehr verhärten.

Mein subjektiver Eindruck jedenfalls ist, dass sich anhand Barth und seiner Theologie auch heutzutage einiges zeigen lässt, und zwar sowohl in affirmativer Aufnahme, als auch in kritischer Distanzierung. Interessant ist allerdings auch, dass gerade seine politische Ethik und Positionierung kaum diskutiert oder aktualisiert werden. Vielleicht ist das ja etwas für 2020? Freilich nur, wenn im Barth-Jahr Nr. 2 dafür noch Zeit bleibt: Ulrich Barth feiert seinen 75. Geburstag, da ist es nur würdig und recht, diesem auch ein Jahr zu widmen, oder?

(Niklas Schleicher (@megadakka) ist Vikar der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in Asperg (bei Ludwigsburg) und engagiert im Zentralteam des NThK.)

B     Bürokratie

Nach EU-Recht müssen im Jahr 2021 deutsche Ausnahmeregelungen fallen, die es den kirchlichen Körperschaften bislang ermöglicht haben, auf die Erhebung von Mehrwertsteuer zu verzichten. Dies betrifft alle kirchlichen Waren und Dienstleistungen – also die Bratwurst am Gemeindefest, die Spezi im Jugendkeller oder den zwischen Gemeinden verliehenen Kleintransporter.

Das Problem ist dabei weniger die Kostensteigerung für kirchliche Endverbraucher als die zusätzlich notwendige Bürokratie, um all die anfallenden Steuern korrekt zu erfassen und abzuführen. Hier erreicht eine allgemeine, maßgeblich von Europa aus betriebene und teilweise von den Kirchenämtern selbst beförderte Tendenz hin zur Bürokratisierung und Normierung eine neue Stufe. Wie damit in der kirchlichen Praxis umzugehen ist, wird Verantwortlichen im nächsten Jahr wohl den Schweiß auf die Stirn treiben!

Jugendarbeit, wie sie mich geprägt hat, das hieß etwa: Ein Musikfestival mit Bands und Verpflegung organisieren, eine Website erstellen, Plakate gestalten und Fotos hochladen. Wäre das heute noch möglich? Vor gar nicht langer Zeit konnten Jugendliche hier noch in schwach geregelten Grauzonen weitgehend selbstverantwortlich schalten und walten. Heute müsste man ihnen mindestens Schulungen für Datenschutz, Brandschutz, Hygiene, Urheberrecht und eben zukünftig auch Mehrwertsteuer abverlangen! Und auch in anderen Handlungsfeldern ist zu erwarten, dass es künftig noch öfter heißt: Das ist uns rechtlich zu heikel und zu viel Verwaltungsaufwand!

Es wird nun darauf ankommen, effektiv stützende Strukturen zu schaffen, um Gemeinden und Einzelne kompetent und angemessen zu beraten. Dabei müssen die geschulten Spezialisten und Verwaltungskräfte lernen, sich in die Rolle der Haupt- und Ehrenamtlichen zu versetzen. Denn diese haben eben oft wenig Nerven und auch nur begrenzte Zeit dafür übrig, um sich neben ihrem eigentlichen Engagement noch in zunehmend komplexe Regelungen einzuarbeiten.

Es stimmt wahrscheinlich, dass kirchliche Privilegien sich im europäischen Kontext neu begründen müssen und Vorrechte auch im Steuerrecht zu hinterfragen sind. Aber vielleicht wäre es – auch im Namen anderer Gruppen und Vereine! – an der Zeit, dass Theolog*innen und Kirchenleitungen den Mut aufbringen und öffentlich die Frage stellen: Wie fest kann man die in Krisenzeiten so gern beschworene Zivilgesellschaft in bürokratische Regelungen zwängen, ohne ihr die Luft abzuschnüren?

(Tobias Graßmann (@luthvind) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), Wiss. Mitarbeiter an der Uni Göttingen am Lehrstuhl für Systematische Theologie I (Dogmatik) und engagiert im Zentralteam des Netzwerks Theologie in der Kirche (NThK).)

D     Digitale Theologie

An der Schnittstelle von Medien- und Religionswissenschaften befasst sich „Digital Religion“ seit einiger Zeit mit der Nutzung digitaler Medien für religiöse Kommunikation, der Entwicklung religiöser Vorstellungen an der Schnittstelle von online und offline, und mit religiösen Zügen digitaler Kulturen.

