Die Kirchen und die AfD: Jede:r Christ:in ein:e Antifaschist:in?
Die Kirchen warnen deutlich vor AfD und Rechtsradikalismus und positionieren sich in den Wahlkämpfen des Jahres 2024. Damit gehen sie auch in den Konflikt mit den eigenen Leuten. Eine Analyse.
Nie zuvor haben sich die beiden großen Kirchen in Deutschland so deutlich gegen den Rechtsextremismus und die AfD als seine parlamentarische Vertretung gewandt wie in diesen Tagen: Die römisch-katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat in der vergangenen Woche einstimmig eine Erklärung verabschiedet, die Katholik:innen vor der Wahl der AfD warnt: „Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.“
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte sich bereits im Herbst deutlich positioniert (wir berichteten), die amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs (Sprengel Hamburg und Lübeck, Nordkirche), konnte sich daher heute die Position der katholischen Amtsbrüder zu eigen machen: „Leisten wir alle Widerstand, wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten! Engagieren wir uns für die freiheitliche Demokratie!“
Vorausgegangen waren den letzten kirchlichen Stellungnahmen die Demonstrationen gegen die rechtsextremen „Remigrationspläne“, die seit Januar 2024 ca. 4 Millionen Menschen auf die Straßen des Landes geführt haben – und weiterhin in vielen Städten des Landes stattfinden. An den Demos beteiligen sich viele Christ:innen, Kirchgemeinden und Leitende Geistliche von Landeskirchen und Bistümern. Auch die Diakonie Deutschland und der Deutsche Caritasverband sind Mitglied im Bündnis #WirSindDieBrandmauer.
Hier steht die Brandmauer
Die Deutsche Bischofskonferenz folgt mit ihrem ausführlichen, auch theologisch argumentierenden Votum den ostdeutschen katholischen Bischöfen, die bereits im Januar vor einer Wahl von rechtsextremen Parteien, inklusive der AfD, abgeraten hatten (wir berichteten). „Die Positionen extremer Parteien wie die des III. Weges, der Partei Heimat oder der AfD können wir nicht akzeptieren. Sie sind mit christlichen Werten und mit der Verfassung unserer Kirche nicht vereinbar“, erklärte im Anschluss daran auch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Im Bundesland Thüringen, das zum Gebiet der EKM gehört, finden in diesem Jahr Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen statt. Bei allen Wahlen droht die AfD um Björn Höcke als stärkste Partei abzuschneiden.
Ähnlich bedrückend wie in Thüringen sieht die Lage in Sachsen aus. Die katholischen Bischöfe Heinrich Timmerevers (Bistum Dresden-Meißen) und auch der als sehr konservativ bekannte Wolfgang Ipolt (Bistum Görlitz) tragen die Warnungen in der Erklärung der DBK ausdrücklich mit:
„Wir appellieren an unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, auch an jene, die unseren Glauben nicht teilen, die politischen Angebote von Rechtsaußen abzulehnen und zurückzuweisen. Wer in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft leben will, kann in diesem Gedankengut keine Heimat finden.“
Auch der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (EVLKS), Tobias Bilz, hat seine Kritik am Rechtsradikalismus (s. Eule-Interview vom Sommer 2023) in den vergangenen Wochen erneut verschärft: „Ich mache mir Sorgen darüber, dass eine Partei, die man als rechtsextrem bezeichnen muss, in Sachsen politisch in die Verantwortung kommen könnte.“ Bilz kündigte an, seine Kirche werde sich im Landtagswahlkampf des Freistaats mit Statements und Aktionen zu Wort melden, „wahrscheinlich mehr und deutlicher als bei bisherigen Wahlen“.
