Raserei und Irrsinn – Die #LaTdH vom 23. Juni
Die Rechte von Geflüchteten stehen in Europa und Deutschland auf dem Spiel. Außerdem: Glauben gegen die Einsamkeit und rechtskatholische Begeisterung.
Herzlich Willkommen!
Am Donnerstag, den 20. Juni, wurde der jährliche Weltflüchtlingstag begangen. Die Zahl der Flüchtlinge steigt von Jahr zu Jahr an. Weltweit gelten 117,3 Millionen Menschen als „gewaltsam vertrieben“ (2023). Das sind ca. 9 Millionen Menschen mehr als noch Ende 2022. 31 Millionen von ihnen sind vor Krieg oder Verfolgung aus ihrem Heimatland geflohen. 68,3 Millionen Menschen sind sog. „Binnenvertriebene“, bleiben also in den Grenzen ihres Landes.
Die meisten geflüchteten Menschen in Deutschland kommen aus der Ukraine, Syrien, der Türkei, Afghanistan und dem Irak. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 329.120 Asylanträge gestellt, etwa ein Drittel davon für Kinder und Jugendliche. Zudem halten sich rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine in Deutschland auf, darunter rund 350.000 Kinder. Man muss sich diese entsetzlich hohen Zahlen gelegentlich vor Augen führen – nicht nur am Weltflüchtlingstag. Für die Flucht vor Kriegen und Verfolgung gibt es so driftige Gründe, dass Menschen sich in höchste Gefahr begeben, um sicheren Hafen zu erreichen. 3.105 Flüchtlinge sind 2023 im Mittelmeer ertrunken. Im Vergleich zu 2020 hat sich ihre Zahl verdoppelt.
Seit der Europawahl vor zwei Wochen dreht sich der politische Diskurs in Deutschland erneut um die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Wieder sollen die Mauern der „Festung Europa“ ein Stück weit höher gebaut werden. Christdemokraten und -Soziale problematisieren nun auch die Flüchtlinge aus der Ukraine, die bisher einen Sonderstatus genießen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert gar die „Rückkehr“ von Ukrainer:innen in ihre Heimat, wenn sie in Deutschland keine Arbeit annehmen. Wir erleben gerade (wieder einmal) eine Verrohung der politischen Auseinandersetzung, in der Wahrheit, Sachdienlichkeit und Nächstenliebe unter die Räder kommen.
Ein Blick auf die Liste der Länder, aus denen die meisten Menschen flüchten, müsste uns vor Scham zum Schweigen bringen. Syrien, Afghanistan und die Ukraine sind uns keine fremden Länder. Ohne dass dort und anderswo Frieden wird und die Menschen ein würdiges Auskommen haben, werden Menschen weiter fliehen, zunächst in die Nachbarländer (allein im Iran leben 3,8 Millionen Menschen aus Afghanistan), auch nach Europa und selbstverständlich auch nach Deutschland. Es ist unsere Pflicht, diesen Menschen beizustehen, ihnen Schutz zu gewähren und für die Zeit ihrer Flucht ein würdiges Leben zu ermöglichen. Das ist würdig und recht.
Am 17. Juni „feierte“ dieses Magazin seinen siebten Geburtstag. Wir haben es ja nicht so mit Geburtstagsständchen, aber den kleinen Hinweis erlaube ich mir. Vielen Dank allen Leser:innen, Abonnent:innen und Autor:innen, die uns in den vergangenen sieben Jahren begleitet und unterstützt haben! Damit Die Eule weiterfliegen kann, brauchen wir auch weiterhin Ihre / Deine Unterstützung, z.B. durch ein Eule-Abo. Schon ab 3 Euro im Monat bist Du / sind Sie dabei. Aber weil ja die Sieben eine schöne Symbolzahl ist, weise ich heute gerne auf unser 7-Euro-Unterstützer:innen-Abo hin (auch als Upgrade eines bestehendes 3-Euro-Abos möglich).
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Ausgerechnet am Weltflüchtlingstag diskutierte die MinisterpräsidentInnenkonferenz mit der Bundesregierung über die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten. Das politische Ansinnen ist im Rahmen der Nach-Europawahl-Aufregung wieder aufgeploppt. Die Erledigung von Asylverfahren in Drittstaaten und ggbfs. sogar eine „Rückführung“ von Asylsuchenden in solche Länder wird durch die neue EU-Asylgesetzgebung möglich. Als „Ruanda“-Modell ist ein vergleichbares Vorhaben gerade in Großbritannien gescheitert.
Zahlreiche Expert:innen kritisieren die Verfahren als realitätsfern, unpraktikabel, unrechtmäßig im Bezug auf internationale Abkommen und menschenverachtend. Auch die Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) warnten gemeinsam vor einer Auslagerung von Asylverfahren.
