Newsletter #LaTdH

Kampfansagen – Die #LaTdH vom 22. September

Wie neutral kann die Kirche angesichts des Rechtsrucks sein? Eindrücke aus Pirna und Brandenburg. Außerdem: Verfahren gegen Olaf Latzel, Missbrauch evangelisch und der „Marsch für das Leben“.

Herzlich Willkommen!

Eine Provinzposse mit deutschlandweitem Presse-Echo hat sich in der vergangenen Woche im sächsischen Pirna abgespielt. Pirna, das „Tor zur sächsischen Schweiz“, liegt unmittelbar neben Dresden, der sächsischen Landeshauptstadt. Der dortige Landrat Michael Geisler von der CDU wollte eine Ausstellung über geflüchtete Menschen in den Räumlichkeiten seiner Behörde trotz vorheriger Absprachen nicht zeigen, weil sie „polarisiere“, berichtet kundig wie immer Doreen Reinhard diesmal für ZEITonline. Das passiert, wenn Geflüchtete ehrlich erzählen, wie ihnen in Deutschland mitgespielt wird.

Über die Entscheidung des Landrats gab es in den folgenden Tagen Entsetzen und Aufregung. Zum Beispiel kritisierte die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich:

„Für die Entscheidung des Landrats von Pirna hab ich null Verständnis. Will man hier die Augen vor den Herausforderungen der Realität verschließen? Gerade wenn Besucher*innen Unverständnis über Zitate von Flüchtlingen geäußert haben, ist der Dialog doch ganz offensichtlich umso notwendiger. Wie wärs, – vielleicht nicht nur über, sondern mit Geflüchteten selbst? […]

Ausstellung einfach abzuhängen und damit die Perspektiven der Geflüchteten ausblenden zu wollen, ist entweder ein Akt der Hilflosigkeit oder purer Populismus. Geflüchtete sind Teil unserer Gesellschaft. Ihre Lebensrealität und ihre Sorgen zu ignorieren, trägt gerade nicht dazu bei, dass das Zusammenleben in unserem Land besser wird. Wer in politischer Verantwortung steht, muss den Mut zum Dialog haben und als Repräsentant einer Behörde Missstände beheben, egal wen sie betreffen. Ich hoffe sehr, dass die Verantwortlichen in Pirna die Ausstellung doch noch wie geplant in der kommenden Woche eröffnen.“

Unter Mitwirkung zahlreicher engagierter Menschen, auch aus den Kirchen in der Region, hat sich zumindest für die Ausstellung „Es ist nicht leise in meinem Kopf“ eine Lösung gefunden. Sie wird ab dem 25. September in der katholischen Klosterkirche St. Heinrich zu sehen sein. Auf dem „Wege der Ökumene mit der evangelischen Kirchgemeinde“ habe man sich „darauf verständigt, die Exponate im Gotteshaus am Klosterhof zu zeigen“: „Das ist so geplant, und dem steht auch nichts entgegen“, sagte der katholische Pfarrer Vinzenz Brendler der Sächsischen Zeitung.

Mehr zu den Implikationen dieses Vorgangs für die Demokratie im Lande – nicht nur im Osten – in der „Debatte“ dieser #LaTdH.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Ein Landrat ist in Amt und Würden, um Schaden von seinem Sprengel abzuwenden und der gesamten Bevölkerung zu dienen. Der Gesetzgeber hat keine Mühen und Längen gescheut, Aufgaben und Grenzen des Amtes zu definieren. Zugleich werden Landrät:innen wie auch (Ober-)Bürgermeister:innen gewählt und gehören zumeist einer Partei mit eigenen Zielen und Wertvorstellungen an. Das Gebot der Neutralität im Amt steht also in einem – vermutlich unauflösbaren – Widerspruch zur Art und Weise, wie Menschen in Verantwortung geraten.

Aber wie weit muss die Neutralität bei Repräsentant:innen des Staates eigentlich reichen? Als Vertreter des Staates sind sie in besonderer Weise an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, die Bundesrepublik ist kein wertneutraler Staat und so sind es auch ihre Untergliederungen nicht. Was für Landrät:innen diskutiert werden muss, gilt auch für Bürgermeister:innen, Lehrer:innen und weitere Staatsdiener:innen. Und in einem weiteren Sinne auch für Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, inklusive der Kirchen, in unserem demokratischen Rechtsstaat.

