„Wo sich die Kirche engagiert, öffnen sich auf einmal Türen“

Eine Petition ruft Mitarbeitende in Kirchen, Diakonie und Caritas zum Engagement gegen Rechts auf. Es sei nötig, sich für eine „antifaschistische Kirche“ einzusetzen, sagen die Theologin Aline Ott und die Pfarrer Quinton Ceasar und Lukas Pellio.

„Nächstenliebe verlangt Klarheit – Antifaschistische Kirche jetzt!“, ist eine Petition überschrieben, die von der Theologin Aline Ott (u.a. #theoversity, s. hier  & hier in der Eule), Pastor Quinton Ceasar (Kirchentagsprediger 2023, wir berichteten) und Pfarrer Lukas Pellio (EKBO) gestartet wurde. Wir haben bei Lukas Pellio nachgefragt, was sie mit der Petition bezwecken.


Eule: Lukas, warum ruft ihr gerade jetzt mit eurer Petition dazu auf, eine „antifaschistische Kirche“ zu werden?

Pellio: Die großen Demonstrationen nach der Correctiv-Recherche haben uns überrascht und auch motiviert. In Südbrandenburg bin ich seit 2020 unterwegs und habe mich hier mit meiner Gemeinde und als Pfarrer auch klar gegen Rechts positioniert. In dieser Zeit haben wir auch gemerkt, wie schwer es ist, eine solche Positionierung durchzuhalten und Engagement gegen Rechtsextremismus auf die Beine zu stellen, auch wie viel Gegenwind es da kirchenintern und -extern dafür gibt. Seit den Demos im Januar geht plötzlich Vieles einfacher. Hier in der Region gibt jetzt nicht nur in Spremberg und Cottbus Kundgebungen, sondern auch Menschen aus Forst, Finsterwalde, Guben, Herzberg, Senftenberg, die sich einsetzen wollen. Es ist ein Zeitfenster aufgegangen, in dem Engagement möglich wird.

Ich glaube auch, dass man das an der Gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz ablesen kann, die doch erstaunlich klar und pointiert war (hier in der Eule). In der Klarheit und Wirksamkeit hat sie viele evangelische Stellungnahmen der vergangenen Jahre getoppt. Trotzdem sind es ja erstmal nur Worte, die da in den Erklärungen von Kirchen gemacht werden. Ich finde es wichtig, dass sich das in konkreten Entscheidungen, Handlungen und Strukturen niederschlägt.

Eule: Ihr formuliert vier Forderungen in eurer Petition. Die erste Forderung richtet sich an Leitungen und Führungskräfte in Kirchen, Diakonie und Caritas, sie sollen „mutig, öffentlich und unmissverständlich gegen die extreme Rechte“ handeln. Da würde man doch meinen: Machen die doch!

Pellio: Die Deutsche Bischofskonferenz und auch die EKD haben sich klar positioniert, einige Landeskirchen und Bistümer bekommen das auch einigermaßen hin. Gleichzeitig gibt es aber innerhalb der Strukturen die Meinung, „die da oben“ riskierten eine große Klappe, vor Ort ließe sich das aber nicht so vertreten. In den Gemeinden gibt es ein Defizit, was die klare Positionierung gegen die AfD und die extreme Rechte angeht.

Dass in Gemeindekirchenräten oder Kreissynoden Menschen mit rechtsextremen Einstellungen wirken, sorgt zwar nicht dafür, dass sich die Kirche rechtextreme Positionen zu eigen macht, aber es verhindert eine klare Positionierung gegen Rechts. Da ist das Harmoniedenken stärker, den notwendigen Streit lieber nicht zu führen. Da wird lieber nichts gesagt oder unverbindlich zu einem „Dialog“ aufgerufen.

