Was kann die „ForuM-Studie“ leisten – und was nicht?
Die „ForuM-Studie“ soll zum ersten Mal Fallzahlen und Hintergründe der sexualisierten Gewalt für die Evangelische Kirche in Deutschland benennen. Was vor der Präsentation am Donnerstag wichtig ist:
Wie viele Menschen waren in der Evangelischen Kirche von sexualisierter Gewalt und anderem Missbrauch betroffen? Hat die Kirche den Betroffenen Glauben geschenkt, Täter konfrontiert und bestraft? Welche Strukturen stehen in den evangelischen Landeskirchen einer konsequenten Aufklärung des sexuellen Missbrauchs entgegen? Sind Kirchgemeinden und die Diakonie sichere Orte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die von sexualisierter Gewalt bedroht sind?
Aufklärung über diese Fragen verspricht die „ForuM-Studie“, die im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von unabhängigen Wissenschaftler:innen erstellt wurde. Am 25. und 26. Januar 2024 wird sie in Hannover von ihnen und Betroffenen vorgestellt. Auf einer eigenen Webseite (https://www.forum-studie.de) wird sie für alle Interessierten zum Studieren bereitgestellt. Die „ForuM-Studie“ haben sich EKD und Landeskirchen 3,6 Millionen Euro kosten lassen.
Auf eine eigene evangelische Aufarbeitungsstudie warten Kirchenmitglieder und Öffentlichkeit schon lange. Bereits im Jahr 2018 hat die katholische Kirche mit der sog. „MHG-Studie“ vorgelegt. Seitdem sind in vielen katholischen Bistümern weitere Studien erschienen, die auf verschiedene Weise Licht ins Dunkel des Missbrauchs bringen wollten. Manche von ihnen waren eher juristisch angelegt, andere historisch. Jede Einzelstudie und die Meldezahlen aus den (Erz-)Bistümern seitdem sorgten auch für eine erhebliche Korrektur der in der „MHG-Studie“ gezählten Missbrauchstaten – nach oben (wir berichteten).
Die evangelische „ForuM-Studie“ besteht aus den Teilprojekten A bis E, die verschiedene Aspekte der Problematik beleuchten. Spezifika evangelischen Missbrauchs sollen herausgearbeitet werden. Die Strukturen der evangelischen Kirche werden anhand einiger Beispiele danach befragt, ob sie der Prävention und Aufklärung sexualisierter Gewalt dienlich oder hinderlich waren. Die erste Aufmerksamkeit wird sich jedoch vermutlich auf die Teilstudie E richten, die „Kennzahlen zur Häufigkeit und Merkmale des institutionellen Umgangs mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche“ verspricht.
Ein Bild mit Leerstellen
Der Evangelischen Kirche und der interessierten Öffentlichkeit wird mit der „ForuM-Studie“ erstmals ein Gesamtbild des Missbrauchsgeschehens in den vergangenen Jahrzehnten vorgelegt. Ein Bild, das Lücken enthalten wird. In die Fallzahlen sind vornehmlich diejenigen Meldungen eingegangen, die von den evangelischen Landeskirchen in ihren Disziplinarakten aufgefunden wurden.
Nur eine von zwanzig Landeskirchen hat nach Kenntnis der Eule auch Daten aus den Personalakten von Pfarrpersonen erhoben.
Aktualisierung, 27. Januar, 10 Uhr: Nach weiteren Recherchen hat sich herausgestellt, dass die einzige evangelische Landeskirche, in der die Personalakten im Sinne des ursprünglich zwischen den Vertragspartnern der „ForuM-Studie“ vereinbarten Studiendesigns ausgewertet werden konnten, die Reformierte Kirche ist. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und weitere Landeskirchen nehmen für sich in Anspruch, ebenfalls Personalakten überprüft zu haben. Mehr dazu hier in der Eule.
Die Evangelische Kirche in Mitteldeuschland (EKM) meldete als Ergebnis einer Suche in den Personalakten von 8.000 Pfarrpersonen aus den Jahren 1946 bis 2020 den Wissenschaftler:innen der Teilstudie E insgesamt 49 Beschuldigte und 125 Betroffene. Demgegenüber nehmen sich die Fallzahlen aus der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), die fast vier Mal so groß ist wie die EKM, geradezu winzig aus. „Auf landeskirchlicher Ebene sind im Rheinland bisher 70 Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt bei Pfarrpersonen und landeskirchlichen Angestellten seit 1946 bekannt“, berichtete der rheinische Vizepräses Christoph Pistorius, Leiter der Stabsstelle Aufarbeitung und Prävention, auf der Landessynode der EKiR vergangene Woche.
