Newsletter #LaTdH

On Message – Die #LaTdH vom 4. August

Der rechte Shitstorm über das queere „Abendmahl“ bei Olympia ist mehr als ein Sommerloch-Thema. Außerdem: Heißgelaufene Religionspolitik im Sommer ’24 und profitorientierte Kirchenwirtschaft.

Herzlich Willkommen …

… zur 8. Saison der #LaTdH. Während die meisten Bundesbürger:innen noch in den Ferien weilen, fangen wir hier mal wieder an. Ich habe richtig Urlaub gemacht, so ganz ohne Lunschen auf die Nachrichten und E-Mails und mit einer sehr, sehr schmalen Social-Media-Diät. Kann ich sehr empfehlen!

In der Eule gibt es in diesem Sommer ein paar Wechsel zur neuen Spielzeit 2024/2025: Wir haben die Kolumne „Tipping Point“ zur sozio-ökologischen Transformation verabschiedet. Der gesellschaftliche Wandel im Kontext der Klimakrise geht weiter, aber wir werden ihn in anderer Weise als durch eine monatliche Kolumne begleiten. Ausgewechselt wird Flora Hochschild, die uns im Frühjahr / Sommer 2024 mit verrückten Kirchengeschichten aus der Frühen Neuzeit begeistert hat. Die Kolumne „mind_the_gap“ werden wir im Herbst allerdings mit einer neuen Autor:in und einer anderen Epoche der Christentumsgeschichte fortsetzen. Wir danken allen Autor:innen sehr herzlich! Und die entstandenen Kolumnen laden natürlich zum (wieder-)entdecken ein – auch als Urlaubslektüre geeignet!

Wir freuen uns sehr, dass unsere „Sektion F“-Kolumnistin Carlotta Israel im September mit dem Dorothee-Sölle-Preis des Ökumenischen Netzwerks Kirche von unten (IKvu) ausgezeichnet wird. Ebenfalls mit dem Preis gewürdigt wird die Theologin Katharina von Kellenbach, die im Mai 2024 im „Eule-Podcast“ zu hören warHerzlichen Glückwunsch! Mehr Informationen zu Preis und Preisträgerinnen hier in der Eule.

Carlotta wird auch unsere erste Gästin im neuen Podcast-Format „Eule-Podcast Q & R“ sein. Q & R steht dabei für Question & Response, also etwa „Frage und Entgegnung“. Wir wollen natürlich die drängenden Fragen unserer Community beantworten, aber keineswegs mit dem Anspruch auf abschließende Vollständigkeit. Auf schwierige Fragen gibt es keine einfachen Antworten, doch hoffentlich interessante und vertiefende Erwiderungen.

Fragen an Carlotta nehmen wir bis zum 10. August auf allen Kommunikationskanälen der Eule entgegen: Per E-Mail, als Direktnachricht auf Instagram und Bluesky oder auch öffentlich als Kommentar im Magazin und auf unseren Social-Media-Kanälen. Wir freuen uns darauf, auf diesem Weg das fortlaufende Gespräch mit unserer Eule-Leser:innen- und Hörer:innenschaft zu vertiefen!

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

PS: Die #LaTdH und die ganze Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Schon ab 3 € im Monat sind Sie dabei.

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Debatte

Die Sommerferienzeit identifiziert man im Nachrichtenjournalismus gerne noch immer mit dem sog. Sommerloch. Dabei ist es fraglich, ob es eine Saison für alberne, überflüssige und im normalen Tagesgeschäft wenig Aufmerksamkeit erregende Nachrichten ausgerechnet während jener Zeit wirklich gibt, die viele Menschen recht abständig vom Nachrichtenwirbel verbringen. An den Strand oder auf die Berghütte nehmen viele Menschen doch lieber ein gutes Buch mit als einen hypertonischen Newsfeed. Die Ferienzeit in Deutschland zieht sich, verteilt über viele Bundesländer, von Ende Juni bis in den September. Zweieinhalb Monate nur Quatschnachrichten? Das wäre ja was.

Als Quatschnachricht begonnen hat der Shitstorm gegen die Inszenierung der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris am 26. Juli. Aber die Aufregung um das „Abendmahl in Drag“, vor allem in extrem rechten (katholischen) Kreisen, zeigt nicht nur ganz gut, welches Instrumentarium diese Akteur:innen ganz- und unterjährig bedienen, sondern auch die Empörungsreflexe der sog. Mitte. Diese thymotische Energie sollte man nicht allein der sommerlichen Hitze zuschreiben.