Eule: Das korrespondiert mit eurer dritten Forderung: „Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen müssen sich klar im Sinne unserer christlichen Werte gegen Rechts positionieren und lokale demokratische Initiativen unterstützen.“

Pellio: Ich sehe in meinem Alltag den Unterschied zwischen Orten, an denen kirchliche Einrichtungen und Gemeinden das tun – und wo nicht. Diakonie, Caritas und Kirchen bringen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit mit. Wo sie sich engagieren, öffnen sich auf einmal Türen. Es gibt Räume, wo Menschen sich treffen können. Nicht zuletzt schützen die Kirchen so auch jene Menschen, die sich bisher als Privatpersonen exponiert haben. Wer sich im Bekanntenkreis oder in der Familie für die Teilnahme auf einer Anti-AfD-Demo rechtfertigen muss, der kann jetzt sagen: „Die Pfarrerin war doch auch dabei!“ An anderen Orten passiert hingegen nichts, weil diese Schwelle zum gemeinsamen Handeln nicht überschritten wird. Das liegt auch daran, dass die Kirchgemeinden vor Ort sich auf eine neutrale Beobachterposition zurückziehen.

Eule: Ihr erklärt auch, eine AfD-Mitgliedschaft sei mit einer kirchlichen Mitarbeit nicht vereinbar. So etwas müsse deshalb „verhindert“ werden. In den evangelischen Kirchen gibt es keine Kirchengesetze, die sich auf eine bestimmte Parteizugehörigkeit beziehen. Wohl aber kann die Mitgliedschaft in einer vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Organisation dienst- oder arbeitsrechtliche Folgen haben. Bei Ehrenamtlichen sieht die Kontrolle noch schwieriger aus.

Pellio: Bei uns in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) wird die AfD auch nicht explizit benannt, aber festgestellt, dass „die Mitgliedschaft in oder die tätige Unterstützung von Gruppierungen, Organisationen oder Parteien, die menschenfeindliche Ziele verfolgen“, mit einer Mitarbeit in der Kirche nicht vereinbar ist. Das gilt auch für Gemeindekirchenräte. Man könnte hier natürlich einen Auftrag an die Kirchenjurist:innen stellen, das richtig rechtssicher zu formulieren. Es ist seit der Handreichung der EKBO zu diesem Thema im Jahr 2019 auch deutlich einfacher geworden, die AfD da klarer mit zu identifizieren.

Eule: Was schlagt ihr vor, was mit diesen Menschen geschehen soll? Die wurden ja in den Gemeindekirchenrat gewählt oder in ein diakonischen Gremium entsandt. Die werden da wohl nicht freiwillig rausgehen.

Pellio: In der EKBO handelt es sich zunächst einmal um eine Voraussetzung der Wählbarkeit, die bei einer Kandidatur geprüft werden muss. Klar kann man als Gemeinde und Pfarrer:in keine Tiefenrecherchen machen, aber aus meiner Erfahrung als Dorfpfarrer kann ich auch sagen: Ich weiß doch, wer sich da aufstellt, die Leute fallen ja nicht vom Himmel. Im Zweifelsfall müsste man mit einer gesamtkirchlichen Entscheidung im Rücken dann in die Gespräche gehen.

Eule: Der Bischof und selbst das Konsistorium in Berlin sind ja weit weg …

Pellio: Ja, durchregiert wird bei uns nicht. Man muss das schon vor Ort vertreten.

Eule: Es gibt ja die Angst, dass die „Verstoßenen“ dann noch zehn Menschen mitnehmen, dass die dann nicht mehr in den Gottesdienst kommen und sich nicht mehr in der Kirchgemeinde engagieren. Du sagst: In den Konflikt muss man gehen.

Pellio: Ja, und ich möchte den Blick auch weiten auf die Menschen, die nicht da sind, weil sie wissen, dass sich Menschen, die unwidersprochen rechtsextreme Positionen vertreten, in der Gemeinde heimisch fühlen und mitgestalten können. Das ist natürlich schwer durchzuhalten, das weiß ich aus eigener Erfahrung, weil man die Menschen, die nicht da sind, ja tatsächlich nicht sieht. Wir müssen es schaffen, klar Position zu beziehen, um das Signal zu senden: Hier bei uns in der Kirche sollen sichere Räume entstehen für Menschen, die in unserer Gesellschaft bedroht sind.