Außerdem liegen gegenwärtig – also vor Veröffentlichung der Studie am morgigen Donnerstag – schon die Zahlen aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) vor. Die bayerische Landeskirche ist ungefähr so groß wie die rheinische. „Für die Jahre 1917 bis 2020 hat sie 129 beschuldigte Personen und 226 Taten sexualisierter Gewalt ermittelt“, berichtet der BR. In weiteren Akten wurden „Hinweise auf mutmaßliche weitere Taten“ gefunden, „Informationen wie etwa die Namen von Betroffenen oder der Tathergang“ aber nicht, „insgesamt geht die Kirche daher von 253 Taten aus“.
Schon dieser kleine Ausschnitt zeigt: Die Datenlage in den evangelischen Landeskirchen ist bestensfalls disparat. Ein Problem, an dem eine einzelne Studie nichts ändern kann, das sogar eine Falle für deren Glaubwürdigkeit darstellt. Nach Informationen der Eule wurde darum in den letzten Tagen hinter den Kulissen darum gerungen, in welcher Form bei der Präsentation der Studie auf die Schwierigkeiten der Datenerhebung und -Übermittlung durch die 20 evangelischen Landeskirchen hingewiesen werden sollte. Sowohl die Wissenschaftler:innen als auch die Kirche fürchten um ihre Glaubwürdigkeit: Den einen geht es um ihre akademische Redlichkeit, den anderen um die erfolgreiche Fortsetzung der Aufarbeitung in den eigenen Reihen. Beide hängen an der maximalen Transparenz des eigenen Handelns.
Probleme mit den Akten
In der föderal organisierten Evangelischen Kirche wurden Informationen über Verdachtsfälle und Täterbiografien an vielen verschiedenen Stellen und häufig nur für eine Zeit lang aufbewahrt. Für Personalakten von Pfarrer:innen und anderen kirchlichen Mitarbeitern gelten – und galten lange – ähnliche Pflichten zur Datenvernichtung wie in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen auch. Expert:innen sind seit Jahren einig, dass aber – wenn überhaupt – dort Spuren des Missbrauchs zu finden sein werden, die ein realistisches Ausmaß des Geschehens bieten können. Denn in ihnen werden – insbesondere bei Pfarrer:innen – alle dienstrelevanten Vorkommnisse zumindest zeitweise dokumentiert. Eigenständige Disziplinarakten werden in den Landeskirchen nur im Zuge dienst- und arbeitsrechlicher Verfahren angelegt.
Der Kölner Staatsrechtsprofessor Stephan Rixen kritisierte gegenüber dem WDR: „Es ist völlig absurd, dass nicht die Personalakten untersucht werden. Wenn die Landeskirchen und die Diakonie Personalakten nicht zur Verfügung stellen, müssen sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie den Missbrauch in der evangelischen Kirche wirklich umfassend aufarbeiten wollen.“ Rixen ist Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung und hat nicht an der „ForuM“-Studie mitgewirkt.
Für die katholische „MHG-Studie“ wurden immerhin 40.000 Personalakten ausgewertet, auch das nur ein Bruchteil des katholischen Aktenreservoirs. Es mag in den evangelischen Landeskirchen keine „Giftschränke“ geben (wie im Erzbistum Köln), aber es wird sich gerne hinter Nichtzuständigkeit, Datenschutzgesetzen und Verwaltungshürden versteckt. Die zu erwartenden hohen Fallzahlen, die von der „ForuM-Studie“ genannt werden, werden also nur einen Ausschnitt des in den Landeskirchen (zu irgendeinem Zeitpunkt) dokumentierten Missbrauchsgeschehens darstellen. Vom Dunkelfeld des Missbrauchs ist da noch gar nicht die Rede (s.u.).