Was ist eigentlich los?

Das fragen sich wahrscheinlich nicht wenige Zeitgenoss:innen, die das Glück haben, ihren Alltag ohne Kontakt zu X, der Mikroblogging-Plattform unter der Ägide von Elon Musk, zu verbringen. Denn das Theater um die Olympia-Inszenierung nahm bei ihm und auf der extrem nach Rechts gekippten Plattform ihren Ausgang. Nachschauen kann man die entsprechenden Szenen der Eröffnungsfeier zum Beispiel auf dem YouTube-Kanal von Eurosport (etwa ab 2:30 h der Show). Es geht im Kern um ein paar Minuten, während denen sich eine memefizierte Anspielung auf das „Letzte Abendmahl“ Leonardo da Vinci in ein Festmahl inklusive eines blaubemalten nackten Dionysos wandelte.

Kommen wir zu den Einordnungen:

„Das war niemals ein letztes Abendmahl“, findet Saskia Trebing im Magazin für Kunst und Leben monopol. In ihrem Artikel erklärt sie die unterschiedlichen Bezüge. Jede Olympia-Eröffnungsfeier, an die ich mich erinnern kann, spielt auf kulturelle Artefakte zumeist aus dem Kanon der Gastgeber-Nation an. Dass bei der Pariser Feier wahnsinnig viele Referenzen auf die bildende Kunst dabei waren, ist vielleicht sehr französisch, aber vor allem richtig schön.

Viel näher liegt die Interpretation, die Anspielungen auf das Heilige aus dem Context des Voguings zu verstehen. Diese Tanz-Praxis, die in der queeren Subkultur New Yorks entstand und von Künstlerinnen wie Madonna für den Mainstream appropriiert wurde, leiht sich seit Jahrzehnten Elemente des Religiösen, spielt mit der Ikonografie von Ekstase und Erlösung und inszeniert Ball-Events wie Gottesdienste. Insofern sind die Anleihen aus der christlichen Bildkultur bei Olympia sicher kein Zufall, sie beziehen sich aber nicht auf die Religion an sich, sondern auf eine Weiterentwicklung der Symbolik, die längst passiert ist und Einzug in die Popkultur gehalten hat.

„Und das nennt ihr „Blasphemie“?“, fragt hingegen Andreas Mertin auf dem Blog zum Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik tà katoptrizómena (das in diesen Tagen seine 150. Ausgabe feiert). Mertin nimmt „das re-inszenierte Fresko von Leonardo da Vinci“ als solches ernst, zeigt Parallelen in Kunst und Popkultur.

Popkulturell, um auch das zu notieren, ist die visuelle Aneignung von Leonardos Personengruppe ein gar nicht so seltenes Phänomen. […] Das ist eine Hommage an den Künstler, keine Erinnerung ans biblische Abendmahl. Es spielt mit dem kulturellen Wissen der (jugendlichen) Fans: sie sollen schauen, wie das berühmte Fresko von Leonardo umgesetzt wurde. Wo ist Judas platziert und mit welcher Filmfigur wird er assoziiert, wer spielt Petrus und wer den Lieblingsjünger Johannes? Das hat seit Jahrzehnten Tradition und markiert eine kulturelle Kompetenz, über die offenbar jene nicht verfügen, die nun gegen die Pariser Inszenierung protestieren. Sie erweisen sich als kulturell ungebildet, weil sie nicht wissen, was in der Gegenwart Stil ist.

Leider hat – soweit ich das sehen kann – niemand den Aufwand unternommen, sich den Text des Liedes anzuschauen, das vom blaubemalten Bacchus / Dionysos (Philippe Katerine) tatsächlich gesungen wurde. Niemand? Unser unbeugsamer Podcast-Host Michael Greder erklärt es im aktuellen „Eule-Podcast RE:“ für den Juli 2024 (ab Min 41:40). Außerdem sprechen Michael und ich über die aktuellen Angriffe auf das Kirchenasyl und ziehen ein Fazit des Katholikentages in Erfurt.

„Was für ein harmloses queeres „Abendmahl“ bei Olympia“ erklärt Christoph Paul Hartmann, Redakteur von katholisch.de, in einem „Standpunkt“ ebenda. Er bringt noch einmal einen kurzen Abriss und verwundert sich über die (rechts-)katholische Aufregung. Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonerenz (DBK), kommt in seinem Gastkommentar bei der Kirche + Leben zu dem Schluss, „die DNA der katholischen Kirche“ habe „nicht nur einen massiven Defekt in Fragen von Sexualität und sexualisierter Gewalt“, sondern es gäbe auch eine „ganz spezifisch katholische Wahrnehmungsstörung“.

