Raus aus der Sackgasse? – Die #LaTdH vom 20. Oktober
Kommt doch noch mal Bewegung in die Debatte um die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs? Außerdem: Kirchenlieder, queere Pastor:innen und Kritik am Staat Israel.
Herzlich Willkommen!
Ich laufe seit drei Tagen mit einem massiven Ohrwurm durch die Gegend. „Bis hierher hat mich Gott gebracht“ der Liederdichterin Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt begleitet mich, seitdem ich an der aktuellen Episode des Eule-Podcast mit Andrea Hofmann und Michael Greder gearbeitet habe. Hören Sie rein!
„Bis hierher hat mich Gott gebracht“ kenne ich auch als Pointe eines Witzes über einen Gefängnisseelsorger, der das Lied im Gottesdienst hinter Gittern singen lässt: Bis hierher hat mich Gott gebracht, bis hierher … und nicht weiter. Manchmal fragt man sich ja, wie man in diesen Schlamassel geraten ist – und wie man wieder aus ihm herausfindet. Das gilt für die kleineren privaten Unsäglichkeiten wie für die großen Debatten um Krieg und Frieden und wichtige ethische und politische Fragen.
Die zweite Strophe von „Bis hierher hat mich Gott gebracht“ enthält eine schöne Anspielung auf Marias Antwort an Elisabeth aus dem 1. Kapitel des Lukasevangeliums: „Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.“ (Lukas 1, 49) Ganz typisch für die weibliche Theologie, die von den Liederdichterinnen der Frühen Neuzeit geübt wurde, wie Andrea Hofmann im Eule-Podcast erklärt. In diesen Erntedank-Zeiten aber natürlich auch ein Hinweis darauf, dankbar für das zu sein, was uns trotz aller Probleme geschenkt ist – und aus einer Haltung der Dankbarkeit für das Leben unsere Gesellschaft und Kirchen zu gestalten.
„Hab Lob und Ehr, hab Preis und Dank
für die bisher’ge Treue,
die du, o Gott, mir lebenslang
bewiesen täglich neue.
In mein Gedächtnis schreib ich an:
Der Herr hat Großes mir getan,
bis hierher mir geholfen.“
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Kommt doch noch einmal Bewegung in die Debatte um eine Reform des Schwangerschaftsabbruchs? Wir erinnern uns: Die von der Bundesregierung gemäß des Koalitionsvertrages zwischen SPD, Grünen und FDP eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin (Kom-rSF) hatte im April 2024 – wir berichteten – ihren Abschlussbericht übergeben (Abschlussbericht als PDF (626 Seiten), Zusammenfassung als PDF (41 Seiten)). Im Koalitionsvertrag verabredet war, dass die Kommission „die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen wird“. Genau das hat sie getan. tagesschau.de berichtete im April über die Empfehlungen der Kommission:
„In der Frühphase der Schwangerschaft (…) sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben“, heißt es in der Zusammenfassung eines Berichts der interdisziplinär besetzten Kommission. Zudem sei sicherzustellen, dass Frauen den Abbruch zeitnah und barrierefrei in gut erreichbaren Einrichtungen vornehmen lassen können.
Bisher ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland prinzipiell verboten, allerdings bis zur 12. Schwangerschaftswoche und bei vorausgegangener Beratung straffrei gestellt. Die zuständigen BundesministerInnen versprachen im April eine ausführliche Prüfung der Empfehlungen der Fachkommission, zu deren Arbeit – wir berichteten – auch die Kirchen Stellungnahmen beigesteuert hatten, obwohl sie – ein Novum – nicht direkt personell in die Arbeit eingebunden worden waren. Seither ist allerdings wenig passiert: Eine konkrete Gesetzesinitiative gibt es im Deutschen Bundestags derzeit nicht. Die zuständigen Ministerien und auch die Abgeordneten sind bisher nicht aktiv geworden.
26 Verbände legen Vorschlag für Neuregelung von Abtreibungen vor (epd)
Stattdessen hat nun ein Bündnis aus 26 Verbänden einen Gesetzesvorschlag dreier Juristinnen vorgelegt, der den Schwangerschaftsabbruch bis zur 22. Schwangerschaftswoche legalisieren will, und zwar ohne Beratungspflicht. Die Regelungen zur Abtreibung sollen aus dem Strafgesetzbuch verschwinden und nur noch im (reformierten) Schwangerschaftskonfliktgesetz formuliert werden.
