„Wir wollen Kinder und Jugendliche begleiten“
Kinder und Jugendliche sorgen sich um ihre Zukunft im Angesicht der Klimakrise. Wie kann Klimabildung in der Kita, auf dem Meer und im ländlichen Raum gelingen?
Eule: Frau Tobaben, worum es geht es beim Projekt „Junge Kirche fürs Klima“?
Tobaben: „Junge Kirche fürs Klima“ hat seine Wurzeln in den „Schöpfungswochen“. Seit über zwanzig Jahren gibt es auf dem Gebiet der Nordkirche Menschen, die das Thema Bewahrung der Schöpfung in die Kitas bringen. Dieses Engagement habe ich seit 2020 als Projektkoordinatorin weiterführen dürfen mit der Fragestellung, wie wir das auch über den Kontext Kitas hinaus und digital weiterführen können. Ich habe deshalb viel mit den Protagonist:innen von damals gesprochen. Sie standen vor zwanzig Jahren mit dem Thema noch relativ allein auf weiter Flur. Jetzt liegt das Thema aber ganz im Zeitgeist und wir sind damit viele offene Türen eingerannt. „Junge Kirche fürs Klima“ bietet Materialien, Fortbildungen und Hinweise, wie man das Thema Klima mit jungen Menschen angehen kann.“
Eule: Warum wurde das Projekt dann beendet?
Tobaben: Die Drittmittel, die wir eingeworben hatten, waren natürlich zeitlich befristet. Aber die Klimabildung als Aufgabengebiet der Jungen Nordkirche geht weiter. Wir werden unsere Web-App weiterhin pflegen und weiterentwickeln und haben eine Reihe guter Formate, die weitergeführt werden.
Eule: Auf jungekirchefürsklima.de finde ich eine Reihe von Impulsen und Material, u.a. ein Kartenset mit Gesprächsimpulsen. Außerdem gibt’s in der Web-App „Green Games“. Mir als altem Christenlehre-Kind und JGler ist klar, was damit anzufangen ist. Damit können Thementage und -Abende, Gruppenstunden und Rüstzeiten gestaltet werden. Und was ist „Material BNE“?
Tobaben: BNE steht für „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Unser Projekt hatte zunächst den Auftrag, Material zur Klimabildung zu entwickeln. Wir haben dann früh gemerkt, dass viele Fragen, die Kinder und Jugendliche heute stellen, auf das Thema Nachhaltigkeit herauslaufen. Die Web-App richtet sich an Teamer:innen und Multiplikator:innen, an alle Ehren- und Hauptamtlichen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Die Klima-Talk-Karten zum Beispiel wurden ursprünglich für die Jugendarbeit entwickelt, aber sind auch für Elternabende an Kitas und Schulen geeignet oder für den Mitarbeiter:innen-Kreis einer Einrichtung.
Eule: Eltern von Kindergartenkindern sind ja mit Aktionen wie Müllsammlungen im öffentlichen Raum vertraut. Ist das Klimabildung?
Tobaben: Das ist Teil von Nachhaltigkeitsbildung. Der Trend geht dazu, den größeren Kontext zu sehen. Ich finde das ganz wertvoll. Es gibt einerseits Einflüsse aus der ökologischen Bewegung, dann aus der Klimabewegung – also die Frage, wie wir CO2-Emissionen verringern können – und wir wollen das bewusst in den Kontext der großen Verhältnisfragen stellen: Was ist unsere Rolle in der Natur? Was ist unsere Aufgabe in der Gesellschaft? Was ist Verantwortung? Was ist Gerechtigkeit? Das sind große Fragen, die aber für die gesellschaftliche Transformation unerlässlich sind. Das Müllsammeln ist deshalb eine gute Aktion, um mit Kindern über die Auswirkungen unseres Lebens auf die Natur zu arbeiten. Es zeigt auch: Ihr Kinder könnt etwas tun! Es geht auch um Selbstwirksamkeitserfahrungen.
Eule: Eltern müssen dann zum Teil recht spannende Diskussionen führen. Zum einen über konkretes Verhalten im Haushalt und dessen Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima. Zum anderen geht es um Fragen, die Kinder traurig machen und belasten. Wie gehen wir damit um, dass Kinder Angst vor dem Untergang der Welt haben?
