Newsletter #LaTdH

fest – Die #LaTdH vom 30. Oktober

Theolog:innen kleben sich als Protest gegen die Klimakrise fest und in Wittenberg bleibt ein Schandmal an Ort und Stelle. Außerdem: Hilfswerke reagieren und die EKD unter Zugzwang.

Herzlich Willkommen!

Gemeinsam mit weiteren Klimaaktivist:innen hat sich Jesuitenpater Jörg Alt in dieser Woche bei einer Protestaktion vor dem Münchner Justizpalast festgeklebt. Die ganze Aktion dauerte anderthalb Stunden, berichtet die KNA, und den Aktivist:innen wird nun „Nötigung und ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ vorgeworfen. Zeitgleich wurde ein Appell an die Verantwortungsträger*innen und Theolog*innen in der katholischen Kirche veröffentlicht. Dem Appell haben sich inzwischen viele katholische Theolog:innen angeschlossen. Eine Liste und die Möglichkeit, den Appell zu unterstützen, finden sich inzwischen auf der Petitionsplattform change.org.

Manchmal, so scheint es, geht es in der gesellschaftlichen Debatte inzwischen mehr um die klebrigen Protestaktionen als um die ihnen zugrundeliegende Klimakrise. Für das harte Vorgehen gegen Protestierende in Bayern findet Pater Alt ein treffendes Sprachbild: „Wenn die Welt in Flammen steht, hilft es nicht, den Feueralarm wegzusperren.“ Allein, helfen die Aktionen wirklich dabei, mehr Leute „mitzunehmen“? Mehr dazu unter „Buntes“.

Viele Menschen in Deutschland befinden sich gerade mitten in einem verlängerten Wochenende: Reformationstag und Allerheiligen sei Dank! Manchenorts werden auf den Marktplätzen schon die Weihnachtsbäume installiert. Und das bei sommerlichen Bombenwetter! Das muss diese ominöse „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ sein, glaube ich.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein


Debatte

Pünktlich zum Reformationstag gab es in dieser Woche Nachrichten aus Wittenberg: Die antisemitische Schmähplastik (sog. „Judensau“) wird an der Fassade der Stadtkirche der Lutherstadt verbleiben, hat der zuständige Gemeindekirchenrat beschlossen. Ein Beirat von Expert:innen hatte zwar die Abnahme der Plastik empfohlen, aber die Gemeinde will es mit einer Umgestaltung des Mahnmal-Ensembles versuchen. Eine neue Informationstafel ist schon in Auftrag gegeben. Wie es vor Ort im Moment ausschaut, habe ich hier in der Eule aufgeschrieben, inkl. zahlreicher Fotos vom Ensemble und Umfeld („Eine Ortsbegehung“).

Antisemitisches Schmährelief soll an Kirche bleiben – Reinhard Bingener (FAZ)

Für die FAZ fasst Reinhard Bingener (@RBingener) zusammen, was es aus Wittenberg Neues zum Thema zu berichten gibt, inkl. Erklärung des Angangs vom Urteil des Bundesgerichtshofs (BHG) im Sommer, über die Empfehlung des Expert:innengremiums, bis hin zur Erläuterung durch den örtlichen Pfarrer.

Den Ausschlag dafür habe die „lokale Sicht“ gegeben, berichtete Stadtkirchenpfarrer Matthias Keilholz der F.A.Z., der selbst eine Entfernung des Schmähreliefs für die beste Lösung hält. In Teilen der Wittenberger Stadtgesellschaft wird die Debatte über die „Judensau“ auch in einen Zusammenhang mit der Diskussion um eine „Cancel Culture“ und einen „Bildersturm“ gestellt. Christoph Maier, der Moderator des Expertengremiums und Direktor der Evangelischen Akademie in Wittenberg, zeigte sich „überrascht und enttäuscht“ über die Entscheidung der Kirchengemeinde und beklagte eine fehlende Einbindung des Expertengremiums. Die Debatte dürfe nicht in „identitätspolitisches Fahrwasser“ geraten, warnte Maier gegenüber der F.A.Z.

