Generation Franziskus? – Die #LaTdH vom 27. April
Die katholische Kirche und viele Menschen jenseits ihrer Mauern trauern um Papst Franziskus. Außerdem: Konklave-Gemurmel, Klöckner-Debatte und Kirchentag.
Herzlich Willkommen!
Am Ostermontag ist Papst Franziskus verstorben. Gestern verabschiedeten sich hunderttausende Menschen in Rom bei einer Totenmesse und der anschließenden Fahrt zur Grablege in der Kirche Santa Maria Maggiore von Jorge Mario Bergoglio, der seit 2013 Papst der römisch-katholischen Kirche gewesen war. Millionen von Zuschauer:innen verfolgten die Trauerfeierlichkeiten an den Bildschirmen. Bereits seit Montag quellen Medien und Social-Media-Plattformen vor Nachrufen, Meldungen und reichlich Klatsch und Tratsch zu Franziskus und der anstehenden Papstwahl über. Ab dem 6. Mai 7. Mai werden 133 134 Kardinäle im Konklave den nächsten Papst wählen.
Weil das römische Zeremoniell auch heute noch die Aura des Geheimnisvollen versprüht, so hemdsärmelig und profan mancher Vorgang eigentlich auch ist, richten sich die Blicke immer wieder neugierig gen Rom. Und die Mächtigen der Welt nutzen die ihnen gebotene Bühne für Eigen-PR und füllen Petersdom und Nachrichtenraum mit politischer Ikonografie. An der Strecke stehen, auch metaphorisch, einfache Gläubige, Katholik:innen und Neugierige, für die ein Papst womöglich nicht einfach ein weiterer Bischof oder Staatenlenker ist – und denen dieser Papst definitiv keine gewöhliche Person „auf dem Stuhl Petri“ war.
Der Deutungskampf um Papst Franziskus ist nach seinem Tode vollends entbrannt. Gleichwohl tobte er auch während seines gesamten Pontifikats und besonders seiner schweren Krankheit in den letzten Monaten. Was für ein Papst ist Jorge Bergoglio gewesen? Welches Erbe hat Franziskus seiner Kirche und der Welt hinterlassen? Was wird von seinem Wirken bleiben – und was schnell dem Orkus des Vergessens anheimgestellt?
Die offizielle Linie derjenigen, die zunächst das Erbe Franziskus‘ verwalten, die sich gestern in Predigt und Schlussakkorden abzeichnete, geht so: Franziskus war seit den ersten Minuten seines Pontifikats und bis zu seiner Grablegung ein „Papst der Armen“, ein Pontifex zu den Ausgestoßenen und Verleugneten, zu marginalisierten und diskriminierten Menschen. Die politischen Konsequenzen einer Kirche, die sich nicht zu schade ist, sich zu diesen Menschen „herabzubeugen“, machte Kardinal Giovanni Battista Re in seiner Predigt deutlich. Vertreter:innen „der Armen und Ausgestoßenen“ verabschiedeten Franziskus am Ende seines Weges durch die Stadt am Tiber mit weißen Rosen. Und doch bleibt ein Widerhaken: Wurde ihnen während des Pontifikats des „Papstes der Barmherzigkeit“ in der Kirche auch Gerechtigkeit zuteil?
Am Mittwoch dieser Woche beginnt in Hannover der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT). Die Eule ist mit einer eigenen Veranstaltung dabei und ich werde vor Ort sein, um vom Kirchentag an der Leine zu berichten. Auch die #LaTdH am kommenden Sonntag werden eine Kirchentags-Edition sein.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
PS: Die #LaTdH und die ganze Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Schon ab 3 € im Monat sind Sie dabei.