Alltagsnorm und Kampfansage: Warum wir über Neutralität sprechen müssen – Alexander Leistner (Verfassungsblog)

Bereits Ende August hat der Protestforscher Alexander Leistner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, beim Verfassungsblog im Rahmen des verdienstvollen „Thüringen-Projekts“ darüber geschrieben, wie mit der allgegenwärtigen Forderung nach „Neutralität“ im Kontext des Rechtsrucks in der Gesellschaft umgegangen werden kann.

Seine Ausführungen treffen die Situation in Ostdeutschland exakt. Sie sind aber auch jenseits von Elbe, Harz und Thüringer Wald bedeutsam: Denn auf die aktive Verteidigung der Demokratie sind viele zivilgesellschaftliche Player und staatliche Bedienstete auch in den Bundesländern der alten Bundesrepublik nicht ausreichend eingestellt.

Daran muss ich viel denken, weil mir vor allem in Ostdeutschland Neutralität als eine Alltagsnorm begegnet, als fraglos gegebene Selbstverständlichkeit, als Element einer mehrdimensionalen Politikdistanz: neutral sein in einem spezifisch entpolitisierten Verständnis. Eine Norm, an der Lehrer*innen, lokale Amtsträger*innen, Medien oder Vereinsfunktionäre gemessen werden und die darüber entscheidet, welchen Ort man dem Politischen zuweist; darüber ob politische Kontroversen, Haltungen, Positionierungen überhaupt einen Platz haben in Vereinsheimen, Klassenzimmern, Amtsstuben, Zeitungsredaktionen, am Gartenzaun oder auf einer Theaterbühne.

Die Gründe mögen auch heute vielseitig sein: Indifferenz, Stress vermeiden, Desinteresse, Unsicherheit und Unvertrautheit, Missverständnisse darüber, was Neutralität eigentlich meint. Aber sie prägen die mentale Hausordnung vieler Menschen, d.h. die ungeschriebenen Regeln des Miteinanderauskommens, die Erwartungen an gesellschaftliche Institutionen strukturieren.

Bemerkenswert ist, dass Leistner auf die Rolle der Kirche(n) mit keiner Silbe zu sprechen kommt, obwohl er sich in seiner Forschungstätigkeit bereits mit „Kirchen als ‚symbolische Mitte des Dorfes’“ befasst hat. Man sollte die Wirksamkeit der Kirchen jenseits ihrer Kernklientel sicher nicht übertreiben – siehe dazu die Diskussion im „Eule-Podast RE: August“ und diesen Artikel über die Wahlkampagnen der Kirchen in Sachsen und Thüringen. Aber sie ganz außen vor lassen?

Das jedenfalls würde die Bemühungen von Kirchen, Diakonie und Caritas, Akademien und Bildungseinrichtungen unterschätzen. Vielmehr sind der Religionsunterricht (hier am Beispiel von Martin Luther King von Michael Haspel erklärt), die gemeindliche und übergemeindliche Bildungsarbeit, die Jugendverbände und auch die sozial-diakonische Arbeit der Kirchen schon heute Räume, an denen die Forderung Leistners nach einer Ent-Neutralisierung der (Zivil-)Gesellschaft umgesetzt wird. Natürlich mit Luft nach oben.

Kirchgemeinden wie in Pirna, die durch klare Zeichen (vgl. Regenbogenfahne) und deutliche Stellungnahmen gegen Rechtsradikalismus und für geflüchtete und marginalisierte Menschen eintreten, haben es natürlich nicht leicht – auch intern nicht. Mit dem Engagement gegen den rechten Zeitgeist reiben sich viele Menschen auf. Sie bedürfen der Unterstützung durch Verbündete in ihren Organisationen und durch Bündnisse vor Ort. Ein erster Schritt dazu ist für die deutsche (Medien-)Öffentlichkeit, bereits bestehendes Engagement sichtbar zu machen und eben nicht zu beschweigen.

