Pride-Month ist Nächstenliebe!
Queere Kinder und Jugendliche werden gemobbt, LGBTQIA+ sind zunehmend Gewalt in unserer Gesellschaft ausgesetzt. Eine offene, queerfreundliche Kirche zu werden, ist unsere Pflicht.
Es ist Juni – und damit Pride-Month.
Der Begriff Pride stammt aus der amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung und ist mittlerweile international übernommen worden. Auch in Deutschland gibt es dieser Tage viele Veranstaltungen, Menschen aus der LGBTQIA+-Community und alle, die sie unterstützen, zeigen online und offline Flagge. Es ist ein Eintreten für Vielfalt und Toleranz, für safe spaces und natürlich – immer wieder – für Aufklärung und den Abbau von Vorurteilen.
Auch einzelne Kirchengemeinden beteiligen sich am Pride-Month mit queeren Gottesdiensten, Veranstaltungen oder einfach, indem Pfarrer:innen Flagge zeigen.
Doch ein breites Engagement zum Pride-Month kann ich in den evangelischen Kirchen in Deutschland auch dieses Jahr nicht erkennen. Das Einstehen für LGBTQIA+ und ihre Rechte hat längst nicht den Stellenwert, den andere politische Themen haben.
Vielleicht ist es dem einen oder der anderen doch zu bunt? Vielleicht hat man immer noch ein bisschen Angst vor den Glaubensgeschwistern, denen das Abendland abhandenkam, als Quinton Ceasar „Gott ist queer“ über den Nürnberger Hauptmarkt rief (der Satz war übrigens Teil einer sehr beeindruckenden Predigt, die bei all der Empörung oft hinten runter fiel) oder man weiß halt einfach mal wieder auch nicht genau bei Kirchens.
Dabei ist es ganz einfach: Ja, Kirchen sollten sich für die Rechte queerer Menschen engagieren und positionieren. Heute mehr denn je. Die Europawahl hat gezeigt, dass erschreckend viele Menschen in diesem Land und in Europa generell ihre Hoffnung auf rechts-autoritäre Populist:innen setzen. Sie haben nicht nur ein erstaunlich großes Problem mit zugewanderten Menschen, sondern machen auch keinen Hehl daraus, dass sie das Rad der Geschichte auch für Schwule, Lesben oder Transmenschen gern gewaltig zurückdrehen würden.
Ich habe mit vielen queeren Menschen gesprochen, die seit der Europawahl Angst haben. Zu Recht! Denn sie haben tatsächlich etwas zu verlieren, wenn auf einmal ein anderer Wind in Europa weht. Das müssen wir weißen, in heteronormativen Beziehungen lebenden Männer und Frauen uns einfach mal vor Augen führen. Während wir viel mehr abwarten oder aussitzen können, geht es bei anderen um ihre Existenz. Ein Social-Media-Bild, das in den letzten Wochen oft gezeigt wurde, trägt einen Schriftzug, der übersetzt in etwa so viel heißt wie: „Pride bedeutet nicht, hetero Kinder in queere Kinder zu verwandeln, sondern aus queeren Kindern keine toten Kinder zu machen.“
Keine Zeit für Zurückhaltung
Mag sein, dass der eine oder die andere es in ihrer weißen, christlichen Wohlfühlblase für völlig überzogen halten, einen solchen Vergleich anzustellen. Ein kurzer Blick in die Realität von queeren Kindern und Jugendlichen in der westlichen Welt zeigt aber, dass dieser Satz erschreckend wahr ist.
Untersuchungen zeigen, dass queere Jugendliche, speziell transidente, eine deutlich erhöhte Suizidrate zeigen. In Großbritannien wurde Anfang 2023 ein Transmädchen von zwei anderen Jugendlichen getötet. Auch in Deutschland gibt es einen starken Anstieg der polizeilich erfassten Gewaltdelikte an queeren Menschen in den letzten Jahren. Queere Kinder und Jugendliche sind häufiger Opfer von Mobbing in Schulen oder Freizeiteinrichtungen. Auch das kann sich langfristig negativ auf ihre körperliche und seelische Gesundheit auswirken.
Und da haben wir noch gar nicht von der Lebensgefahr gesprochen, in der queere Kinder und Jugendliche in anderen Teilen dieser Welt schweben.
Also – Pride zu leben, im Juni (und bitte auch im restlichen Jahr) Flagge zu zeigen gegen Diskriminierung, Hass und Hetze, safe spaces zu schaffen und jungen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie in Ordnung sind, so wie sie sind – das kann im Zweifel Leben retten.
Und selbst wenn wir die Eskalationsspirale nicht bis ans obere Ende denken, hilft es allen queeren Menschen im Hier und Jetzt, wenn wir zeigen, dass sie in unseren Gemeinden einen sicheren Ort vorfinden. So wie sie sind! Mit ihren Lebenspartner:innen, vor, nach und während ihrer Geschlechtsangleichung, als Singles und Polys, non-binär oder intersexuell. Sie brauchen von uns nicht nur ein: „Hey, kommt halt, wird schon keiner einen blöden Spruch machen“, sondern das Wissen, dass wir sie sehen, akzeptieren und lieben in einer Welt, die voller Sorgen, Nöte, Ängste und Ablehnung ist.
Die Zeit, in der wir Christ:innen uns da dezent zurückhalten und auf die Bibel rausreden konnten, ist längst vorbei. Dazu wissen wir heute zu viel über Bibelauslegungen, Psychologie, die Lebenssituation von queeren Menschen und die Schuld, die Kirchen ihnen gegenüber in der Vergangenheit auf sich geladen haben. Alle Informationen sind da. Es liegt auf der Hand: Eine offene, LGBTQIA+-freundliche Kirche zu werden, ist unsere Pflicht. Aus Nächstenliebe! Alles andere wäre Selbstbetrug.
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