Debatte
Für die #LaTdH durchforsten Thomas Wystrach und ich die Kirchen- und Religionsnachrichten der Woche, trennen Spreu vom Weizen und spüren im besten Fall sogar (eher) verborgene publizistische Schätze auf, die unsere Aufmerksamkeit erregt und die der Eule-Leser:innen verdient haben. In dieser exorbitanten Kirchennachrichtenwoche fällt das Sieben und Wiegen besonders schwer, denn es wurden wahrlich abertausende Nachrufe, Kommentare, Erklärungen und dazu reichlich Quatsch und Klatsch geschrieben, gefilmt und in den Äther gedrückt.
Ein Meta-Nachruf: Der lachende Pilger – Philipp Greifenstein (Die Eule)
Eine Reihe von Nachrufen habe ich bereits in meinem „Meta-Nachruf“ auf Papst Franziskus angetippst und verlinkt. Mit dabei sind auch Texte und Stellungnahmen von außerhalb Deutschlands. Mal von sich selbst wegzugucken, tut bei einer Weltkirche wie der römisch-katholischen immer gut. Im „Meta-Nachruf“ habe ich versucht, zwei Fragen zu beantworten: War Papst Franziskus ein guter Verbündeter der Progressiven? Und wie hat er sich als Person zum Amt verhalten?
An dieser Stelle nur drei kurze Ergänzungen zu den Leseempfehlungen aus dem „Meta-Nachruf“: Philipp Gessler schreibt in der taz, dass „reaktionäre Kräfte“ in der Kirche (und der Welt) an die Tür klopfen: „Papst Franziskus, der alles in allem ein Guter war, wird fehlen in diesem großen Kampf, innerhalb und außerhalb der Kirche“. Wie Franziskus „sogar Zyniker“ zum Glauben brachte, lobt James Martin, der wichtige Verteidiger von LGBTQI+-Rechten in der Kirche, bei outreach.faith (auf Englisch). Im Cicero (€) ruft Volker Resing Franziskus hintendrein, dessen politisches Wirken bleibe „umstritten“ , „sein innerkirchlicher Kurs blieb zuletzt unklar“ und er hinterlasse „institutionelle Unordnung“, aber immerhin „seine besondere Art, über den christlichen Glauben zu sprechen, hat viele berührt“.
Die Welt nimmt Abschied vom Papst: „Grazie, Francesco“ – Christoph Strack (Deutsche Welle)
Über die gestrigen Trauerfeierlichkeiten wurde in bewegten und bewegenden Bildern ausführlich berichtet. Christoph Strack beschreibt für die Deutsche Welle umfassend und doch überschaubar den letzten Weg von Franziskus und wie Gläubige in Rom Abschied nahmen. Ich würde meinen, dass man mit diesem Artikel und den enthaltenen Fotos einen sehr guten Überblick über das Geschehen erhält, falls man das Wochenende lieber in der Sonne als am Smartphone und vorm Fernseher verbracht hat.
Viele zehntausend Menschen stehen am sechs Kilometer langen Fahrweg. Polizisten salutieren. Hunderte halten ihre Smartphones hoch und filmen, andere klatschen. Eine – sieht man vom Helikopter-Lärm ab – ungewohnt leise Stadt. An Santa Maria Maggiore verschwindet der Sarg bald zur Beisetzung im Gotteshaus. Politiker und offizielle Gäste sind nun nicht mehr dabei, der Kreis bei der eigentlichen Grablegung bleibt klein. Aber einige Obdachlose, ausgegrenzte Menschen und Kinder durften mit hinein, sie lagen dem Papst am Herzen.
Die Predigt von Kardinal Giovanni Battista Re lässt sich auf Deutsch bei Kirche + Leben und in weiteren Sprachen direkt im vatikanischen Bulletin nachlesen. Die Urkunde, die Franziskus in den Sarg mitgegeben wurde und so etwas wie eine offizielle Summe seines Pontifikats sein soll, liegt ebenda auf Latein und Italienisch vor, katholisch.de hat eine teilweise Übersetzung der KNA. Markus Nolte, Chefredakteur der Kirche + Leben, ist aufgefallen, was in den offiziellen Würdigen fehlt:
Viel auffälliger war, was Re nicht sagte, was auch die dem Sarg beigegebene Urkunde über die Lebensstationen und -leistungen von Franziskus nicht erwähnt. Nirgends tauchte auch nur einmal das Wort Synodalität auf, nirgends die Dauerkritik des Papstes an einer selbstgefälligen Kirche. Und wie er von Klerikalismus angesichts der Heerscharen von Klerikern zu sprechen, hätte Mut erfordert und gezeigt: Wir haben verstanden, lieber Papa Francesco. Bleibt im Heiligen Jahr der Hoffnung abzuwarten, ob hier nicht nur der tote Papst pietätvoll verabschiedet wurde, sondern auch die Vision einer Kirche, für die er stand.
