Frau Doktor (7): Diversität in der Wissenschaft
Julia Rath ist die erste Doktorandin in unserer Serie „Frau Doktor“ und schreibt über ihren Weg in die Wissenschaft, die Liebe zur Forschung und wie wir alle die Welt ein bisschen besser machen können.
„Gesegnet sei die Frucht!“
– Margaret Atwood „Der Report der Magd“
Damit Frauen nicht nur als Ehefrauen, Haushälterinnen oder Mägde verstanden werden und alte, weiße Männer Wissenschaft und Gesellschaft regieren, benötigt man intersektionalen Feminismus. Ich träume von einer gerechten und gleichberechtigten Welt und setze mich daher für mehr Diversität ein.
Die Arbeit mit Menschen ist eine meiner großen Leidenschaften und es war und ist mein Wunsch, sie bei der Entfaltung ihres Potentials zu unterstützen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass ich mich für ein Gymnasiallehramtsstudium mit den Fächern Latein, katholische Religionslehre und Erziehungswissenschaften entschied. Schon bald wurde ich wissenschaftliche Hilfskraft bei Professorin Barbara Schmitz am Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen an der Universität Würzburg.
Zu Beginn als Bibliotheksaufsicht tätig, stieg ich später in die Forschung des Lehrstuhls ein und gab mein Wissen als Tutorin an die Studierenden der Hebräischkurse sowie des Methodenseminars weiter. Durch den Besuch mehrerer Oberseminare, die die alttestamentlichen Lehrstühle aus Würzburg und Regensburg gemeinsam veranstalteten, lernte ich nicht nur aktuelle Forschungsfragen, sondern auch andere interessierte Studierende, Promovierende und Habilitierende kennen.
Als Examensarbeit beschäftigte ich mich im Rahmen einer narrativen Textanalyse mit einem Ausschnitt des Esterbuches. Diese Art des intensiven wissenschaftlichen Arbeitens gefiel mir sehr, sodass ich mich dazu entschied, an der Universität zu bleiben und mich im Bereich des Alten Testaments zu spezialisieren.
Der Weg in die Wissenschaft
Ich überlegte, wie ich den Übergang zwischen Studium und Promotion möglichst kurz gestalten und finanzieren konnte. Die Begabtenförderungswerke haben unterschiedliche Bewerbungsfristen, die Verfahren können bis zu einem halben Jahr in Anspruch nehmen und Stellen als wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in sind auch nur in unregelmäßigen Abständen zu besetzen. Zudem fehlte mir aufgrund des Lehramtsstudiums ein theologisches Vollstudium, sodass ich mich zwischen Ergänzungsprüfungen und einem theologischen Doktorat, einem Lizentiats- mit folgendem Promotionsstudium oder, ohne Ergänzungsprüfungen, für einen philosophischen Doktortitel entscheiden musste.
Durch die Unterstützung meiner Promotionsbetreuerin konnte über Drittmittel eine auf drei Jahre ausgelegte Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingerichtet werden. Um mir alle Möglichkeiten in Wissenschaft und Kirche offenzuhalten, entschloss ich mich schließlich für Ergänzungsprüfungen und ein theologisches Doktorat. Zwar hatte ich während des Studiums aus Interesse bereits mehr Kurse als vorgesehen besucht und konnte mir durch das Latinistikstudium zahlreiche Prüfungen anrechnen lassen, aber dennoch fehlten mir in der Systematischen und Praktischen Theologie einige Semesterwochenstunden.
So begann meine Mitarbeiter:innenzeit mit der Suche nach einem Promotionsthema, der Arbeit am Lehrstuhl und dem Ergänzungsstudium. Ich fand es sehr interessant, mich in den anderen theologischen Disziplinen fortzubilden, allerdings würde ich es begrüßen, wenn künftig die verschiedenen Zugangswege der Promovierenden positiver gewichtet würden. Dies wäre ein wichtiger Beitrag für mehr Chancengerechtigkeit.
Forschung zu den sogenannten Psalmen Salomos
Gemeinsam mit Professorin Barbara Schmitz suchte ich innerhalb der Septuaginta, dem griechischen Alten Testament, nach einem Promotionsthema. Ich entschied mich für die sogenannten Psalmen Salomos (PsSal). Dabei handelt es sich um 18 Psalmen, die auf Griechisch und Syrisch überliefert sind und wahrscheinlich in der Zeit zwischen 165 vor und 44 nach Christus verfasst wurden.
Die Psalmen stammen nicht von König Salomo, sondern wurden ihm lediglich zugeschrieben, da er als talentierter Liederdichter galt (1 Kön 5,12) und die Autorität der Psalmen erhöht werden sollte. In den sogenannten Psalmen Salomos wird die Frage behandelt, wie man angesichts des Leides und der Eroberung Judäas durch Pompeius noch an Gottes Barmherzigkeit glauben kann. Die Psalmen Salomos beschreiben die Wendung von purer Verzweiflung hin zu einer messianischen Hoffnung.
