EKD-Synode 2023: Die Papphocker-Kirche

Bei ihrer Tagung in Ulm will die EKD-Synode bei vielen Themen Tuchfühlung mit der Realität aufnehmen. Kann die Kirche trotz aller Krisen sprach- und handlungsfähig werden?

Von Sonntag an trifft sich die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu ihrer jährlichen Tagung, diesmal in Ulm. Bereits seit Freitag tagt die Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), die wie auch die „Versammlung“ der Synodalen aus den Mitglieds- und Gastkirchen der Union evangelischer Kirchen (UEK) mit der EKD-Synode in der sog. verbundenen Tagung stattfindet. Die EKD-Synode steht unter dem Titel: „Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben“.

Diese Zielformulierung kann man getrost als Statement verstehen: Die Evangelischen möchten in mitten von Kriegen und Krisen auf sich schauen: Welche Rolle spielt das Sprechen über den Glauben eigentlich in der Kirche – und erst  in der Gesellschaft? Sind die Evangelischen mutig genug, in Wort und Tat zu vertreten, was sie glauben? Die Evangelische Kirche will erneut klären, welche Rolle sie im Konzert anderer gesellschaftlicher Akteure und im Gegenüber und Miteinander zu Politik und Staat spielen will und kann. Zu Beginn der Tagung wird die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Bärbel Bas (SPD), ein Grußwort halten. Damit wird die Trias der höchsten staatlichen Amts- und Würdenträger komplett, die sich in diesem Jahr auf evangelisches Parkett begeben haben (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem Kirchentag in Nürnberg, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim Diakonie-Jubiläum und ebenfalls auf dem Kirchentag).

Aller Introperspektivität zum Trotz werden die Krisen dieser Tage und damit auch die Politik Einzug halten auf der Synodentagung. Die Synode neigt ohnehin dazu, sich zu zahlreichen Weltproblemen mittels Diskussionen und Entschließungen zu äußern. Nichts deutet darauf hin, dass an dieser Praxis gerade in Ulm etwas geändert werden wird. Dass die evangelischen Ein- und Zusprüche jenseits enger EKD-Kreise kaum jemanden interessieren, wird beklagt, aber nur selten handlungsleitend reflektiert: Könnte es gar am Ende etwas mit einer Sprachlosigkeit in Glaubensfragen zusammenhängen?

#glaubensstark: Die Präses als Kirchenbotschafterin

In den vergangenen Wochen ist die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, auf dem Pfad gewesen, um digital und analog auf das Synodenthema einzuschwören. Unter dem Hashtag #glaubensstark und unter dem Bibelspruch „Ich glaube, also rede ich“ (2. Kor 4, 13) rufen Heinrich und die Synode dazu auf, eigene Glaubenszeugnisse zu posten. Sie sollen die Beratungen der Synode durchaus beeinflussen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Kirchenmitglieder (insbesondere auf Instagram) als deutlich frömmer im besten Sinne des Wortes herausstellen als gedacht.

Am Dienstag dann sollen auf der Synodentagung erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der EKD vorgestellt werden. Erstmals hat sich auch die römisch-katholische Kirche an der Studie beteiligt und wurden auch Nicht-Kirchenmitglieder befragt. Die Kirchen erhoffen sich Erkenntnisse darüber, warum Menschen in unserer Gesellschaft glauben und warum sie dafür der Kirche (nicht mehr) bedürfen. Heinrich hat zuletzt nichts unversucht gelassen und in dutzenden Videos und Botschaften ihre Community über die KMU aufzuklären versucht. Im Vergleich dazu kippt die restliche Kommunikationsarbeit der EKD bedenklich ab.

Missbrauch evangelisch

Zuvor allerdings wird die Synode sich am Dienstag wieder mit dem Problem der sexualisierten Gewalt in den evangelischen Kirchen befassen. Präses Heinrich hatte zu Beginn der Ratsperiode angekündigt, dass sich die Synode dauerhaft und intensiv auf jeder Tagung mit dem Themenfeld Missbrauch befassen wird. Bisher hält die Synode dieses Versprechen an die Betroffenen. Die Zusammenarbeit von KirchenvertreterInnen und Betroffenensprecher:innen im sog. Beteiligungsforum (BeFo) hat in diesem Jahr deutlich geräuschloser geklappt als in den Jahren zuvor (wir berichteten). Gemeinsam werden beide Statusgruppen wieder vor der Synode berichten.