Die Pressemitteilung der Stadtkirchengemeinde findet sich hier und hier die ausführliche schriftliche Stellungnahme von Akademiedirektor Christoph Maier (@evakademie), der beklagt, dass man Mitglieder des Expert:innenbeirates nicht zur Beratung in den Gemeindekirchenrat eingeladen hat. Alles eher suboptimal.

Wittenberger Schmähplastik bleibt an Ort und Stelle – Lisa Konstantinidis (Jüdische Allgemeine)

Ausführlich berichtet auch Lisa Konstantinidis (@konstant_lisa) für die Jüdische Allgemeine, inkl. Stellungnahmen des Präsidenten des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, und des Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen.

»Die Geschichte des kirchlichen Antijudaismus lässt sich nicht ungeschehen machen.« Daher erwarte er [Schuster] mit Interesse die angekündigte Überarbeitung der Erklärtafel. Auch müsse abgewartet werden, wie die angekündigte »Weiterentwicklung der Mahnstätte« aussehen wird. Insgesamt müsse ein angemessener Umgang mit judenfeindlichen Plastiken gefunden werden, »der über die Überarbeitung eines Textes hinausgeht« […].

Wit­ten­berger „Judensau“ bleibt und bekommt neue Erklär­tafel (LTO)

Wie Ende August 2022 die Legal Tribune Online (LTO) (@lto_de) berichtete, hatte der BGH in seiner Entscheidung festgestellt, dass die Plastik selbst antisemitisch und verletzend, aber durch die Ergänzung durch Informationstafel und Bodendenkmal zu einem „Mahnmal“ geworden sei, das bleiben dürfe. Gegen diesen Urteilsspruch zieht der Klageführer Michael Düllmann nun vor das Bundesverfassungsgericht:

Das Relief sei „in Ansehung der damit verbundenen schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht nur des Beschwerdeführers, sondern jedes Juden in Deutschland zu entfernen“, heißt es nun in der […] Verfassungsbeschwerde. […] Der Vorsitzende Richter des BGH habe in der Urteilsbegründung […] sehr deutlich davon gesprochen, das Relief sei in Stein gemeißelter Antisemitismus, sagt die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer. Daran gebe es keinen Zweifel.

Über seinen langen Weg durch die Instanzen berichtet Düllmann ausführlich im Podcast der LTO „Allein unter Juristen“ vom 24. August 2022.

Abnehmen: Ja oder Nein?

Kritik an der Entscheidung der Stadtkirchengemeinde gab es in den vergangenen Tagen zuhauf, gerade auch auf den Social-Media-Plattformen. Doch geht es wirklich nur um eine Entscheidung zwischen Abnehmen und Hängenlassen? Nein. Das sieht man schon daran, dass die Vorstellungen der Abnehm-Befürworter:innen, was denn im Anschluss an ihre Entfernung von der Fassade mit der Plastik angestellt hätte werden sollen, weit auseinander gehen. Manche setzten und setzen sich weiterhin für eine Neugestaltung des Erinnerungsortes direkt an Ort und Stelle ein – jetzt unter der Maßgabe, dass die Plastik oben an der Fassade bleibt. Andere sprachen sich bisher für eine museale Aufbewahrung aus.

Der Theologe Georg Kalinna (@Schalinna1), persönlicher Referent des rheinischen Präses Thorsten Latzel wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Hildesheim*, hat sicherlich Recht mit seinem auf Twitter geäußerten Verdikt:

Diese Entscheidung [des Gemeindeskirchenrates] ist konsequent für eine Kirche, die sich als Museum und Erinnerungsort für die Vergangenheit versteht, nicht als Ort lebendiger religiöser Gegenwart.

