Nr. 400 – Die #LaTdH vom 22. Juni
Was dient heute zum Frieden im Nahen Osten und in den Demokratien des Westens? Außerdem: Kriegspredigten, eine Kirche als Schwimmbad und ein Abschied.
Herzlich willkommen …
… zur 400. Ausgabe der #LaTdH! Die „Links am Tag des Herrn“ für diese Woche sind zugleich die letzte Ausgabe dieses Newsletters, den wir nach acht fordernden und munteren Jahren einstellen. Im „Eule-Podcast“ halten Thomas Wystrach und ich deshalb bei Podcast-Host Michael Greder ein kleines Requiem ab: Hören Sie gerne vorbei! Bevor ich weiter unten noch ein wenig unsere Beweggründe für die Einstellung des Newsletters erkläre, möchte ich mit Dank beginnen:
Vielen Dank Ihnen und Euch, den treuen #LaTdH-Leser:innen! Über 400 Wochen hinweg haben wir in diesem Newsletter die wichtigen Debatten in Kirchen und Religionspolitik identifiziert und mit Ihnen/Euch diskutiert. Vielen Dank für die Rückmeldungen und Hinweise per E-Mail, auf den Social-Media-Plattformen und bei persönlichen Begegnungen! Vielen Dank dafür, dass Sie/Du immer wieder zu den #LaTdH zurückgekehrt oder irgendwo im Dickicht der versammelten Links hängengeblieben bist! Vielen Dank auch allen Eule-Abonnent:innen, die unser Magazin nun schon so lange unterstützen. In dieser Woche haben wir ja unseren 8. Geburtstag gefeiert!
Vielen Dank an Thomas Wystrach, der seit Dezember 2017 insgesamt 90 Ausgaben der #LaTdH zusammengestellt und kommentiert hat! Dabei hat er seine Prägung durch die römisch-katholische Kirchenreformbewegung und sein umfassendes Orientierungswissen zu den Catholica mit den #LaTdH-Leser:innen (und mir) geteilt. Vielen Dank, lieber Thomas, für acht Jahre und 90 Wochen Zeit und Kraft und Geschick! Vielen Dank auch an Eule-Redakteurin Eva Kramer-Well (2017-2019), Jacqueline Depta (2021-2023) und alle anderen zeitweiligen #LaTdH-Autor:innen sowie an unsere Gast-Autor:innen, die diesen Newsletter mit ihren Perspektiven, ihrem Charme und ihrer Expertise bereichert haben!
Seit der ersten Ausgabe dieses Newsletters vom 18. Juni 2017 haben wir in den „Links“ auf Beiträge anderer Medien verwiesen. Getreu unseres Redaktionsmottos, nichts noch einmal zu schreiben, was anderswo eh schon steht, schien uns ein Newsletter, der einmal in der Woche die „Debatte“ aufnimmt, eine gute Idee zu sein. Unterschiedliche Menschen und Medien miteinander ins Gespräch zu bringen, ist uns in den vergangenen acht Jahren immer wieder gelungen. Und die #LaTdH haben es uns ermöglicht, an den wichtigen Themen in Kirchen und Religionspolitik dran zu bleiben. Entstanden ist so en passant ein Archiv der Religions- und Kirchennachrichten der vergangenen Jahre.