Vollständig abgeschlossen wurde zur Jahresfrist seit der letzten Tagung in Magdeburg 2022 keines der großen Projekte, die sich EKD und BeFo vorgenommen haben:

Die Anerkennungsleistungen für Missbrauchsbetroffene sollen endlich deutschlandweit harmonisiert werden. Ein Sockelbetrag im niedrigen vierstelligen Bereich soll allen Antragssteller:innen nach einer Plausibilitätsprüfung in Anerkennung des institutionellen Versagens zugesprochen werden. Hinzu sollen dann Leistungen nach individueller Zumessung kommen, die die Schwere der Tat und ihrer Folgen stärker berücksichtigen sollen. Allen Betroffenen soll ein „Recht auf ein Gespräch“ eingeräumt werden. Bei der Höhe der Leistungen wollen die evangelischen Kirchen sich weiterhin an der Rechtssprechung bei Schadensersatzklagen vor staatlichen Gerichten orientieren, die aber zuletzt deutlich höhere Entschädigungen für Betroffene zugesprochen hatten (wir berichteten). In Einzelfällen zahlten evangelische Landeskirchen  auch schon niedrige sechsstellige Beträge in „Anerkennung des Leids“ (zur grundsätzlichen Problematik der Anerkennungsleistungen und der zuständigen „Unabhängigen Kommissionen“ (sic!) u.a. hier mehr in der Eule).

Ende 2023 soll endlich auch eine neue Vereinbarung mit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) unterzeichnet werden. An den Verhandlungen haben ebenfalls Mitglieder des BeFo teilgenommen. Die UBSKM der Bundesregierung, Kerstin Claus, hatte die Bemühungen der evangelischen Kirchen um eine besssere Aufarbeitung sexualisierter Gewalt unterjährig kritisiert, es ginge viel zu langsam voran.

Auch die große Studie des Forschungsverbunds „ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“ soll erst im Januar 2024, anstatt in diesem Herbst veröffentlicht werden. Die Beteiligten rechnen damit, dass die Studie in der Kirche für Aufregung sorgen wird und auch jene wachrütteln könnte, die dem Thema bisher mit Ignoranz oder Desinteresse gegenüberstehen. Die Studie wird auch bisher unveröffentlichte Missbrauchsfälle enthalten. Ingesamt sei das Missbrauchsgeschehen in den vergangenen Jahrzehnten nicht wesentlich geringer als in der römisch-katholischen Kirche gewesen. Ursächlich für die Verzögerung waren, wie die Eule erfahren hat, Schwierigkeiten auf Seiten der Landeskirchen bei der Lieferung konkreter Daten. Ein Hinweis auf die schlampige Aktenführung der vergangenen Jahrzehnte.

Bei der Tagung der Synode in Magdeburg hatten die Betroffenen ihre Berichte vor der Synode unter die Überschrift „Jetzt ist die Zeit“  gestellt. Die Anspielung an das Motto des Kirchentages in Nürnberg 2023 sollte die Dringlichkeit ihrer Anliegen vor Augen stellen. Trotz einiger Fortschritte gehen die Bemühungen in den evangelischen Kirchen um bessere Prävention, Intervention, vor allem aber um Aufklärung und Entschädigung viel zu langsam voran. Gleichwohl sind hierfür vor allem die EKD-Gliedkirchen, also die zwanzig evangelischen Landeskirchen, mehr in die Pflicht zu nehmen als die EKD-Synode, die ihren Teil zum Werk derzeit sorgfältig erledigt.

Kurz vor Tagungsbeginn in Ulm findet unter Beobachter:innen und Teilnehmer:innen eine Meldung mit Zündstoff aus Westfalen Widerhall: Ausgerechnet in der Landeskirche der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus und dort auch noch im Kirchenkreis, dem sie von 2005 bis 2012 als Superintendentin vorstand, gab es mehrere Fälle sexualisierter Gewalt, die erst jetzt an die Öffentlichkeit gekommen sind, berichtet die Siegener Zeitung (€). Im Zentrum der Fälle steht ein ehemaliger Angestellter des Kirchenkreises, die Vorwürfe reichen zwanzig Jahre zurück. Die Westfälische Landeskirche (EKvW) hat nach Beginn der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen den Kontakt zum mutmaßlichen Täter eingestellt und ein Interventionsteam aufgestellt.

