Ein Podcast mit Mission
Im Podcast „Stachel und Herz“ träumen Thea Hummel und Sarah Vecera von einer inklusiven Kirche, die ein sicherer Ort für alle Menschen ist. Ein bespielloser Podcast in der deutschsprachigen digitalen Kirche.
Ich bin an einem schwitzigen Hochsommertag fernab von Weihnachten auf einen kleinen gemeinen Herrnhuter Stern getreten, so einen vom Format Handball. Wie er dort auf den Zimmerboden gekommen ist, weiß ich nicht. Die gelbe Plastikspitze hat sich rabiat in mein Fleisch gebohrt. Ein Stachel im Fleisch, wobei Paulus das wohl metaphorisch meinte.
Die Ecken und Kanten einer bürgerlichen, weißen und deutschen Kirche sind tatsächlich mehr als ein Stachel. Das Maskottchen der Evangelischen Kirche in Deutschland ein ganzes Stachelschwein. Sarah Vecera und Thea Hummel thematisieren diese wunden Stellen einer Kirche, die eigentlich eine Heimat für alle sein will und ihrem Anspruch eben doch nicht gerecht werden wird. Ihren Podcast „Stachel und Herz“ moderieren die beiden seit fast drei Jahren, ohne dass ihnen die Themen ausgehen.
Zunächst drehten sich die frühen Folgen von „Stachel und Herz“ um Inhalte aus den Arbeitsbereichen der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), etwa eben Mission oder Fragestellungen der Ökumene. Mittlerweile widmen sich Vecera und Hummel Kirche als safe space, insbesondere für People of Color. So nehmen sich die beiden etwa der Debatte um die vergangene Kirchentagschlusspredigt an, sprechen über Ableismus oder stellen wichtige Grundkonzepte für eine diskriminierungsfreiere Kirche vor.
Fragen von Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung sind langsam, aber sicher im Bewusstsein der Kirchen angekommen. Daran haben die beiden Hosts einen nicht geringen Anteil. Sarah Vecera ist innerhalb der VEM mit dem Schwerpunkt „Rassismus und Kirche“ beauftragt, Autorin von „Wie ist Jesus weiß geworden?“, und hat den Startpunkt für die „Alle Kinder Bibel“ gegeben, die im März dieses Jahres erschienen und mittlerweile schon in die dritte Auflage gegangen ist (diskursive Rezension hier in der Eule). Darüber hinaus ist „Stachel und Herz“ Teil von yeet!, dem Content-Produzent:innen-Netzwerk des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP).
Bühne und Stimme für die Vielfalt in der Kirche
Schlechte Erfahrungen, die beide im Alltag einer sehr weißen Kirche machen, werden unter der Rubrik „Stachel der Woche“ eingefangen. Hierbei wird stets ein vermittelnder und differenzierter Blick gesucht, ohne voreilig Versöhnung und heile Welt zu versprechen. Das geht nicht spurlos an mensch vorbei. Viele Folgen lassen mich wirklich berührt zurück. Ja, es gibt noch irre viel zu tun! Ja, es sieht gerne mal richtig schlecht aus. Aber auch: Ja, es gibt Anlass, auf Besserung zu hoffen und für sie zu kämpfen.
Für viele Infos und Einordnungen ergreifen die Hosts nicht selbst das Wort, sondern ziehen sich bewusst auf die Rolle von Interviewerinnen zurück. Die Art und Weise, wie bei „Stachel und Herz“ klar entschieden wird, wer zu welchem Thema Bühne und Stimme bekommen sollte, ist innerhalb der deutschsprachigen christlichen Podcasts beinahe beispiellos. Die Auswahl an Gäst:innen enttäuscht nie. So nahmen sich die Hosts rund 80 Minuten Zeit für ein Gespräch mit Tovja Heymann unter dem Titel „Trans* als Pfarrperson“. Gut geführte, lockere Unterhaltungen mit sehr eindrucksvollen Menschen wechseln sich mit den gastfreien Folgen ab, in denen Vecera und Hummel dreiviertelstündige Einführungen in Themen wie den „Black History Month“ geben. Eine spannende Brücke zwischen der gegenwärtigen Ausrichtung des Podcasts und seinen ökumenischen Anfängen ist das Gespräch mit Michael Sommer, einen liberaleren Vertreter der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), der sich für die Möglichkeit der Frauenordination in seiner Kirche einsetzt.
So schafft es das Format, trotz des regelmäßigen Erscheinungsrhythmus etwas lässiger mit der eigenen Struktur zu spielen, als es vielen anderen christlichen Podcasts gelingt. Die Balance zwischen gutem Informieren und entspanntem Quatschen mag nicht allen schmecken, scheint mir aber gerade für einen möglichst niedrigschwelligen und dennoch gehaltvollen Beitrag zur Bildungsarbeit ideal. Technisch sind die Episoden inzwischen ganz hervorragend. Insgesamt lässt sich sowohl in der Abmischung, Aufnahmequalität und der äußeren Gestaltung ein enormer Sprung vom Beginn des Projekts bis heute beobachten.
Ein Podcast mit Mission
„Stachel & Herz“ steht unter der Flagge der Vereinten Evangelischen Mission. Bis April 2022 lief der Podcast sogar explizit unter dem Titel „United in Mission“. Entgegen möglichen Vorurteilen ist die VEM, die immerhin aus der 1828 gegründeten Rheinischen Mission hervorgegangen ist, keine Taufagentur. Die Mitgliedskirchen aus elf verschiedenen Staaten kooperieren in Bereichen des theologischen und interreligiösen Austauschs, für Nachhaltigkeit und im Einsatz für universelle Menschenrechte.
Dass man weiterhin unter dem Segel „Mission“ fährt, ist, wie Generalsekretär Volker Martin Dally in einer „Stachel & Herz“-Folge emphatisch hervorhebt, dem Wunsch der Mitgliedskirchen geschildert, die sich den Umgang mit der eigenen Geschichte nicht diktieren lassen wollen. Sie legen ganz bewusst Wert darauf, unter anderen Vorzeichen weiterhin an diesem Begriff festzuhalten. Für Diskussionen wie diese lohnt sich ein hemmungsloses Durchhören des Podcasts von Oktober 2020 bis heute.
„Stachel & Herz“ ist ein großartiges Schaufenster für alle die, ob drinnen oder draußen, noch nach einer Perspektive für die Kirche von morgen suchen. Ein Podcast, der sich etwas vorgenommen hat. Ein Podcast mit Mission.
„Stachel und Herz“ findet ihr auf einer eigenen Website, auf Spotify und weiteren Podcast-Plattformen.
#abgehört: Podcast-Kritiken bei der Eule
In unserer Serie „#abgehört“ stellen wir seit 2017 Podcasts vor: Podcasts zu klassischen Kirchenthemen und solche, die Neuland betreten. Podcasts, die von Theolog:innen gemacht werden und sich um Bibel und Predigt drehen, und Podcasts zu (Rand-)Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Seit 2022 schreibt Frederik Ohlenbusch für uns frische Podcast-Kritiken.
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