Vor Gericht und auf hoher See – Die #LaTdH vom 22. Mai

Hoch geht es her vor dem Kadi und im Kirchenklüngel: Über letzte und vorletzte Urteile schreibt Thomas Wystrach. Außerdem: Sturm-Folgen, alte Helden und Krisenjubiläen.

Herzlich Willkommen!

Coram iudice …

Mit einer ausführlichen Pressemitteilung vermeldete am Mittwoch der Newsdesk des Erzbistums Köln (@Erzbistum_Koeln) einen triumphalen Erfolg von Kardinal Woelki, der vor dem Kölner Landgericht über den Springer-Konzern „obsiegt“ habe. Die BILD dürfe nicht weiter behaupten, Woelki habe „einen Missbrauchspriester befördert“, schließlich sei es zwischen dem Priester und einem obdachlosen und minderjährigen Prostituierten „nicht zu gegenseitigen (!) sexuellen Handlungen gekommen“.

… et in alto mari …

Ob mit dem Urteil zumindest der „Rechtsfrieden“ wiederhergestellt werden konnte, sei dahingestellt, andere Baustellen bleiben. Jedenfalls sucht die Erzdiözese auf ihrer Website „zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine gleichermaßen krisenerprobte wie innovative Persönlichkeit, die als Direktorin*Direktor (w/m/d) Medien und Kommunikation in vertrauensvoller Abstimmung mit dem Generalvikar und dem Erzbischof die Kommunikation des Erzbistums konzipiert, gestaltet und pflegt“.

… sumus in manu Dei.

Auch bei zwei weiteren Gerichtsverfahren in Köln bzw. in Bremen ist noch unklar, ob es sich um Reenactments der Schlacht bei Asculum im Jahre 279 v. Chr. handelte, nach der König Pyrrhos I. von Epirus festgestellt haben soll, „noch einen solchen Sieg über die Römer, dann sind wir vollständig verloren“. Die Zusage, wir seien „geborgen in der Hand Gottes“, klingt aus dem Munde mancher Kirchenvertreter eher wie eine Drohung mit der geballten Faust …

Einen guten Start in die neue Woche wünscht Ihnen
Ihr Thomas Wystrach


Debatte

Das Bremer Landgericht hat am Freitag den evangelischen Pastor Olaf Latzel vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Nach drei Verhandlungstagen schloss sich die Kammer damit der Forderung der Verteidigung an und kippte damit im Berufungsverfahren ein Urteil des Amtsgerichts Bremen, das den Geistlichen im November 2020 zu einer Geldstrafe von insgesamt 8.100 Euro verurteilt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bestätigung des Schuldspruchs des Bremer Amtsgerichts verlangt.

Das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass sich der 54-jährige Pastor der Bremer St.-Martini-Gemeinde in einem auf Youtube veröffentlichten Eheseminar homosexuellenfeindlich und volksverhetzend geäußert hat. Latzel habe nicht vorsätzlich gehandelt und habe mit seinen Worten „gesellschaftliche Konzepte“ angegriffen, nicht „konkrete Menschen“, hieß es in der Urteilsbegründung.

„Das Gericht hat in seinem Urteil einen weiten Rahmen für die Meinungsfreiheit gezogen. Das ist zu akzeptieren“, sagte der Oldenburger evangelische Bischof Thomas Adomeit. Er heiße die Äußerungen von Pastor Latzel dennoch nicht gut. Sie entsprächen nicht dem christlichen Welt- und Menschenbild. Mit der auch diesmal wieder bemühten These, das sei „alles von der Religionsfreiheit gedeckt“, hatte sich Philipp Greifenstein (@rockToamna) bereits im Herbst letzten Jahres hier in der Eule auseinandergesetzt.

Freispruch für Pastor Olaf Latzel – Reinhard Mawick (Zeitzeichen)

„Impressionen aus einem unnötigen Verfahren“ schildert Chefredakteur Reinhard Mawick, der den Prozess für das Magazin zeitzeichen (@zeitzeichenNET) beobachtet hatte.