Ein Newsletter mit Hinweisen auf die Erzeugnisse anderer Medien und direkt auf die Debattenbeiträge von kirchlichen und gesellschaftlichen Akteur:innen wäre nicht möglich gewesen, ohne die Arbeit von zahlreichen Journalist:innen und Redakteur:innen. Auch ihnen gilt nach 400 Wochen Kirchen- und Religionsnachrichten unser Dank: Vielen Dank den Journalistinnen von epd und KNA, deren Beiträge nicht selten ohne Namensnennung auf Kirchennachrichtenwebsites und in Kirchenzeitungen erscheinen! Vielen Dank auch den Journalist:innen in der Tagespresse und den konfessionellen Medien, die unter zum Teil widrigen Umständen und stets unter dem Druck, den der Relevanzverlust und das Schrumpfen der Kirchen für die Redaktionen bedeutet, trotzdem immer noch umfassend und kritisch berichten. Vielen Dank ganz besonders vier JournalistInnen, ohne deren Arbeit der #LaTdH-Newsletter sehr viel ärmer gewesen wäre:
Benjamin Lassiwe, der als freier Journalist für regionale Tageszeitungen sowie nicht-konfessionelle und konfessionelle Medien bestens informiert und kritisch über die Kirchen des Landes berichtet. Felix Neumann, der als Datenschutz-Guru auf seinem Blog artikel91.eu und als Redakteur bei katholisch.de mit großer Expertise über Digitalisierung in den Kirchen aufklärt und immer wieder sehr gute Erklärstücke und Analysen zur römisch-katholischen Kirche und zu Missbrauchsstudien verfasst. Christoph Strack von der Deutschen Welle, der auch die kleineren und nicht-christlichen Religionsgemeinschaften des Landes in den Blick nimmt und die konkreten Folgen der deutschen Religionspolitik beschreibt. Christiane Florin, die mit ihren Mitarbeiter:innen beim Deutschlandfunk – nicht nur, aber auch in der Religionssendung „Tag für Tag“ – beständig und umfassend über Kirchen und Religionspolitik berichtet (hat) und deren Interviews und Debattenbeiträge die #LaTdH immer wieder bereichert haben.
Vielen Dank zum Schluss auch den Akteur:innen in den Kirchen und Religionsgemeinschaften, den Ehren- und Hauptamtlichen, den Großkopferten und Basiswerkelnden, den Prediger:innen, Wortklauber:innen und Ideengeber:innen! Eine lebendige Publizistik über Religionspolitik und Kirchen bezieht sich notwendigerweise immer auf die Arbeit und das Engagement von Menschen, die in ihren Kirchen und Religionsgemeinschaften aus Glauben für andere Menschen und das Gemeinwohl aktiv sind. In den vergangenen acht Jahren haben vor allem die Probleme, Krisen, Verfehlungen der Kirchen in diesem Newsletter im Vordergrund gestanden, wie es in einem kritischen Magazin ja auch nicht anders sein kann. Immer wieder aber haben wir – und nicht nur unter „Buntes“ – auch die vielen schönen, inspirierenden und beseelten Momente des Glaubenslebens in den Blick genommen.
Bei allem kritischen Nachschauen und Hinblicken, gerade auch auf die große (Kirchen-)Politik und selbstverständlich die Missbrauchskrisen der Kirchen, sollten wir das nicht aus dem Blick verlieren: Im internationalen Vergleich und in historischer Perspektive haben wir es gegenwärtig mit der friedlichsten, freiheitlichsten und vielfältigsten Religionslandschaft zu tun, die es in Deutschland und Europa jemals gegeben hat. Das ist ein Grund zur Dankbarkeit und bleibt Auftrag für die Zukunft.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
PS: Die #LaTdH und die ganze Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Schon ab 3 € im Monat sind Sie dabei.
Debatte
„Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tag, was zum Frieden dient!“ – ruft Jesus, als er am Ende seiner irdischen Wirksamkeit nach Jerusalem kommt (Lukas 19,42). Der (metaphorischen) Stadt sagt der Heiland die Zerstörung voraus, weil sie „die Zeit nicht erkannt“ hat, in der sie „besucht worden“ ist. Es ist zweifelsohne wichtig, den passenden Kairos abzupassen. Bei Lukas spricht Jesus von den Feinden, die „um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen“. Mir scheint, das passt sehr gut in unsere Zeit, in der sich viele Menschen und dieser Kontinent in einem (metaphorischen) Belagerungszustand erleben. In der Bedrängung bleiben mögliche Auswege vor unseren Augen verborgen.