Warum ist der Tod des Papstes so ein Medienspektakel? – Gespräch mit Christiane Florin (Übermedien, Podcast, 28 Minuten)
Im Podcast von Übermedien ruft Holger Klein in dieser Woche Christiane Florin an, um mit ihr über Medien und den Papst zu sprechen. Das große Medienecho überrascht angesichts des Bedeutungsschwunds der Kirchen nämlich manche Menschen durchaus. (Auch die Aufmerksamkeit zahlreicher Sender bei Live-Strecken und -Übertragungen.) Christiane Florin spricht im Podcast über die vatikanischen Inszenierungskünste, die Nachrufe über den „Papst der Armen“, die Arbeit von Vatikankorrespondent:innen und schwierige Recherchen zu Kirchenthemen.
Deutlich wird: Sich der römisch-katholischen Kirche und dem Vatikan verantwortlich journalistisch zu nähern, bedeutet mehr als die Wiedergabe der kircheneigenen Narrative, sondern erfordert Recherchen und kluge Abwägungen. Für beides fehlt es in deutschsprachigen Medien allzu häufig an Zeit und Geld – und gelegentlich auch an Kompetenz. Die hochgradig repetitive Berichterstattung der vergangenen Tage gibt davon ein beredtes Zeugnis. Die journalistischen Checks and Balances sind prekär. Das ist, wie Florin richtig schildert, ein Problem, denn trotz ihres Schrumpfes hierzulande verfügt die Kirche über große finanzielle und symbolische Macht.
Gibt es eine „Generation Franziskus“?
Eine Macht, die auch der „lachende Pilger“ Franziskus als Papst ausübte. Wie den vielen persönlichen Einordnungen und Trauerbekundungen, z.B. von katholischen Influencer:innen, der letzten Tage zu entnehmen ist, gibt es tatsächlich auch eine Generation Franziskus.
Anders als bei seinem Vorgänger Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger formiert sich diese nicht als theologische Kampfgruppe gegen „den Zeitgeist“ und die „Relativierung“. Aber es gibt doch recht viele, gerade junge Menschen, die sich auf Franziskus als Ally und Verbündeten verlassen haben – so paradox sein Wirken als Papst auch war. An einem Hauptwiderspruch seiner päpstlichen Amtsausübung und der vatikanischen Inszenierungen auch seines Todes kommt man darum nicht vorbei:
Jede franziskanische Geste der Bescheidenheit und der Demut wirkte vor dem Hintergrund des vatikanischen Prunks und der Anmaßungen der römischen Kirche umso größer – aber eben auch unvollständig.
nachgefasst
Ein weiteres Sujet der aktuellen Kirchennachrichten ist das Gemurmel über die Nachfolge von Papst Franziskus. Der bereits in den #LaTdH vom 2. März erwähnte „College of Cardinals Report“ der Vatikan-Journalisten Edward Pentin und Diana Montagna hat richtig Karriere gemacht! Er liegt ganz offensichtlich einer Vielzahl von Kandidaten-Listen zugrunde, die manchmal nur per Copy-and-Paste-Schnellverfahren zusammengekleistert wurden (als nur ein Beispiel dieser Peinlichkeit hier der Artikel des Merkur aus München).