Unter den Autorinnen ist auch Professorin Liane Wörner von der Universität Konstanz, die in der Kom-rSF als Koordinatorin der Arbeitsgruppe für reproduktive Selbstbestimmung mitgearbeitet hatte. Der Gesetzentwurf (PDF) basiert auf den Empfehlungen der Kommission. Zu den Organisationen, die hinter dem Vorschlag stehen, zählen u.a. pro familia, der Deutsche Juristinnenbund, ver.di, der Deutsche Frauenrat und die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD). Eine vollständige Liste und weitere Ausführungen zur Initiative finden sich beim Deutschen Juristinnenbund.
Evangelische Debatte
Der evangelische Frauenverband hatte bereits im Oktober 2023 einen entsprechenden Beschluss gefasst. Rund um die Stellungnahmen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie Deutschland gegenüber der Regierungskommission war es im vergangenen Jahr zu einem teilweise heftigen Streit innerhalb der evangelischen Kirchen gekommen, der schlussendlich auch auf der Tagung der EKD-Synode in Ulm im November 2023 geführt wurde (wir berichteten). Man setzte eine neue Arbeitsgruppe ein. Zuvor waren unterschiedliche evangelische Positionen zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs formuliert worden:
In der Eule verglich Carlotta Israel in ihrer „Sektion F“-Kolumne die Positionen von EKD und EFiD. A. Katarina Weilert, Mitarbeiterin bei der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), analysierte hier in der Eule die argumentativen Schwachstellen der EKD-Stellungnahme und trat für einen vorsichtigen Kurs ein. „Offene Fragen“ sah auch Niklas Schleicher, Lehrbeauftragter für Ethik an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, in seiner kurzen Orientierung zum Thema anlässlich eines gemeinsamen Artikels von Reiner Anselm, Petra Bahr, Peter Dabrock und Stefan Schaede in den zeitzeichen zum Thema. Schließlich hatte ich in einem Artikel den evangelischen Streit an sich zu sortieren versucht und zu einer „ehrlichen Debatte“ aufgerufen.
Seit dem Herbst 2023 hat sich am Sachstand der evangelischen Debatte und auch kirchenpolitisch wenig geändert. Die EKD jedenfalls blieb anders als die römisch-katholische Bischofskonferenz nach der Vorstellung der Kommissionsergebnisse im April stumm. Den Debattenstand nachvollziehbar machten in den vergangenen Tagen abermals mehrere Autorinnen auf der Website des evangelischen Magazins zeitzeichen: Unter dem Artikel von Eske Wollrad, Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer, sind die weiteren Beiträge der Artikelserie verlinkt. Auf der Tagung der EKD-Synode in Würzburg in drei Wochen wird das Thema sicher auch thematisiert werden. Auf den außerparlamentarischen Gesetzvorschlag von dieser Woche hat die EKD noch nicht offiziell reagiert.
Katholische Debatte
Kritik an der Richtung des Vorstoßes kommt allerdings, laut epd, aus der römisch-katholischen Kirche:
Der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, erklärte, die deutschen Bischöfe träten weiterhin für den Erhalt des bestehenden Schutzkonzeptes ein. […] Ein abgestuftes Lebensschutzkonzept berge die Gefahr, die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens auch in anderen Lebenssituationen aufzuweichen. Auch der Caritasverband und der Sozialdienst katholischer Frauen wollen keine Änderungen an der gesetzlichen Regelung. Sie forderten vor allem die Beibehaltung der Beratungspflicht. […]
Anders als in den evangelischen Kirchen sind sich die katholischen Lai:innen-Verbände und Bischöfe weitgehend einig in ihrer Ablehnung einer Liberalisierung. Zwar sprechen sich 60 % der Katholik:innen laut einer Umfrage vom Frühjahr 2024 dafür aus, Abtreibungen innerhalb der ersten 12. Schwangerschaftswochen „ohne Einschränkungen zu erlauben“ (69 % der Protestant:innen), diese Überzeugung der katholisch gebundenen Bevölkerung spiegelt sich aber nicht in der römisch-katholischen Kirchenlandschaft wieder.
Die DBK weist in ihrer aktuellen Stellungnahme zum Gesetzvorschlag auch auf die sozial- und familienpolitischen Rahmenbedingungen von Schwangerschaften und die „Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens auch in anderen Lebenssituationen“ hin. Letztere sei durch eine womögliche Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs infrage gestellt.
