Kirche

Was Du über die Ratswahl wissen musst

Der Countdown zur Ratswahl der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) läuft. Wie funktioniert die Wahl, wer sind die KandidatInnen – und wer hat gute Chancen?

Am 9. November wählt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einen neuen Rat. Bereits am 7. November stellen sich die KandidatInnen auf der EKD-Synode vor (wir berichten im Live-Blog). Hier die wichtigsten Fakten zum Rat, zur Ratswahl und zu den KandidatInnen:

Was macht der Rat der EKD?

Neben der Synode und der Kirchenkonferenz, der die Leitungen der 20 EKD-Gliedkirchen angehören, ist der Rat das dritte Leitungsgremium der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er tagt üblicherweise einmal im Monat und nimmt zwischen den Sitzungen der EKD-Synode die Leitung der EKD wahr.

Dazu gehören die Besetzung der EKD-Kammern und Arbeitskreise sowie die Bestellung von Bevollmächtigten und anderer Ämter, wie z.B. des Militärbischofs. Der Rat entscheidet über die Veröffentlichung von Denkschriften, „Gemeinsamen Worten“ oder anderen Verlautbarungen der EKD. Die Ratsmitglieder müssen das also alles lesen. Der Rat wirkt aktiv an der Positionierung der Evangelischen Kirche in der Gesellschaft mit.

Es handelt sich bei einer Ratsmitgliedschaft um ein forderndes und zeitintensives Ehrenamt. Darum müssen im Rat auch genügend „Kirchenprofis“ vertreten sein, die den zu bewältigenden Arbeitsaufwand gemeinsam mit ihren sonstigen kirchlichen (Leitungs-)Aufgaben erledigen, oder die Mitarbeiter:innen haben, die sie unterstützen können. Und trotzdem soll der Rat gut evangelisch nicht von Theolog:innen oder Leitenden Geistlichen dominiert werden.

Der oder die Ratsvorsitzende ist der höchste Repräsentant der evangelischen Kirchen in Deutschland und üblicherweise ein(e) Leitende(r) Geistliche(r) einer der 20 evangelischen Landeskirchen, die in der EKD zusammenarbeiten. Noch bis Mittwoch ist das der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. In der pluralen Mediengesellschaft sind die Ratsvorsitzenden als Gesichter „der“ evangelischen Kirche besonders gefordert.

Wie wird der Rat der EKD gewählt?

Immer auf der zweiten Tagung einer Synoden-Legislatur wählen die EKD-Synode und die Mitglieder der Kirchenkonferenz einen neuen Rat der EKD, der dann für sechs Jahre gewählt ist. Nachdem sich die neue EKD-Synode im Frühjahr konstituiert hat (wir berichteten live), ist es nun soweit.

Die 128 Synodalen der EKD-Synode und die Mitglieder der Kirchenkonferenz wählen insgesamt 14 Mitglieder des 15-köpfigen Rates. Die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, gehört dem neuen Rat als geborenes Mitglied qua Amt an. Gewählt wird solange, bis alle 14 Posten besetzt sind. Die Stimmberechtigten haben also bei jedem Wahlgang so viele Stimmen, wie noch Plätze zu vergeben sind. Um in den Rat gewählt zu werden, benötigt man eine 2/3-Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen.

Gewählt wird in diesem Jahr am 9. November. Eine Ratswahl kann sich aufgrund des Prozederes durchaus hinziehen – und Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Auf alle Fälle ist die Durchführung ein richtiger Härtetest für die Synode: Ratswahlausschuss und Synoden-Präsidium müssen hochkonzentriert arbeiten.

Wer kann in den Rat der EKD gewählt werden?

In den Rat der EKD können prinzipiell alle Menschen gewählt werden, die einer der 20 evangelischen Landeskirchen angehören. Weil das ca. 20 Millionen Menschen sind, hat sich der Ratswahlausschuss der EKD-Synode die Mühe gemacht und 22 KandidatInnen ausgewählt, die er zur Wahl vorschlägt.

Die Journalistin Miriam Hollstein, die vom Ratswahlausschuss vorgeschlagen wurde, hat ihre Kandidatur inzwischen „aus beruflichen wie privaten Gründen“ zurückgezogen. Hollstein arbeitet derzeit als Chefreporterin Politik für die Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wie diese Woche bekannt wurde, wechselt sie ab Februar 2022 als Chefreporterin Politik ins Hauptstadtbüro von t-online.