Doch kann man ebenso trefflich argumentieren, eine Kirche, die ein solches Schandmal ins Museum abtransportierte, spräche sich von ihrer Geschichte los. So sahen es im Sommer mehr als 50 israelische Wissenschaftler:innen:

[D]ie Präsenz der „Judensau“ im öffentlichen Stadtraum sei eine wichtige Erinnerung an die Vergangenheit. Die Schmähplastik von der Kirche zu entfernen, würde bedeuten, die Gräueltaten des Antisemitismus zu beseitigen und in der Konsequenz die Vergangenheit zu leugnen. Zugleich regten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die Informations- und Gedenkstätte am Fuße der in rund vier Metern Höhe an der Außenfassade der Kirche sichtbaren Schmähplastik weiterzuentwickeln.

Reformationstag

Dass die Entscheidung der Stadtkirchengemeinde so kurz vor dem Reformationstag getroffen wurde und bekannt wird, gibt Anlass, auf einen weiteren – in der Diskussion bisher unterrepräsentierten – Umstand hinzuweisen: Ohne die aufwendige Restaurierung der Außenfassade inkl. „Judensau“ im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 und die mit dem Jubiläum verbundene internationale Aufmerksamkeit wäre die Diskussion um die „Luther-“ oder „Kirchensau“ vielleicht längst abgeebbt.

Seitdem aber ist die Sau samt ihrer gotteslästerlichen Inschrift die einzige Plastik an der an Epitaphen und Denkmälern nicht armen Fassade der Stadtkirche, die gut lesbar und auch flüchtigen Besucher:innen der Stadt inhaltlich zugänglich ist. Die Sau ist darum nicht nur ein Zeichen (weitgehend) vergangener Verbrechen und Sünden, sondern auch ein Ergebnis einer Erinnerungspolitik und -Kultur, die um einen angemessenen Umgang mit dem schwierigen Erbe des Reformators aus Wittenberg ringt. Gerade um 2017 herum hat sich die Evangelische Kirche intensiv und äußerst kritisch mittels Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen mit der Judenfeindschaft Luthers und dem Antisemitismus in der eigenen Kirchengeschichte befasst. So gründlich, dass manche darunter die historische Bedeutung Martin Luthers schon begraben sahen.

Müssten die Lutherischen nicht vor aller notwendigen Kritik einer zunehmend religionsfernen Öffentlichkeit erst einmal die Vorzüge des Luthertums nahebringen? Doch geht an einer simultanen Kritik geht kein Weg vorbei. Wer morgen kräftig „Ein feste Burg ist unser Gott“ singend im Gottesdienst die Reformation feiert, muss auch der Wirkungsgeschichte von Luthers christlichem Antisemitismus bis in unsere Tage hinein gedenken. Ein Blick in die Telegram-Gruppen der Querdenker-Szene genügt (bitte nicht nachmachen!). Auch sie sind Erben dieser Geschichte. Das sollten die offiziellen Nachlassverwalter Luthers nicht aus dem Auge verlieren.

nachgefasst I

Kyrill I. betet für Sieg Russlands – Kritiker raten Moskauer Patriarchen zum Rücktritt – Oliver Hinz (kath.ch, KNA)

Für die Katholische Nachrichten-Agentur (@KNA_Redaktion) und das schweizerische katholische Portal kath.ch (@kathch) berichtet Oliver Hinz (@OliHinz) über den weiteren Nachgang des mindestens problematischen Besuchs einer ÖRK-Delegation beim Moskauer Patriarchen in der vorvergangenen Woche (s. #LaTdH von letzter Woche).

Hart mit dem russischen Kirchenoberhaupt geht der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., ins Gericht. Es schmerze, dass sich das Moskauer Patriarchat den «politischen Ambitionen der Russischen Föderation» unterwerfe und «diese grausame Invasion und das ungerechtfertigte Blutvergiessen sogar gutheisst und scheinbar segnet», sagte er jüngst dem US-Portal «The Pillar». «Wir haben inbrünstig und brüderlich an den Patriarchen von Moskau appelliert, sich von den politischen Verbrechen zu distanzieren, selbst wenn das bedeutet, dass er von seinem Thron zurücktreten muss», so das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie.