Auch der Spaß des „Kardinal-O-Mat“ bezieht sich auf diese schwierige Quelle, wie Louis Berger bei Kirche + Leben sehr schön umfassend und Felix Neumann bei katholisch.de erklären. Berger schreibt:
Der „Report“ entstand unter anderem in Kooperation mit dem rechtskatholischen US-Verlag Sophia Institute Press, der auch das Franziskus-kritische „Crisis Magazine“ herausgibt. […] Pentin ist Korrespondent für die US-amerikanische Zeitung „National Catholic Register“, die zum Mediennetzwerk „Eternal Word Network“ (EWTN) gehört. Papst Franziskus kritisierte EWTN 2021 im Gespräch mit slowakischen Jesuiten aufgrund zahlreicher Angriffe des Netzwerks auf seine Person als „Werk des Teufels“. Montagna war in den vergangenen Jahren vor allem als Korrespondentin für die englische Zeitung „Catholic Herald“ tätig und hat mit dem deutsch-kasachischen Weihbischof Athanasius Schneider, einem scharfen Franziskus-Kritiker, einen Gesprächsband veröffentlicht.
Die Frage, inwieweit man den Einordnungen von Journalist:innen trauen kann, die von einer Weltverschwörung der Freimaurer raunen und völlig widersinnig Schwurbel-Kardinäle wie Raymond Leo Burke und Ludwig Müller pushen, ist eigentlich ein No-Brainer. Dort wo aber, wie im Vatikan, geheimniskrämerisch operiert wird, braucht man sich über Gemunkel und Verschwörungstheorien auch nicht zu beschweren.
Bei manchen Medien in Deutschland, die eher seltener mit Religionsexpertise glänzen, steht offenbar auch der Wille zum klickstarken Skandalartikel im Vordergund. Sebastian Weiermann unternimmt im ND wenigstens den Versuch, das Schauspiel mit Hilfe von Online-Späßen ein wenig aufzuheitern.
Papst-Nachfolge: Viele Namen, keine offiziellen Kandidaten – Christoph Strack (Deutsche Welle)
Es fällt abermals Christoph Strack zu, in der gebotenen Sachlichkeit über die Frage der Nachfolge von Papst Franziskus zu schreiben. Unter den 133 Kardinälen, aus deren Kreis (übelst wahrscheinlich) der neue Papst gewählt wird, gibt es nur eine Hand voll tatsächlich wahrscheinliche Kandidaten. Und aus Deutschland kommt davon keiner. Strack stellt die wichtigsten Kandidaten kurz vor. Wichtig auch: Konklave sind durchaus immer mal wieder für eine Überraschung gut, wie man bei den drei letzten Papstwahlen ja hat erleben dürfen.
Wir wissen schlicht nicht, wer Papst wird, aber kompetente Vaticanisti in vielen (internationalen) Berichten sind sich einig: Es wird wohl eher kein Kandidat der Extreme werden, sondern ein Mann, der den Weg von Franziskus behutsam und gemäßigt weiter beschreiten wird. Oder zumindest diesen Eindruck erweckt.
Jorge Bergoglio verdankte seine Wahl dem unter den Kardinälen weitverbreiteten Eindruck, die Zentrale ihrer Kirche bedürfe dringend eines Budenschwungs. Dank der Berufungen von Franziskus ist das Kardinalskollegium noch internationaler und „vielfältiger“ geworden. Schwer vorstellbar, dass sich ein Kandidat wird durchsetzen können, der den vatikanischen Pomp and Circumstances in ungebrochener Zuneigung verbunden ist. Die „institutionelle Unordnung“ von Franziskus war immer auch strategisch.