Es tut gut, auch solche Stimmen im hießigen Katholizismus zu wissen. Zur Erinnerung: Es waren der Vatikan, die französische römisch-katholische Bischofskonferenz und der katholische „Sportbischof“ Stefan Oster (Passau), die aus dem rechten Online-Shitstorm eine handfeste religionspolitische Angelegenheit gemacht hatten. Oster fand gar, die Feier habe gezeigt, „wie sehr im Grunde unser christliches Menschenbild auf dem Spiel steht“. Seine Einlassungen der vergangenen Tage lassen sich als virtue signalling gegenüber seinen Freunden in den rechten Bubbles lesen.

Hühott-Reiterei hilft nichts – Philipp Greifenstein (zeitzeichen)

Doch waren es leider nicht allein geübte Kulturkämpfer:innen wie Oster, Johannes Hartl und Elon Musk, die auf den Umzugswagen der Erregung aufsprangen. Auch eine Reihe von – sicher wohlmeinenden – liberalen Kommentator:innen beteiligten sich an der „Blasphemie“-Debatte. Für manche Katholik:innen hat der Tag scheint’s nur dann Struktur, wenn man jemanden der Gotteslästerung bezichtigen kann. Das gilt auch für jene Anti-Rechts-Kämpfer:innen, die den originalen Kulturkämpfern mit eigenen moralischen Botschaften beikommen wollen, wie exemplarisch der Publizist Erik Flügge auf Instagram. Good luck with that! Aber Likes gibt’s natürlich dafür.

Mit im Boot der „Allkommentierer“ saß auch der Sportbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thorsten Latzel. Diese Beauftragung erfüllt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) im Ehrenamt nebenbei. In diesen Tagen war er selbst in Paris zu Gast, hielt einen Gottesdienst und schaute sich um. Da blieb offenbar zu wenig Zeit (hoffentlich) oder nicht genügend Grips über, sich wohlüberlegt mit dem rechten Shitstorm auseinanderzusetzen. Seine Stellungnahme habe ich in meiner aktuellen zeitzeichen-Kolumne jedenfalls genauer angeschaut.

Es handele sich bei der Inszenierung, so Latzel weiter, zwar nicht um Blasphemie, Gott könne man sowieso nicht lästern, und natürlich sei das alles von der Kunstfreiheit gedeckt, aber den „Aspekt der Kombination mit dem nackten Bacchus“ halte er doch „für problematisch – und für schlechte Kunst“. […]

Hätt‘ der Präses doch besser geschwiegen! Nicht nur wiederholt Latzel in seinem kurzen Statement alle rechten Talking Points, die dadurch natürlich wieder aktualisiert werden, er setzt ihnen auch eine Hühott-Reiterei entgegen, die Carsten Sostmeier, dem genialen Fernsehkommentator der olympischen Reitdisziplinen, Wuttränen in die Augen treiben würde. […] Den völlig überdrehten Gedanken einer „religiös ideologisierten Überhöhung von Sexualität“ borgt Latzel sich sogar affirmativ aus dem rechten Playbook.

Im „Eule-Podcast RE:“ fragt Michael Greder mich eindringlich danach, wie es sein kann, dass die Medien so einen Skandal mit hohem Blutdruck weitererzählen und dadurch erst richtig produzieren. Ich habe darauf hier wie dort eine längere Erklärung. Ganz kurz: Wir lernen es einfach nicht, uns die Agenda nicht von Kulturkämpfer:innen vorgeben zu lassen.

Ja, man muss sich mit solchen Ideen und Kampagnen kritisch auseinandersetzen, aber in einer Weise, die den gestreuten Hass nicht verstärkt. Wenn wir jeden Ausfluss der weirden Geisteshaltung von extrem rechten (katholischen) Akteur:innen durch eigenen Furor multiplizieren, schaffen wir eine Atmosphäre, in der die wirklich wichtigen Botschaften untergehen. Meine Forderung an Latzel gilt darum für uns alle: Bleiben wir on message, wenn es um die Verteidigung von Freiheitsrechten geht!

nachgefasst I

Zehn Jahre Völkermord an Jesiden: „Wir fühlen, dass etwas fehlt!“ – Viktoria Kleiber (tagesschau.de)

Mindestens 5.000 Jesid:innen wurden vor zehn Jahren von IS-Terroristen getötet, Tausende Kinder und Frauen verschleppt und versklavt. In spektakulären Rettungsaktionen fanden wenigstens einige Jesid:innen eine sichere Fluchtmöglichkeit, auch in Deutschland. An den bemerkenswerten Jahrestag erinnert in diesen Tagen auch die Religionssendung des Deutschlandfunks „Tag für Tag“ mit mehreren Beiträgen zur Historie und zur Gegenwart der jesidischen Community.