Gewinnen die Populisten, Herr Lassiwe? – Interview mit Benjamin Lassiwe von Anna Lutz (Pro Medienmagazin)

Im Vorfeld der Landtagswahlen in Brandenburg, die heute den Reigen der Landtagswahlen im Osten beschließen (s. #LaTdH von letzter Woche), spricht Benjamin Lassiwe über das Gebaren der AfD. Lassiwe gehört nicht nur zu den wenigen unabhängigen Journalist:innen, die (noch) über die Kirchen berichten, sondern ist auch Vorsitzender der Landespressekonferenz Brandenburg.

Auf keinem anderen Parteitag habe ich bisher T-Shirts mit dem Design der Reichsflagge gesehen, Flyer mit bekannten Personen in Wehrmachtsuniformen, nirgends Infomaterial der Identitären Bewegung oder gar Bibeln mit Parteiaufklebern, verteilt durch die „Christen in der AfD“. Das alles gibt es nur dort.

Und wenn ich das noch hinzufügen darf: Ich würde mir wünschen, dass gerade im christlichen Spektrum viele die AfD nicht nur als die Partei wahrnehmen, die gegen Abtreibung ist und den Islam kritisch sieht. Sondern dass fromme Menschen sich auch Gedanken darüber machen, was die AfD etwa mit Konvertiten aus dem Iran in Deutschland anstellen würde.

Die letzten Sätze richten sich nicht von ungefähr auch an Menschen aus der evangelikalen Bewegung, denen die AfD immer noch als einzige Alternative erscheint, wenn es z.B. um den Lebensschutz geht (s. „nachgefasst“). Das Pro Medienmagazin ist eines der wenigen Medien aus der evangelikalen Bewegung, die sich nicht klar und deutlich einem rechten oder rechtsradikalen Kurs verschrieben haben. Dem Interview mit Lassiwe ist auch eine ziemlich realistische Einschätzung zum Wahlausgang in Brandenburg zu entnehmen.

„Wo sich die Kirche engagiert, öffnen sich auf einmal Türen“ – Interview mit Lukas Pellio (Die Eule)

Natürlich ist weder zwischen Oder und Havel noch sonst irgendwo in Deutschland jede:r Christ:in auch Antifaschist:in (s. hier in der Eule), auch wenn sich die Reihen gegen die AfD besonders wegen ihrer fortschreitenden rechtsextremen Radikalisierung inzwischen zunehmend geschlossen haben. Doch es geht eben nicht nur um die AfD und ihren Angriff auf die Institutionen der Demokratie, sondern auch um den Schutz derjenigen, die von Debattenrummel und rechtsradikaler Normalisierung besonders betroffen sind.

Darauf macht Lukas Pellio, Studierendenpfarrer in Cottbus, in einem Reel der Menschenrechtsintiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Frei und gleich“ auf Instagram aufmerksam. Deshalb sei hier noch einmal auf das Eule-Interview mit Pellio von Anfang des Jahres hingewiesen.

„Eine ganz tolle Erfahrung ist, dass dort, wo wir uns getraut haben, andere Menschen dazugekommen sind – ob sie jetzt innerhalb der Kirche auftauchen oder von außerhalb die Kirche auf einmal als Ort wahrnehmen, wo man sich treffen, organisieren und Luft holen kann. Natürlich haben wir auch schwierige Situationen erlebt, wie den Molotow-Cocktail-Anschlag auf das Kirchgebäude. Aber trotzdem würde ich sagen, dass ich zu Beginn viel größere Sorgen hatte als jetzt. Die Freiheitsräume sind größer, als ich es gedacht hätte. […] Man hat ja oft das Bild, dass man zu einem einsamen Wolf würde, wenn man sich klar positioniert, und sich aufreibt und aufopfert. So ist es ganz und gar nicht! Ohne die brenzligen Situationen zu verharmlosen, ist die Grunderfahrung doch ermutigend.“