Ob es für Latzels Aussagen eine biblische Grundlage gebe, sollte nun durch theologische Gutachten geklärt werden, eins vom römisch-katholische Bibelwissenschaftler Ludger Schwienhorst-Schönberger (@Schwienhorst) aus Wien, der eine Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften für unbiblisch hält, ein anderes von der evangelischen Praktischen Theologin Isolde Karle (@IsoldeKarle) aus Bochum (hier in anderer Sache im Eule-Interview), die dies bekanntermaßen anders sieht.

Man fragt sich in der Tat, warum das Gericht diese Gutachten hören wollte, ist es doch für ein weltliches Gericht für die Urteilsfindung in Bezug auf die weltliche Strafbarkeit strittige Äußerungen völlig unerheblich, wie sie von der theologischen Wissenschaft beurteilt werden, denn Artikel 4 des Grundgesetzes, in dem die Religionsfreiheit geschützt wird, schützt auch theologisch umstrittene theologische Meinungen. Dass dies alles dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nicht klar zu sein scheint, zeigt, wie wenig die deutsche Justiz noch vom inneren Leben christlicher Kirchen und christlicher Theologie in ihrer Vielfältigkeit weiß.

Freispruch im Fall Latzel: „Dreck!“ – Jochen Grabler (buten un binnen)

Pastor Latzel darf ungestraft über „Genderdreck“ reden? Jochen Grabler (@JochenGrabler), Redakteur von „buten un binnen“ (@butenunbinnen) ist empört:

Wie kommt man auf das schmale Brett, in einem Gerichtsverfahren die Frage für relevant zu halten, ob die Äußerungen eines Pastors mit bekannt mangelhafter Impulskontrolle von der Bibel gedeckt sind? (…)

Als Kirchenmitglied muss ich Latzel und seine Mitlatzels aushalten. Wenn ich das nicht will, habe ich die Freiheit, meine Kirche zu verlassen. Diese Freiheit habe ich als Bürger nicht. Als Bürger muss ich auf den Rechtsstaat vertrauen. Und darauf, dass dieser Rechtsstaat irgendwann zur Vernunft kommt. Also wünsche ich mir als Bürger eine gerichtliche Instanz, die den irregeleiteten Bremer Richtern in den Arm fällt. Und als Christ wünsche ich mir, dass Bruder Latzel und seine Fans in sich gehen.

„Soldaten Christi“ – Jana Stegemann (Süddeutsche Zeitung)

Der polnische Theologe Dariusz Oko, der in einem Beitrag der rechtskatholischen Postille Theologisches, die in Deutschland erscheint, homosexuelle Priester als „Krebsgeschwür“ bezeichnet hat, wurde vor dem Kölner Amtsgericht in Köln von angereisten Anhängern gefeiert. Jana Stegemann (@JanaStegemann) schildert die aufgeheizte Stimmung im Gerichtssaal, in dem es drei Stunden lang um die angebliche Existenz der „Lavendel-Mafia“, eines mächtigen schwulen Netzwerks innerhalb der römisch-katholischen Kirche, ging, mit distanziertem Blick.

Autor und Herausgeber entschuldigen sich, das Verfahren wird gegen Zahlung einer Auflage an die Opferschutz-Organisation „Der Weiße Ring“ eingestellt. Offenbar ist dem Gericht entgangen, dass damit das Narrativ, Missbrauch in der Kirche sei ein Problem homosexueller Priester, weiter bedient wird.

Was die katholische Kirche und Germany’s next Topmodel gemeinsam haben – Sarah Kopp (y-nachten.de)

Mehr Diversity – damit wirbt inzwischen nicht nur die Sendung „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) im Trash-TV. Mehr Diversität soll jetzt auch in der römisch-katholischen Kirche möglich werden. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch (@ErzbischofKoch) jedenfalls bittet in einem ökumenischen Gottesdienst zum Tag gegen Queerfeindlichkeit um Vergebung für die Diskriminierung von queeren Menschen – und kündigt Maßnahmen an, die das im Erzbistum künftig verhindern sollen. Rund um den 10. Mai feierten einige Priester wieder Segnungsgottesdienste, die vor allem die Forderungen der Initiative #OutInChurch mittragen – etwa bei Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht.

