Happy Birthday Digitaldenkschrift!
Happy Birthday Digitaldenkschrift!
Vor einem Jahr wurde die EKD-Denkschrift zum digitalen Wandel veröffentlicht. Wir haben bei evangelischen Akteur:innen nachgefragt, was sie mit der Digitaldenkschrift heute anfangen können:
Vor einem Jahr wurde die Denkschrift „Freiheit digital“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlicht. Sie sollte zusammenführen, was aus evangelischen Perspektiven zur Digitalisierung in unserer Gesellschaft gesagt werden kann. Gegliedert ist sie nach den 10 Geboten, denen jeweils wichtige Themen zugeordnet werden. Die EKD spricht darum auch von den „zehn Gebote[n] in Zeiten des digitalen Wandels“.
Eine EKD-Denkschrift wird vom Rat der EKD verabschiedet und zuvor in einer der Kammern der EKD vorbereitet. Diesen Kammern gehören Akteur:innen aus Kirche, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an. Die Digitaldenkschrift wurde maßgeblich von der Kammer für soziale Ordnung vorbereitet.
In der evangelischen Kirche gibt es kein verbindliches Lehramt, aber als Dokument gemeinsamen Nachdenkens kommt EKD-Denkschriften eine Orientierungsverbindlichkeit zu. Wenn sie gut sind, können sie Debatten beeinflussen und wichtige Ergebnisse festhalten, die für die Kirchen und evangelische Christ:innen handlungsleitend werden.
Zum ersten Mal gab es begleitend zur eigentlichen Denkschrift (PDF, 248 Seiten) auch eine ausführliche, digitale Präsentation, die auf den Punkt bringen sollte, worum es geht. Das hatten Beobachter:innen und Akteur:innen der Digitalisierung in den Kirchen lange gefordert. Auf einer eigenen Website informieren kurze Artikel zu den jeweiligen Geboten über die Inhalte. Außerdem finden sich dort Videos von den im Anschluss an die Veröffentlichung durchgeführten digitalen Gesprächsrunden. Die digitale Präsentation der Denkschrift wurde maßgeblich von der Stabsstelle Digitalisierung im EKD-Kirchenamt übernommen.
Zum 1. Geburtstag der Digitaldenkschrift haben wir Akteur:innen aus den evangelischen Kirchen 3 Fragen zu Inhalt und Wirkung der Denkschrift gestellt. Das haben sie geantwortet:
„Leben in Verantwortung“
Thomas Voigt
@Voigt_OttoGroup, Group Vice President Corporate Communications and Political Affairs bei der Otto Group, ehrenamtlich aktiv im Steuerungskreis der Initiative Kirche-Wirtschaft der Nordkirche und jahrzehntelang bis 2021 als Mitglied der Sozialkammer der EKD
1. Wie hat die Digitaldenkschrift Ihre Arbeit im vergangenen Jahr geprägt?
Die Publikation der Digitalisierungsdenkschrift im Frühjahr letzten Jahres hat mir als langjährigem Mitglied der Kammer für Soziale Ordnung erst einmal Erleichterung verschafft, schließlich war das mehrjährige Werk vollbracht. Zugleich hat es mir einige nahrhafte Diskussionen mit Kolleg*innen in der Digitalwirtschaft und natürlich im kirchlichen Raum bis hin zum Ökumenischen Kirchentag beschert. Das war sehr bereichernd.
2. Welchen inhaltlichen Impuls der Digitaldenkschrift halten Sie ein Jahr später für besonders relevant?
Den Impuls, mit dem Begriff der Freiheit in den öffentlichen Diskurs zu treten. Frühere Auseinandersetzungen der Kirche mit technischem Fortschritt waren ja gerne von Dystopie und Askese durchtränkt. Mit dieser Denkschrift sollte erstmals aufgezeigt werden, wie ein freiheitliches und befreiendes Leben in Verantwortung gerade in der digitalen Welt gelingen kann. Da mich persönlich die Freiheitsschrift von Martin Luther stets fasziniert hat, ein bewegender Moment.
3. Ein Leben ohne EKD-Digitaldenkschrift ist vorstellbar, aber …
Ein Leben ohne EKD-Denkschrift muss man sich vorstellen, weil es trotz wirklich redlicher Bemühungen nicht gelungen ist, die Thesen des Papiers über den Horizont der Kirche und strukturkonservativer Kreise hinaus in die Breite des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens zu tragen. Ein Zeitzeichen, mal ganz unabhängig vom Thema. Aber vielleicht ist es nie zu spät, selbst für Denkschriften dieser Art.
„Gesprächspartnerin in der theologischen Reflexion“
Frederike van Oorschot
@ReligionFESTHD1, Leiterin des Arbeitsbereichs Religion, Recht und Kultur an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), derzeit Vertretung des Lehrstuhls für Systematische Theologie/Ethik an der Ev.-Theol. Fakultät der Uni Bonn
1. Wie hat die Digitaldenkschrift Ihre Arbeit im vergangenen Jahr geprägt?
Die Denkschrift war für mich eine Gesprächspartnerin in der theologischen Reflexion des digitalen Wandels – sei es in der Medienethik, in der Reflexion der digitalen Kirche, dem Menschenbild im digitalen Wandel usw. Zugleich hat sie es leichter gemacht, für diese Themen in kirchlichen Feldern Interesse zu wecken – und in andere Wissenschaften hinein gezeigt, dass Kirchen das Thema auf dem Schirm haben.