Die Bündnisarbeit vor Ort und der Schulterschluss mit den anderen demokratischen Kräften in der Gesellschaft verändern nicht zuletzt auch die Kirchen. Das Miteinander mit LGBTQI+ und Geflüchteten sensibilisiert dafür, wohin der HERR seine Kirche heute sendet: Zu den Marginalisierten und Schutzbedürftigen. Das ist mehr als eine „Option“, da gibt es auch keine Neutralität. Das gilt im Besonderen auch für das Kirchenasyl, über das wir in dieser Woche berichtet haben

nachgefasst I: ForuM & BEK

ForuM-Bulletin #5: Ausgabe September/Oktober 2024 – Sophia Groth, Frank Hofmann (EKD)

In einem eigenen Newsletter, dem „ForuM-Bulletin“, informiert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) über den aktuellen Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie im Nachgang der „ForuM-Studie“ (wir berichteten). Die aktuelle Ausgabe vom Freitag und ein Interview der amtierenden EKD-Ratsvorsitzenden, Bischöfin Kirsten Fehrs (Sprengel Hamburg und Lübeck / Nordkirche), in der Sendung „Tag für Tag“ des DLF haben eine kleine Welle von Meldungen verursacht, die den aktuellen Zwischenstand der Bemühungen auf dem Weg zur EKD-Synode im November in Würzburg einfangen. Richtig was Neues gibt es für gut informierte Eule-Leser:innen nicht zu lernen, z.B. über die Idee der zweistufigen Anerkennungsleistungen berichteten wir bereits im Vorfeld der EKD-Synode im vergangenen Jahr. Wer das aktuelle Bulletin gerne mal mit dem Stand von Ende November 2023 abgleichen will, kann das hier in der Eule tun.

Das Bulletin ist eine willkommene, weil kontinuierliche Informationsquelle für Betroffene, Beschäftigte und die Öffentlichkeit. Ein Ressourceneinsatz, der sich sicher lohnt. Das „ForuM-Bulletin“ wird in Absprache mit den Betroffenenvertreter:innen im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt (BeFo) von MitarbeiterInnen der Kommunikation von EKD/VELKD gestaltet, ist also Teil der kirchlichen Kommunikation und damit keine unabhängige Nachrichtenquelle.

Personalwechsel im BeFo der EKD

Im aktuellen „ForuM-Bulletin“ wird über den inzwischen vollzogenen Personalwechsel auf Seiten der Kirchenvertreter:innen im BeFo berichtet. Heike Springhart, Landesbischöfin der Badischen Landeskirche, die sich bereits als Universitätstheologin u.a. mit Vulnerabilität befasst hat, ersetzt die aus dem BeFo ausscheidende amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs. Fehrs hatte bereits seit 2018 dem Beauftragtenrat der EKD zum Schutz vor sexualisierter Gewalt angehört (bis 2020 als Sprecherin). Im November wird sie von der EKD-Synode zur Nachfolgerin von Annette Kurschus im Amt der Ratsvorsitzenden gewählt werden.

Außerdem scheidet Christoph Meyns, Landesbischof der Braunschweigischen Landeskirche, aus dem BeFo aus. Er will Mitte 2025 mit 63 Jahren in den Ruhestand treten. Als Nachfolger von Fehrs war er bis 2022 Sprecher der kirchlichen Beauftragten gewesen, also in der Zeit des Zusammenbruchs von Beauftragtenrat und Betroffenenbeirat (wir berichteten u.a. hier & hier). In das BeFo rückt für ihn der sächsische Landesbischof Tobias Bilz nach. Monika Memmel vom Diakonischen Werk Württemberg ersetzt Daniela Fricke von der Diakonie Westfalen.

Kirche ermittelt weiter gegen Pastor (tagesschau.de, NDR)

Das Gerichtsverfahren gegen Pastor Olaf Latzel wegen Volksverhetzung ist jüngst vorläufig gegen Auflagen eingestellt worden (s. „Buntes“ in den #LaTdH vom 1. September). Latzel soll nun endlich zahlen, nämlich „binnen sechs Monaten 5.000 Euro an das Bremer Rat-und-Tat-Zentrum für queeres Leben“. Außerdem hat Latzel sich für seine Äußerungen ausdrücklich entschuldigt.