Sarah Kopp stellt sich in ihrem Beitrag für den Theologie-Blog @ynachten die Frage, wie ernst die Kirche diese Forderungen überhaupt nimmt. Oder ob hier nicht wie auch bei GNTM das Phänomen „Pinkwashing“ eine Rolle spielt, eine PR-Strategie, mit der sich Unternehmen und Institutionen als moralisch vorbildlich präsentieren, indem sie ihre Unterstützung für die LGBTQIA+ Bewegung bekunden. Kosmetische Korrekturen reichten aber nicht aus:

Auf Dauer wird sich die römisch-katholische Kirche solchen Themen nicht entziehen können. Diese vagen Aussagen von der katholischen Kirche zu den Debatten über (vor allem) queere Themen sind mehr als unglaubwürdig und zeugen nicht von einem ernsthaften Interesse an der Lebensrealität ihrer Mitglieder.

Zu dieser muss sich einerseits die katholische Kirche, wenn ihr wirklich etwas an ihren Mitgliedern liegt, aktiv bekennen und daraus strukturelle und rechtliche Konsequenzen ziehen und andererseits grundlegend ihre Theologie gegenüber queeren Menschen überdenken. Erst dann kann sie wieder glaubhaft die Botschaft Jesu Christi verkünden, der, anstatt Menschen auszuschließen, die besonders Benachteiligten und Ausgeschlossenen inkludierte und als Personen wahrnahm.

nachgefasst

Es war ein großer Knall, als Andreas Sturm (@PfrSturm) vor wenigen Tagen sein Amt als Generalvikar des Bistums Speyer (@bistum_speyer) niederlegte, aus der römisch-katholischen Kirche austrat und seinen Beitritt ins Katholische Bistum der Alt-Katholiken ankündigte (vgl. dazu die #LaTdH vom 15. Mai und den Beitrag von Philipp Greifenstein hier in der Eule).

Kirche „nach außen kaum noch vermittelbar“ – Interview mit Andreas Sturm (Saarländischer Rundfunk)

Im Interview mit dem SR (@SAARTEXT) macht Sturm deutlich, dass einer der Hauptgründe für seine Entscheidung der unzureichende Umgang mit Missbrauch in der Kirche gewesen sei – und, dass er keine Hoffnung auf Veränderungen mehr habe:

Es stellt sich immer die Frage, wie mit Verantwortung in dieser Kirche umgegangen wird, wenn etwas herauskommt. Dann wird sich immer hinter den Papst gestellt. Dem wird dann der Rücktritt angeboten, der Papst nimmt ihn nicht an und dann ist der Fall erledigt. Das kann doch nicht sein. So tickt unsere Welt heute nicht mehr. Und das ist doch nach außen kaum noch vermittelbar.

Rücktritt war „Befreiungsschlag“ – Interview mit Andreas Sturm (SWR)

Auch im Interview mit dem SWR (@SWRAktuellRP) spricht der 47-Jährige Priester über die Gründe für seinen Kirchenaustritt und den Wechsel in die alt-katholische Kirche:

Es gibt keinen einzelnen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich habe einfach immer weniger Vertrauen in die Entscheidungen, die wir hier treffen. Die Reformbewegung „Der Synodale Weg“ ist auf einem guten Weg. Aber: Viele Entscheidungen werden nicht in Deutschland getroffen, sondern weltweit oder in Rom.