„Anstatt viel Zeit und Geld in die Umsetzung unrealistischer und gefährlicher Modelle zu investieren, sollten diese Mittel dazu verwendet werden, um Flüchtende weltweit zu unterstützen – in den Erstaufnahmeländern ebenso wie in Deutschland,“
erklärte Brot für die Welt-Präsidentin Dagmar Pruin. Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch ermahnte zur Unterstützung der bestehenden Hilfsmöglichkeiten, die Aussicht auf Erfolg versprechen, und Anna-Nicole Heinrich, die Präses der Synode der EKD, erinnerte an die theologisch-historischen Wurzeln des Engagements für geflüchtete Menschen:
„Der individuelle Zugang zum Flüchtlingsschutz ist eine wertvolle gemeinsame Errungenschaft – aus der bitteren Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Shoah. Weltweit glauben Christinnen und Christen an einen Gott, der als Flüchtlingskind zur Welt kam und uns sagt: ‚Was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan‘ (Mt 25,40). Als Christ:innen können wir nicht anders, als uns für politische Lösungen einzusetzen, die die Menschenwürde und Menschenrechte zum Maßstab nehmen. Abschottung, Ausgrenzung und Entrechtung muss eine klare Absage erteilt werden.“
In Vorbereitung auf das Schwerpunktthema der diesjährigen EKD-Synodentagung „Migration, Flucht und Menschenrechte“ im November reist eine Delegation des Präsidiums der EKD-Synode Anfang Juli unter der Leitung von Anna-Nicole Heinrich an die EU-Außengrenze nach Griechenland. Dort sind u.a. Gespräche mit der Asylbehörde, der Verwaltung eines Geflüchtetenlagers, Vertreter:innen einer Abschiebehafteinrichtung, der griechischen Küstenwache, FRONTEX, UNHCR, ggf. der Lokalpolitik und einer NGO vor Ort geplant. Auf dem Plan stehen auch Gespräche mit kirchlichen Akteur:innen und wohl auch mit Vertreter:innen der deutschen Botschaft in Athen.
Flüchtlingsschutz: Ein kirchliches Kernanliegen
Das Engagement der Kirchen für geflüchtete Menschen wird gesamtgesellschaftlich geschätzt: Laut der neuen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) stimmen jeweils mindestens drei Viertel der Konfessionslosen, Katholik:innen und Evangelischen der Aussage zu, die Kirchen sollten sich konsequent für Geflüchtete und ihre Aufnahme einsetzen. Dabei ist die Zustimmung zum Einsatz für Flüchtlinge unter Kirchenmitgliedern ein wenig stärker ausgeprägt als bei Nicht-Kirchenmitgliedern und am höchsten bei der Gruppe der „religiösen Katholischen“ (81 %).
An dieser Stelle muss man wohl auch daran erinnern, dass erst zu Beginn des Kalenderjahres über 3 Millionen Menschen in Deutschland gegen rechtextreme Ausweisungsphantasien auf die Straße gegangen sind. Natürlich sprechen weder die Bundesregierung (zur Erinnerung: SPD, Grüne, FDP) noch die MinisterpräsidentInnen von „Remigration“, es geht nicht um die gewaltsame Entfernung von Nicht-Bio-Deutschen aus unserer Gesellschaft. Sehr wohl aber geht es darum, sich unliebsame „Ausländer“ vom Leib zu schaffen. Ursächlich für die neuerliche (verbale) Eskalation und Symbolpolitik (s. Bezahlkarte für Flüchtlinge, GEAS-Reformen) sind die starken Ergebnisse für rechtsradikale Parteien vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien. Hier täte allein ein Blick in andere europäische Länder gut!
Die Ukrainer:innen im Fokus
Neu ist gleichwohl, dass zunehmend auch geflüchtete Menschen aus der Ukraine ins Visier geraten. Bisher waren sie gegenüber anderen Flüchtlingen sowohl rechlich (s. „Massenzustromrichtlinie“ der EU) als auch diskursiv sonderbehandelt worden. Doch umso mehr die Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor Russland in der Bevölkerung an Unterstützung verliert – oder im Kontext der ostdeutschen Landtagswahlen problematisiert wird – desto stärker rücken auch die 1,1 Millionen ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland in den Fokus.
Seit Neuestem stellen Vertreter der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Frage, das in Deutschland sogar Verfassungrang hat, aber für Ukrainer offenbar irrelevant sein soll. Wie die taz berichtet, bemüht sich die ukrainische Regierung weiterhin und verstärkt, wehrfähige Männer ins Land zurückzuholen oder an der Ausreise zu hindern. Man kann das Anliegen sehr wohl verstehen, ohne sich zugleich zum Büttel eines Zwangs zum Kriegsdienst zu machen.