Wegen genau diesen Äußerungen über Homosexuelle will aber die Bremische Evangelische Kirche (BEK) nun ihr kirchliches Disziplinarverfahren führen. Solche Verfahren ruhen während staatlicher Ermittlungsverfahren und werden erst nach deren Ende (wieder-)aufgenommen. Mit Spannung war erwartet worden, ob die BEK nach dem jahrelangen Rechtsstreit noch Bedarf an einer dienstrechtlichen Klärung hat:

Einstimmig habe der Kirchenausschuss für die kircheninterne Untersuchung gestimmt. […] Die Kirche rechnet mit einem längeren Verfahren. Latzel darf derzeit unter Auflagen predigen, wie der Sprecher sagte. Der Pastor der Bremer Sankt-Martini-Gemeinde hatte in einem Eheseminar im Oktober 2019 Homosexualität unter anderem als „Degenerationsformen von Gesellschaft“ bezeichnet und von teuflischem und satanischen „Gender-Dreck“ gesprochen. Die Aussagen waren als Audiodatei ins Internet gelangt. Die Kirche hatte sich mehrfach davon distanziert.

Im kirchlichen Disziplinarverfahren wird geprüft, ob Pfarrer Latzel eine Amtsdienstverletzung begangen hat. Wenn dies der Fall sein sollte, können verschiedene Disziplinarmaßnahmen ausgesprochen werden, zum Beispiel die Versetzung in den Wartestand. Wenn eine glaubwürdige Wahrnehmung des Dienstes dauerhaft nicht zu erwarten ist, wäre als schärfste Disziplinarmaßnahme auch eine Entfernung aus dem Dienst möglich.

Da sich Latzel und seine St.-Martini-Gemeinde aber weiterhin verschworen haben und Latzel (trotz Entschuldigung vor Gericht) nicht plötzlich woke geworden ist, steht eine interessante inhaltliche Prüfung bevor, während der auch die BEK für sich klären wird müssen, was im Rahmen des Verkündigungsdienstes in der Kirche für sie (noch) akzeptabel erscheint an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Bereits 2022 schrieb ich hier in der Eule: „Nicht hinter den Gerichten verstecken!“

Homofeindliche Pastoren und ihre Gemeinden sollten keinen Platz in der evangelischen Kirche haben. Da hilft auch alles Aufwiegen mit den zahlreichen progressiven Gegenbeispielen nichts. […] Das emphatische „Ja“ der evangelischen Kirche gegenüber LGBTQI* darf nicht zum Feigenblatt werden, wo auch andere Wege beschritten werden können. […] Homofeindliche Verkündigung ist gefährlich, gerade wenn junge Menschen ihr ausgeliefert sind. So ein bisschen theologischer Sophismus a’la Olaf Latzel ist nicht harmlos! Es ist kein Grundrecht, landeskirchlicher Pastor zu sein. Fein säuberlich schwulenfrei kann man als Kirchgemeinde wohl unter dem Grundgesetz leben, aber eben nicht in einer evangelischen Landeskirche.

Vielleicht bin ich auch zu blöde, aber ich finde auf der Website der Bremischen Evangelischen Kirche derzeit überhaupt keinen Hinweis auf das Prozessende und die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens. Wohl aber eine Meldung zum Christopher Street Day (CSD) von Mitte August und Hinweise auf die „TrauZeit“-Hochzeitsaktion und die Prävention sexualisierter Gewalt. Wer das eine macht, sollte das andere nicht lassen.

nachgefasst II: Marsch für das Leben

In Berlin und Köln fand gestern wieder der „Marsch für das Leben“ des Bundesverbands Lebensrecht (BVL) statt. Der Aufmarsch von Lebensschützer:innen und Abtreibungsgegner:innen wurde erneut von starkem Gegenprotest begleitet. In Berlin versammelten sich zum „Marsch für das Leben“ ca. 2.000 Personen, während sich Gegendemonstrant:innen im „mittleren dreistelligen Bereich“ zum „Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung“ trafen. In Köln wurde die vom BVL anvisierte Teilnehmer:innenzahl von 4.000 deutlich unterschritten. Der Gegenprotest von deutlich mehr als 2.500 Personen sei „größer gewesen“, berichtet der epd. Erneut kam es zu (erfolgreichen) Blockaden des Marschs in beiden Städten. Gegendemonstrant:innen in Berlin gelang es sogar, auf die Bühne der Abschlusskundgebung zu gelangen, berichtet der Tagesspiegel.