Folter, Versklavung und Mord, nicht vor hunderten Jahren, sondern heute. Noch immer hoffen die Familien darauf, dass vom IS entführte Verwandte doch noch wieder auftauchen.

Al Shawany ist froh, dass er zurückgekehrt ist. Im Camp lebten seine Frau, seine fünf Kinder und er in einem Zelt auf nur neun Quadratmetern, erzählt er. Die Hitze im Sommer, die Kälte im Winter und keine Möglichkeit rauszukommen – das sei auf Dauer unerträglich gewesen. Doch es sei nicht einfach für ihn, in seine alte Heimatstadt zurückzukehren: in eine Gegend, in der Menschen leben, die ihn und andere Jesidinnen und Jesiden einst an den IS verraten haben. „Die meisten haben uns nicht gesagt, dass der IS in der Nähe ist. Und wir waren ihre Freunde, ihre Nachbarn, wir haben einander besucht.“

Das Misstrauen der Jesiden gegenüber Andersgläubigen sitzt tief. Al Shawany kann nicht verzeihen, was passiert ist. „Das Schlimmste ist nach wie vor, dass so viele Menschen nicht mehr da sind.“ Seine Freunde, Cousinen und Cousins sind von den IS-Terroristen getötet worden.

nachgefasst II

Der Sommer 2024 ist ein religionspolitisch heißes Pflaster. Während wir uns in der Sommerfrische entspannen, werden anderswo Nägel mit Köpfen gemacht. So hat das Bundeskabinett beschlossen, im kommenden Jahr ca. eine Milliarde Euro weniger für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, wogegen u.a. Brot für die Welt und die Welthungerhilfe protestieren, wie Stephan Kosch in den zeitzeichen berichtet.

„Die Wirkung von Entwicklungszusammenarbeit beschränkt sich nicht nur auf den Bau von Schulen, Straßen oder Brunnen, sondern entfaltet auch Kraft und Zuversicht für langfristige gesellschaftliche Veränderungen“, erklärte Thieme. Auch deshalb seien die jetzt im Kabinett beschlossenen Kürzungen im BMZ-Haushalt das falsche Signal, weil sie „die wichtigen Investitionen in junge Menschen“ gefährdeten. Beide Hilfsorganisationen hoffen nun darauf, dass der Bundestag den jetzt vorliegenden Finanzplan nicht unverändert beschließen wird. Das Parlament wird nach der Sommerpause den Haushalt 2025 beraten.

Nancy Faeser verbietet Islamisches Zentrum Hamburg – Florian Flade (DLF, 5 Min)

Das Bundesministerium des Innern hat ein Vereinsverbot gegen das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) ausgesprochen. Das IZH wird seit vielen Jahren verdächtig, eine Außenstelle des iranischen Mullah-Regimes zu sein. Im Raum steht unter anderem der Verdacht der Terrorunterstützung. Die vom IZH betriebene Blaue Moschee wurde beschlagnahmt. Die Hintergründe erklärt Florian Flade im Gespräch in der Sendung „Tag für Tag“. Im Gespräch von Lisa Meyer mit der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur geht es um den Einfluss des IZH auf andere Moschee-Gemeinden in Deutschland.

Die religionspolitische Komponente geht bei alldem ein wenig unter. Religionsgemeinschaften ließen sich in Deutschland jedenfalls nicht „einfach so“ verbieten, ebenso wie auch Medien nicht. Beide stehen unter besonderem grundgesetzlich verbürgten Schutz. Und auf beiden Feldern agiert die Bundesregierung zunehmend mit Verboten nach dem Vereinsrecht. Das ist zumindest bemerkenswert. (Zur Medienkomponente des Sachverhalts gerne bei Andrej Reisin bei Übermedien nachlesen.)

„Die wollen uns torpedieren“ – Interview mit Andreas Nachama von Evelyn Finger (DIE ZEIT)

Im Interview mit dem liberalen Berliner Rabbiner Andreas Nachama geht es vordergründig um den Fall Walter Homolka (s. #LaTdH vom 5. März 2023 & 26. Juni 2022), aber spannend finde ich vor allem, was Nachama über den Umgang des Zentralrats der Juden mit den Institutionen des liberalen Judentums in Deutschland zu sagen hat. Er befürchtet eine „feindliche Übernahme“.

