Kolumne Sektion F

Herr, HERR, Herr, unser Herrscher

Wie können wir mit der männlichen G*ttesanrede umgehen? Sollen wir weiter Herr, HERR sagen? G*tt folgt nicht den menschlichen Machtlogiken, das müssen wir auch in der Liturgie klarstellen.

Ich gebe zu, ich bin kirchenmusikalisch sehr klassisch bzw. bildungsbürgerlich sozialisiert: Kinderstimmen in Bachs Weihnachtsoratorium und dann das erste Oratorium in der Kantorei: die Johannespassion. Im Konzert zuckte unser Kantor beim ersten Choreinsatz zusammen ob des kräftigen „Herr“. „Herr, unser Herrscher“, das in langen Melismen – immer die gleiche Silbe auf verschiedenen Tönen – Höhen und Tiefen erkundet, bis es dann zu „dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist“ kommt. Doch auch ohne Johannespassion ist theoretisch in jedem G*ttesdienst die Anrede „Herr“ für G*tt schon rein liturgisch vorgesehen: Kyrie eleison – Herr, erbarme dich. Wie können wir mit einer so männlichen G*ttesanrede heute umgehen?

Vielleicht starten wir erstmal mit dem Ursprung dieser Anrede. Statt des G*ttesnamens wird aus Ehrfurcht die Anrede Adonai, also „mein Herr“, an vielen Stellen der Hebräischen Bibel verwendet. Das hat sich in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der Hebräischen Bibel, und dann auch im auf Griechisch verfassten Neuen Testament (NT) darin niedergeschlagen, dass kyrios, also „Herr“, als G*ttesbezeichnung und im NT auch als Anrede für Jesus verwendet wird. Darin schwingt schon Jesu buchstäbliche Verherrlichung mit.

Übersetzungen wie die „Bibel in gerechter Sprache“ (BigS, online) versuchen, die Vielfalt verschiedener Gottesbezeichnungen abzubilden (Infos zum Konzept). In den Lutherbibeln z. B. steht oft „HERR“ – in Großbuchstaben, wenn z. B. der Gottesname JHWH und die Gattungsbezeichnung z. B. als Elohim (= Götter) aufeinander folgen. HERR steht dann für JHWH. Aber G*ttes Name ist nicht „Herr“!

Ich verstehe sehr gut, dass viele Menschen versuchen, diese Bezeichnung im gottesdienstlichen Sprachgebrauch immer mehr zu umgehen. Mich stört es, dass G*tt so männlich konnotiert wird. Das schränkt G*tt meines Erachtens zu sehr ein und macht G*tt zu klein. Viele sprechen den sog. Aaronitischen Segen schon so:

„G*tt segne dich und behüte dich,
G*tt lasse leuchten das Angesicht über dir und sei dir gnädig,
G*tt erhebe das Angesicht auf dich und gebe dir Frieden!“

Hier gibt es nicht mehr „sein Angesicht“ oder „seinen Frieden“ – geschweige denn „der Herr“ am Anfang. Ich mag das sehr. Es zeigt mir, dass sich der*die Liturg*in damit beschäftigt hat, dass G*tt nicht eindimensional männlich sein kann und das eine zu starke Vermenschlichung und sogar Eingrenzung G*ttes wäre. Ich vermisse manchmal, dass der Frieden von G*tt kommt, aber verstehe auch, dass Neopronomen das Ganze gerade noch nicht einholen. Zum Beispiel wäre „xier“ eine Variante für ein Pronomen ohne Geschlecht. Noch könnte „und gebe dir xieses Frieden“ aber vermutlich den Segensmoment eher stören. Oder mit „dey“ und „deren Frieden“ vielleicht? Das könnte schon funktionieren. Vielleicht braucht es aber auch noch weitere Sprachübung mit anderen Pronomen und dann ist die Variante ohne Pronomen, also stattdessen mit „G*tt“, gar nicht schlecht.

Es geht um (männliche) Macht

Was mich am Begriff „Herr“ aber noch stört: Es geht um Machtverhältnisse. Herr und Knecht. Das klingt doch sehr nach Maafa, oder? Da hilft mal wieder nur, sich Paulus‘ Brief an die Gemeinden in Galatien (Kaptitel 3, Vers 28) vor Augen zu stellen: „Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus“ (BigS). Damit sind die Beziehungen unter Menschen gemeint, es entbindet nicht von den Assoziationen des Wortes. Aber es zeigt on point, dass Versklavungsstrukturen nicht in G*ttes Sinne sind. Wenn geklärt ist, dass „Herr“ und „Knecht“ keine angemessene Beziehung zwischen Menschen sein sollte, dann heißt das noch nichts für die Beziehung zwischen G*tt und den Menschen.