Tobaben: Unsere Kinder machen sich tatsächlich Sorgen. Sie bekommen über die Medien, über Schnipsel aus dem Internet und auch über die Bildungsarbeit eine Menge mit von den Problemen, vor denen wir als Gesellschaft stehen. Es gibt Kinder, die dann unbedingt etwas tun wollen; mit viel Optimismus, dass wir wirklich etwas verändern können. Es gibt aber auch Kinder, die richtig Angst bekommen und überfordert sind, die nicht wissen, wohin mit ihren Sorgen.
Kitas und vor allem evangelische Kitas haben hier zum einen eine ganz starke seelsorgliche Funktion: Hier soll Raum für Fragen und Sorgen sein, hier sollen Kinder ernst genommen werden. Es geht auch um die Frage: Woher nehmen wir Hoffnung? Das ist also auch ein theologisches Thema. Ein anderer Schwerpunkt müsste die Arbeit mit Eltern sein, die häufig einfach noch sprachlos sind. In den Familien wird sehr unterschiedlich auf die Aufforderung zum Wandel reagiert. „Wir müssen uns ändern“, das ruft bei vielen Menschen Ablehnung hervor. Hier gäbe es für die Bildungsarbeit an Kitas noch Potential, die Impulse der Kinder weiter in die Familien zu tragen. Wer begleitet eigentlich die Eltern und ist für sie da?
Eule: Vor ein paar Wochen haben wir uns in der Eule intensiv mit den aktuellen Problemen befasst, vor denen Kitas stehen (z.B. hier & hier). Wie gehen denn die Kitas mit der Herausforderung des Klimaschutzes um?
Tobaben: Den Einrichtungen stehen wirklich viele Türen offen! Bildung für nachhaltige Entwicklung ist in fast allen Bildungssrahmenplänen fest verankert, an denen sie sich orientieren müssen. Eigentlich kommt keine Kita mehr an dem Thema vorbei. Die größte Herausforderung ist, dass in vielen Kitas die Zeit fehlt, konzeptionell zu arbeiten. Es gibt auch einen Generationenkonflikt: Jüngere Erzieher:innen begegnen dem Thema schon in der Ausbildung, aber es dauert, bis sich neue Bildungsinhalte und Didaktiken in der Praxis durchsetzen. Es fehlt also manchmal noch am Wissen. Vor allem aber fehlt es an Zeit.
Viel hängt an der einzelnen Erzieher:in, sich dem Thema anzunehmen. In immer mehr Kitas gibt es zwar gemeinsame Konzepte, aber traditionell arbeiten Erzieher:innen sehr individuell. Es gibt ganz engagierte Kolleg:innen, die auch zu uns in die Fortbildungen kommen, und es gibt ganze Einrichtungen, die sich vom Klima-Kita-Netzwerk auf ihrem Weg begleiten lassen. Was die Bildungsarbeit angeht, sind viele Einrichtungen auch schon stark engagiert: Es gibt zum Beispiel viel Gartenpädagogik, die Ernährung ist natürlich ein großes Thema.
Eine andere Frage ist, wie die Einrichtungen selbst Vorbilder werden können: Wie wird der Strom für die Kita erzeugt? Wie sparen wir Energie? Wie gehen wir mit dem Müll um? Welche Konzepte gibt es, damit immer mehr Eltern ihre Kinder nicht mit dem Auto zur Kita bringen? Solche Veränderungen kosten häufig Geld und Kraft und bergen auch Konfliktpotential.
Eule: Was ist das Klima-Kita-Netzwerk?
Tobaben: Das Netzwerk ist ein Projekt der Innowego, der NAJU und der S.O.F-Umweltstiftung. Es wird im Rahmen der der Nationalen Klimaschutzinitiative u.a. mit Bundesmitteln gefördert. Das Klima-Kita-Netzwerk ist kein kirchliches Projekt, sondern ein gutes Beispiel für Vernetzung auf dem Feld der Nachhaltigkeitsbildung. Wir haben zum Beispiel beim Thema nachhaltiger Advent eine gemeinsame Fortbildung angeboten.