Reproduktive Rechte (Aus Politik und Zeitgeschichte)
Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) vom 19. Oktober befasst sich ausführlich mit Positionierungen zur Frage der Reproduktionsrechte. Gedruckte Exemplare der Zeitschrift können bei der Bundeszentrale kostenfrei bestellt werden, außerdem stehen die Beiträge online und als PDF zur Verfügung. Wichtige Begriffe wie „reproduktive Selbstbestimmung“, werden in der Zeitschrift ebenso erklärt wie die historische Entwicklung „der modernen Reproduktionspolitik“.
In der Mitte der Ausgabe finden sich zwei bemerkenswerte und interessante Debattenbeiträge zur Entkriminialiserung des Schwangerschaftsabbruchs: Unter der Überschrift „Plädoyer für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts“ schreibt Liane Wörner (s.o.), warum „die staatliche Schutzpflicht zum Schutz des ungeborenen Lebens“ einer „Neuausrichtung“ bedarf. Und die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, legt ein „Plädoyer für eine Ethik der Bezogenheit“ vor, „die im politischen Raum bis heute zu wenig reflektiert“ werde.
Sie spricht sich für eine Beibehaltung des rechtlichen Status quo aus, problematisiert insbesondere die Frage nach der Schwangerschaftskonfliktberatung und den Nachsteuerungsbedarf bei medizinischen Implikationen (so auch Agathe Lukassek in einem aktuellen „Standpunkt“ bei katholisch.de). Stetter-Karp fordert „eine sachlich orientierte und breite Diskussion in der Gesellschaft“, die auch deshalb „zwingend erforderlich“, weil eine (knappe) Mehrheit der Bevölkerung der Überzeugung sei, „dass §218 StGB weiter gelten sollte – Schwangerschaftsabbrüche also nur bis zur 12. Woche und mit Pflichtberatung straffrei bleiben sollten“.
Bedenkenswerte Sachfragen
Eine sachlich orientierte Debatte muss sicherlich die Folgen einer Liberalisierung mitbedenken, die sich für werdende Mütter und Eltern ergeben, denen während der Schwangerschaft auf dem Wege der Pränataldiagnostik – z.B. durch Nicht-invasive Pränataltest – (mögliche) gesundheitliche Beeinträchtigungen ihres noch nicht geborenen Kindes bekannt werden. Vor der diskriminierenden Wirkung der Pränataldiagnostik warnen nicht allein die Kirchen, sondern auch die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern sowie Behindertenverbände, die ein verstärktes Monitoring der Pränataltests, die inzwischen Kassenleistung sind, und die Beteiligung behinderter Menschen einfordern.
Am „Entscheidungsdruck“ durch die Pränataldiagnostik macht die Präsidentin der Caritas Deutschland, Eva Maria Welskop-Deffaa, laut epd, ihr Votum für eine Beibehaltung der Beratungspflicht fest:
[…] die Beratungspflicht [sei] zudem unverzichtbar, um Paaren zur Seite zu stehen, die durch einen pränataldiagnostischen Befund von einer möglichen Behinderung ihres Kindes erfahren. „Die Art und Weise, wie Pränataldiagnostik immer früher und immer regelmäßiger zum Einsatz kommt, setzt Paare einem hohen Entscheidungsdruck aus. Hier manifestiert sich längst eine Diskriminierung gegenüber behinderten Menschen und ihren Familien“, kritisierte Welskop-Deffaa.
In der Schwangerschaftskonfliktberatung sind nicht zuletzt die Diakonischen Werke der evangelischen Kirchen und der katholische Verein Donum Vitae (zu dessen Gründer:innen auch Irme Stetter-Karp gehört) engagiert. In den Beratungsstellen werden auch jene Beratungsscheine ausgestellt, die zu einer straffreien Abtreibung innerhalb der ersten 12. Schwangerschaftswochen berechtigen. Die römisch-katholische Kirche mit ihrer Caritas ist vor 25 Jahren auf Weisung aus dem Vatikan hin aus der Schwangerschaftskonfliktberatung ausgestiegen. Die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD) fordern statt einer Pflicht zur Beratung ein Recht auf Beratung:
„Der Rechtsanspruch der schwangeren Person auf eine qualitative, ergebnisoffene, kostenfreie, barrierearme Schwangerschafts(konflikt)beratung muss gesichert sein; diese muss erhalten und ausgebaut werden.“
Die Stellungnahme des Rates der EKD vom vergangenen Jahr hatte sich demgegenüber für eine Pflichtberatung ausgesprochen. Expert:innen befürchten nicht zuletzt, dass ohne eine Pflicht zur Beratung und der damit verbundenen Refinanzierung durch den Staat das weit gespannte Netz von Beratungsangeboten nicht erhalten werden könne. Die Frage, wozu eigentlich beraten werden sollte, wird von A. Katharina Weilert in ihrem Artikel in der Eule ausführlich thematisiert.