An diesem Wochenende habe ich an einer Tagung hier bei mir in Bad Frankenhausen teilgenommen, die sich mit dem Gedenken an den Bauernkrieg vor 500 Jahren und „Utopien eines guten Lebens im ländlichen Raum“ heute befasst hat (Programm als PDF). Eine anregende Tagung, zu der es in der Eule bald mehr zu lesen geben wird. Geblieben ist mir aber vor allem der Eindruck, dass diejenigen, die an der Verteidigung der demokratischen Institutionen arbeiten und auf den „Spielregeln“ der Demokratie beharren, sich zunehmend wie ein eingekesselter Bauernhaufen empfinden – und verhalten. Oder im Fußball-Bild gesprochen: Wer immerzu am Verteidigen ist, kann höchstens mal einen Konter setzen. Bleiben uns noch Zeit und Kraft für Utopien eines guten Lebens?
Arbeit für die Aufräumer – Georg Diez (taz)
Georg Diez beschreibt dieses Verhängnis progressiver Politik in seiner taz-Kolumne. „Ein bislang unterschätztes politisches Phänomen ist die zerstörerische Wirkung konservativer Politik“, erklärt er. Linke Akteur:innen wären darum mit Aufräumarbeiten und dem Schutz derjenigen Institutionen befasst, die sie – unter anderen Umständen – selbst kritik- und verbesserungswürdig finden.
Diese Position aber ist nicht nur unattraktiv, weil sie etwa auch Institutionen und Prozesse verteidigen hilft, die kritisiert werden sollten – sie führt zu politischer Passivität. Das ist der böse Trick und die tückische Dynamik konservativer Scherbenpolitik: In der gegenwärtigen politischen Architektur führt sie dazu, dass die einen auf die anderen reagieren müssen, dass sie sich um Lösungen für Probleme kümmern müssen, die aus ideologischer Borniertheit oder massiven Interessen entstanden sind – statt sich mit der Lösung von wirklichen Problemen zu befassen, etwa eine nachhaltige Energieversorgung, die Vorbereitungen auf den Klimawandel oder die KI-Revolution.
Nun wird man die Gefahr des Rechtsextremismus weder im ländlichen Raum in Deutschland, in dem die AfD und ihre Parteigänger bereits zur stärksten Kraft herangewachsen sind, noch in Europa oder gar den Trumpismus in den USA bekämpfen können, indem man ihn wegignoriert. Aber bedenklich ist schon, dass wir es uns angewöhnt haben, besser: dazu gezwungen werden, noch jedes politische Problem durch die Interpretationsfolie des „Kampfes gegen Rechts“ anzuschauen. Nur den Rechtsradikalen keinen Angriffspunkt geben, keinen Anlass zur Okkupation von Debattenräumen und Instrumentalisierung von Geschichte und Narrativen! Guess what, das machen sie sowieso und so manche vornehme linke und progressive Zurückhaltung ist doch nichts mehr als eine vorweggenommene Kapitulation. Oder ganz zeitgeistig gesprochen: Eine Kommodifizierung in den rechten Diskurs. Dagegen lohnt sich das Aufstehen.
US-Bischöfe verteidigen Migrant:innen – und das Recht
Christ:innen und Kirchen in den USA kritisieren seit langem die rassistische Migrationspolitik und auch in den vergangenen Wochen und Monaten die Deportationen von sog. „illegalen“ Migrant:innen. In San Diego hat der designierte Bischof der Diözese, Michael Phạm, nun als Prozessbeobachter im Einwanderungsgericht teilgenommen, berichten mehrere Medien. Die Anwesenheit des Klerus habe dazu beigetragen, die Verfahren zu humanisieren und insbesondere weitere Verhaftungen durch Beamte der Immigration and Customs Enforcement (ICE) verhindert.
Dieses praktische Handeln entspricht einer Kehrtwende in der Haltung der römisch-katholischen Bischöfe in ihrem Verhalten gegenüber der Trump-Regierung, die Matthew Shadle in seinem Newsletter „Window Light“ beschreibt (auf Englisch): Demnach stellen sich die Bischöfe nicht nur (wie bisher) an die Seite der Migrant:innen, sondern haben wohl endlich auch die Krise des Rechts antizipert, die von der Trump-Regierung ausgelöst wird. Auch in den USA berufen sich also die Verteidiger:innen von Menschenrechten auf deren Codifizerung im Recht. Was aber, wenn das überhaupt nichts mehr gilt? Diese Frage hatte Verfassungsblog-Chef Max Steinbeis bereits im Mai 2025 gestellt (s. #LaTdH vom 25. Mai).
