Gott im Trash-TV und an der Krippe
Zu Weihnachten kommt Gott als Kind in der Krippe zu uns, aber Daniela Albert hat ihn in diesen Tagen auch in einer herrlich trashigen Fernsehserie gefunden.
„Ich steh an deiner Krippe hier, Herr Jesus du mein Leben.“
Wir sind wieder mittendrin. Mittendrin in der Zeit, in der Menschen Jesus begegnen. Sogar solche, die elfeinhalb Monate im Jahr nicht mal auf die Idee kommen, dass man ausgerechnet ihm begegnen könnte. Wir sind mittendrin in der Zeit, in der Jesus als kleines Kind unser Herz berührt. Wir sind mittendrin in dieser besonderen Zeit, in der viele Menschen irgendwas spüren. Sogar Menschen, die sonst für sich ausschließen, dass sie Gott spüren oder das Glaube in ihrem Leben irgendeine entscheidende Rolle spielen würde.
Auch sie kommen am 24. Dezember in die Kirche, hören Predigten, die von dieser einen besonderen Nacht erzählen, in der ein Kind geboren wurde. In einem einfachen Stall. In der die Hirten, die am Rande der Gesellschaft standen, die ersten waren, die davon erfuhren. In der die Engel vor Freude sangen und ein Stern heller schien als alle anderen. Auch wenn all das sonst keine Rolle mehr im Leben der meisten Menschen spielt, an diesem Abend, in den Gottesdiensten, begegnen sie Jesus für einen kleinen Moment. Sie treffen sich mit ihm an der Krippe, lassen zu, dass er ihr Herz berührt, einen flüchtigen Augenblick lang, bevor sie wieder nach Hause gehen, zu Tannenbaum, Geschenken, Gans oder Würstchen mit Kartoffelsalat.
Spätestens am nächsten Morgen, wenn sie ihre Autos vollpacken, um Verwandte und Freunde zu besuchen, haben sie ihn vergessen, diesen kleinen Moment, in dem sie ihm an der Krippe gegenüberstanden. Zumindest ist das die leicht zynisch angehauchte Sicht vieler, die in Kirchgemeinden unterwegs sind, sei es als Haupt- oder Ehrenamtliche und zurecht darüber frustriert sind, dass die Kirchen nur an Heiligabend voll und für den Rest des Jahres immer weniger Menschen an uns interessiert sind.
Ehrlicherweise ist das ja nicht nur ein Problem, das die Kirche mit den Menschen hat, die am 24. Dezember kommen, sondern mit vielen Nutzer:innen ihrer Angebote. Der Großteil der Konfirmand:innen kommt nach dem großen Tag nie wieder, die Besucher:innen des Eltern-Kind Cafés gehen trotz des netten Angebots nicht in den Sonntagsgottesdienst, und auch wenn wir alle gemeinsam den Weihnachtsbaum in der Kita schmücken, bedeutet das nicht, dass wir zukünftig von Kindergartenkindern und ihren Eltern als der Ort, der zu ihnen passt, wahrgenommen werden.
Gott an anderen Orten
Ernüchterung ist an dieser Stelle sicherlich verständlich – zumindest, wenn man daran interessiert ist, Kirche als Ort des Glaubens zu erhalten. Vielleicht sollten wir uns aber zwischendurch mal einen anderen Blickwinkel gönnen: Den meisten von uns ist mittlerweile sicher klar, dass nicht an Kirche interessiert zu sein und nicht an Gott interessiert zu sein, zwei verschiedene Dinge sind. Anders als manche Verantwortliche der großen Kirchen ist sich Gott dieser Tatsache jedenfalls sehr bewusst und handelt danach. Und deswegen treibt er sich auch gern an anderen Orten herum.
Ich zum Beispiel bin ihm im November überaus häufig begegnet, und zwar an einem Ort, an dem ich ihn niemals erwartet hätte. An einem Ort, vor dem so mancher fromme Prediger sogar ausdrücklich warnt, weil er der eigenen Gottesbeziehung schweren Schaden zufügen könnte, wenn man zu viel Zeit dort verbringt. Ich habe ihn im Streamingdienst meines Vertrauens getroffen – beim Serien durchbingen! Und nein, es war nicht „The Chosen“ (auch wenn ich das natürlich auch schaue).