Bisher wurden die sogenannten Psalmen Salomos mit drei Schwerpunkten untersucht: Eine historische Evaluierung der geschichtlichen Psalmen, die mit Pompeius und Herodes in Verbindung gebracht werden (PsSal 2; 8; 17), der Bezug der messianischen Psalmen zum Christusbild des Neuen Testaments (PsSal 17-18) sowie die Zuordnung einzelner Psalmen zu den klassischen Gattungen, wie beispielsweise Klage- oder Danklied.
In meiner Dissertation verfolge ich demgegenüber einen hermeneutischen Neuansatz: Ich untersuche, ob der in der Psalmenforschung erfolgte Paradigmenwechsel zur Psalterexegese den sogenannten Psalmen Salomos angemessen ist oder ob deren Analyse eigene Methoden erfordert. Bei der Psalterexegese werden Psalmen nicht mehr einzeln untersucht, sondern deren Vernetzungen untereinander berücksichtigt und die Sammlung in ihrer Gesamtheit betrachtet. Zur Überprüfung dieser Forschungsfrage betrachte ich exemplarisch PsSal 9, da dieser in Bezug auf Inhalt und Form als Mitte der salomonischen Psalmen gilt. Ausgehend von der Einzelpsalmanalyse werden Aufbau und Kompositionsprinzipien der Sammlung behandelt und hermeneutisch ausgewertet.
In den sogenannten Psalmen Salomos zeigt sich ein kreativer Umgang mit den alten Schriften, die auf die Gegenwart hin aktualisiert werden und so Trost für die Gläubigen spenden sollen. Dies kann auch für die heutige Zeit hilfreich sein, denn angesichts von Corona- und Klimakrise fällt es oft schwer, zuversichtlich zu bleiben und auf ein gutes Ende zu hoffen.
Chancen ergreifen
An der Promotionszeit schätze ich auch die internationale Vernetzung und die Möglichkeit, mit anderen Forscher:innen gemeinsam zu arbeiten. So hatte ich beispielsweise die Möglichkeit, an einer Summer School zur Textkritik bei Professorin Kristin De Troyer in Salzburg teilzunehmen und bei Professor Hans Rechenmacher das Altsyrische zu erlernen.
Das internationale Kolloquium zu den salomonischen Psalmen in Aix-en-Provence war ebenfalls ein Höhepunkt. Als Erstakademikerin und einzige Doktorandin fühlte ich mich dort zunächst ein bisschen eingeschüchtert, da fast alle wichtigen PsSal-Forscher:innen, die ich bisher nur aus ihren Texten kannte, anwesend waren. Diese Zurückhaltung verflog mit der Zeit und inzwischen ist es mir sogar gelungen, dass mein Artikel zu Exil und Diaspora in den Psalmen Salomos zur Veröffentlichung in diesem Konferenzsammelband angenommen wurde.
Mittlerweile hat sich meine Finanzierungssituation gewandelt: Ich erhalte ein Promotionsstipendium der Studienstiftung und habe gleichzeitig eine Mitarbeiter:innenstelle, die durch das Marianne-Plehn-Programm und das Elitenetzwerk Bayern ermöglicht wird. Diese Kombination ist ideal, da ich die Vorteile von Stipendium und Stelle verbinden kann. Ich bin frei in meiner Zeitplanung und kann zügig an meiner Dissertation arbeiten, gleichzeitig bin ich aber an die Universität angebunden und sozialversichert. Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit und die hervorragende Promotionsbetreuung.
Promovieren in Zeiten der Pandemie
Corona verändert alles, so natürlich auch die Promotion. Seit März 2020 arbeite ich im Home Office. Da ich mich gerne mit Freund:innen aus ganz Deutschland treffe und häufig an Tagungen und Seminaren teilnehme, war dies eine große Umstellung für mich. Die Bibliotheken wurden zunächst ganz geschlossen, sind inzwischen aber, zumindest eingeschränkt, wieder nutzbar. Zudem bin ich aufgrund meiner Muskelerkrankung Risikopatientin und daher besonders vorsichtig.
Durch die weggefallenen Termine habe ich zwar zum einen mehr Zeit für meine Forschung, aber zum anderen fehlen mir die physischen Kontakte. Aus der Ferne ist es zudem schwerer, im Diskurs „präsent“ zu bleiben und sich gegen Sexismus und Ableismus zu behaupten. Derzeit werde ich nicht mehr durch fehlende Barrierefreiheit oder defekte Aufzüge behindert, sondern durch Aussagen wie: „Aber Präsenztreffen sind doch viel schöner.“
Netzwerke sind entscheidend
Die Vernetzung in fächerspezifischen Gruppen wie der AGAT (Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen katholischen Alttestamentlerinnen und Alttestamentler) oder in feministischen Vereinen wie AGENDA – Forum katholischer Theologinnen und ESWTR (European Society of Women in Theological Research) führt zu spannenden Diskussionen und gegenseitiger Unterstützung. Auch das digitale Netzwerken wird immer wichtiger.