Die Kirchen stehen gegen Rechtsradikalismus und die AfD ein und wollen die Menschenwürde als „Glutkern des christlichen Menschenbildes und Anker unserer Verfassungsordnung“ verteidigen. Offenbar haben die Kirchenleitungen verstanden, dass die Zeit überreif ist, sich dem Rechtsruck in unserer Gesellschaft wortmächtig und engagiert entgegenzustellen. Damit bekräftigen und unterstützen sie das Engagement zahlreicher Christ:innen und Kirchengemeinden in der Fläche, die sich Neonazis, rechtspopulistischem Schwurbel und der AfD entgegenstellen.
Aufgeweckt wurden die Kirchen gleichwohl weniger durch die aktuelle Empörungswelle über die „Remigrations“-Pläne im Umfeld der AfD: Viele Kirchgemeinden und Diakonie / Caritas sind seit jeher in der Flüchtlingshilfe tätig, engagieren sich im Bündnis „Sichere Häfen“ oder für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Der anschwellende Hass auf Migranten, People of Color und Geflüchtete ist ihnen seit Jahr und Tag präsent. Auch für Betroffene rechtsextremer Gewalt erheben die Kirchen in Wort und Tat regelmäßig ihr Wort. Die EKM zum Beispiel unterstützt mit den Beratungsstellen ezra, mobit und elly gleich drei Angebote finanziell, die Opfern rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt helfen.
Die zunehmende verbale Gewalt gegenüber behinderten Menschen aus den Reihen der AfD trägt ebenso zur Mobilisierung von Christ:innen bei. Nicht nur Diakonie und Caritas sind über die ableistische Hetze entsetzt, die an die Euthanasie-Rhetorik der Nationalsozialisten erinnert. Viele Christ:innen fühlen sich dadurch an die dunkelsten Kapitel der eigenen Geschichte erinnert. Es ist nicht allein die Sorge um Minderheiten wie Geflüchtete, Menschen mit Behinderung, LGBTQI* und Migrationshintergrund, die das Engagement der Kirchen antreibt, sondern auch der Wille, angesichts eigener historischer Verstrickungen in Gewaltzusammenhänge, bis hin zur aktiven Unterstützung des Nationalsozialismus, in dieser Zeit verantwortlich zu handeln.
Jede:r Christ:in ein:e Antifaschist:in?
Gleichwohl halsen sich die Kirchen mit ihren klaren Urteilen über die AfD auch Ärger auf: Denn längst nicht alle Kirchenmitglieder goutieren Wahlempfehlungen und das klare Auftreten gegen den Rechtsradikalismus. Ein gutes Drittel der Kirchenmitglieder ist der Überzeugung, die Kirchen sollten sich „auf die Beschäftigung mit religiösen Fragen beschränken“. Zudem gibt es auch in den eigenen Reihen Menschen, die sich in der AfD oder ihren Vorfeldorganisationen engagieren. Hinzu kommen all jene, die sich von der Politik der AfD, aber auch von der WerteUnion und vergleichbaren Vereinen inhaltlich angesprochen fühlen und entsprechenden Medien verfallen sind.
Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs macht daher deutlich, dass „wir als Kirchen und als Gesellschaft in der Verantwortung bleiben, in den Dialog mit Menschen zu gehen, die mit den genannten Parteien sympathisieren. Wir müssen uns deutlich mehr dafür interessieren, was die Gründe dafür sind“. Auch die Erklärung der DBK differenziert zwischen Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus und ist erkennbar bemüht darum, Menschen die Hand zu reichen, die sich von der AfD und rechtspopulistischen Parolen haben verführen lassen.
Die anhaltende Diskussion um die Unvereinbarkeit eines Parteiengagements in der AfD und einer Funktion in der katholischen Kirche und Verbandsarbeit zeigt nicht zuletzt an, wie notwendig es für die Kirchen ist, auch nach innen zu wirken. Für die katholische Kirche bedeutet das zum Beispiel die Auseinandersetzung mit der „gezielten Unterwanderung durch Rechtsradikale“ in der Lebensschutzbewegung, auf die das jüngste Statement des konservativen Bischofs von Passau, Stefan Oster, hoffen lässt, sowie eine Klärung der eigenen Theologie, wo sie die Ungleichwertigkeit von Menschen legitimiert.
Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Mitteldeutschland, Christoph Stolte, wies im Januar hingegen auf die Problemlage der Wohlfahrtsverbände vor den Wahlen im Osten hin: Die Diakonie stehe auch vor einer Bildungsaufgabe bei den eigenen Mitarbeitenden und in Konflikten mit Klient:innen. Beide Gruppen sind heute deutlich weniger kirchennah als früher. Man müsse immer wieder dafür werben, dass rechtsradikale Politik mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar sei.
Brückenköpfe zu rechtsextremen Einstellungen
Aktuelle Untersuchungen wie der „Sachsen-Monitor“ oder die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD (KMU), die erstmals gemeinsam mit der katholischen Kirche durchgeführt wurde, attestieren den Christ:innen in Deutschland ein hohes Grundvertrauen in die demokratischen Institutionen des Landes. In der Vergangenheit haben Kirchenmitglieder bei Wahlen ihr Kreuz seltener bei der AfD gemacht als Nicht-Kirchenmitglieder. Die aktuelle KMU zeigt, wie hoch die Erwartung der Christ:innen an die innerkirchliche Demokratie ist, was auf eine durchweg demokratische Gesinnung von Christ:innen schließen lässt. Sie sind darüber hinaus signifikant häufiger ehrenamtlich – auch über die Kirchenmauern hinweg – engagiert. Alles in allem kann festgestellt werden, dass Christ:innen und Kirchen sich handfest für die Demokratie in unserem Land einsetzen.
Gleichwohl ist aus religionssoziologischen Untersuchungen auch bekannt, dass die Auswirkung von Religosität auf rechtextreme Einstellungen ambivalent ist. „Vor allem sind es geteilte Vorurteile gegenüber Menschen mit nicht-binärer und nicht-heterosexueller Geschlechtsorientierung und gegenüber Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften, die Gläubige in die Nähe rechtsextremer Einstellungen bringen“, halten Verena Schneider, Gert Pickel und Cemal Öztürk fest. „Ein dogmatisch-fundamentalistisches Verständnis der eigenen Religiosität“ könne zu einer Nähe zu rechtsextremistischen Positionen führen, auch wenn derartige Überzeugungen von den betreffenden Christ:innen selbst als „konservativ“ beschrieben würden.
Hilke Rebenstorf vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD (SI-EKD) sieht durch den empirischen Kenntnisstand bestätigt, dass Christ:innen gegenüber Vorurteilen insbesondere über Muslime und LGBTQI* keineswegs immun sind. Solche Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind auch unter Kirchenmitgliedern virulent:
„(Christlich) religiöse Menschen haben stärkere Vorbehalte gegenüber Homosexuellen und begegnen der Gleichheit der Geschlechter reservierter als nicht (christlich) religiöse Menschen. […] Ausländerfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit werden durch dezidierten Atheismus […] etwa gleich stark gefördert wie durch fundamentalistische christliche Religiosität.“
Die 6. KMU bestätigt diesen Befund: Der These, die Kirchen sollten homosexuelle Partner:innenschaften segnen“, stimmen zwar 86 % der Evangelischen und Katholischen zu, allerdings fällt die Zustimmung unter den „religiösen“ Evangelischen (76 %) und Katholischen (82 %) geringer aus. Stehen also nur besonders „fromme“ Christ:innen in der Gefahr, rechtsextreme politische Überzeugungen zu übernehmen und zu pflegen?
Dies anzunehmen würde der Religiosität eine Vorrangstellung vor politischen Überzeugungen zuschreiben. Jüngere Untersuchungen aus den USA zeigen jedoch, dass Christ:innen ihre Spiritualität und Kirchenmitgliedschaft nach ihren politischen Überzeugungen gestalten – und vergleichweise seltener umgekehrt.