In meinem Zwiespalt zwischen dem Aushalten der Novembertristes und dem vorzeitigen Einläuten der Adventszeit habe ich mich für Couch und Fernseher entschieden. Mein Motto war: Je trashiger, desto Fun! Hängen geblieben bin ich bei der Serie „9-1-1 Lone Star“. Ein amerikanisches Drama, das das Leben von Ersthelfer:innen, also Feuerwehrleuten, Sanitäter:innen und Polizist:innen zeigt. Das Unterhaltsame an der Serie war für mich von Anfang an der Clash of Cultures, denn die Aufgabe von Protagonist Owen Strand (Rob Lowe) ist es, mitten in Texas eine möglichst diverse Feuerwehreinheit zusammenzustellen, die er selbst dann leiten soll. So holt er unter anderem die Muslima Marjan Marwani, den schwarzen Transmann Paul und den neurodivergenten Latino Mateo in sein Team. Außerdem legt die Serie einen großen Fokus auf die romantische Liebesgeschichte zwischen Owens Sohn T.K. und dem Polizisten Carlos Reyes. Dazwischen tummeln sich wandelnde texanische Klischees, wie der Feuerwehrmann Judd oder der ergraute, sonnenbebrillte Sergeant O‘Brien.
Die teilweise absolut absurden Rettungseinsätze, sehr vorhersehbare Wendungen und der eine oder andere Plot-Twist, der sich anfühlt, als hätte man ihn aus der Fanfiction einer Zwölfjährigen gestohlen, sorgen für einen hohen Trash-Faktor. Das tut aber dem Unterhaltungswert keinen Abbruch – noch dazu, weil viele der dargestellten Charaktere so verdammt liebenswert sind, dass man nicht umhinkommt, eine emotionale Bindung zu ihnen aufzubauen.
Der wunderbare Glaube im Alltag
Doch die heimliche Stärke dieser Serie ist für mich etwas anderes – nämlich die Spiritualität der Protagonist:innen und die überraschend starke Rolle, die der Glaube in fast allen Folgen einnimmt.
Der Glaube wird nicht etwa als Teil texanischer DNA von jenen Figuren in die Serie eingebracht, die auf Owen Strands Team herabschauen und für die seine diverse Truppe der Untergang ihrer heilen evangelikalen Welt ist. Vielmehr gehört er zur Lebensgeschichte vieler Ersthelfer:innen. Wir sehen, wie die Kopftuch tragende Muslima Marjan nicht nur gegen Vorurteile unter ihren Kolleg:innen, sondern auch um ihre Zugehörigkeit zu ihrer Moschee kämpft. Wir hören den Juden T.K. auf Hebräisch Worte stammeln als sein Leben am seidenen Faden hängt. Wir sehen Judd, den einzigen verbliebenen Texaner in der Feuerwache und sein auffälliges Tatoo auf der Hand: Psalm 31 steht dort in großen Buchstaben – und im Verlauf der Serie erfahren wir auch, warum er sich ausgerechnet diesen hat tätowieren lassen.
Wir sehen seine tiefgläubige Frau Grace, wie sie auf ganz bezaubernde Art ihre Spiritualität lebt und den schwulen Katholik Carlos, wie er sein Kreuz in den Händen hält und Gott um das Leben seines Freundes anfleht. Wir sehen die Protagonist:innen, wie sie auf Krankenhausfluren sitzen, sich an den Händen halten und zusammen beten – und wir erleben mit ihnen Wunder (ein paar zu viele vielleicht, aber okay). Wir sehen sie in Bibelkreisen oder sonntags beim Gottesdienst. Wir erleben die Kraft, die sie alle aus ihrem Glauben ziehen.