Zudem hat die Theologie als Geisteswissenschaft selbstverständlich Anteil an der Transformation von Forschungsmethoden und Wissenschaftskultur im Rahmen der „Digital Humanities“. Doch gibt es auch so etwas wie eine eigene „Digitale Theologie“, und was wäre das?

Als weltweit bislang einzige Institution seiner Art hat das CODEC Research Center for Digital Theology an der Universität Durham einen eigenen Master in „Digital Theology“ entwickelt und 2019 aktiv die internationale Vernetzung des entstehenden Forschungsfeldes zu einem „Network for Digital Theology“ vorangetrieben. Peter Phillips, Kyle Schiefelbein-Guerrero und Jonas Kurlberg definierten aufbauend auf dieser Arbeit Anfang 2019 vier Wellen oder Typen von „Digital Theology“:

1) die pädagogische Nutzung digitaler Technologien in theologischer Lehre, 2) die Veränderung theologischer Forschung durch digitale Möglichkeiten, 3) die theologische Reflexion auf Digitalität sowie die Transformation theologischer Gehalte durch digitale Kultur, 4) prophetische Kritik von Digitalitaät im Lichte theologischer Ethik. Diese Typologie wurde im November auf der Jahrestagung der „American Academy of Religion“ breit diskutiert.

Am Princeton Theological Seminary und Center of Theological Inquiry fand ebenfalls im November eine internationale Tagung zu „Theologies of the Digital“ statt, die primär dem 3. (und 4.) der definierten Typen entsprach, dabei zugleich programmatisch Typen 1 und 2 performierte. Insbesondere in Bezug auf theologische Anthropologie, Freiheit, Schriftautorität und die Wahrheitsfrage rangen Theolog*innen aus Deutschland, den USA und dem Vereinigten Königreich darum, wie digitale Transformationen theologische Bestände neu zu denken aufgeben, aber auch umgekehrt: Ob und wie Theologumena hilfreiche Konzeptionen und Hermeneutiken für das konstruktive und kritische Verstaändnis digitaler Phänomene bereitstellen können.

2019 markierte damit sowohl die klarere Herausbildung inhaltlicher Konturen einer entstehenden „Digital Theology“ als eigenem Feld als auch entscheidene Netzwerkbildungen in diesem Zusammenhang. Stay tuned!

(Hanna Reichel (@citizentheology) ist Associate Professor of Reformed Theology am Princeton Theological Seminary.)

J     Judenhass

Bereits im Rückblick auf das Jahr 2018 mussten wir feststellen, dass der Judenhass in Europa und Deutschland weiter sein Unwesen treibt. In den letzten Tagen erschütterten uns Nachrichten von Angriffen auf Jüdinnen und Juden in den Vereinigten Staaten. Können sich Jüdinnen und Juden in den westlichen Demokratien noch sicher fühlen?

Am Umgang der Mehrheitsbevölkerung mit Minderheiten erweist sich die Qualität der verkündeten Freiheiten. Was sind unsere Freiheiten wert, wenn sich Menschen anderen Glaubens nicht sicher fühlen können? Ja, wenn das Versprechen der pluralen Gesellschaft so oft enttäuscht wird? Das ist nicht allein eine Frage für alle Bürger*innen, sondern besonders für Christ*innen, denn noch immer nährt sich der Judenhass aus christlichen antisemitischen Traditionen.

Mit mehreren Beiträgen u.a. zum Eisenacher „Entjudungsinstitut“ sind wir diesem Thema im Jahr 2019 in der Eule nachgegangen: Sie zeigen, dass der christliche Antisemitismus nicht mit der NS-Herrschaft untergegangen ist, sondern teilweise bis heute wirksam ist. Manchmal haben sich antisemitische Deutungen der Bibel und (Kirchen-)Geschichte unbemerkt von der Mehrheit der Christ*innen und Theolog*innen bis heute gehalten. Darum ist es weiter wichtig, hier aufzuklären und eine neue Generation für den christlichen Judenhass zu sensibilisieren.