Politische Frage(n)
Jenseits der wichtigen ethischen Fragestellungen und des Problems, wie man auf sie Rücksicht nehmend zu einer guten juristischen Lösung kommen kann, ist der Schwangerschaftsabbruch eine politische Frage. Die Zurückhaltung der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen deutet mindestens einmal darauf hin, dass man befürchtet, eine Liberalisierung könne (erneut) vom Bundesverfassungsgericht mit Hinweis auf das Lebensrecht des ungeborenen Lebens gestoppt werden. Lohnt sich da der Gesetzgebungsaufwand überhaupt? Zugleich hat die Ampel-Regierung bereits einige ihrer Reformvorhaben auf dem Gebiet der reproduktiven Selbstbestimmung umgesetzt. Genug für eine Legislatur?
Bei ZEITonline warnt Hanna Grabbe in einem Kommentar, jetzt gebe es die „letzte Chance für die Selbstbestimmung“, bevor bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr mit einem Wahlsieg der CDU zu rechnen sei. „Eine weitere Chance für Frauen, selbst über ihre Schwangerschaft entscheiden zu dürfen, wird es wohl nicht geben.“ Grabbe verweist auch auf die Kämpfe für Abtreibungslegalisierungen und -Liberalisierungen in anderen Ländern und fordert die Ampel-Regierung zum Handeln auf.
Trotzdem haben viele Politiker wohl Angst, einen Kulturkampf zu riskieren, wenn sie am Schwangerschaftsabbruchsrecht rütteln. Dabei ist der Kampf längst da. Zum Beispiel weil sogenannte Lebensschützer immer wieder Ärzte und Schwangere beschimpfen und bedrohen. Die veraltete Verboten-aber-straffrei-Regelung gibt ihnen dabei ethische Bestätigung.
Deshalb muss die Angelegenheit einmal grundsätzlich klargestellt werden: Frauen brauchen ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Ob dies nun wirklich bis zur 22. Woche gelten soll oder ob man – wie von den Verbänden vorgeschlagen – auch Beratungspflicht und Bedenkzeit abschaffen muss, darüber kann man streiten. Man muss es sogar. Und zwar jetzt!
Gegen die „Gehsteigbelästigung“ vor Abtreibungspraxen ist die Ampel-Regierung bereits mit einem Verbot vorgegangen, dem auch der Bundesrat vor wenigen Tagen zugestimmt hat. Wie groß ist überhaupt die Gefahr eines Kulturkampfs? Zwar hat die Union bereits angekündigt, gegen eine Liberalisierung vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, aber taugt das Thema wirklich für einen großen Rechts-Links-Schlagabtausch? In meiner Analyse der Lebensschutz-Bewegung im Anschluss an den diesjährigen „Marsch für das Leben“ hatte ich festgestellt:
Womöglich haben Politiker:innen der Ampel-Koalition und der Unionsparteien das Verhetzungspotential einer Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung und „Entkriminalisierung“ des Schwangerschaftsabbruchs massiv überschätzt. Aus Sorge davor, die AfD könne das Thema als weiteren „Triggerpunkt“ identifizieren, hatten die zuständigen BundesministerInnen explizit keine Gesetzesnovellen angekündigt.
Nicht nur hat die AfD mit der Flucht- und Migrationspolitik ihr dauerhaftes Siegerthema „jenseits komplizierter ethisch-moralischer Fragen wie dem Schwangerschaftsabbruch“ gefunden, das Thema taugt – insbesondere im Osten des Landes – auch nicht zur Mobilisierung einer einheitlichen konservativen, rechtsradikalen oder gar christlichen Front.
Trotzdem halte ich es, wie bereits im „Eule-Podcast RE: April 2024“ erklärt, für unwahrscheinlich, dass Bundesregierung und/oder Bundestag in dieser Legislatur noch tätig werden. Auch Hanna Grabbe befürchtet, der jetzt außerparlamentarisch vorgelegte Gesetzvorschlag würde „ignoriert“ wie man auch von den Empfehlungen der Kommission überhaupt „überrumpelt“ gewesen sei. Am grundsätzlichen Willen (insbesondere der Frauen in) bei SPD und Grünen zur Entkriminalisierung besteht kein Zweifel, aber es mangelt nun vermutlich an Zeit und Geschick.