Eule: Advent? Kommt da sogar der Glaube ins Spiel?
Tobaben: Ja, hoffentlich! Wir haben uns der Sache natürlich über das Thema Geschenke genähert, über Verpackungen und Konsum gesprochen. Aber natürlich hat auch die Frage danach eine Rolle gespielt, was wirklich bleibt und wichtig ist. „Wunder statt Plunder“ ist der Slogan gewesen, der übrigens vom Klima-Kita-Netzwerk selbst stammt. Worum geht es eigentlich im Advent, geht es um die Geschenke zu Weihnachten oder um das Licht in der Dunkelheit, das wir als Gesellschaft brauchen, ob wir nun gläubig sind oder nicht?
Eule: Die Nordkirche lädt zu einer Jugendklimakonferenz ein. Ich nehme einmal an, dass es nicht darum geht, mit Privatfliegern nach Scharm El-Scheich zu fliegen.
Tobaben: Nein, bei den Jugendklimakonferenz treffen sich alle zwei Jahre vor allem Jugendliche, die in der Kirche engagiert sind, an verschiedenen Orten in der Nordkirche, um gemeinsam zu Klimathemen zu arbeiten. Diesen Sommer findet die Jugendklimakonferenz im Ozeaneum in Stralsund statt. Das ist wahnsinnig toll, dass wir das Ozeaneum als Veranstaltungsort gewinnen konnten. Entstanden ist die Jugendklimakonferenz aus dem Projekt „Klimasail“, bei dem wir Klimabildung auf dem Segelboot machen. Die Segeltörns werden von Klima-Teamern begleitet, die zum Teil seit vielen Jahren dabei sind. Die Konferenzen werden maßgeblich von den Teamern mitgestaltet und wir versuchen natürlich, Akteur:innen aus Politik und Wirtschaft einzuladen, mit denen dann diskutiert wird.
Eule: Die Nordkirche verbindet ja Ost und West sowie Stadt und Land. Gerade beim Thema Klima gibt es große Unterschiede zwischen Stadt und ländlichem Raum.
Tobaben: Wir haben auch viele engagierte Jugendliche aus ländlichen Regionen, in denen es auch nicht mehr so viele Hauptamtliche gibt, z.B. aus Nordfriesland. Aus Mecklenburg-Vorpommern haben wir geringere Beteiligung. Dort gibt es viel weniger evangelische Kitas, die Basis ist eine ganz andere, wir haben dort auch eine kleinere Kirchenmitgliedschaft. Es ist aber jedenfalls nicht so, dass es nur die Jugendlichen aus Hamburg wären, die bei uns am Thema Klima dran sind. Im ländlichen Raum wird eher gefragt: Wer macht hier überhaupt noch Angebote für junge Menschen?
Eule: Mein Eindruck ist, dass beim Thema Klima evangelische Milieus auseinanderfallen: Auf der einen Seite bildungsbürgerliche und reiche Milieus in der Stadt, wo es eine hohe ideelle Awareness für gibt. Auf der anderen Seite Menschen, die auf dem Land leben, auch mit Bezug zur Landwirtschaft, die vielleicht auch konservativer ticken. Wie hält man das in einer so großen Landeskirche wie der Nordkirche zusammen?
Tobaben: Aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kann ich dazu nur sagen, dass wir Mitarbeitenden natürlich darauf schauen, was unsere Kinder und Jugendlichen umtreibt. Wenn in Mecklenburg-Vorpommern die wirtschaftlichen Sorgen um die Zukunft im Vordergrund stehen, dann müssen wir uns damit beschäftigen. In Hamburg haben wir auch Kirchgemeinden, die ganz und gar nicht bürgerliches Milieu sind, wo es viel Zuwanderung gibt und auch Armut. Da sind die Kirchgemeinden stark im interkulturellen Dialog engagiert. Uns geht es nicht darum, eine Klimaagenda an die Leute zu bringen, die wir uns auf Ebene der Landeskirche überlegt haben, sondern darum, Kinder und Jugendliche zu begleiten.
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Das Interview führte Philipp Greifenstein.