Eule: Das war jetzt die Vierte eurer Forderungen: Die Kirche solle sich „konsequent an die Seite aller Menschen stellen, die von rechter Gewalt bedroht sind“. Meine Erfahrung ist die, dass Menschen, die ihre rechtsextremen Einstellungen auch äußern, sich bereits dann nicht mehr wohlfühlen, wenn diese Einstellungen problematisiert werden.

Pellio: Genau. Es geht uns nicht darum, jemanden vom Gottesdienst auszuschließen, sondern durch klare Positionierungen Gespräche zu provozieren.

Eule: Du sprichst aus Deiner Erfahrung als Pfarrer in einer Region, die deutlich unsicherer für Menschen ist, die sich gegen Rechts einsetzen, als weite Teile des Landes. Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

Pellio: Eine ganz tolle Erfahrung ist, dass dort, wo wir uns getraut haben, andere Menschen dazugekommen sind – ob sie jetzt innerhalb der Kirche auftauchen oder von außerhalb die Kirche auf einmal als Ort wahrnehmen, wo man sich treffen, organisieren und Luft holen kann. Natürlich haben wir auch schwierige Situationen erlebt, wie den Molotow-Cocktail-Anschlag auf das Kirchgebäude (s. hier in der Eule und in den #LaTdH vom 2. & 9. Juli 2023).

Aber trotzdem würde ich sagen, dass ich zu Beginn viel größere Sorgen hatte als jetzt. Die Freiheitsräume sind größer, als ich es gedacht hätte. Es ist viel mehr möglich, als ich mir hätte vorstellen können, sowohl was die Hilfe von anderen Menschen angeht als auch positives Feedback. Man hat ja oft das Bild, dass man zu einem einsamen Wolf würde, wenn man sich klar positioniert, und sich aufreibt und aufopfert. So ist es ganz und gar nicht! Ohne die brenzligen Situationen zu verharmlosen, ist die Grunderfahrung doch ermutigend.

Eule: Wo führt die Petition denn hin? Wird sie irgendwann ausgedruckt und übergeben – wenn ja, an wen?

Pellio: Durch eine Unterschrift machen sich die Mitzeichnenden die Forderungen zu eigen, der Text wird damit auch zu ihrer Petition. Sie ist auch frei nutzbar für Initiativen in Landeskirchen und Bistümern. Es stehen jetzt die Frühjahrssynoden an. Ich nehme an, dass es in einigen von ihnen auch Aktivitäten geben wird, sich noch klarer zu positionieren und das Möglichkeitsfenster zu nutzen, das wir gerade haben. Ich hoffe, dass sich eine Dynamik entwickelt, sodass man an dem Thema nicht einfach aus Harmoniegründen vorbeigehen kann. Unter der Petition steht auch nicht umsonst eine E-Mail-Adresse, die man gerne zum Vernetzen nutzen kann. Ob die Petition ein kleines Online-Phänomen bleibt oder ein Gemeindekirchenrat sie sich zu eigen macht oder ob daraus eine weitergehende Mobilisierung wird, werden wir sehen.

Die Petition ist auf alle Fälle keine Spielerei! Besonders in den drei ostdeutschen Bundesländern, in denen in diesem Jahr gewählt wird, geht es darum sich zu positionieren, weil es nötig ist und weil es gerade auch noch möglich ist. Die Realitäten werden sich stark verändern, wenn wir Pech haben. Das wird auch die Möglichkeitsräume der Kirche einschränken.



Die Petition „Nächstenliebe verlangt Klarheit – Antifaschistische Kirche jetzt!“ findet sich auf der Kampagnenplattforum „We act!“.

Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt Rechtsextremismus.


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Das Interview führte Philipp Greifenstein.