Während der „Marsch für das Leben“ in Berlin also in etwa so groß ausfiel wie in den vergangenen Jahren, wenngleich von deutlich weniger Berichterstattung von allen Seiten begleitet, ist die Zahl der demonstrierenden Lebensschützer in Köln bei der zweiten Ausgabe der Parallel-Demo am gleichen Tag geschrumpft. Die Lebensschützer im Westen und Nordosten sind scheinbar ausmobilisiert. Der Bus der St.-Martini-Gemeinde (s. Olaf Latzel oben) wurde in Bremen eine halbe Stunde an der Abfahrt gehindert, was in rechten Medienbubbles um die Idea gleich wieder für hyperthrophe Warnungen vor dem Ende der Meinungsfreiheit in Deutschland sorgt.

Marsch ohne Segen der Bischöfe? – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Erstmals seit Menschengedenken hatte die römisch-katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) kein Grußwort an die Teilnehmer:innen des „Marschs für das Leben“ gerichtet. Eine entsprechende Anfrage der Veranstalter an die DBK habe es dieses Jahr nicht gegeben, berichtete zuerst die Kirche + Leben. Der BVL präsentiert auf seiner Website in diesem Jahr auch nicht – wie sonst üblich – stolz die Grußworte weiterer römisch-katholischer und weiterer Kirchenvertreter (Redaktionsschluss: 22.9.2024, 8 Uhr). Dort steht einzig das Grußwort des Apostolischen Nuntius Nikola Eterovic, über das ich schon am Freitag in meiner Analyse zum „Marsch für das Leben“ 2024 geschrieben hatte:

Darin schreibt er: „Beim Marsch für das Leben verbinden sich Menschen guten Willens aus unterschiedlichen Religionen, Konfessionen, Weltanschauungen und politischen Strömungen zu einem friedlichen Statement: Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht!“ Die Teilnahme von Rechtsradikalen, die bei anderer Gelegenheit gegen Geflüchtete und Migrant:innen hetzen, würdigt Eterovic mit keinem Wort, sondern spricht selbst von Europa als einem „vielfach geschundenen und zum Teil aussterbenden Kontinent“. Das „Aussterben“ Deutschlands bzw. des christlichen Abendlandes ist ein zentrales Propagandanarrativ von rechtsextremen Bewegungen.

An den Märschen teilgenommen haben neben der AfD-Politikerin Beatrix von Storch (in Berlin) und weiteren Aktivisten rechtsradikaler und rechtsextremer Vereinigungen auch mehrere katholische Bischöfe (s. KNA): Die Bischöfe Rudolf Voderholzer (Regensburg) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt) sowie die Weihbischöfe Matthias Heinrich (Berlin), Josef Graf (Regensburg) und Florian Wörner (Augsburg) in Berlin sowie Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (Erzbistum Köln) in Köln.*

Buntes

Mut zur Macht – Angela Rinn (zeitzeichen)

In der Online-Freitagskolumne „z(w)eitzeichen“* des evangelischen Magazins zeitzeichen schreibt Angela Rinn über Macht und Intransparenz in der Evangelischen Kirche. Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Herborn. Außerdem ist sie Mitglied der EKD-Synode. In ihrem Text geht es reichlich um die Wahl einer neuen KirchenpräsidentIn in ihrer Landeskirche (s. #LaTdH vom 1. September), die sie zum Anlass nimmt, über die häufig undurchschaubare Mechanik evangelischer Machtverteilung zu schreiben.