Nach Ansicht des CDU-Verteidigungspolitikers Roderich Kiesewetter sollte Deutschland die ukrainischen Bemühungen unterstützen, in Deutschland lebende Ukrainer für den Kriegsdienst zu rekrutieren. Deutschland könnte das Bürgergeld für diese Gruppe aussetzen und bei der Erfassung und Zustellung von Bescheiden mithelfen, […].
Mal ganz abgesehen von der unsachgemäßen und populistischen Fixierung der Christdemokratie und mancher Medien auf das Bürgergeld als einem (weitgehend) gelungenen Reformvorhaben der aktuellen Bundesregierung (hier bei Übermedien sehr gut aufgedröselt von Martin Rücker), darf man sich fragen, welche Artikel aus dem Katalog der Grundrechte als nächstes von Unions-Abgeordneten zur Disposition gestellt werden.
Die Versorgung von 1,1 Millionen Ukrainer:innen zusätzlich zu den Geflüchteten aus anderen Krisenherden (Afghanistan, Syrien) bringt durchaus Probleme mit sich. Es fehlt an Wohnraum in den Städten, in denen sie gut untergebracht werden müssten. Stattdessen pferchen wir in Deutschland Geflüchtete in temporären Lagern und überlasteten „Erstaufnahmeeinrichtungen“ zusammen – gerne irgendwo in der Provinz, wo Rassismus zum Alltag gehört. All das macht mehr Probleme, als es löst. Und so soll das wohl auch sein. Natürlich sind auch die Schulen (für die sich sonst wer noch mal interessiert?), der öffentliche (Nah-)Verkehr (klaro …) und das Gesundheitssystem (Merz‘ Zahnarzt-Fake-News) durch die Flüchtlinge strapaziert. Dabei handelt es sich ausnahmslos um hausgemachte Probleme eines Landes, das seit mindestens zwanzig Jahren vor der Bearbeitung eines riesigen Reformstaus zurückschreckt.
Kein Halten mehr – Leo Fischer (nd)
In „kollektiver Raserei“ gefangen sieht darum Leo Fischer, ehem. Chefredakteur der Titanic, unser Land. In seiner Kolumne fasst er die Widersinnigkeit und den Zynismus der gegenwärtigen Entwicklungen zusammen.
Keine Grausamkeit scheint undenkbar, keine Gemeinheit wird ausgelassen. Für Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan will man auch mit sonst geächteten Regierungen zusammenarbeiten, auch für die Grünen ist die Anerkennung der in Afghanistan herrschenden Mädchenschänderbande nicht undenkbar. Die SPD-Innenministerin beschließt eine Art erweiterter Vaterschaftskontrolle für »gemischte« Paare, denn es gibt inzwischen auch für Sozialdemokrat*innen einen Unterschied zwischen deutschen und undeutschen Vätern. […] Die Innenministerkonferenz erwägt, das verfügbare Bargeld für Geflüchtete auf 50 Euro zu begrenzen; die bizarre »Bezahlkarte«, ein milliardenschweres Geschäft für die Kreditkartenindustrie, ist schon durchgesetzt.
Eigentlich könnte ich hier jeden Satz des kurzen Artikels von Fischer reinkopieren, so treffend und schrecklich ist das alles. Doch wenigstens diese bittere Erkenntnis muss noch sein:
Es ist eine Art kollektiver rassistischer Raserei, in die sich eine Politik- und Medienkaste hineingesteigert hat, die sich thematisch ausschließlich an der AfD orientiert. Quer durch alle Parteien hindurch geht der Traum des rechtsextremen Ideologen Martin Sellner in Erfüllung: Jedes politische Problem wird als Migrationsproblem behandelt, für jedes Problem werden Geflüchtete verantwortlich gemacht. […]
Von Raserei muss deshalb gesprochen werden, weil es nicht einmal mehr dem Eigennutz dient: Die Wahlergebnisse zeigen, dass mit dem Rechtsruck von SPD und Grünen praktisch kein AfD-Wähler zurückgebracht wurde. Was wird als Antwort auf den mangelnden Erfolg des Rechtsrucks beschlossen? Ein weiterer Rechtsruck! Millionen sind dagegen auf die Straße gegangen, es war die größte Protestbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik – doch die Sorgen jener Protestierenden wiegen anscheinend nichts gegen die Massenpanik, die Politik und Medien erfasst hat.