Seine reaktionären Gegner wie Bischof Robert Barron (s. #LaTdH vom 16. März) und im SPIEGEL-Interview (!) der Rom-Korrespondent des rechtsradikalen kath.net, Armin Schwibach, wünschen sich eine Papst, der wieder „mit“, statt „gegen“ die Kurie regiert und in der Weltkirche im Stile Ratzingers „aufräumt“. Solche autoritären Ordnungs- bzw. Disruptionsfantasien liegen tatsächlich im Zeitgeist. Aber das wollen die Tradis ja nie zugeben! Francis Rocca jedenfalls ist sich in The Atlantic (€) sicher:
Whatever Francis intended when he spoke to the media, his comments widened the Church’s Overton window, exacerbated its divisions, and gave a boost to liberal energies that will not subside anytime soon, even if the coming conclave chooses a conservative successor.
Buntes
Katholische Kirche in Deutschland regelt Segen für alle Paare – Felix Neumann (katholisch.de)
Nur kurz nach dem Tode von Franziskus haben die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) am Mittwoch eine Handreichung für Segnungen „für alle Paare“ veröffentlicht, um die mit „Fiducia Supplicans“ (s. hier, hier & hier in der Eule) möglich gewordenen Segnungen von u.a. gleichgeschlechtlichen Paaren zu regeln. Felix Neumann fasst auf katholisch.de zusammen:
Die Handreichung sehe man als Ergebnis des Reformdialogs der Kirche in Deutschland, des Synodalen Wegs, hieß es. Nachdem der Vatikan im Dezember 2023 das Verbot für Segnungen homosexueller Beziehungen lockerte, flossen auch diese Änderungen mit ein. Mit dem nun veröffentlichten Leitfaden folge man dem „pastoralen Ansatz des Pontifikats von Papst Franziskus“. […]
Kritik kam von der katholische Reforminitiative „OutInChurch“. Sie bemängelte, dass es kein verbindliches Textbuch für die liturgische Gestaltung der Segensfeiern gebe. Dies sei seinerzeit beim Synodalen Weg aber ausdrücklich gefordert worden. So jedoch würden etwa schwule und lesbische Paare weiterhin diskriminiert. „Auch wenn eine Segnung grundsätzlich ermöglicht wird, bleibt es bei einer Segnung zweiter Klasse.“ Der jetzt vorgelegten Handreichung bleibe zu wünschen, dass sie eine Eigendynamik entwickle, „die letztlich sichtbar macht, dass die herkömmliche Lehre keine Akzeptanz mehr findet und geändert werden muss“.
Glauben, Kirche, Religion in Film und Serie: In der Krise – Werner C. Barg (mediendiskurs)
Ein letztes Genre der Papst- und Vatikan-Nachrichten der vergangenen Tage sei nur en passant gestreift. Die Rede ist natürlich von den Listicles und Würdigungen von Papst-Filmen, allen voran „Konklave“ (2024). Nichts gegen eigene ordentliche Betrachtung von Religion und Kirche in Filmen! Hab ich selbst für Die Eule über katholische Kirche und Benedikt XVI. auch versucht. Aber wie auch bei den Nachfolgefavoriten sind manche dieser Artikel einfach lazy, ahnungslos und nicht zuletzt auch am Medium Film gänzlich uninteressiert.
Dass es die evangelisch.de-Redaktion zum Beispiel bei einer Zusammenstellung von YouTube-Trailern belässt, kann man nur dann dankbar und erleichtert rezipieren, wenn man sich im Vergleich dazu das Herumgeschwurbel der Redakteurin vom Dienst Alexandra Barone über „Mythen und Legenden im Vatikan“ reinzieht. Dann doch bitte nur noch Videoschnipsel von Drittanbietern!
Werner C. Barg jedenfalls unternimmt bei mediendiskurs den Versuch, Glauben, Kirche und Religion als Themen von Filmen und Serien etwas genauer auf den Grund zu gehen: Lesenswert! Einen sehr guten und dichten Dokumentarfilm über das Pontifikat von Franziskus und seine Herausforderungen gibt es bei ARTE zu sehen: „Zeitenwende im Vatikan? Papst Franziskus und die Zukunft der Kirche“ (75 Minuten) von Gary Grably.