Sturm-Rücktritt: Kein gutes Omen für den Synodalen Weg – Christoph Brüwer (katholisch.de)

Die Kirchenkrise erschüttert das Gottesvolk bis ins Mark und ist mittlerweile auch auf der Leitungsebene angekommen, meint Christoph Brüwer (@chrisbruew). Das werde am Rücktritt von Generalvikar Andreas Sturm deutlich – und betreffe auch den Synodalen Weg:

Offensichtlich glauben selbst hohe Kirchenvertreter nicht mehr daran, dass die diskutierten Reformen tatsächlich zeitnah beschlossen und umgesetzt werden, und können diese Hoffnung nicht mehr fortwährend glaubhaft verkünden. Schon bei der kommenden Synodalversammlung im September haben die Synodalen jetzt die Chance, dem entgegenzuwirken und konkrete Beschlüsse zu fassen. Wie viele Menschen dadurch Mut und Hoffnung schöpfen werden, bleibt abzuwarten.

Sturm-Warnung – André Lorenz (Christ in der Gegenwart)

Vielsagender als der überraschende Rücktritt des Generalvikars des
Bistums Speyer sei die Reaktion der Bischöfe, meint André Lorenz in seinem Beitrag für die Zeitschrift Christ in der Gegenwart (@ChristGegenwart). Außer Dank und Bedauern des eigenen Oberhirten: Schweigen im Walde!

Man habe schon viel über Frustration und Fassungslosigkeit angesichts des Umgangs der römisch-katholischen Führung mit der massiven Kirchenkrise geschrieben, doch langsam gingen einem die „emotionalen Superlative“ aus:

Wo ist das aufrüttelnde Hirtenwort, das einen aufrichtet, wenn man am Boden liegt, das uns daran erinnert, warum wir in der römisch-katholischen Kirche glauben, das allen Hoffnung vermittelt, die verzweifelt sind, und Zuversicht wider alle Frustration? (…)

Viele immer noch römische Katholiken hingegen warten jetzt auf eine Richtungsweisung, eine Motivation, ein „Jetzt erst recht!“, ein Was-auch-immer, das einen erstmal aufatmen lässt und der aufgestauten Mutlosigkeit ein Ventil verleiht.

Führungskrise in der Kirche: Ohne Reform kein qualifiziertes Personal – Markus Nolte (Kirche + Leben)

„Uns laufen die Leute weg, jetzt auch in den Chefetagen!“ – so Chefredakteur Markus Nolte (@MarkusDNolte) in seinem Kommentar in Kirche + Leben. Spätestens seit dem Ausscheiden von Andreas Sturm sei ein „katholischer brain­drain“, eine Abwanderung geistlicher Fachkräfte offenkundig:

Wir werden von den guten Geistern verlassen, den Hoffnungsträgern unter den Verantwortlichen der Kirche. Sie steht mitten in einer dramatischen, symptomatisch schiefen Führungskrise: Während vier Erz- und Weihbischöfe trotz erwiesener Fehler und Rücktrittsangeboten blieben, machten allein im vergangenen halben Jahr vier Generalvikare Nägel mit Köpfen – aus Kirchenfrust oder fachlicher Überforderung.

Für Bischofsanwärter gilt ein grotesk übersteigertes Erwartungsprofil – Joachim Frank (katholisch.de)

Der Kölner Stadtanzeiger (@KSTA) hat unterdessen einen geheimen Fragebogen geleakt, mit dem sich der Päpstliche Nuntius in Berlin über mögliche Bischofskandidaten erkundigt. Das Papier mit seinen insgesamt 63 Fragen „sowie das damit verbundene teils lächerliche, teils ärgerliche Gewese sind Ausbund jenes höfischen Selbstverständnisses, mit dem die katholische Kirche die Botschaft Jesu und ihren Auftrag verrät“, kommentiert Joachim Frank in seinem Standpunkt bei katholisch.de:

Inhaltlich wirft der Fragebogen ein grelles Schlaglicht auf ein unbalanciertes, dysfunktionales und letztlich inhumanes Amtsverständnis. Einerseits entsteht aus den gestellten Fragen ein grotesk übersteigertes Erwartungsprofil – gipfelnd in der Frage, ob der Kandidat „ein lebendiges Abbild Christi“ sei.