Theologin: „Sexismus ist für Pfarrerinnen Alltag“ (katholisch.de, epd)

Sarah Banhardt (@sarahdorothee) berichtete am Montag dieser Woche der Synode der Evangelischen Landeskirche in Baden (@ekiba) anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Frauenordination in der Landeskirche. Auf der Website der EKIBA finden sich ihr Bericht (PDF) und die dazugehörige Präsentation (PDF). Doch geht es nicht allein um Jubel zum runden Geburtstag, Diskriminierung von Frauen in der evangelischen Kirche ist auch heute real:

Laut Banhardt wird etwa die fachliche Kompetenz der Pfarrerinnen übersehen, ihre Kleidung kommentiert oder sie werden in Diskussionen als „hysterisch“ abgewertet. Manche Theologinnen erlebten sexuelle Belästigung und in manchen Fällen sogar sexualisierte Gewalt. „Wir müssen Sexismus konsequent benennen und bekämpfen“, verlangte die Theologin.

Arbeitspapier der Bischofssynode: Das Ende des Weltkirche-Arguments – Benedikt Heider (katholisch.de)

Bei katholisch.de (@katholisch_de) analysiert Benedikt Heider (@_DerHeidi_) das Arbeitsdokument für die „kontinentale Phase“ des „Synodalen Prozesses“ der römisch-katholischen Weltkirche. Das enthält nämlich zum Teil – jedenfalls für die Kurie – spektakuläre Einsichten in die Lebenrealität der Katholik:innen in aller Welt, die von ihnen in der ersten Phase von Papst Franziskus‘ Großprojekt (Erklärung hier in der Eule) eingereicht wurden.

Am ausführlichsten werden hingegen Entfremdungserfahrung vieler Frauen thematisiert. Auf der einen Seite sei die Mehrheit der Gottesdienstbesucher weiblich, doch ergebe sich daraus keine entsprechende Beteiligungsmöglichkeit für sie. Mit ausführlicher Zitation belegen die Synodenplaner diese Erfahrung aus den verschiedensten Erdteilen: „In fast allen Berichten wird die Frage der vollen und gleichberechtigten Beteiligung von Frauen angesprochen […] Die Berichte sind sich jedoch nicht einig über eine einzige oder vollständige Antwort auf die Frage nach der Berufung, Einbeziehung und Entfaltung von Frauen in Kirche und Gesellschaft.“

nachgefasst II: Sexueller Missbrauch

Erzdiözese Freiburg tief im Missbrauchssumpf – Gottlob Schober (SWR, tagesschau.de)

Der Missbrauchs-Bericht im Erzbistum Freiburg wird nicht wie geplant in diesen Tagen, sondern erst im Frühjahr 2023 veröffentlicht. Begründet wird dies mit rechtlichen Bedenken. Nach Recherchen von „Report Mainz“ (Fernsehbeitrag hier) steckt die Diözese tiefer im Missbrauchssumpf als bisher bekannt, schreibt Gottlob Schober (@GottlobSchober) bei tagesschau.de. Simone Schmollack (@sis_teract) kommentiert in der taz:

[Der Freiburger Generalvikar] Christoph Neubrand begründet das Zurückziehen der Schrift, […]: „Wichtig ist für uns, dass der Bericht vollständig ans Licht kommt, dass die systemischen Komponenten, die im Hintergrund einfach auch vermutlich ja da waren, dass das alles genau benannt wird, dass Verantwortliche benannt werden, Verantwortlichkeiten benannt sind. Und da muss die Zeit in diesem Falle einfach zweitrangig sein.“

Man hört es, man liest es – und glaubt es nicht. Schon lange nicht mehr. […] Verdecken, Vertuschen, Verschweigen, Verzögern. Selbst bei Fällen, die weitgehend bekannt sind – bei den zuständigen Kirchenbehörden, bei den Angehörigen der Opfer, in der lokalen Öffentlichkeit.

Neuigkeiten gab es dieser Tage auch vom Tatkomplex Eichstätt-München: Wegen Verwicklungen in den kirchlichen Missbrauchsskandal steht der ehemalige Eichstätter Bischof Brems im Fokus. Der Täter arbeitete dann auch im Erzbistum München und Freising (@ebmuc), das sich nun mit einem Aufruf an mögliche weitere Betroffene richtet.