Vom Aufwand der Aktendurchsicht sei man in den Landeskirchen überrascht gewesen, hört die Eule aus den Leitungen der Landeskirchen. Die Bereitstellung der Daten, sei „eine besondere Herausforderung und schwieriger als ursprünglich angenommen“ gewesen, teilte ein EKD-Sprecher auf WDR-Anfrage hin mit. Doch das Problem liegt noch tiefer als nur beim Personalmangel in den landeskirchlichen Rechercheteams. Eine von der „ForuM-Studie“ unabhängige Nachfrage der Eule nach den aktuellen Meldezahlen für das Jahr 2023 bei den vier größten evangelischen Landeskirchen hat gezeigt: Selbst die Landeskirchen haben nur begrenzten Einblick in das Meldegeschehen in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich. So konnten die bayerische Landeskirche und die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) auf Nachfrage nicht mitteilen, wie viele der im vergangenen Jahr eingegangen Meldungen auch öffentlich kommuniziert wurden (z.B. in der betroffenen Gemeinde, Einrichtung, Region).
In der arbeitsrechtlichen Verantwortung für Kirchenmitarbeiter:innen jenseits des Pfarrberufs stehen in vielen Landeskirchen außerdem die Kirchgemeinden und Kirchenkreise, nicht die Landeskirchen. Akten werden daher dort und nicht zentral bei der Landeskirche geführt – und regelkonform oder womöglich auch aus Nachlässigkeit recht- oder vorzeitig vernichtet. In den Disziplinarkten der Landeskirchen sind Pfarrpersonen seit jeher überrepräsentiert. Andere Tätergruppen wie Kirchenmusiker:innen, Gemeindepädog:innen, Ehrenamtliche und Mitarbeit:innen in der Verbandsarbeit und gemeindlichen Diakonie stehen nicht im Fokus.
Bereits vor der „ForuM-Studie“ aber wissen wir: In der Evangelischen Kirche sind die Täterprofile vielfältig. Durch die Engführung auf den Pfarrberuf droht die Evangelische Kirche den katholischen Fehler der alleinigen Fokussierung auf das geistliche Amt zu wiederholen. Und das, obwohl die „ForuM“-Studie explizit evangelische Tatschwerpunkte und -Spezifika herausarbeiten will und darum in den anderen Teilstudien auch auf andere Berufsgruppen und Ehrenamtliche als Täterprofile eingeht. Die evangelische Kirchenöffentlichkeit tappt, was das Ausmaß des Missbrauchs in ihren Kirchen angeht, seit Jahren im Dunkeln. Wird es je zuverlässige Zahlen zu Missbrauchsmeldungen, Täter- und Betroffenenzahlen geben können?
Betroffenensprecher:innen warnen seit Wochen, dass ein Tunnelblick auf die Zahlen der Teilstudie E die eigentlichen Studienergebnisse in den Hintergrund drängen könnte. Detlev Zander, Betroffenensprecher im Beteiligungsforum der EKD (BeFo) und auch im Beirat der „ForuM-Studie“ aktiv, kritisierte jene Landeskirchen, die ihre Meldezahlen schon vor Veröffentlichung der Studie mitteilten. Nancy Janz, ebenfalls Sprecherin der Betroffenen im BeFo, sagte gegenüber dem WDR: „Wir wissen gesichert, dass die Zahlen, die wir am Donnerstag genannt bekommen, niemals die Wirklichkeit abbilden, da viel zu viele Fälle im Dunkelfeld liegen.“ Da viele Betroffene die Taten niemals angezeigt hätten, würden diese sich weder in Disziplinar- noch in den Personalakten wiederfinden.
Eine „qualitative“ Untersuchung, nicht reine Zählerei
Die „ForuM-Studie“ wird institutionelle Fehler offenlegen und eine Kirchenkultur transparent machen, die Missbrauch ermöglicht. Die EKD hat bewusst eine „qualitative“ Studie bestellt, die auf die Untersuchung beispielgebender Tatkontexte abhebt – keinen Klon der katholischen „MHG-Studie“. Wir werden durch die „ForuM-Studie“ sicher lernen, ob die zahlreichen Annahmen über Spezifika evangelischen Missbrauchs, die in den vergangenen Jahren getroffen wurden, standhalten. Die Studie ist ein Anlass zum Dazulernen.