2. Welchen inhaltlichen Impuls der Digitaldenkschrift halten Sie ein Jahr später für besonders relevant?
Die Denkschrift ist ja sehr breit angelegt und versucht, den digitalen Wandel in fast allen Lebensbereichen zu beschreiben und nimmt dabei Beschreibunegn aus verschiedenen Wisssenschaften auf. Einen besonderen Akzent sehe ich im Hinweis auf die Bedeutung gesellschaftlicher Frames und Narrative des digitalen Wandels (S. 28-37). Wie wir über Digitalisierung sprechen, prägt sehr stark, welche Erwartungen und Ängste damit ausgelöst werden:
Gibt es Gemeinde nur noch digital, weil wir sonst die Digitalisierung „verschlafen“? Löst Künstliche Intelligenz den Menschen ab, wenn wir sie weiter entwickeln? Sind wir nur dann wirklich „präsent“, wenn wir uns vor Ort – „in Präsenz“ – treffen und digital irgendwie „unpräsent“? Für diese Sprachbilder sensibel zu sein und diese zu reflektieren – hier scheint mir eine zentrale Aufgabe für Theologie und Kirche zu liegen.
3. Ein Leben ohne EKD-Digitaldenkschrift ist vorstellbar, aber …
… viel mehr Arbeit, denn dann müsste man eine solche Denkschrift noch schreiben.
„Leider ziemlich schnell alt geworden“
Maximilian Heßlein
@MaxHesslein, Wirtschafts- und Sozialpfarrer der Evangelischen Kirche in Baden (EKIBA), Geschäftsführer Evangelische Arbeitnehmerschaft (ean) in Baden
1. Wie hat die Digitaldenkschrift Ihre Arbeit im vergangenen Jahr geprägt?
Meine Arbeit wurde im vergangenen Jahr allein durch die Mitwirkung an der Online-Reihe „Freiheit digital“ durch die Denkschrift geprägt. Ohne die Mitwirkung hätte ich die Denkschrift wahrscheinlich nur am Rand wahrgenommen. So habe ich es jedenfalls bei den Kolleginnen und Kollegen im Gemeindepfarramt oder anderen kirchlichen Diensten wahrgenommen, die weder die Denkschrift noch unsere Online-Reihe wirklich auf dem Schirm hatten. Manche hatten noch nicht einmal von der Veröffentlichung gehört. Meine Mitwirkung hat immerhin dazu geführt, dass ich meinen Umgang mit digitalen Angeboten und mein eigenes Verhalten darin überprüft und an verschiedenen Stellen auch korrigiert habe. Das ist aber vielleicht nicht nur auf die Denkschrift, sondern auf die Zeit insgesamt zurückzuführen. Sie hat auch meine Sicht auf die 10 Gebote noch einmal neu geleitet.
2. Welchen inhaltlichen Impuls der Digitaldenkschrift halten Sie ein Jahr später für besonders relevant?
Das kann ich nicht beantworten, weil ich fürchte, dass die Denkschrift leider ziemlich schnell alt geworden ist oder sie es vielleicht schon war, als sie erschien. Ich glaube, sie hat leider keine Relevanz im gesellschaftlichen Raum entwickelt. Auch im kleineren kirchlichen Raum nehme ich keine besondere Relevanz der Denkschrift wahr. Eigentlich schade um die viele Arbeit, die da drinsteckt.
3. Ein Leben ohne EKD-Digitaldenkschrift ist vorstellbar, aber …
… aber dann hätte es die Online-Reihe nicht gegeben, die mir viel Spaß gemacht hat und die ich auch sehr gern mitgestaltet habe, weil dadurch intensive Gespräche entstanden sind. Die Erträge dieser Gespräche für heute kann ich allerdings nicht beziffern, weil die Denkschrift so schnell auch aus dem kirchlichen Fokus verschwunden ist.
„Die Zehn Gebote sind auch im digitalen Wandel gültig“
Christian Sterzik
@C_Sterzik, Leiter der Stabsstelle Digitalisierung im EKD-Kirchenamt, Kirche im digitalen Wandel (#KidW)
1. Wie hat die Digitaldenkschrift Ihre Arbeit im vergangenen Jahr geprägt?
Die Zehn Gebote sind auch im digitalen Wandel gültig. Dass die Denkschrift diese auf digitale Themen bezieht, ist mir hilfreich. Die Denkschrift prägte unsere Arbeit in der Stabsstelle Digitalisierung der EKD besonders durch viele bereichernde Austausche dazu, bspw. die 10 Web-Seminare zur Denkschrift, bei denen meine Kollegin Stefanie Hoffmann und ich oft dabei sein konnten. Die Video-Aufzeichnungen dieser Termine sind unter ekd-digital.de verlinkt.