Zwar gibt es auch Beispiele für gesellschaftliche Liberalisierungen auf den letzten Drücker (s. Einführung der #EheFürAlle im Jahr 2017), aber die Liste der komplexen Reformvorhaben zu ethischen Fragen, die sich Ampel und Bundestag bereits uneingelöst vorgenommen haben, ist lang: assistierter Suizid, Suizidprävention und nun auch der Schwangerschaftsabbruch. Es hängt wohl weniger am Willen, denn am Können. Eine Legislatur ist den (nicht selten politisch unerfahrenen) Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP offenbar nicht lang genug für die große gesellschaftliche Modernisierung, zu der ein effektiver Schutz der Rechte von Frauen gerade angesichts eines rechten Backlashs in Europa sicher gehört und die sich die Ampel dereinst vorgenommen hatte.
nachgefasst I: Bischofssynode zur Synodalität
In Rom tagt weiterhin die Bischofsssynode zur Synodalität. Am Ende der kommenden Woche werden wir alle (etwas) schlauer sein, was dabei herauskommt. Dann werden die SynodenteilnehmerInnen ihr Abschlussdokument beraten und abgestimmt haben. Dem kommt allerdings keine kirchenrechtliche Geltung zu.
Christoph Brüwer von katholisch.de fasst die neuesten Entwicklungen zusammen, zu denen auch gehört, dass die „Frauenfrage“ nach dem Diakonat (auch) für Frauen weiterhin irgendwie auf der Tagesordnung steht (s. #LaTdH von vergangener Woche), auch wenn die entsprechende vatikanische Arbeitsgruppe den Synodalen möglichst effektiv ausweichen will. Nun will sich der Präfekt des Glaubensdikasteriums, Kardinal Victor Fernandez, noch einmal mit den SynodenteilnehmerInnen treffen, berichtet die KNA.
Wahrscheinlicher aber als eine Klärung zur „Frauenfrage“ erscheint Brüwer, dass die Bischofssynode sich für neue synodale Gremien in den Ortskirchen und eine stärkere Rolle der nationalen Bischofskonferenzen ausspricht. Zu deutsch: Sich den Ergebnissen des Synodalen Weges in Deutschland annähert.
nachgefasst II: Krieg in Nahost
Immer sind die anderen schuld – Hanna Voß (taz)
Als Ergänzung der „Debatte“ in den #LaTdH von vergangener Woche empfehle ich diesen Essay von Hanna Voß, Mitarbeiterin im Auslandsbüro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut, über die aktuellen Kriege im Nahen Osten. Sie kritisiert, in Deutschland verschließe man den Blick „auf die brutale israelische Kriegsführung“.
Natürlich war der Beistand gegenüber Israel nach den Hamas-Massakern am 7. Oktober richtig. Was dann aber folgte, war eine Vergeltung, die jede Verhältnismäßigkeit vermissen ließ […] In Deutschland dagegen haben weder die Zahlen aus Gaza noch die Eskalation im Libanon zu einem echten Umdenken geführt, zu einem veränderten Agieren gegenüber der israelischen Führung. Einer veränderten Sicht auf die Dinge. Alles wird weiter subsumiert unter Israels Recht auf Selbstverteidigung. […]
Das real existierende Israel wollen große Teile der politisch-medialen Elite in Deutschland weiterhin nicht wahrnehmen. Vielmehr ergeht man sich in der Wohlfühlprojektion der bunten Demokratie. Dabei wird das Land längst von einer breit verankerten, rassistischen Siedlerbewegung geprägt. Früher noch als „Irre“ abgetan, sitzen sie heute an den Schalthebeln der Macht.
Buntes
Eule-Podcast (33): Frauen und ihre Gesangbücher – Andrea Hofmann im Gespräch bei Michael Greder (Die Eule, 40 Minuten)
In der aktuellen Episode des „Eule-Podcast“ geht es um das 500. Jubiläum des Evangelischen Gesangbuchs und die spannende Geschichte von Liederdichterinnen wie Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt und Henriette Catharina von Gersdorff. Andrea Hofmann, Professorin für Kirchengeschichte an der Universität Basel, führt in Werk und Leben der Dichterinnen und Theologinnen ein.