Eine Betroffene erstattete demnach Anzeige, die Staatsanwaltschaft war informiert. Doch der Priester konnte sich dem Bericht zufolge rechtzeitig absetzen – er wurde Missionar in Afrika und später in Lateinamerika. Dort habe er unter einem abgeänderten Namen gelebt, bis die Vorwürfe verjährt gewesen seien und die Fahndung eingestellt worden sei.

Die Bistumsleitung habe die staatlichen Behörden nicht informiert und zur Tarnung des Mannes beigetragen, so der Zeitungsbericht. 1984 kam der Priester laut BR-Information nach Deutschland zurück und war zu nächst in der Erzdiözese München-Freising tätig. Danach wurde er wieder im Bistum Eichstätt eingesetzt, bis er 2005 in den Ruhestand ging. 2016 sei er gestorben.

Katholische Hilfswerke: Ohne Missbrauchsschutz kein Geld – Barbara Schneider (BR24)

Im Lichte der jüngsten Aufdeckungen der Beteiligung von katholischen Hilfswerken bei der Weiterbeschäftigung von Missbrauchstätern und der Vertuschung ihrer Taten, reagieren Renovabis, Missio, Adveniat und das Kindermissionswerk. Sie wollen die Lieferketten des Missbrauchs nun stärker kontrollieren:

Projektpartner in anderen Ländern, die kein Schutzkonzept für Minderjährige und Erwachsene vorlegen, sollen in Zukunft keine Förderung mehr erhalten. […]

Anders die evangelischen Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe: Sie fordern derzeit keine eigenen Schutzkonzepte von ihren Partnern. Allerdings müssen die Partner eine Selbsteinschätzung abgeben und gegebenenfalls nachbessern. Beide Hilfswerke haben zudem Länderbüros eingerichtet, die auf Schutzmaßnahmen vor Ort achten sollen.

Im Erzbistum Köln (@Erzbistum_Koeln) ist man derweil froh, dass die Staatsanwaltschaft auch „in einem zweiten bisher noch offenen Fall“ keinen Anlass für Ermittlungen gegen Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki sieht, was Daniel Deckers in der FAZ treffend kommentiert:

Sicher ist es gut, in einem Staat zu leben, in dem „Belastungseifer“ keine Chance hat. Aber wenn Mittel des Rechtsstaats nicht eingesetzt werden, wenn es sich um Kirchenleute handelt, verspielt er das Vertrauen, auf das er angewiesen ist. Nicht die Kirche selbst, aber der Umgang der Justiz mit ihr ist wohl endgültig ein Fall für die Politik geworden, nicht nur in Nordrhein-Westfalen.

„Beteiligungsforum letzte Chance für Aufarbeitung“ – Franziska Hein (evangelisch.de, epd)

Probleme bei der sog. Aufarbeitung von Missbrauchsverbrechen sowie Prävention und Aufklärung sexualisierter Gewalt hat wahrlich nicht allein die römisch-katholische Kirche. Die EKD hat zur Mitte des Jahres nach dem Scheitern ihres Betroffenenbeirates (wir berichteten) ein neues Format für deren Beteiligung in Betrieb genommen, das „Beteiligungsforum“ (wir berichteten).

Schon im Juni meldeten sich Betroffenenvertreter:innen des neuen Formates ausführlich mit einer Pressemitteilung zu Wort (PDF), in der sie u.a. schrieben:

Das Beteiligungsforum ist die letzte Chance für die EKD, unsere Expertise in Anspruch zu nehmen. […] Das Beteiligungsforum darf kein Feigenblatt werden, sondern muss zu grundsätzlichen Verbesserungen für Betroffene führen.