Andererseits lauert unter der spirituellen Verbrämung der Eignungskriterien eine beklemmende Angst vor „Kuckuckseiern“ im Nest des Bischofskollegiums. Das wird nicht nur aus den Fragen zur (Sexual-)Moral deutlich, sondern vor allem auch nach doktrinärer Linientreue. Abweichende Positionen zur Ehe oder zur Frauenweihe dürften im Duktus des Fragenkatalogs Killerkriterien sein.

„Bei uns werden Priesterinnen und Priester nicht auf ein Podest gehoben“ – Christiane Florin im Gespräch mit Angela Berlis (DLF)

Neben seinem Rücktritt als Generalvikar von Speyer gab Andreas Sturm auch bekannt, dass er aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten sei und alt-katholischer Priester werden wolle. Profitiert die kleine Gemeinschaft von enttäuschten Reform-Katholiken?

Prof. Dr. Angela Berlis (vgl. auch ihren Beitrag hier in der Eule) wurde 1996 zur ersten alt-katholischen Priesterin geweiht. Die Hoffnung auf massenhafte Übertritte habe sich nicht erfüllt, doch ihre Kirche* sei offen und veränderungsbereit, sagt die Theologin im Gespräch mit Christiane Florin (@ChristianeFlori) im Deutschlandfunk (@DLF).

Auch bei uns ist nicht alles bestens – Felix Neumann im Gespräch mit Bischof Matthias Ring (katholisch.de)

Die alt-katholischen Christ:innen spüren die Krise der großen Schwester: Sie leiden mit am Ansehensverlust, engagierte Gläubige wie Ex-Generalvikar Andreas Sturm konvertieren. Im Interview mit Felix Neumann (@fxneumann) erläutert Dr. Matthias Ring, Bischof des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland (@Altkatholisch), warum man sich zwar in einer „ökumenischen Haftungsgemeinschaft“ mit der römisch-katholischen Kirche befinde, die dort weitverbreitete Angst vor einem großen Exodus aber unbegründet sei:

Zum einen bewegt sich das ganze in Dimensionen, die mit Blick auf die Austrittszahlen der großen Kirchen geradezu lächerlich sind. Wir hatten im letzten Jahr doppelt so viele Beitritte wie im Jahr zuvor, aber das heißt in absoluten Zahlen 380.

Das sind für uns relativ viele neue Mitglieder, aber im Vergleich zu den über 200.000 Kirchenaustritten pro großer Konfession ist das sehr wenig. Das bedeutet: Fast alle, die austreten, treten ins kirchliche Niemandsland aus. Zum anderen glaube ich, dass das ein Phase ist, die wieder abebben wird.

Auch das „Beitrittsprofil“ habe sich verändert:

In der Vergangenheit waren das oft Menschen, die über Jahre hin zu ihrer angestammten Konfession keinen Kontakt mehr hatten, die vielleicht in der Mitte des Lebens stehen und sich neu die Frage nach dem Sinn und nach Religion stellen, oder die im Kontext der Kindererziehung sich die Frage stellen, was sie ihrem Kind mitgeben wollen.

Jetzt erleben wir es, dass wirklich Menschen aus der Mitte ihrer bisherigen Pfarrgemeinde kommen, die dort Lektoren waren, im Pfarrgemeinderat, aktiv in verschiedenen Vereinen, die dann sagen, es geht nicht mehr, wir können das nicht weiter unterstützen. Das ist eine relativ neue Entwicklung.

Buntes

Wenn Passionsspiele mehr Botschaft rüberbringen als die Kirchen – Peter Otten (katholisch.de)

Am vergangenen Sonntag haben die Passionsspiele in Oberammergau begonnen. Die Premiere begeisterte die Zuschauer:innen. Regisseur Christian Stückl hat das Leben, Leiden und Sterben Jesu in die Gegenwart geführt – mit deutlicher Kirchenkritik.