Dass Christ:innen in den USA keineswegs nicht nur gegen die, sondern auch in der Trump-Koalition agieren, ist in diesen Tagen ebenfalls erneut offensichtlich geworden: „Der Attentäter von Minnesota war evangelikaler Extremist“ berichtet „Tag für Tag“ im Deutschlandfunk und der Theologe Andreas Weiß liefert ebenda ein Update zum „Vormarsch des christlichen Nationalismus“ in den Staaten.
Frieden schaffen – ohne Waffen?
Während Israel und die USA im Nahen Osten mit Waffen Fakten schaffen, zuletzt durch das Zerbomben der Atomeinrichtungen Irans und weiterer Ziele, was auch zivile Opfer forderte, und der Iran sich mit Raketen revanchiert, die auf die israelische Zivilbevölkerung herabhageln, diskutieren – wie ebenfalls „Tag für Tag“ berichtet – Christ:innen in Deutschland nach wie vor über die Neuerungen der Friedensethik. Sollte man Trump und Netanjahu ihre Erfolgsmeldungen abkaufen? Rechtfertigt das richtige Ziel, den Iran von der Atombombe fernzuhalten, den nächsten Krieg?
Der Jerusalemer evangelische Propst Joachim Lenz, berichtet im evangelisch.de-Interview bei Katrin von Bechtolsheim von den Sicherheitsvorkehrungen im Heiligen Land und der Situation für die Bevölkerung:
„Wir halten die Hoffnung auf den Friedefürsten Jesus hoch, auch wenn das vielen bei uns oft schwerfällt. Mit den evangelischen Christenmenschen arabischer, englischer, dänischer u.a. Sprache halten wir fest, dass wir im Heiligen Land am Ende Frieden und Gerechtigkeit brauchen, nicht immer noch mehr Gewalt. Hoffnungssturheit nennt man das manchmal.“
Im wichtigen Dekoder schreibt Nikolai Karpizki, Philosoph und Religionswissenschaftler aus Tomsk (Sibirien), der heute in Slowjansk (Ukraine) lebt und arbeitet, darüber, „warum Russland die Sterbewilligen nicht ausgehen“. Eine zentrale Rolle spielen auch religiöse Überzeugungen, die natürlich auch christliche Ursprünge haben, bzw. deren Verkehrung und Verstümmelung. Diese ist gleichwohl in diesen Tagen nicht allein in Russland zu beobachten:
Die zweite Ursache, warum der Krieg als Selbstzweck funktioniert, ist eine besondere Haltung zum Leben und dem Tod. Diese ist existenziell und gründet auf einem Weltbild, in dem alles, was geschieht, durch die Anwesenheit eines Feindes erklärt wird, der das Ur-Böse verkörpere. Für den Kampf gegen diesen Feind werden alle moralischen Beschränkungen aufgehoben. Jede gute Tat zu seinen Gunsten wird als schlecht betrachtet, und jede schlechte Handlung gegen den Feind als gut. So verkehren sich Wertevorstellungen in ihr Gegenteil – Amoralität wird zur Tugend, Gräuel werden zu Heldentaten.
Ein „gerechter Friede“, so die EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs (Sprengel Hamburg und Lübeck / Nordkirche), sei nur mit Waffengewalt nicht zu schaffen, aber ganz ohne Waffen eben auch nicht. Die Eigentümlichkeiten des christlichen Friedensdiskurses in Deutschland waren hier im Newsletter und sind in der Eule Dauerthema. Selten haben sie sich in den letzten Jahren so sehr der waffenstarrigen Realität entrückt angefühlt wie jetzt.
Das Leiden in Gaza – s. #LaTdH vom 1. Juni – und auch die Situation in anderen Staaten des Nahen Ostens – wie z.B. Syrien (wieder „Tag für Tag“) – geraten über den Israel-Iran-Krieg mit tatkräftiger Beteiligung der USA in den Hintergrund. Wer erledigt die Aufräumarbeiten, nachdem sich die Despoten mit ihren Waffenarsenalen ausgetobt haben? Der Iran-Krieg jedenfalls sorgt auch dafür, dass US-Präsident Trump und der israelische Premierminister Netanjahu wieder fester im Sattel sitzen. Inter arma enim silent leges.