Wir brauchen in dieser multiplen Krisen-Lage der Kirche höchst kompetente Menschen, die fähig sind, sich der größten Krise der evangelischen Kirche seit dem Nationalsozialismus zu stellen. Zugleich wird es den Amtsinhabern und Kandidat*innen alles andere als leicht gemacht. […] Die Kandidat*innen für die höchsten Ämter in unseren Landeskirchen löffeln eine Suppe aus, die sie sich nicht eingebrockt haben, die jedoch schon länger schal, wenn nicht gar giftig schmeckt und – seit Jahrzehnten! – darauf wartet, fachgerecht entsorgt zu werden. Die Suppe heißt Intransparenz bei leitenden Personen, Gremien und Verwaltungen unserer Landeskirchen und der EKD. Diese bräsigen intransparenten Strukturen haben – das hat die ForuM-Studie in erschreckender Klarheit gezeigt – sexualisierte Gewalt ermöglicht, Aufklärung erschwert und sogar verhindert.

Kardinal Woelki zehn Jahre in Köln: Dauerringen um Glaubwürdigkeit – Andreas Otto (katholisch.de, KNA)

„Vom Hoffnungsträger zum Buhmann für viele“ ist Kardinal Rainer Maria Woelki in den zehn Jahren seiner Kölner Amtszeit als Erzbischof geworden. An die hohen Töne während seiner Zeit als Erzbischof in Berlin und zum Amtsantritt in Köln erinnert nicht nur dieses Porträt zum Jubiläum von Andreas Otto für die KNA.

Zum Buhmann für viele wurde der Erzbischof vor allem durch sein Handeln bei der Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs, auch wenn er sich hier selbst als vielfach missverstandener Vorreiter versteht. […] Derweil scheint die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen allmählich zu einem Ende zu kommen. Die in Einrichtungen des Erzbistums sichergestellten rund 800.000 E-Mails seien nun gesichtet, hieß es. Diese müssten jetzt noch bewertet und eventuell weitere Zeuginnen und Zeugen vernommen werden.

Mit einem Finale vor Gericht für Woelki ist wohl in diesem Kalenderjahr nicht zu rechnen. Und auch die weiteren Baustellen im Erzbistum bleiben bestehen. Das Kölner Domradio widmet dem 10. Dienstjubiläum des Oberchefs sogar ein hübsches Pro & Contra von Benjamin Leven (Communio) und Ludwig Ring-Eiffel (Rom-Korrespondent und ehem. Chefredakteur der KNA).

„Eule-Podcast Q & R“ mit Daniela Albert – Michael Greder (Die Eule, 30 Minuten)

In der zweiten Ausgabe unserer Fragen und Antworten Edition des „Eule-Podcast“ ist Eule-Familienkolumnistin Daniela Albert zu Gast. Seit 2020 schreibt Daniela die Kolumne „Gotteskind & Satansbraten“, in der sie sich mit Familienpolitik, Erziehungsfragen und dem Themenfeld Kinder und Kirche befasst. Im Gespräch geht es darum, wie gemeinsam mit Kindern Gottesdienst gefeiert werden kann und wieviel tägliche Medienzeit für Kinder angemessen ist.

Daniela und Podcast-Host Michael Greder diskutieren auch die Frage, ob Familien mit konservativem Familienmodell (auch in der Kirche) unberechtigter Kritik ausgesetzt sind – und wie das mit dem Tradwives-Phänomen zusammenhängt, über das Daniela im März 2024 in ihrer Kolumne geschrieben hat. Und es geht um den christlichen Glauben als Resillienzfaktor in einer Gesellschaft, die „immer höher und weiter hinaus will“. In ihrem aktuellen Buch gibt Daniela Hinweise darauf, wie Familien bewusst das Tempo rausnehmen können und entspannter miteinander leben können: Dazu schlägt sie die Rhythmen des Kirchenjahres vor.

Ein guter Satz

„Wir machen nur den Hype mit, der uns gut tut!“

– Daniela Albert im „Eule-Podcast Q & R“ zur Frage, wie der Glaube beim (Familien-)Leben helfen kann


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* Korrektur Sonntag, 22.09.2024, 12 Uhr: Die Zuordnung der Weihbischöfe Graf und Wörner zu ihren jeweiligen Bistümern wurde berichtigt. Wir hatten sie zunächst aus der Meldung der KNA übernommen. Danke für den Hinweis aus der Leser:innenschaft!

Aller sechs Wochen schreibt Philipp Greifenstein als Teil des Kommentator:innen-Teams die „z(w)eitzeichen“-Kolumne auf der Website der zeitzeichen.