Wenn die Kirchen für das Aufregende ihrer Botschaft keinen Ausdruck mehr finden, müsse halt das Theater ran, meint der Kölner Pastoralreferent Peter Otten (@PeterOtten)– oder wie bei der RTL-Produktion „Die Passion“ das Fernsehen (vgl. dazu den Beitrag von Philipp Greifenstein hier in der Eule):

Das muss nicht schlecht sein. Die Passionsspiele bringen mit den kraftvollen Mitteln des Theaters die Universalität der biblischen Botschaft neu ins Bewusstsein: Wut auf etablierte religiöse und politische Eliten. Pragmatische Solidarität mit Armen, Geflüchteten und Ausgegrenzten. (…)

Ermattete Kirchen haben zum Glück nicht das Copyright auf die Geschichte Jesu. Doch das ist die gute Nachricht: Wo immer sie zum Glänzen gebracht wird, vermag sie Menschen nachhaltig zu berühren.

Rechtsschutzmöglichkeiten der Kirchen gegen ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen – Meret Unruh (Experteninitiative Religionspolitik)

Das Gebot der Ablösung der Staatsleistungen aus der Weimarer Reichsverfassung ist inzwischen über 100 Jahre alt, wurde ins Grundgesetz übernommen – und doch wurde es bis heute nicht umgesetzt. Seit Längerem wird über den richtigen Maßstab der Ablösung diskutiert. Wenn sich die Ampelkoalition jetzt vorgenommen hat, das durch Art. 138 I WRV vorgeschriebene Grundsätze-Gesetz des Bundes über die Ablösung der Staatsleistungen auf den Weg zu bringen, stellt sich für die Kirchen auch die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten ihnen gegen ein solches Gesetz offenstehen.

Meret Unruh, studentische Hilfskraft am Kirchenrechtlichen Institut der EKD in Göttingen, dröselt die komplizierte rechtliche Lage in einem Blog-Beitrag der Experteninitiative Religionspolitik (@EIR_Blog, siehe auch hier in der Eule) auf.

Jubiläum in einer Zeit der Krisen – Bernd Ludermann (welt-sichten)

Die beiden großen deutschen Kirchen arbeiten seit 60 Jahren mit der Bundesregierung in der Entwicklungspolitik zusammen. Doch der Festakt zum Jubiläum am 18. Mai in Berlin stand im Schatten des Ukraine-Krieges, berichtet Chefredakteur Bernd Ludermann in welt-sichten (@weltsichten), dem Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit.

Gewarnt wurde vor einer Verlagerung von Mitteln aus der Entwicklungszusammenarbeit in die Rüstung. Eine Gefahr des „Rückfalls in alte Rezepte“ sei, dass die in Krisen geforderte Nothilfe die eigentliche Aufgabe erschwere: die strukturellen Gründe von Armut und Not anzugehen.

Theologie

Die ersten Pfarrerinnen in Polen und einige Gedanken zur Ambivalenz von Emanzipationserfolgen – Antje Schrupp (Aus Liebe zur Freiheit)

Antje Schrupp (@antjeschrupp), die als Präsidiumsmitglied der Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD) vor zwei Wochen an der Ordination der ersten lutherischen Pfarrerinnen der evangelisch-augsburgischen Kirche Polens teilgenommen hatte, schreibt in ihrem Blog-Beitrag, sie könne die Freude der ordinierten Frauen sehr gut nachvollziehen.

Es sei keineswegs banal, endlich in dem, was man tut, auch kirchenoffiziell anerkannt zu sein – zumal die Frauen alle schon seit Jahren als Pfarrerinnen arbeiteten. Ambivalent empfinde sie jedoch die Art und Weise, wie das Ereignis zelebriert worden sei, so Schrupp:

Die festlich-freudigen Bischofsreden und Grußworte von angereisten Lutheraner*innen aus aller Welt waren mir doch eine Spur zu unkritisch der eigenen Tradition gegenüber. Vor lauter Stolz darüber, wie emanzipiert die lutherische Kirche ist, blieb die Frage auf der Strecke, warum Herrgottsakrament man es jemals für legitim halten konnte, nur Menschen mit Penis in geistliche Ämter zu lassen.