Die Stimmberechtigten können also aus 21 KandidatInnen des Wahlvorschlags (s. Liste auf der EKD-Website) auswählen und/oder weitere Kandidat:innen vorschlagen, diese benötigen entweder 25 Unterstützer:innen aus der EKD-Synode oder die Unterstützung der Kirchenkonferenz (einfache Mehrheit). Es ist damit zu rechnen, dass es noch weitere Kandidaturen jenseits des Wahlvorschlags des Ratswahlausschusses geben wird. Jedenfalls ist auch das evangelische Tradition. Die Kandidat:innen stellen sich am 7. November auf der Tagung der EKD-Synode vor, die Eule wird live berichten.

Wer sind die KandidatInnen?

Der Ratswahlausschuss soll bei seinem Wahlvorschlag die konfessionelle und landschaftliche Gliederung der evangelischen Kirchen in Deutschland beachten. Während die konfessionellen Unterschiede zwischen lutherischen, reformierten und unierten Evangelischen inzwischen etwas in den Hintergrund treten, bemüht man sich darum, die Vielfalt der Evangelischen Kirche auf anderem Wege sichtbar zu machen.

So war der ursprüngliche Wahlvorschlag paritätisch männlich und weiblich besetzt und es wurde erkennbar auch darauf geachtet, jüngere Kandidatinnen für den Rat zu finden. Wie groß deren Chancen sind – angesichts dessen, dass ja die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, als geborenes Ratsmitglied auch das Ticket „jung und weiblich“ vertritt – ist eine der spannenden Fragen dieser Ratswahl.

Der größte Pulk der Kandidat:innen ist zwischen 50 und 65 Jahren alt. Warum man erneut auf die Expertise von Senior:innen verzichtet, erschließt sich mir nicht. Allzumal, da die ehemalige Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer (79) auch nicht mehr dabei ist. Senior:innen bilden eine der aktivsten Gruppen in den evangelischen Gemeinden und sind hier deutlich unterrepräsentiert. In der Evangelischen Kirche sind die späten Baby-Boomer am Drücker.

Weil der Wahlvorschlag die Vielfalt der evangelischen Christen in Deutschland repräsentieren soll, lohnt ein genauer Blick auf die KandidatInnen auch jenseits der Generationenzugehörigkeit. Er verrät eine Menge über die gegenwärtigen Herausforderungen, vor die sich die EKD gestellt sieht.

Milieuverengter Wahlvorschlag

Alle RatskandidatInnen haben zum Beispiel Abitur und bis auf die Theologiestudentin Julia Schönbeck (hier zu Gast im „WTF?!“-Podcast der Eule) haben alle auch einen Studienabschluss erlangt. Nur zwei drei Kandidaten haben überhaupt auch eine nicht-akademische Berufsausbildung, nämlich der gelernte Schornsteinfeger Tobias Faix und zwei Pfarrer mit DDR-Geschichte:*

Matthias Fichtmüller (EKBO) ist heute Theologischer Vorstand des diakonischen Vereins Oberlinhaus in Potsdam und gelernter Baufacharbeiter. Der sächsische Landesbischof Tobias Bilz (EVLKS) hat vor seiner Zeit am Theologischen Seminar in Leipzig eine Ausbildung zum Instandhaltungsmechaniker abgeschlossen. Beide Kompetenzen kann die EKD gut gebrauchen.

2/3 der KandidatInnen haben Theologie studiert; elf von ihnen sind ordinierte PfarrerInnen. Hinzu kommt noch der Theologieprofessor Tobias Faix, der früher als Jugendpastor einer evangelischen Freikirche tätig war. Neben Faix kandidieren noch zwei weitere TheologieprofessorInnen für den Rat: Michael Domsgen (MLU Halle-Wittenberg, EKM) unterrichtet Religionspädagogik und beschäftigt sich mit der Vermittlung des christlichen Glaubens in konfessionsfreiem Kontext und Claudia Jahnel (ELKB), die an der Ruhr-Universität Bochum Professorin für Interkulturelle Theologie und Körperlichkeit ist.

Der großen TheologInnen-Schar stehen außer fünf JuristInnen nur wenige andere Professionen gegenüber. Als Mathematiker und Mediziner ist Andreas Barner fast schon solitär. Allerdings hat auch Barner nicht als Arzt praktiziert, sondern als Konzernchef.