Was dient heute einer Friedensethik, die vor allem die einfache Bevölkerung nicht aus dem Blick verliert? Und welche Maßnahmen und Zeichen können Christ:innen ergreifen und aussenden, die zeigen, dass wir die Zeichen der Zeit erkannt haben? Angesichts der Kriege im Nahen Osten formuliert die EKD-Ratsvorsitzende ein Gebet und wendet sich mit einer Videobotschaft an die Bevölkerung.
„In unserer Sorge, in unserer Ratlosigkeit, wenden wir uns an Gott: Sei bei allen, die den Angriffen so schutzlos ausgeliefert sind. Die täglich in Angst leben und nicht zur Ruhe kommen. Schenke ihnen Hoffnung und Lebensmut. Lass uns hören und verstehen, mit Herz und Verstand, was Frieden meint.“
Fehrs fragt: „Könnten wir doch hören, was Gott zur Situation im Nahen Osten sagt“. Ich weiß nicht, ob es wirklich „Ratlosigkeit“ ist, die so viele Menschen guten Willens und auch die Christ:innen in ihrer Mehrheit hindert, sich für einen gerechten Frieden – Gerechtigkeit und Frieden – hierzulande und international in viel stärkerer Façon zu verwenden. Vielleicht haben wir es doch viel stärker mit einem Gefühl der Ohnmacht und Vergeblichkeit zu tun. Sowohl beim Einsatz für den Frieden, wie auch im Kampf für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenwürde hierzulande. Ehrliche Vergeblichkeitserfahrungen kann man nicht einfach wegignorieren, denn sie wurzeln in tatsächlichen biographischen Enttäuschungen. Mein Eindruck bleibt: Wir wissen sehr wohl, was zu tun wäre, aber es fehlt die Kraft loszugehen.
In den vergangenen Tagen habe ich mich mit dem Bauernaufstand von 1525 befasst (mehr dazu in der Eule in den kommenden Tagen). Was die Haufen der Bauern gestärkt hat, waren ihr Glaube an die egalitäre Kraft des Evangeliums und echte Gemeinschaftserfahrungen. Heute wie damals kann Protest auch eine Form der Selbstermächtigung sein. Man sollte sich nicht, wie die Männerhaufen damals, mit fatalen Folgen überschätzen, aber eben auch nicht für klein und unbedeutet halten. Allzumal dort, wo man (noch) in der Mehrheit ist und wirkliche Gestaltungsspielräume hat. Diese neu zu erobern, ist Aufgabe derjenigen, die reich an Ressourcen sind, zu denen Glaube und Gemeinschaftssinn sicher gehören.
Buntes
Kirche wird zu Schwimmbad (deutsche bauzeitung)
Im niederländischen Heerlen soll aus der Kirche St. Franz von Assisi ein Schwimmbad werden. Das Projekt „Holy Water“ soll dem denkmalgeschützten Bauwerk eine neue, soziale Funktion geben, die überlasteten Schwimmbäder der Stadt entlasten helfen und nicht zuletzt „der leerstehenden Kirche mit ihrer markanten Silhouette im Zentrum neues Leben einhauchen“.