Am kommenden Wochenende tritt die EKD-Synode in Magdeburg zu ihrer jährlichen Tagung zusammen. Auf der Tagesordnung steht erneut auch die Befassung mit der Bekämpfung sexualisierter Gewalt. Detlev Zander (@ZanderDetlev), der als Betroffenensprecher am Forum beteiligt ist, formuliert bei Franziska Hein (@franzi_hein) vom epd (@epd_news) klare Erwartungen:

Die drängendsten Themen seien aus seiner Sicht, das System für die Entschädigungen zu reformieren. Jede der 20 Landeskirchen der EKD und die Diakonie gehe anders vor. Zudem müsse man heraus aus dem Dunkelfeld, dazu müssten Betroffene sich einfacher melden können. Die unabhängige Anlaufstelle „help“ funktioniere nicht richtig, sagte Zander. Zuletzt sei es wichtig, dass die Beschlüsse des Beteiligungsforums auch umgesetzt würden. Darum solle es auch auf der kommenden Synode der EKD Anfang November im November in Magdeburg gehen. „Ich werde sehr wachsam sein, ob die Beschlüsse auch umgesetzt werden“, erklärte Zander.

Buntes

Bunte Inszenierung: Die Instagram-Pfarrerin aus Fürth – Andrea Neumeier (BR24)

Die kirchliche Nutzung der Social-Media-Plattform Instagram stand in den letzten Wochen gleich mehrfach im Fokus der Eule. Bei einem Eule-Live-Event diskutierten wir mit der Bloggerin Kira Beer (@kira__beer) über die Plattform. Eine Zusammenfassung der Diskussion findet sich hier in der Eule. Und mit den Ergebnissen einer neuen midi-Studie über die Communities christlicher Influencer:innen habe ich mich hier auseinandergesetzt.

Im Bayerischen Rundfunk wird Pfarrerin Sabrina Kielon (@mit.kaffee.und.talar) aus Fürth von Andrea Neumeier (@neumeierin) porträtiert:

Bisher macht Sabrina Kielon das alles ehrenamtlich, […]. Ab November sind sechs Stunden ihrer Arbeitszeit pro Woche fürs Digitale vorgesehen. […] Sabrina Kielon zeigt sich auf Instagram als Kaffeesüchtige, Modeinteressierte, gut gelaunte Freundin, Ratgeberin und Pfarrerin. Doch wie authentisch sind diese Bilder und wie viel davon inszeniert? Sabine Kielon sieht das gelassen: „In einem Gottesdienst habe ich ja auch eine gewisse Inszenierung mit dabei. Es ist ja nicht so, dass ich sonst nicht drauf achte: Wie stehe ich? Wo stehe ich, wann und wo? Es ist ja immer eine gewisse Inszenierung dabei, und das ist ja eben nichts Schlechtes.“

Stellenanteile für Influencer:innen hatte bei der Vorstellung der midi-Studie unter der Woche bereits Josephine Teske (@seligkeitsdinge_) gefordert. Teske gehört mit über 38 000 Follower:innen auf der Plattform zu den größten deutschsprachigen „Sinnfluencer:innen“, außerdem gehört die Pfarrerin der Nordkirche (@nordkirche_de) dem Rat der EKD an (wir berichteten).

„Wir wollen den Menschen frischen Wind bringen“ – Bruder Richard im Interview bei Benjamin Lassiwe (Der Prignitzer)

Benjamin Lassiwe (@lassiwe) hat passend zum Reformationstag mit Bruder Richard von der Kommunität in Taizé gesprochen, der seit einigen Monaten in Rostock lebt, um dort das Ökumenische Jugendtreffen der Ordensgemeinschaft vorzubereiten, „zu dem zwischen Weihnachten und Neujahr zwischen 5000 und 8000 Jugendliche in der Hansestadt erwartet werden“ (wir berichteten).

Was ist das Besondere an Taizé?

Nach Taizé kann jeder kommen. Es ist ein Ort, wo die Schwelle der Kirchentür niedrig ist, es kommen viele junge Menschen – auch solche, die in Taizé in einer Woche öfter zur Kirche gehen als ihr ganzes Leben vorher. Und als Brüder hören wir, welche Fragen die jungen Menschen beschäftigt: Ganz viele sorgen sich etwa um das Klima, sie fühlen sich vom Klimawandel bedroht und haben Zukunftsängste. Was machen wir, wenn der Klimawandel da ist? Darum ist es uns ja auch wichtig, dass wir jetzt in Rostock Menschen einladen können, die sich in der Politik, Wissenschaft und Klimaforschung auskennen und den jungen Menschen Rede und Antwort stehen können.