Mich hat besonders gefreut, dass viele sich stark mit der Denkschrift befassten. Beispielhaft möchte ich den Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer nennen, insbesondere Herrn Stephan Klinghardt. Dieser kaufte und versandte über 600 Denkschriften und organisierte sehr viele Termine dazu, bei denen über die Inhalte der Denkschrift und konkrete Anwendungsfälle gesprochen wurde.
2. Welchen inhaltlichen Impuls der Digitaldenkschrift halten Sie ein Jahr später für besonders relevant?
Den zum neunten Gebot, der nicht falsch Zeugnis reden auf Fake News bezieht und zugleich die freiheitsbringenden und freiheitsgefährdenden Aspekte von sozialen Medien betrachtet.
3. Ein Leben ohne EKD-Digitaldenkschrift ist vorstellbar, aber …
… um 248 Seiten Gedanken, 10 Kurzimpulsen daraus, den Videos auf ekd-digital.de, religionspädagogische Materialien und einiges andere ärmer.
„Weniger Cyber und mehr Expertise ist gefragt“
Michael Greder
@HerrPfarrerin, Vikar der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) und Eule-Podcaster
1. Wie hat die Digitaldenkschrift Deine Arbeit im vergangenen Jahr geprägt?
Für mich als Vikar hat die Denkschrift keinerlei Auswirkungen auf meine Arbeit gehabt. Sie hat mich weder in meinen täglichen Aufgaben beeinflusst noch spielte sie eine Rolle im Gemeindeleben. Im entsprechenden Kurs im Predigerseminar wird sie voraussichtlich als ein Gesprächsimpuls fungieren.
2. Welchen inhaltlichen Impuls der Digitaldenkschrift hältst Du ein Jahr später für besonders relevant?
Ich halte nach wie vor für relevant, dass sich die kirchlichen Diskussionen weg von der #digitaleKirche-Blase bewegen müssen. Es geht um mehr als Gottesdienste auf irgendwelchen Endgeräten. Ähnlich wie bei anderen brisanten Themen in der Vergangenheit, sollte sich die Kirche mit ihren Stimmen auch in gegenwärtigen Fragen einbringen können. Weniger Cyber und mehr Expertise ist hier gefragt.
Die Autor:innen der Digitaldenkschrift haben einen Versuch gewagt, das zu tun. Man merkt dem Ergebnis an, dass ganz unterschiedliche Adressat:innen in den Blick genommen wurden: Es soll eine Menge digitaler Lebenswirklichkeit vermittelt werden – vermutlich „Kirchenleuten“. Zugleich will man als Kirche zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen sprechen – daher die Struktur der 10 Gebote. Digitalisierung in der Kirche und christliches Zeugnis in der Gesellschaft gleichzeitig voranzutreiben, ist eine schwere Aufgabe.
3. Ein Leben ohne EKD-Digitaldenkschrift ist vorstellbar, aber …
… wir wüssten heute nicht, dass die Eheleute S. sonntags um circa 21 Uhr gegen geltendes Arbeitsrecht verstoßen!
Mehr:
Die #digitaleKirche ist eines der Schwerpunktthemen der Eule. Gemeint sind damit alle Fragen, die durch die Digitalisierung auf die Kirchen zukommen und Fragen der Lebensgestaltung von Christ:innen in der Digitalität. Alle #digitaleKirche-Beiträge der Eule gibt’s hier, besonders empfehlen wir:
Während der Corona-Pandemie boomt die Kirche im Netz. Dabei sitzt sie weiterhin Missverständnissen auf, die ihren Erfolg behindern, ist sich Philipp Greifenstein sicher. „5 Missverständnisse der Kirche im Netz“ hat er in der Eule ausgeräumt.
Hinter der Hochglanz-Welt der Christfluencer:innen verbirgt sich eine toxische Kultur, die verantwortliche Sexualität unmöglich macht, erklärt Eule-Familienkolumnistin Daniela Albert in „Jung, radikal und sichtbar: Die toxischen Botschaften der Christfluencer:innen“.
Die Liebe in der Digitalität erforscht die Ethnologin Mira Menzfeld: Wie die Partner:innensuche religiöser Menschen weltweit und digital funktioniert erklärt sie in „Von Skype-Trauungen und Zweitfrauenportalen“.
Während der Corona-Pandemie wurde auch der Religionsunterricht zunehmend digitalisiert. Darüber sprach Michael Greder im „WTF?!“-Podcast der Eule mit Friederike Wenisch, Religionslehrerin und Dozentin für Digitalisierung mit dem Schwerpunkt Religionsunterricht am ptz Stuttgart-Birkach.
„Braucht die Kirche Disruption?“ – fragt Eule-Redakteur Philipp Greifenstein im Anschluss an Adrian Daubs Buch „Was das Valley denken nennt“ und aktuelle Äußerungen des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing (Limburg).
(Die Stellungnahmen zum Digitaldenkschrift-Geburtstag wurden von Eule-Redakteur Philipp Greifenstein zusammengetragen.)