Eine deutliche Positionierung gegenüber der AfD und dem Rechtsradikalismus trägt also Potential dafür in sich, dass sich überzeugte AfD-Sympathisanten von der Kirche weiter abkehren. Anders als in den Vereinigten Staaten führt dies in Deutschland aufgrund der volkskirchlichen und nur selten kongregationalistischen Tradition jedoch nicht zur Neugründung von Gemeinden und Kirchen, sondern häufiger zum Rückzug aus der organisierten Religion. Konflikte sind vor allem dort vorprogrammiert, wo sich AfD-Sympathisanten bisher ehrenamtlich in den Kirchen engagiert haben.
Als weiteren „Brückenkopf“ zu rechtsextremen Überzeugungen identifizieren Forscher:innen außerdem einen „eher neben den Volkskirchen angesiedelte Esoterikglauben“, also die Offenheit für Verschwörungsmythen. Ein Phänomen, das insbesondere während der Corona-Pandemie in Kirchgemeinden und im Kontakt mit Mitarbeitenden und Klient:innen bei Diakonie und Caritas zu Konflikten führte. Keineswegs ausschließlich mit Menschen aus fundamentalistisch-traditionalistischen Milieus, sondern auch mit solchen, die eine betont „individuelle“ Spiritualität leben. Anfällig für Antisemitismus sind auch Akteur:innen des traditionellen Linksprotestantismus.
Die Rechtsradikalen sind nervös geworden
Der Wert klarer Worte und Taten gegen die AfD und den Rechtsradikalismus liegt besonders darin, zweifelnde und schwankende Kirchenmitglieder zu erreichen. Außerdem zeigen sich die Kirchen dadurch solidarisch mit den Opfern rechter Gewalt, die in der Kirche einen Schutzraum suchen. Dazu verpflichtet die Kirchen das Evangelium und die eigene historische Verantwortung.
Wie nervös rechtsradikale Akteur:innen auf die klaren Voten aus den großen Kirchen reagieren, zeigen beispielsweise die Reaktion des Vize-Bundesprechers der AfD, Stephan Brandner, und der Meltdown der neurechten Publizistin Ellen Kositza in der Zeitschrift ihres Ehemanns, des rechtsextremen Spiritus rector Götz Kubitschek. Die Selbstverharmlosung der Rechtsradikalen im (konfessionellen) Kulturbetrieb wird durch die kirchlichen Stellungnahmen deutlich erschwert. Brandner warf den katholischen Bischöfen überdies „Dreistigkeit, Selbstverliebtheit und Durchschaubarkeit“ vor. Jenen, die schon einmal das Missvergnügen hatten, sich mit Brandner in einem Raum aufhalten zu müssen, muss dies als selbstentlarvende Beschreibung erscheinen. Die DBK-Erklärung zeigt: Den Raumgreifungsstrategien der AfD kann man sich mutig entgegenstellen.
Die Kirchen dokumentieren durch ihre Stellungnahmen, dass die AfD und ihre Vorfeldorganisationen nur bei Fanatikern und Fundamentalisten am Rande der Kirchen willkommen sind – und nicht in ihrem Zentrum. Das sollte allen zu denken geben, die in den Rechten die einzigen Verteidiger des christlichen Abendlandes erblicken. Die Erklärungen von DBK, EKD-Synode und Leitenden Geistlichen sind zwar keine kirchlichen Lehrdokumente, aber sollten trotzdem das Engagement der Kirchen in den schwierigen Wahlkämpfen des Jahres 2024 leiten:
Ein öffentlicher „Dialog“ mit Kandidat:innen und Funktionsträger:innen der AfD und von rechtspopulistischen und -radikalen Organisationen böte ihnen nur die Möglichkeit, ihre „stereotypen Ressentiments“ und „rechtsextremen Parolen“ zu verbreiten. Die katholischen Bischöfe halten demgegenüber fest, dass ein Dialog mit Menschen möglich bleibt, „die für diese Ideologie empfänglich, aber gesprächswillig sind“. Wer am „völkischen Nationalismus“ der AfD zweifelt und sich dem Evangelium zuwenden will, für den stehen die Türen der Kirche offen.
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