ZEIT: Stimmt es, dass die liberale Rabbinerausbildung jetzt dem Zentralrat unterstellt werden soll?

Nachama: Leider ja. Der Zentralrat hat eine Stiftung gegründet, um die gesamte Rabbinerausbildung zu dominieren. Wenn ihm das gelingt, befinden am Ende Orthodoxe über liberale Glaubensinhalte. […]

ZEIT: Stimmt es, dass öffentliche Gelder für Institutionen des liberalen Judentums an den Zentralrat gehen, der sie derzeit nicht vollständig weitergibt?

Nachama: Ja, das stimmt.

ZEIT: Warum blockiert er die Gelder?

Nachama: Das müssen Sie den Zentralrat fragen. Ich weiß nicht, warum er das Maß aller Dinge sein will. Er versucht, seinen Alleinvertretungsanspruch durchzusetzen – und die Ministerien machen mit. Im letzten Dreivierteljahr sind alle meine Versuche, mit dem Innenministerium über unsere Lage zu sprechen, daran gescheitert, dass man mir sagte: Wir haben uns für den Zentralrat entschieden! […] Dass ein Ministerium mit einer institutionell geförderten Einrichtung nicht mehr redet, das ist mir in meinem ganzen Berufsleben noch nie passiert. […]

Zur Ergänzung der Deutung von Andreas Nachama sei an dieser Stelle abermals ein Beitrag aus der DLF-Sendung „Tag für Tag“ empfohlen: Sebastian Engelbrecht fragt nach, ob Walter Homolka tatsächlich als rehabilitiert gelten kann. Homolka und Daniel Botmann, der Geschäftsführer des Zentralrats, kommen zu Wort.

Wie die katholische Kirche mit Grundstücken Geschäfte macht (Tagesspiegel)

Ein sehr großes Rechercheteam des Berliner Tagesspiegel hat sich in Zusammenarbeit mit internationalen Kolleg:innen angeschaut, wie die katholische Kirche in Immobilien investiert. Entstanden ist ein ausführlicher Text inkl. zahlreicher Grafiken. Der Text richtet sich erkennbar an eine eher kirchenabständige Leser:innenschaft, wie man an den zahlreichen Erinnerungen an die Kirchensteuer- und Mitgliedschaftsdynamiken – zuletzt hier in der Eule von mir beschrieben – erkennen kann. Die Substanz des Artikels schmälert das in meinen Augen nicht:

In Tschechien vermietet [die katholische Kirche] im großen Stil teure Wohnungen, in Italien baut der Vatikan dank eines fragwürdigen Deals das größte Kinderkrankenhaus in Rom, in Schweden und Belgien floriert der Handel mit Kirchengebäuden, in Deutschland betreibt ein Unternehmen im Besitz deutscher Erzbistümer Luxus-Seniorenwohnheime. Nicht immer handelt die Kirche dabei „christlich“ – oder gar gemeinwohlorientiert. […]

Fragen nach der finanziellen Zukunftsfähigkeit der eigenen Institution müssen sich die Kirchen überall in Europa stellen. Der Verkauf von Immobilien ist eine naheliegende Lösung, handlungsfähig zu bleiben – und lässt hier und dort vergessen, dass Geiz und Gier zwar im Christentum tabu, in der europaweiten Immobilienwirtschaft jedoch entscheidender Ansporn sind.

Theologie

Den einen großen theologischen Essay dieses Sommers habe ich noch nicht gelesen. Vielleicht ist er mir bei meinen Streifzügen über Strand und durch Museumsdörfer auch entgangen? Hinweise nehmen wir gerne entgegen! Solange empfehle ich hier gerne noch einmal die „Eule-Podcast“-Episode mit Katharina von Kellenbach (s.o.) und den mit ihrem Vorschlag zum „Kompostieren von Schuld“ im Kontext der evangelischen Missbrauchskrise korrespondierenden Essay von Tobias Graßmann „Rechtfertigung nach der „ForuM-Studie“: Gnade und Wahrheit“ hier in der Eule.

Ein guter Satz

In einem Paralleluniversum klopfen ratlose Melonen im Supermarkt auf Menschen herum, machen ein sachkundiges Gesicht und legen sie zurück.

— Heinrich IX (@drhuch.bsky.social) Jul 25, 2024 at 08:14