Und auch die regionale Verteilung der KandidatInnen ist bemerkenswert: Der Südwesten ist offenbar terra incognita. Zwar befinden sich dort mit der Evangelische Landeskirche in Württemberg (ELKWUE) und der badischen Landeskirche (EKIBA) zwei starke evangelische Kirchen, deren Leitende Geistliche sind aber zu alt für eine Ratskandidatur. Warum allerdings keine anderen engagierten Christ:innen von dort vorgeschlagen werden konnten, erstaunt. Vielleicht wird das ja durch die Synode oder Kirchenkonferenz noch ergänzt. (Andreas Barner immerhin stammt aus Baden, auch wenn er nun auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wohnt.)

Witzig: Die beiden Kandidatinnen Anna von Notz (*1984) und Josephine Teske (*1986) verbindet noch mehr als ihre relative Jugend: Teske ist Pfarrerin im schleswig-holsteinischen Büdelsdorf, nur einen Steinwurf entfernt von Rendsburg, dem Geburtsort von Notz‘. Im Norden ist man, was Frauen angeht, also fündig geworden, derweil sich keine einzige gebürtige Ostdeutsche auf dem Wahlvorschlag findet. Teske ist die einzige im Osten geborene Frau, die es auf die Liste der KandidatInnen des Ratswahlausschusses geschafft hat.*

Überhaupt ist der Osten mit nur drei vier* gebürtigen Ossis auf dem Wahlvorschlag (Bilz, Domsgen, Fichtmüller, Teske) nicht sonderlich stark vertreten – aber das entspricht natürlich auch der geringeren Zahl von Kirchenmitgliedern hierzulande. Die ehemalige Hauptstadt der heidnischen DDR und jetzige Bundeshauptstadt Berlin beherbergt allerdings sogar drei KandidatInnen (Silke Lechner, von Notz und den EKBO-Bischof Christian Stäblein). Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) stellt mit ihnen und Fichtmüller gleich vier KandidatInnen.

Die Nordkirche als eine der beiden evangelischen Landeskirchen, die Gebiete beider deutscher Nachkriegsstaaten umfasst, ist außer mit Teske noch mit der Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, Kirsten Fehrs, vertreten. Fehrs gehörte bereits dem scheidenden Rat an und war Sprecherin des Beauftragtenrates für den Schutz vor sexualisierter Gewalt (wir berichteten). Ihr und den leitenden Geistlichen der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), Präses Annette Kurschus (bisher stellv. EKD-Ratsvorsitzende), und der EKHN, Volker Jung, werden sehr gute Chancen prognostiziert.

Wer wird dem neuen Rat der EKD angehören?

Eine Ratswahl bei der EKD ist immer für Überraschungen gut. Neue Kandidat:innen können noch hinzukommen, und die Hürde von 2/3 der abgegebenen gültigen Stimmen ist auch erst einmal zu nehmen. In der Vergangenheit haben sich daran auch schon kirchen-prominente AkteurInnen verbrannt. Geheime Wahlen sind auch eine Möglichkeit, alte Rechnungen zu begleichen.

Hervorragende Chancen werden dem sächsischen Landesbischof Tobias Bilz eingeräumt, sowohl als Ossi als auch als Vertreter der (konservativen) Lutherischen. Ebenso sicher ist die Wahl von Kurschus und Fehrs in den neuen Rat. Im scheidenden Rat waren 5 Leitende Geistliche vertreten, demnach wäre prinzipiell auch Platz für Stäblein und Jung. Dem stünden wohl nur grundsätzliche Überlegungen wie Geschlechterparität oder Raumordnung entgegen (s.u.).

Sicher gilt auch die Wahl der beiden PolitikerInnen auf dem Wahlvorschlag des Ratswahlausschusses. Zwar stammen Kerstin Griese (SPD) und Thomas Rachel (CDU) beide aus der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), aber ganz ohne Parteipolitiker geht’s auch nicht. Griese ist Co-Sprecherin des Arbeitskreises Christen und Christinnen in der SPD und Rachel Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK). Beide gehörten der letzten Bundesregierung als Parlamentarischer StaatssekretärInnen an. Andere Politiker:innen kandidieren bisher nicht (wir berichteten). Wo sind die Grünen?