Bischof widerspricht Kritik aus der CDU: „Das ist ein Trugschluss“ – Interview mit Ernst-Wilhelm Gohl von Annika Leister (t-online)
Die neuerliche und x-te „Wie politisch darf die Kirche sein“-Debatte, diesmal als Amalgam mit der seit Januar immer wieder aufblubbernden „CDU/CSU vs. Kirche“-Diskussion, die von der „Kritik“ der neuen Präsidentin des Deutschen Bundestages, Julia Klöckner (CDU), im Domradio-Interview bei Moritz Mayer vor und dann fast wortgleich noch einmal zu Ostern in der BILD „angestoßen“ wurde, haben die ins Visier gerückten Kirchenleitenden aus evangelischer und katholischer Kirche eigentlich ganz gründlich wegignoriert. Wo wenig Substanz ist, muss man sich ja auch nicht erregen!
Die Diskussion ist alt und wird mit nur einer Hand voll Argumenten geführt, die wir z.B. hier, hier und hier in der Eule bereits vor Jahren beschrieben (und entkräftet) haben. Aber die „Kirche ist zu politisch“-Kritik ist nun mal ein Hobby der konservativen Kulturkämpfer – von Springers WELT, über die Union bis hin zu ihren rechtsextremen Stichwortgebern aus Schnellroda -, von dem man sie nicht entwöhnen kann. Die ganze „Klöckner-Debatte“ ist also reichlich öde und wird meinem Eindruck nach obendrein vor allem in rechten Echokammern wie der Kommentarspalte der WELT und der Social-Media-Plattform X geführt. Anderswo, z.B. auf Bluesky, wird das Ganze vor allem dazu genutzt, das eigene Uneinverstandensein mit der Union und Klöckner öffentlich zu dokumentieren.
Der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (ELKWUE), Ernst-Wilhelm Gohl, nimmt es immer wieder auf sich, den Kontakt zu aufgehetzten Konservativen zu halten. Dieses Dialogprogramm ist ihm qua Amt ja aufgegeben. Bei t-online widerspricht er der Kritik von Klöckner mit einem nicen historischen Hinweis:
Ich halte diese Kritik für verkürzt, aber ich nehme sie ernst. Ich finde auch: Es ist nicht Aufgabe der Kirche, Tagespolitik zu betreiben. Aber als Christ sollte man politisch Stellung beziehen. Das Evangelium ist eine Sendung in die Welt – und in der Welt geht es politisch zu. Eugen Bolz (Anm. d. Red.: Zentrumspolitiker, NS-Widerstandskämpfer) hat es so formuliert: „Politik ist nichts anderes als praktisch angewandte Religion.“
Das Tempolimit als ein Anliegen der evangelischen Kirche ist Ernst-Wilhelm „Speedy“ Gohl, wie bereits bekannt und beschrieben (s. hier & hier in der Eule), übrigens als Thema der öffentlichen Anwaltschaft der Kirchen „zu kleinteilig“. Es liegt dem Zugfahrer Gohl einfach nicht so nah am Herzen. Kritik an der AfD aber solle die Kirche laut äußern, denn: „Auf die großen, ethischen Fragen unserer Zeit müssen wir Antworten liefern.“
Anders als die AfD ist die neue Bundestagspräsidentin Klöckner selbstverständlich auf den Evangelischen Kirchentag eingeladen. Sie wird am Samstagmorgen eine Bibelarbeit halten. Und die wird – aller Wahrscheinlichkeit nach – auch dankbar und wohlwollend von den Zuhörenden gehört werden. So wie es bei Friedrich Merz beim Kirchentag 2023 in Nürnberg war. Die Angst der Konservativen vor Kirche und Kirchentag ist weitgehend unbegründet, was ja nicht nur das Wahlergebnis der Bundestagswahl unter Christ:innen zeigt. Schade, dass Klöckner und andere den dialogischen Austausch bei solchen Gelegenheiten nicht suchen, sondern sich auf ein paar populistische Thesen in den Medien beschränken.
Ein guter Satz
„Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“
– Martin Luther, 62. der 95 Thesen
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