Inmitten dieser seichten Unterhaltungsserie dürfen wir Gott finden. Er bleibt nicht in der Krippe und wartet auf den nächsten Heiligabend, sondern kommt über Streamingdienste oder als Teil des TV-Programms von Pro 7 zu Besuch in die Wohnzimmer derer, die ihn dahin gar nicht eingeladen haben.
In „9-1-1 Lone Star“ macht er das sehr klar und auffällig. Es scheint, als wollten die Macher:innen der Serie es nicht dabei belassen, der weißen evangelikalen Welt auf die Nerven zu gehen, indem sie eine Show machen, in der all diejenigen Superstars sind, die in ihren Kirchen keinen Platz haben und auf die sich ihr Hass konzentriert. Sie wollen auch unmissverständlich klarstellen, dass Gott nicht nur denen gehört, die die angeblich richtige Hautfarbe, die richtige sexuelle Orientierung oder die richtige Art zu leben haben. Sie lassen ihn inmitten derer lebendig werden, die sich nicht nur in weißen, amerikanischen Kirchen, sondern auch in vielen Kirchgemeinden in Deutschland noch immer nicht sicher fühlen können.
Gott ist immer noch da
Als Teil dieser Gemeinschaft flimmert Gott in die Wohnzimmer von Menschen, die meist vergessen haben, dass sie auch mit Gott leben könnten, dass beten helfen kann und die das Vertrauen darauf, dass es mehr gibt, als das, was uns im Hier und Jetzt drückt, verloren haben. Der Gott, den sie am Heiligen Abend für einen kurzen Augenblick an der Krippe getroffen haben, zwinkert ihnen auf diese Art zu und sagt: Ich bin immer noch da. Ruf mich, wenn du mich brauchst. Du findest mich nicht nur in der Kirche, sondern überall.
Ich wohne im Trash-TV und in den Romanen, die du liest. Ich bin nicht nur in den gängigen Worship-Hits, sondern in so vielen Songs, die du auf Spotify hörst. Du kannst mir im Netz begegnen oder in Klatschzeitschriften. Du kannst mich anrufen, wenn du auf einem Krankenhausflur sitzt und verzweifelt bist und ich bin auch nicht sauer, wenn du dabei die Hand einer Muslima drückst. Du musst dich nicht extra auf den Weg machen, um mich zu treffen, ich komme gern zu dir. Und Ende Dezember treffen wir uns wie immer zur selben Zeit am selben Ort. Ich bin da und warte auf dich.
Wenn wir uns daran orientieren, wird für mich klar, dass der geschmückte Kita-Weihnachtsbaum, das Eltern-Kind Café, das liebevoll geplante Krippenspiel, aber auch jede Partizipation an Aktionen im sozialen Raum unser Weg zu den Menschen sein können und sein müssen. Ähnlich wie Gott sich gern mal über Streamingdienste, Popsongs oder betende Fußballstars ins Gedächtnis der Menschen ruft, müssen wir im Alltag präsent sein. Durch gute Worte, die von der Kraft erzählen, die wir aus dem Glauben ziehen. Durch gewöhnliche Taten, die hilfreich und sinnvoll sind. Durch Glühweinverkauf auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt und im Planungsausschuss für die Neugestaltung des Altortes. Durch Kleidersammlungen und die Arbeit der christlichen Werke. Kurz: Durch stetige Präsenz da, wo etwas passiert, wo Hilfe benötigt wird und wo Menschen zusammenkommen.
Aber – und auch das können wir von „9-1-1 Lone Star“ lernen – wir können auch dadurch einen Unterschied machen, wenn wir sprachfähig bleiben und unseren Glauben nicht verschämt verstecken. Ein solcher offener Umgang mit unserem Christ:in-Sein drückt sich aus, in dem wir „Ich bete für Dich“ statt „Ich drücke Dir die Daumen“ sagen, wenn jemand um mentale Unterstützung bittet, durch „Segenswünsche“ statt „Happy Birthday“, dadurch, dass wir von unserem Advent und unseren Traditionen erzählen und warum sie uns tragen. Und einmal im Jahr machen wir es allen Menschen besonders schön, damit sie ihr kleines, jährliches Wiedersehen mit Jesus in der Krippe haben dürfen.
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