Zählt man noch den bayerischen Oberkirchenrat Stefan Reimers (ELKB) hinzu, damit der Süden nicht völlig abklappt, haben mindestens neun Männer Claims auf einen Ratsposten. Neben den Leitenden Geistlichen Bilz (EVLKS), Jung (EKHN) und Stäblein (EKBO) der Finanz- und Reformfachmann Barner (EKHN), Tobias Faix (EKKW) als Angebot für die evangelikale Bewegung, Matthias Fichtmüller (EKBO) als Diakonie-Fachmann sowie das bisherige Ratsmitglied Jacob Joussen (EKiR). Der Bochumer Juraprofessor ist Spezialist für kirchliches Arbeitsrecht und Fragen der Diakonie.

Keine Frauenquote

Bei seinem Wahlvorschlag musste der Ratswahlausschuss die Geschlechtergerechtigkeit beachten, aber eine Frauenquote gibt es für den Rat der EKD nicht. Dass neun Männer im 15-köpfigen Rat sitzen werden, ist trotzdem sehr, sehr unwahrscheinlich. Auch die Kürzel der Landeskirchen stehen hier nicht aus folkloristischen Gründen hinter den Namen: Es könnte einen EKBO- oder einen EKiR-Schwerpunkt im Rat geben – was auch Auswirkungen auf die Chancen der weiblichen Kandidatinnen hat.

Denn dort treten mit Anna von Notz und Silke Lechner zwei kirchenjunge Frauen mit außer-theologischer Kompetenz und frischen Perspektiven an, die allerdings beide der EKBO angehören. Dass es alle vier EKBO-ianerInnen in den Rat schaffen, wäre eine Überraschung. Hier stellt sich die Frage, was die EKD in Zukunft gut brauchen könnte und darum auch personell im Rat repräsentiert sehen will: Männliche Kirchenerfahrung oder weibliche Expertise aus der Zivilgesellschaft?

Neben Kirsten Fehrs und Annette Kurschus sowie Kerstin Griese sind jedenfalls noch mindestens drei Plätze mit Frauen zu besetzen, will die EKD keinen Schritt zurück machen: Dem scheidenden Rat gehören neben der Präses noch sechs weitere Frauen an. Darunter neben den Vorgenannten auch Stephanie Springer, die Präsidentin des Landeskirchenamtes der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers.

Nicht mehr für den Rat kandidieren die Tübinger Theologieprofessorin Elisabeth Gräb-Schmidt und die hervorragend vernetzte Präsidentin der Welthungerhilfe Marlehn Thieme. Zwei „Frauenplätze“ könnten demnach unter den neuen Kandidatinnen vergeben werden.

Und was ist jetzt mit dem Ratsvorsitz?

Der neue Rat der EKD wird noch am Tag seiner Wahl zum ersten Mal zusammentreten. Am 10. November dann wählen Synode und Kirchenkonferenz in getrennten Wahlgängen je mit 2/3-Mehrheit die/den neue(n) Ratsvorsitzend(en) (und ihre/seine StellvertreterIn). Der neugewählte Rat kann – und wird wohl auch – einen Vorschlag unterbreiten.

Zur/zum Ratsvorsitzenden gewählt werden kann nur, wer Mitglied des Rates ist. Der Weg an die Spitze des Protestantismus in Deutschland hat also zwei Hürden. Trotzdem gibt es auch zur Wahl der/des Ratsvorsitzenden schon Klatsch, Tratsch und „Angedachtes“.


Live von der EKD-Synode 2021-2: Ratswahl und mehr


Eule-Redakteur Philipp Greifenstein (@rockToamna) wird von Samstag an von der Tagung der EKD-Synode berichten. Im Zentrum der Beratungen steht die Wahl eines neuen Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie einer/eines neuen Ratsvorsitzenden. Außerdem steht der Haushalt auf der Tagesordnung und damit auch die wichtigen Fragen zur Finanzierung der EKD sowie die Missbrauchs-Krise in den evangelischen Kirchen.

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*: Dank eines Hinweises auf Instagram haben wir den Fehler korrigiert. Josephine Teske wurde in Templin (Bezirk Neubrandenburg) geboren. Damit enthält der Wahlvorschlag eine Frau und drei Männer, die in der DDR geboren wurden.

Dank eines Hinweises auf Twitter konnten wir hier noch die Ausbildung Tobias Faix‘ zum Schornsteinfeger nachtragen.