»Der Leerstand von Kirchen nimmt zu, also müssen wir neue, kreative Ideen entwickeln, was wir mit diesen Gebäuden machen können«, sagt Winy Maas, Gründungspartner von MVRDV. »Warum sollten wir diesen Kirchen nicht wieder eine soziale Funktion geben, so wie sie früher einmal waren? Ein öffentliches Schwimmbad ist dafür ideal geeignet: Stellen Sie sich vor, Sie praktizieren Rückenschwimmen mit Blick auf ein Kirchengewölbe und Buntglasfenster! Indem man den gesamten Beckenbereich mit einer kleinen Wasserschicht bedeckt, kann man auch einen schönen visuellen Effekt erzielen, der die Kirche wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehren lässt und sie durch die Spiegelung noch größer und eindrucksvoller erscheinen lässt.«
Theologie
Zwischen Heimatfront und Schlachtfeld: „Kriegsbilder“ in protestantischen Predigten und Andachtsschriften des Ersten Weltkriegs – Andrea Hofmann (V & R, Open Access)
Wunderbarer Weise ist Andrea Hofmanns Buch über protestantische Predigten im 1. Weltkrieg bei Vandenhoeck & Ruprecht im Open Access erschienen, so dass wir diese wichtige historische Arbeit ohne Umwege rezipieren können (gesamtes Buch als PDF). Die Aktualität des kirchenhistorischen Themas ist bestürzend und doch zeigt der Blick in die deutsche Kirchengeschichte zugleich, wie weit die Kirchen und Christ:innen in den letzten 100 Jahren gekommen sind: Verherrlichung von Krieg und das Segnen der Waffen ist Vergangenheit. Schauen wir, dass es nicht auch Zukunft wird.
Kriegspredigten und Andachtsschriften geben als historische und theologische Quellen Auskunft über die Verarbeitung unterschiedlicher Aspekte des Kriegs, den Umgang mit Kontingenzerfahrungen, die Frage der Vereinbarkeit von Christentum und Krieg und die daraus folgenden Empfehlungen für den religiösen Alltag. Welche »Kriegsbilder« finden sich also in protestantischen Predigten und Andachtsschriften, und welche Handlungsempfehlungen für die Gemeinden im Blick auf das Frömmigkeitsleben resultierten aus diesen Schriften? Dieser Frage geht die Studie anhand von Quellenmaterial aus der erweiterten Oberrheinregion in einer kultur-, theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Perspektive nach.
Andrea Hofmann, inzwischen Professorin für Kirchen- und Theologiegeschichte an der Universität Basel, hat in den vergangenen Jahren in der Eule in der „Frau Doktor“-Kolumne über ihren Weg zum Doktortitel und ihre Dissertation über Psalmen in den Liedern der Reformation, das kirchliche Engagement evangelischer Frauen während des 1. Weltkriegs und die die Matthäus-Passion geschrieben. Im vergangenen Herbst war sie bei Michael Greder im „Eule-Podcast“ zu Gast, um über Frauen in evangelischen Gesangbüchern aufzuklären.
Predigt
I was a Stranger – Diana Butler Bass (The Cottage, auf Englisch)
Diana Butler Bass schreibt in ihrem Newsletter eine Besinnung zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni. Dass Jesus einst selbst auf der Flucht war, ist in unseren Kirchen manchmal schon zu einer Binse geworden. Bei Butler Bass ist aber die handlungsorientierende Kraft dieses Evangeliums, nicht allein im Kontext der Politik der Trump-Regierung, spürbar:
People of faith may, of course, disagree about policies regarding immigration. But we cannot avoid that the call for compassion, safety, and welcome for those who have left their homelands due to starvation, violence, deprivation, persecution, and war.
We humans have always fled and wandered. We have experienced exile and homelessness. Immigration has been central to the human story from its beginning. But the story is taking an evil turn right now, even as the problems associated with the movement of peoples are intensifying. But immigration is not going away. We can expect it will grow worse in coming decades, largely due to climate change. How we deal with this is a measure of our moral health and our own souls.
nachgefasst: #LaTdH
Nach 400 Ausgaben stellen wir an diesem Sonntag den #LaTdH-Newsletter ein. Die Gründe dafür sind vielfältig und ich könnte stundenlang über dieses Format und das publizistische und kirchenpolitische Umfeld sprechen. Für den „Eule-Podcast“ haben wir uns in dieser Woche auf knapp 50 Minuten beschränkt: Bei Podcast-Host Michael Greder sprechen #LaTdH-Autor Thomas Wystrach und ich über die Arbeit an den „Links“ in den vergangenen Jahren, die Gründe für das Ende dieses Newsletters und auch die Zukunft. Hören Sie rein!