Besonders erschüttert wurden wir dieses Jahr vom Anschlag auf die Synode in Halle während Jom Kippur. Der Attentäter erschoss, nachdem er vergeblich versucht hatte in die Synode einzudringen, eine Passantin und einen Kunden eines Dönerladens. Der Täter handelte es aus einem Weltbild heraus, das maßgeblich von antisemitischem Verschwörungsglauben geprägt war und dass an entscheidenden Stellen Rückgriff auf christliche Geschichtsdeutungen nimmt. (red)

K     Kirchenkampf 2.0

Natürlich ist dieses Stichwort auch ein bisschen am Barth-Jahr angelehnt (s.o.), ist doch Karl Barth einer der Protagonisten des Kirchenkampfs 1.0 gewesen. Meiner Beobachtung nach meint „Kirchenkampf 2.0“ zunächst einmal, dass 2019 der Ton innerhalb der Theologie-Bubble schärfer geworden ist, und noch deutlicher auf Abgrenzung zu anderen Positionen gesetzt wird.

Auf Twitter ist das zu beobachten in den regelmäßigen Auseinandersetzungen zwischen theologischen Lagern und Schulen, die man eigentlich für überwunden hielt und der schnellen Identifizierung von fremden Positionen mit anderen, teils verrufenen Theologen: „Ha, das ist jetzt wieder dieses Erlanger Luthertum á la Althaus!“ Genauso hart wird teilweise auch zwischen verschiedenen Konfessionen gefochten und so deutlich gemacht, dass nach der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die übrigens 2019 20-jähriges Jubiläum feierte, nochmal nachgelegt werden muss in Sachen Verständigung zwischen den großen Konfessionen.

Und schließlich: Auch in Sachen politischer Ethik gab es intensive Debatten, sei es im Rahmen der Debatte um den Klimawandel oder in Sachen Rettung und Aufnahme von Geflüchteten. Ich glaube nicht, dass es zu weit hergeholt erscheint, wenn man zwischen diesen Phänomenen und dem allgemeinen Trend, der mehr Fokus auf die eigene Identität legt, einen Zusammenhang feststellt. Ist das wirklich gut so? Wie wird sich unsere Debattenkultur 2020 entwickeln? Ich jedenfalls würde mir wünschen, dass wir alle – und das gilt natürlich auch für mich!- etwas vorsichtiger mit Verwerfungsurteilen zur Abgrenzung werden und manchmal etwas präziser über die Sache diskutieren würden. Freilich ohne zu vergessen, dass es auch Sachen gibt, die nicht diskutabel sind! (Niklas Schleicher)

K     Kirchenwahl auf Schwäbisch

Am 1. Advent wählten die evangelischen Württemberger nicht nur ihre Kirchemgemeinderät*innen, sondern auch die Synode. Wen hat eigentlich Herr Vader gewählt? „D‘ Wahl isch geheim, Seggl!“ Auch Frodo, Indiana Jones und Bud Spencer haben sich auf den Weg zur Wahl gemacht, während Dimitri lieber per Brief wählte.

An den Videos von Pfarrer Tobias Schneider lag es sicher nicht, dass die Wahlbeteiligung mit 23 Prozent ziemlich gering ausfiel. Wobei sich die Zahl auch anders lesen lässt: Immerhin 400 000 Menschen beteiligten sich an der Wahl zu einem Kirchenparlament, mit dem die wenigsten Kirchenmitglieder im Gemeindealltag in Berührung kommen. Dennoch entschieden sie sich für eine Partei einen der vier Gesprächskreise.

Ziemlich überraschend verlor der pietistisch-konservative Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“ dabei deutlich und hält nun nur noch 31 Sitze – ebenso viele wie „Offene Kirche“ von der anderen Seite des kirchenpolitischen Spektrums. Das ist ein game changer, der die jahrzehntelange Vormachtstellung des evangelikalen Flügels beenden könnte. Ob es so kommt, hängt jetzt noch mehr von den beiden kleineren Gesprächskreisen „Evangelium und Kirche“ (16 Sitze) und „Kirche für Morgen“ (12 Sitze) ab.

Findet diese Synode einen besseren Weg im Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren, die in ihren Gemeinden den Traugottesdienst feiern wollen? Verlassen die evangelikalen und pietistischen Gemeinschaften, die ohnehin eigene Gottesdienste feiern, die Landeskirche? Hoffentlich finden die Synodalen versöhnende Lösungen und zuversichtliche Antworten.

(Daniel Fetzer (@danufetz) ist #LaTdH-Autor, schreibt einen Blog und lebt im Süden Deutschlands. Hier ist er zuhause, hier ist er berufener Diakon seiner Landeskirche und beruflicher Sozialarbeiter.)


Wir wünschen allen Leser*innen der Eule einen guten Rutsch und ein gesegnetes Jahr 2020! Bleibt uns gewogen!