Bis heute sind es häufig die Frauen, die in den Familien für die Spiritualität und den Glauben zuständig sind. Damals waren Fürstinnen und Dichterinnen an Kirchenreformen beteiligt und als höchst aktive Publizistinnen tätig. Zum 500. Jubiläum des Evangelischen Gesangbuches tritt auch die Geschichte jener Frauen in den Fokus, die in der Kirchengeschichte bisher häufig vergessen wurden.
Der Wochenliederpodcast – Martina Hergt und Kathrin Mette (Arbeitsstelle Kirchenmusik, EVLKS)
Bereits seit 2021 gibt es den „Wochenliederpodcast“ der Arbeitsstelle Kirchenmusik der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (EVLKS). Moderiert wird er von Kantorin Martina Hergt, Fachbeauftragte für Chor- und Singarbeit im Landeskirchenamt und Dozentin für Kinderchorarbeit in Dresden und Leipzig, und Pfarrerin Kathrin Mette von Ehrenamtsakademie der sächsischen Landeskirche, die im Sommer 2023 auch im „EHRENSACHE“-Podcast der Eule zur Zukunft des Ehrenamts in der Kirche zu Gast war.
Den Podcast gibt es in einem eigenen Stream und auf einigen Podcast-Plattformen (z.B. Spotify). Im Fokus stehen die jeweiligen Wochenlieder des evangelischen Kirchenjahres, die als Aufhänger dafür dienen, „Hintergründe zu den Lieddichter:innen, zur Liedentstehung, zu den Bezügen im Kirchenjahr und den Lesungstexten sowie Praxistipps zum Singen der Lieder in Gottesdienst oder Andacht“ zu vermitteln.
Social-Media-Trends-Update 2024 (Die Eule)
In den vergangenen Tagen sind insgesamt drei (längere) Artikel von mir zum Status quo auf den Social-Media-Plattformen und Lage der digitalen Kirche erschienen. Zu finden hier, hier und hier in der Eule. Gemeinsam bilden sie das Social-Media-Trends-Update für dieses Jahr (im Vergleich zu 2023). In meinem letzten Beitrag habe ich mit den „analogen Negativfolien der digitalen Kirche“ befasst. Den Text gibt es hier im Magazin und als Teil des „Digital Tutorial“-Newsletters, den wir soeben reaktiviert haben. Im „Digital Tutorial“ werde ich einmal im Monat ein Schlaglicht auf ein aktuelles #digitaleKirche-Thema werfen. Der Newsletter soll auch zur Vernetzung auf dem Themenfeld Digitalisierung in Kirche und Theologie beitragen. Zum Newsletter kann man sich hier anmelden.
Theologie
Queer im Pfarrhaus: Authentisch Pfarrer:in sein – Florence Häneke (Die Eule)
Queere Pfarrer:innen in der evangelischen Landeskirche? Das ist meist keine besondere Meldung mehr wert. Doch lgbtiq* Pfarrpersonen müssen sich häufig verbiegen, um in der heteronormativen Kirche akzeptiert zu werden, hat Florence Häneke in ihrer Doktorarbeit herausgefunden. Die Promotionsarbeit wurde vom Rat der EKD mit dem Hanna-Jursch-Preis ausgezeichent. In der Eule gibt Florence Häneke einen Einblick in den Forschungsertrag:
Einige Pfarrpersonen berichteten mir, dass gerade ihr „Abseits von der Norm“-Stehen in ihrer Wahrnehmung dazu führte, dass ihnen Personen vertrauen konnten, die der Institution Kirche eher skeptisch gegenüberstehen. Sie haben Kontakt zu ihnen aufgenommen, nicht weil das Amt ihnen suggerierte, sie könnten vertrauen, sondern weil das Queersein der Pfarrperson ihnen suggerierte, sie könnten vertrauen. Kirchgemeinden sind nicht homogen und die Erschütterung des Erwartbaren kann Möglichkeitsräume bieten für all diejenigen, deren Vertrauen unter der fehlenden Unterstützung oder sogar Queerfeindlichkeit der Kirche gelitten hat.
Ein guter Satz
„Ebenbildlichkeit (be-)trifft jeden Menschen!“
– Carlotta Israel in der aktuellen „Sektion F“-Kolumne über die Verbindung von Anti-Gender-Diskurs und Migrationsdebatten