Fahrlässiger Journalismus? – Matthias Drobinski (Publik-Forum)

„Ein Prophet auf Irrwegen“ – unter dieser Überschrift hatte die über Jahrzehnte eng mit Eugen Drewermann verbundene Zeitschrift Publik-Forum (@publikforum) Ende Februar über das Abrutschen des bekannten Theologen und Kirchenkritikers in das verschwörungstheoretische Abseits von Impfgegnern berichtet. Sein Biograph Matthias Beier konterte auf seinem Blog, die Berichterstattung über Drewermanns Äußerungen und Aktionen hielte einem „Faktencheck“ nicht stand.

Publik-Forum-Redakteur Matthias Drobinski (@DrobinskiM) widerspricht nun in einer umfangreichen Stellungnahme und begründet, warum er sich diese Mühe der Recherche, der Auseinandersetzung mache:

Eugen Drewermann ist nicht irgendwer. Er hat größte Verdienste, viele Menschen verehren ihn und vertrauen ihm. Umso wichtiger ist es, ihn an seine Verantwortung zu erinnern und Kritik zu üben, wenn er sich dieser Verantwortung nicht stellt.

Das Lehramt und die Theologie – Thomas Söding (Mit Herz und Haltung)

Wenn gegenwärtig über Reformen in der römisch-katholischen Kirche gesprochen wird, hängt viel an der Frage, welche Stellung der theologischen Forschung in der Kirche zukommt: Inwieweit muss sich das Lehramt der Bischöfe an theologischen Erkenntnissen orientieren, und wie frei kann und sollte die Theologie gegenüber der Amtskirche sein?

Um das schwierige Verhältnis von Theologie und Lehramt ringt auch der sogenannte Orientierungstext des Synodalen Wegs. Dieser Text wurde jüngst von dem in Rom lehrenden Theologieprofessor Martin Rohnheimer scharf kritisiert. Aus diesem Anlass hat der Podcast der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen mit Prof. Thomas Söding (@ThomasSoeding) von der Ruhr-Universität Bochum über das Verhältnis von Lehramt und Theologie in der römisch-katholischen Kirche gesprochen.

In Episode 6 seines Podcasts „Berliner Gespräche über Staat und Politik“ spricht der Staatsrechtler Alexander Thiele (@Alex_J_Thiele) mit Georg Essen (@audacity_g), Professor für systematische Theologie an der Humboldt Universität. Essen erläutert, welche Rolle aus seiner Sicht Religion im säkularen Verfassungsstaat heute noch zukommen kann (und sollte) und ob „Der Synodale Weg“ (@DerSynodaleWeg) eine Chance sein könnte, die notwendigen Reformen der römisch-katholischen Kirche in die Wege zu leiten.

Predigt

Nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt – Nikolaus Wandinger (Innsbrucker Theologischer Leseraum)

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“, heißt es im heutigen Tagesevangelium (Joh 14,23-29). Nikolaus Wandinger weist in seiner Auslegung darauf hin, dass es durchaus Situationen gebe, bei der man mit Macht dazwischen gehen müsse, wenn Unfriede herrsche, mit „Gewalt gegen die Störenfriede“, um so den Frieden wieder herzustellen:

Aber – ob gerechtfertigt oder nicht, ob notwendig oder nicht – ein solcher Friede ist nur ein Friede, wie die Welt ihn gibt: er kommt durch Gewalt zustande und oft hält er nicht lange, dann bricht die nächste Gewaltwelle los. (…)

Der Friede, den Jesus schenkt und den die Welt nicht gibt, ist ein Friede, der Konflikte nicht scheut und auch nicht in Hass umschlägt, wenn er auf Widerstand und Gewalt stößt.

Ein guter Satz


* Eule-Autor Thomas Wystrach ist ehrenamtlich in der Altkatholischen Kirche engagiert, siehe Biogramm.