„Die Vorwürfe gegen den Mann wiegen schwer. Über Jahrzehnte soll er im Rahmen seiner kirchlichen Tätigkeit gegenüber jungen Männern sexualisierte Gewalt angewandt und diese missbraucht haben. Dabei soll er seine Position, die ihn auch in Kontakt mit Jugendlichen brachte, ausgenutzt haben. Die Ermittlungen gegen den Mann, der bereits im Ruhestand ist, begannen im Frühjahr. Eine anonyme Strafanzeige aus dem Kirchenkreis löste sie aus.“

Wie genau das institutionelle Versagen der Kirche sich bei diesen Missbrauchsfällen gestaltet hat und welche Verantwortung kirchenleitende Personen auch persönlich übernehmen müssen, werden erst die weiteren Ermittlungen und Untersuchungen zeigen. Kurschus hatte zu ihrem Amtsantritt als EKD-Ratsvorsitzende versprochen, das Thema sexualisierte Gewalt zur „Chefinnen-Sache“ zu machen. Wie auch ihren Vorgänger im Amt des Ratsvorsitzes, den damaligen bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, holt das Thema Kurschus immer wieder ein. Man kann – das gilt für die gesamte evangelische Kirche – eben nicht ewig vor den Versäumnissen der Vergangenheit weglaufen.

Vor die Zeit

Nichts wollen die Evangelischen lieber, als auf der Höhe der Zeit sein, „Sprach- und Handlungsfähigkeit“ beweisen. Mit den Rahmenbedingungen dieses Anliegens, der Finanzierung der EKD-Einrichtungen und Werke und den rechtlichem Rahmen von Synode und EKD, werden sich die Synodalen in den kommenden Tagen befassen müssen.

Vom Stand der Dinge in der Evangelischen Kirche wird die Ratsvorsitzende am Sonntagvormittag berichten. Im Ratsbericht und der zugehörigen Aussprache wird es – wie auch am Montag, an dem weitere Berichte z.B. zur „Friedenswerkstatt“ anstehen – an großen Themen nicht fehlen, die Gesellschaft und Kirche in diesen Wochen beschäftigen: Das Pogrom vom 7. Oktober in Israel und der Gaza-Krieg, die Diskussionen über die Reform des Schwangerschaftsabbruchs, der Ukraine-Krieg und weitere Krisen (z.B. Armenien).

Auch die eskalierende Rhetorik in der Flüchtlings- und Migrationsdebatte und die von der Bundesregierung vorangetriebenen oder doch zumindest angetesteten Verschärfungen beim Asyl- und Migrationsrecht beschäftigen die Synodalen, liegt die evangelische Kirche hier doch über Kreuz mit eben jenen politischen Akteur:innen, mit denen sie von Rechtsradikalen und -Populisten so gerne in einen Topf geworfen wird. Wieviel Widerspruch gegenüber der Regierung trauen sich die Evangelischen zu? Vor die Zeit kommen, heißt womöglich, es sich richtig unbequem zu machen.

Bei alledem ist es gut, wenn man weiß, woher man kommt. Am Samstagvormittag haben die VELKD-Synodalen einen Vortrag des Leipziger Systematikers Roderich Barth über lutherische Identität gehört. Dessen Vater Friedrich Barth ist übrigens „Erfinder“ des Kirchentagshockers aus Pappe: leicht, mobil, flexibel einsetz- und wiederverwertbar, nachhaltig und inzwischen auch schon traditionell. Gibt es ein besseres Bild für die Evangelische Kirche?


Die Eule auf der EKD-Synode 2023

Eule-Redakteur Philipp Greifenstein wird wieder von der EKD-Synode berichten. In diesem Jahr wird es allerdings keinen Live-Blog geben. Nach 5 Tagungen der Synode, die Philipp live ge- und verbloggt hat, pausieren wir diesmal dieses Format. Der Live-Blog hat seit der „Friedenssynode” von Dresden 2019 und vor allem während der digitalen Synodentagungen in Pandemie-Zeiten und bei der letzten Ratswahl hervorragend funktioniert. Um über die anstehende thematische Präsenztagung der Synode gut berichten zu können, wählen wir für dieses Jahr aber einen anderen Weg. (Der Synoden-Live-Blog wird sicher ein Comeback feiern. Versprochen!)

Von der Tagung der EKD-Synode wird Philipp in mehreren Beiträgen im Magazin berichten. Kurze Schnipsel gibt es von ihm auch bei Bluesky und Mastodon zu lesen. Wir freuen uns auf Eure / Ihre Hinweise, Wünsche und Rückmeldungen zur Berichterstattung aus Ulm, gerne auch als Kommentar im Magazin oder als E-Mail an redaktion@eulemagazin.de.

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