In einigen Teilstudien wird es auch um das konkrete Versagen von kirchenleitenden Personen, von Kirchenvorständen und Pfarrpersonen gehen. Verharmlosung und Vertuschung aus einem falsch verstandenen Institutionenschutz sind keine nur katholische Tradition, sondern waren (und sind) in der evangelischen Kirche Praxis. Zuletzt verspricht die Studie auch Auskunft darüber, wie erfolgreich die Bemühungen der Evangelischen Kirche seit 2010 bzw. 2018 waren, dem Problem der sexualisierten Gewalt effektiv zu begegnen.
Groß ist daher die Sorge in den Landeskirchen, dass nach der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden und westfälischen Präses Annette Kurschus weitere aktuelle und ehemalige Leitende Geistliche (z.B. BischöfInnen und KirchenpräsidentInnen) in den Verdacht geraten, Missbrauch vertuscht zu haben oder nicht angemessen mit Betroffenen umgegangen zu sein. Diese Furcht war ausschlaggebend für einige kommunikative Pannen rund um den Rücktritt von Kurschus, wie zum Beispiel die des Landesbischofs der hannoverschen Landeskirche, Ralf Meister, der den Umgang mit Kurschus „erbärmlich“ nannte. Zurückhaltender und differenzierter wies die badische Landesbischöfin, Heike Springhart, bei der digitalen Fortsetzung der EKD-Synode Anfang Dezember darauf hin, das Problem könne nicht „darüber gelöst werden, dass einzelne von uns zum Rücktritt genötigt werden“.
Die allermeisten der aktuellen Leitenden Geistlichen der evangelischen Landeskirchen sind erst relativ frisch im Amt. Anders als in der katholischen Kirche haben sie auch zuvor nicht in erheblicher Zahl in tatrelevanten Kontexten gewirkt (wir berichteten). Die Blicke werden sich also auf die Vergangenheit und die kirchliche Zeitgeschichte richten. Die meisten Leitenden Geistlichen sind jenseits ihres Sprengels in der Öffentlichkeit Unbekannte geblieben. Nur wenige evangelische Prominente der Vergangenheit schauen wohl mit berechtigter Sorge auf die “ForuM-Studie“.
Auch geht es wohl nicht um (Mit-)Täterschaft, sondern vor allem um einen unsensiblen und nicht sachgemäßen Umgang mit Betroffenen und ihren Meldungen – sowie die nachlässigen Aufarbeitungsbemühungen seit Beginn der Missbrauchskrise in Deutschland 2010. So richtig Fahrt hat die Aufarbeitung in den Kirchen erst seit 2018 aufgenommen, als die jetzige amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs (Sprengel Hamburg und Lübeck, Nordkirche), auf der EKD-Synode für ihren Einsatz auf dem Themenfeld viel Applaus erhielt. Im Jahr 2019 wurde durch die Rede von Kerstin Claus auf der Synodentagung in Dresden das ganze Ausmaß der Aufgaben offenbar, vor denen die Kirche steht. Claus ist heute Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM) und wird an der Fachtagung am Freitag in Hannover teilnehmen.
In den Jahren seither haben sich viele leitende Kirchenmänner zurückgelehnt und die Last des Themas auf den Schultern der Betroffenen und einiger weniger führender Kirchenfrauen wie Fehrs ruhen lassen. Das könnte sich nun bitter rächen. Fehrs selbst hatte bereits 2021 und seit dem Rücktritt von Annette Kurschus im Herbst 2023 noch mehrfach eigene Fehler bei der Aufarbeitung eingestanden. Ein solches persönliches Eingeständnis von anderen führenden AkteurInnen, das nicht auf institutionelle Systemfehler oder eine allgemeine Schuld der Kirche abhebt, steht noch aus.
Trotzdem ein „MHG-Moment“?
Die „ForuM-Studie“ wird „weh tun“, hat Betroffenensprecher Detlev Zander bereits im Herbst auf der Tagung der EKD-Synode in Ulm angekündigt (wir berichteten). Sie wird Verfahren und Strukturen der Evangelischen Kirche und eigene Erfahrungen mit ihr in Frage stellen. Wird sie auch Anlass für eine Neubesinnung in der Kirche geben?