An dieser Stelle ganz knapp: Die #LaTdH am Ende jeder Woche zu verfassen, war eine große Freude. Ich bin froh und auch ein wenig stolz, dass wir meine „Schnapsidee“ über acht Jahre hinweg durchgezogen haben: Any given Sunday. In den ersten Jahren haben wir nicht mal eine Sommerpause eingelegt. Die wirklich wichtige „Debatte“ der Woche zu identifizieren und darüber hinaus noch weitere Nachrichten und vielfältiges Engagement ins Schaufenster zu stellen, hat viel Zeit und Kraft aufgebraucht. Das Sammeln und Aussieben ist, wie Thomas im „Eule-Podcast“ beschreibt, eine Aufgabe zum Haareraufen gewesen.
Die #LaTdH sind seit dem Juni 2017 beständig angewachsen und zu einem für Leser:innen und Autor:innen gleichermaßen höchst voraussetzungsreichen Nischen-Format geworden. So treu unsere Leser:innenschaft auch ist, unter diesen Bedingungen erscheint ein weiteres Wachstum der #LaTdH-Leser:innenschaft uns nicht möglich. Zugleich hätten viele „Debatten“ und so manches „nachgefasst“ es verdient, in anderer Form eine interessierte Leser:innenschaft zu finden. Den Newsletter „auf halber Arschbacke“ fortzusetzen, erschiene mir jedoch unehrlich zu sein. Zeit und Kraft und Hirnschmalz müssen in andere Eule-Formate fließen.
Zunehmend erschwert wurde das Zusammenstellen der #LaTdH auch dadurch, dass viele Medien ihre Beiträge nur noch hinter Bezahlschranken zur Verfügung stellen. Wir haben solche Artikel gelegentlich mit einem Euro-Symbol versehen in den Newsletter aufgenommen, aber die #LaTdH lebten davon, dass Leser:innen die von uns in der Kommentierung hergestellten Zusammenhänge und auch unsere Urteile über die berichteten Sachverhalte und die Darstellung in anderen Medien am Quellenmaterial selbst nachvollziehen könn(t)en. Wie auch in anderen gesellschaftlichen Systemen wird über Kirchen und Religionspolitik zunehmend in voneinander getrennten Silos debattiert. Wir haben uns bemüht, das immer wieder aufzubrechen.
Wir brauchen, davon bin ich überzeugt, Orte und Anlässe für dieses Silo-sprengende Diskutieren, aber der Zeitgeist steht nicht danach. Und ein kleines Nischenmagazin mit einem noch nischigeren Newsletter kann nicht leisten, was das unternehmerische und politische Handeln anderer Akteur:innen verunmöglicht. Kritik und Streit sind zwei der Grundbedingungen für die „friedlichste, freiheitlichste und vielfältigste Religionslandschaft“, deren Teil zu sein wir die Freude haben dürfen.
Die an Macht und Geld reichen Akteur:innen haben – das bleibt eine Konstante der Zeitenläufe – wenig Interesse an (öffentlichen) Korrekturforderungen. Wer die Macht hat, kann Kritik aussitzen – bis es schlussendlich richtig kracht. Gegen Streitvermeidung, ob aus Harmoniezwang oder unternehmerischen Gründen, haben wir in den #LaTdH angeschrieben und versucht, die geforderte „Debatte“ zu führen. Wir nehmen uns den Sommer, um darüber nachzudenken, mit welchem Format wir das in der Eule in der Zukunft weiterführen können.
Nach 400 #LaTdH-Newslettern unter meiner redaktionellen Betreuung, von denen ich mehr als 200 selbst geschrieben habe, bin ich auch erleichtert: Acht Jahre intensives Stöbern in den Kirchen- und Religionsnachrichten der Woche haben mich unfassbar viel gelehrt, aber – das sei nicht verschwiegen – auch ermüdet. Die Konzentration, die das Newsletter-Schreiben uns Autor:innen abgefordert hat, hat mich vermutlich zu einem besseren, jedenfalls: geübteren Schreiberling gemacht. Den Samstagabenden und Sonntagvormittagen ohne #LaTdH-Schreiben schaue ich mit freudiger Erregung entgegen.
Ein guter Satz
„Inch by inch, play by play, til we’re finished.“
– Al Pacino als Coach Tony D’Amato in „Any Given Sunday“
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