Ein guter Ausgangspunkt kann dabei „Working out loud“ sein: In diesem 12-Wochen-Programm arbeitet man im Team an den jeweiligen Herzensthemen. Ich habe mich mit Feminismus in der katholischen Kirche auseinandergesetzt und viele wunderbare Menschen aus diesem Bereich kennengelernt. Auch die #JungeAGENDA, die Nachwuchswissenschaftlerinnen von AGENDA, sind digital vertreten und machen mit dem Projekt #CoronaPerspektiven auf marginalisierte Gruppen in der Corona-Pandemie aufmerksam. Beispielsweise plädieren wir dafür, dass sich die Kirchen stärker in die Triage-Debatten einbringen und das Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen verteidigen sollten.
Der Grund- und Promotionsförderung der Studienstiftung des deutschen Volkes verdanke ich Vieles. Im Rahmen der Promovierendenforen kann ich meine Forschung vorstellen und aktuelle Probleme diskutieren. Ich besuchte Sprachkurse, Akademien und konnte mit anderen Erstakademiker:innen über mehr Chancengerechtigkeit an den Hochschulen diskutieren.
Zudem durfte ich am Karriereförderprogramm für Frauen teilnehmen, bei dem 40 Stipendiatinnen aus allen Förderwerken 18 Monate lang Mentoring und ein vielfältiges Seminarprogramm erhalten. Mit meinen Mentorinnen konnte ich beispielsweise Karrierepläne diskutieren und mich in Kirche und Wirtschaft vernetzen.
Vereinbarkeit und Diversität
Wie bringe ich Partnerschaft, Behinderung, mein Sozialleben und die Wissenschaft unter einen Hut? Es ist wichtig, sich Strukturen zu schaffen und fokussierte Schreibphasen zu ermöglichen. Mir helfen dabei die „Shut up and write“-Sessions von Dr. Mirjam Eiswirth, bei denen sich Nachwuchswissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen zweimal wöchentlich treffen und bei ihren Schreibprojekten unterstützen. Auch ein empowerndes soziales Umfeld und eine gleichberechtigte Partner:innenschaft sind wichtig und tragen über Durstphasen in der Promotion hinweg.
Gleichzeitig kann und möchte ich nicht nur am Schreibtisch sitzen, sondern mich für mehr Chancengerechtigkeit einsetzen und die Welt verbessern. So engagiere ich mich unter anderem als stellvertretende Frauenbeauftragte der Fakultät und berate Muskelkranke und ihre Angehörigen. Ich wünsche mir, dass Universitäten diverser werden und alle Studierenden und Wissenschaftler:innen auf ihrem Weg unterstützen.
Von 100 Arbeiter:innenkindern in der Grundschule wird nur eines promoviert, wohingegen aus 100 Akademiker:innenkindern in der Grundschule 10 Doktor:innen werden. Promovierende of Colour, mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, Eltern, pflegende Angehörige oder LGBTQI-Doktorand:innen werden ebenfalls mit vielen Hindernissen konfrontiert.
Ihre Stimmen sollten mehr gehört werden und sie sollten angesichts der systemischen Diskriminierung stärker gefördert werden. Daher möchte ich zum Schluss alle Leser:innen, sei es in der Universität, den Kirchen oder in der Gesamtgesellschaft, zu einem größeren Einsatz für Diversität ermutigen. Jede:r kann dazu beitragen, die Welt ein bisschen besser zu machen, denn wir sollten stets daran denken: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ (Die Ärzte, Deine Schuld)
2. Staffel unserer Kolumne „Frau Doktor“
Unsere Serie „Frau Doktor“, in der Theologinnen von ihrem Weg zum Doktortitel berichten, geht in die 2. Staffel! Im Fokus der Theologie stehen viel zu häufig alte und tote Männer. Wir wollen die Leistungen junger Wissenschaftlerinnen ins rechte Bild rücken. Noch immer trauen sich Mädchen und Frauen eine Wissenschaftskarriere weniger zu als gleichaltrige Jungen und Männer. Wir wollen auch die Herausforderungen für Frauen in der Wissenschaft nicht ausblenden. Deshalb kommen sie hier zu Wort.
Bisher erschienen:
Folge 1: Dr. Teresa Tenbergen – Can a song save your life?
Folge 2: Dr. Andrea Hofmann – Horizont in Sicht
Folge 3: Dr. des. Claudia Kühner-Graßmann – Frauensolidarität darf hier nicht aufhören!
Folge 4: Dr. Christiane Renner – Dr. theol. Christiane
Folge 5: Dr. Maike Maria Domsel – Zwischen den Welten
Folge 6: Dr. Annika Schreiter – Eine Zeit der Weichenstellungen
Folge 7: Julia Rath – Diversität in der Wissenschaft