In der Katholischen Kirche in Deutschland war die Veröffentlichung der „MHG-Studie“ nicht nur Startschuss für eine vertiefte Aufarbeitung des Missbrauchsgeschehens in den (Erz-)Bistümern, die bis heute anhält – und nicht zuletzt immer wieder schlechte Nachrichten für die Kirche produziert, die Anlass für Kirchenaustritte bieten. Der „MHG-Moment“ ist auch Ausgangspunkt des Synodalen Weges gewesen, auf dem die Katholik:innen ihrer Kirche Reformen abzuringen versuchen. Die Beseitigung struktureller Risikofaktoren stand einmal im Zentrum dieses Ansinnens. Braucht die Evangelische Kirche einen ähnlichen Reformprozess?
Sicher wird die „ForuM-Studie“ Anlass geben, über die Gefahren des evangelischen Föderalismus nachzudenken. Von einer „Verdunstung“ von Verantwortlichkeit sprechen evangelische Akteur:innen schon seit Jahren. Bereits beim Rücktritt von Annette Kurschus von ihren kirchlichen Leitungsämtern (wir berichteten) wurde deutlich, dass sowohl der Umgang mit sensiblen Informationen als auch die Aufarbeitung als Kommunikationsaufgabe viele Akteur:innen überfordert.
In den evangelischen Landeskirchen wurde die Mitarbeiter:innenschaft in den vergangenen Tagen in vielen Gesprächsrunden auf die Veröffentlichung der „ForuM-Studie“ vorbereitet. Ohne den Inhalt der Studie zu kennen, wurden Pfarrer:innen und Kirchenmitarbeiter:innen auf einen sensiblen Umgang mit Betroffenen und den Anfragen aus Gemeinden und Öffentlichkeit eingeschworen. Dabei sollte klar sein, dass nicht jede:r Pfarrer:in qua theologischer Expertise auch auf diesem kirchlichen Handlungsfeld kompetent ist. Ob die wenigen Mitarbeiter:innen, die sich bisher in den kirchlichen Meldestellen und Fachstellen für Prävention und Aufarbeitung mit dem Thema befassen, dem nun zu erwartenden höheren Aufkommenen von Tatmeldungen im Zuge der „ForuM-Studie“ und der Einrichtung von regionalen Aufarbeitungskommissionen gewachsen sind, darf bezweifelt werden.
Es muss also noch eine Menge in Bewegung kommen in der Evangelischen Kirche, wenn Betroffene in Zukunft gehört werden und zu ihrem guten Recht kommen sollen. Bemerkenswert ist daher, dass seit dem Rücktritt von Kurschus beim Thema Aufarbeitung sexualisierter Gewalt eine pragmatische Zentralisierung eingesetzt hat. Antwort auf Rückfragen bei den Landeskirchen kommt nun gelegentlich direkt aus dem EKD-Kirchenamt in Hannover. In ihrer kommunikativen Not suchen die Landeskirchen plötzlich Schutz unter dem Schirm „der Zentrale“.
Doch die EKD als Gemeinschaft ihrer 20 Gliedkirchen ist eben genau das nicht. In der Verantwortung für die Aufarbeitung und für das Versagen in der Vergangenheit stehen die Landeskirchen und diakonischen Werke. Dorthin werden sich mit der „ForuM-Studie“ die Blicke richten müssen. Und dort braucht es jetzt verantwortungsbereite evangelische Christ:innen, die sich vor den Ergebnissen der Studie nicht wegducken, sondern an ihren Wirkungsorten – den Kirchgemeinden und Kirchenkreisen, Landessynoden und in der Diakonie – das Notwendige tun.
Alle Eule-Artikel zum Themenschwerpunkt „Missbrauch evangelisch“.
Die „ForuM-Studie“ in der Eule
Eule-Redakteur Philipp Greifenstein wird von der Vorstellung der „ForuM-Studie“ am 25. und 26. Januar aus Hannover berichten. Am Donnerstag wird die Studie Kirche und Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Am Freitag findet dann an gleicher Stelle eine Fachtagung zur Studie statt. Fragen und Hinweise zur Studie und zum Themenschwerpunkt „Missbrauch evangelisch“ nehmen wir gerne vertraulich per E-Mail (redaktion@eulemagazin.de), hier in den Kommentaren und auf Social Media entgegen.
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