„Für mich ist die Zeit des zivilen Widerstands gekommen“ – Pater Jörg Alt im Interview bei Angela Krumpen (Domradio)

Bereits im September erklärt Jesuitenpater Jörg Alt (s.o., @JoergAltSJ) im Domradio (@domradio) ausführlich, warum er bei Klimaprotesten auf zivilen Ungehorsam setzt. Zum letzten Sonntag hatten die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ Kirchenmitarbeiter:innen zum aktiven, gewaltfreien Protest aufgerufen. Unter der Woche folgten dann weitere Aktionen und die Petition der katholischen Theolog:innen.

Narzisstische Weltrettung – Ines Schwerdtner (Jacobin)

Ines Schwerdtner (@inesschwerdtner), Chefredakteurin des deutschsprachigen Jacobin (@jacobinmag_de), einem Magazin für demokratischen Sozialismus, bezieht in ihrem Kommentar eine sehr kritische Position gegenüber den Klebe- und Kunstprotesten. „Die Klimabewegung wird nicht radikaler, wenn sie sich an Straßen klebt oder Gemälde mit Suppe bewirft. Sie wird strategisch ratloser“, erklärt sie, und unterstellt den Protestierenden Narzissmus.

Wenn sie sich jedoch widersprechen, und der Kraftfahrer oder die Pendlerin am Ende des Tages das Gefühl hat, mit diesem Klimazeugs nichts zu tun zu haben, dann haben wir nichts gewonnen. Wir haben auch nichts gewonnen, wenn Kunstaktionen nur von wenigen verstanden werden. Dann bleibt die Rettung des Klimas ein Elitenprojekt.

Dieses Fazit habe ich als authentisches Kind der Arbeiterklasse mit einem Schmunzeln zur Kenntnis genommen, denn es steckt darin ja nicht allein die Krux so ziemlich jeder sozialistischer oder kommunistischer Revolutionsbewegung des 20. Jahrhunderts, sondern – wie üblich – weisen drei Finger der Hand mit Schwerdtners mahnenden Zeigefinger Richtung „Letzte Generation“ auf sie selbst und ihr Magazin zurück.

Kriegen „Suppen-Attacken“ mehr Aufmerksamkeit als die Botschaft dahinter? – Holger Klein im Gespräch mit Simon Teune (Übermedien, €)

Wunderbar aufgedröselt hat die Protest-Dynamiken und -Mechanik, ihre mediale Abbildung und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Klimaprotestbewegung sowie den Klimaschutz der Protestforscher Simon Teune (@oddprotest) bei Gastgeber Holger Klein (@holgi) im Podcast des Medienmagazins Übermedien (@uebermedien).

Nach den sogenannten „Suppen-Attacken“ ist er als Protestforscher derzeit gefragter Interviewpartner für Medien. Und er wundert sich dabei immer wieder über die Fragen, die ihm gestellt werden. Zum Beispiel, ob er die Proteste für legitim hält. Das könne er als Wissenschaftler gar nicht beantworten. Das sei „ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess“, sagt Teune.

Auch zur Frage nach der Gewaltbereitschaft und Radikalisierung der Klimabewegung solle er sich immer wieder äußern. Nach rechten Protesten wie denen der „Querdenker“ wolle man so etwas nicht von ihm wissen – obwohl bei den Demonstrationen bereits Journalist:innen angegriffen wurden.

Ein guter Satz

„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“

– ein fälschlicherweise Martin Luther zugesprochener Sinnspruch


* Korrektur 10:45 Uhr: Georg Kalinna arbeitet seit dem 1. August an der Uni Hildesheim und nicht mehr als persönlicher Referent von Präses Latzel.