Ich kann mich nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass das Thema Machtverhältnisse mich als Kind der Moderne anders trifft als das vielleicht in vorigen Zeiten der Christ*innentumsgeschichte der Fall war. Und ich denke auch: Ja, moderner Mensch, live with it: Du kannst nicht alles regeln, auch wenn Du das glaubst. Denn das ist natürlich auch eine Pointe davon „Herr“ zu sagen: Wenn ich schon im G*ttesdienst bekenne, an „Jesus Christus, unsern Herrn“ zu glauben, dann heißt das eben auch, dass ich mich begrenzt weiß, obwohl es schwerfällt das auszuhalten.

Eigentlich kann es total entlastend sein. Wie in der dritten Strophe von „Ins Wasser fällt ein Stein“: „Du brauchst dich nicht allein zu müh’n“. Das ist eigentlich etwas, das beruhigend sein könnte… und dann kommt das menschliche Unabhängigkeitsstreben, das es natürlich auch schon vor der Moderne gab. Und das G*tt ja auch einräumt. Perfide wird es erst recht, wenn die ganze shit show von Krieg, Hunger, Gewalt, Ausbeutung, Ungerechtigkeit als von G*tt angestrebt bezeichnet werden würde. Da werde ich dann auch paulinisch und erwidere: Mē genoito! = Das sei ferne!

Denn offensichtlich handelt es sich bei G*tt und der Anrede als „Herr“ oder „Herrscher“ um etwas anderes als das, was wir alltagssprachlich damit meinen. Das sind nur Versuche, etwas auszudrücken. Ein relationales Verhältnis, das sonst auch mit der Vater- oder Mutter-Metapher angezeigt wird. Aber bei „Herr“ oder „Herrscher“ steckt über die individuelle Elter-Beziehung hinausgehend noch drin, dass das nicht nur für mich gelten soll, sondern eigentlich für alles und jede*n.

„G*tt ist queer“: G*tt ist ganz anders Herr

Wenn wir im Glaubensbekenntnis „Jesus Christus, unsern Herrn“ bekennen, „geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben“, dann steckt in dem Begriff des „Herrn“ bereits etwas anderes als das Bild eines despotischen Regenten. Hier ist die Ohnmacht mit dabei. Und das sich selbst zurücknehmen. Es verliert sich das Gefälle zwischen „Herr“ und „Knecht“. Und das widerspricht gerade dem, was üblicherweise mit „Herr“ bezeichnet wird. Damit meine ich nicht den Gentleman, der anderen die Tür aufhält, als ob das die ultimative Selbstrücknahme wäre – nein! Aber genau solche Männlichkeits- und Geschlechtervorstellungen engen diejenigen Menschen ein, die sich z. B. mit dem männlichen Geschlecht identifizieren.

G*ttes Selbstrücknahme als Schöpfer*in und im Tod Jesu am Kreuz sind ultimative Ausdrücke von komplett anderen Herr*schaftskonzepten, als sie mit „Herr“ auf den ersten Blick verbunden werden. G*tt ist auf der Seite der Ausgebeuteten und nicht der Ausbeuter*innen. G*tt ist auf der Seite der Marginalisierten. Und auch wenn die Verengung auf „G*tt ist queer“ nur einen Ausschnitt aus Quinton Ceasars Abschlusspredigt des Kirchentages benennt, so ist genau das der Punkt: G*tt ist ganz anders Herr, als es in unserem malestream Kapitalismus „die Oberen“ sind.

Selbstverständlich kann ich weiter im G*ttesdienst von G*tt als „Herr“ sprechen. Mit Christ*innen der Vergangenheit und in verschiedenen Konfessionen verbindet uns das Kyrie eleison. Das sollten wir nicht vergessen. Dabei muss klar werden, dass G*ttes Herr*schaft anderer Art ist: Nicht geschlechtlich markiert. Nicht menschlichen Machtlogiken folgend. Um das zu markieren, braucht es Wortgewandtheit und Zwischentöne. Vielleicht auch mehr Zwischentöne als Bach? Wir kriegen G*ttes Herr*schaft nicht eingeholt. Das müssen wir aushalten.


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