„Dieselbe unantastbare Würde“
Anlässlich des Weltflüchtlingstages erinnerte der Beauftragte des Rates der EKD für Flüchtlingsfragen, Bischof Christian Stäblein (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO)), an Selbstverständlichkeiten, an denen sich die große Mehrheit der Bevölkerung orientiert und die den politisch Handelnden offenbar in Erinnerung gerufen werden müssen:
„[Geflüchtete] haben Namen und Gesicht. Es sind Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche. Sie alle sind Teil der großen Familie Mensch, sie alle haben von Gott dieselbe unantastbare Würde geschenkt bekommen. Wir können nur erahnen, welche Verzweiflung und Not zu ihrem Weg gehört – und wie viele Menschen buchstäblich auf der Strecke bleiben, verdursten oder ertrinken. Erst vorgestern ist wieder ein Boot auf dem Mittelmeer gekentert und mehr als 60 Menschen starben.“
Derzeit sammelt das Bündnis #United4Rescue, dem zahlreiche kirchliche Organisationen und Gemeinden angehören, für ein weiteres Rettungsschiff. als „Sea-Eye 5“ soll diesmal ein ehem. Rettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Dienst gestellt werden. 382.519 Euro für den Rettungskreuzer, der speziell zur Seenotrettung konstruiert wurde, sind bereits zusammengekommen. Die Lücke bis zum Kaufpreis von 465.000 Euro beträgt „nur noch“ 82.000 Euro.
… bau einen längeren Tisch, keine höheren Mauern – Interview mit Josephine Furian von Kerstin Menzel (feinschwarz.net)
Josephine Furian ist Seelsorgerin in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt und Pfarrerin für Flüchtlingsarbeit im Sprengel Görlitz der EKBO. Im Gespräch mit Kerstin Menzel (s. hier in der Eule) bei feinschwarz.net gibt sie Auskunft über ihre Arbeit in einer sich verschärfenden Situation:
„Die neuen Regelungen für mehr und schnellere Abschiebungen erhöhen den Druck auf die Geflüchteten enorm. Sie verstärken auch die gesellschaftliche Verrohung. Das zeigt sich auf der Straße in steigender Gewalt gegen Menschen of Color zeigt oder in autoritären Reaktionen, wie im extrem rechten Wahlverhalten. Ich vermute, dass Abschiebungen auch eine Belastung für die Beamten sind, die diese durchführen. Für mich sind Abschiebungen ein potentiell traumatisierendes, kostspieliges und unwürdiges migrationspolitisches Mittel.“
Das hatte in der Eule bereits vor genau einem Jahr der Migrationsexperte Maximilian Pichl erklärt, der von einer „moralischen Panik“ sprach, in die sich die Gesellschaft angesichts von Flucht und Migration verstrickt hat. Und Furian spricht über die zweierlei Überforderungen in unserer Gesellschaft anhand des Kirchenasyls (zuletzt hier in der Eule):
„Wenn sich für militärische Sicherheit und Reichtum der Wenigen eingesetzt wird, leiden die anderen. Krankenhäuser, Bildung, Kitas – die soziale Infrastruktur, die so wichtig für eine Gesellschaft und damit für soziale Sicherheit aber auch Erfahrungen von Glück sind. Das überfordert. Auch ich bin überfordert von den vielen Anfragen für Kirchenasyle. Denn die Abschiebeinitiative zeigt Wirkung: Mich erreichen an Werktagen 1-3 Kirchenasylanfragen und nur den Wenigsten kann ich gerecht werden.“
Auch ohne Rückendeckung „der großen Politik“ und ohne wertschätzende Würdigung durch den Kanzler (s. meine zeitzeichen-Kolumne von Freitag) machen die „Anwälte der Geflüchteten“ weiter. Muss ja. Unter den Helfer:innen sind vor Ort in den Kommunen, in den Kirchgemeinden, beim Kirchenasyl und bei der Unterstützung der Seenotrettung viele Christ:innen. Stäblein erinnert anlässlich des Weltflüchtlingstags an dieses Engagement:
„Ich denke heute aber auch an alle Menschen, die die Rechte und Würde von Schutzsuchenden verteidigen – ob im Kirchenasyl oder in der Seenotrettung, im Integrationsprojekt oder Sprachcafé. Die Zuversicht und die Selbstverständlichkeit, mit der Helferinnen und Helfer sich für Geflüchtete einsetzen, beeindruckt mich tief. Ihre Mitmenschlichkeit schenkt Hoffnung– und zeigt, wie wir alle beitragen können, Nächstenliebe und Solidarität zu leben.“
nachgefasst
UNUM-Gebetstreffen in München: Harmlos oder menschenfeindlich? – Nadja Stempel, Andrea Neumeier (BR)
An diesem Wochenende findet in München die UNUM24-Konferenz von neucharismatischen Akteur:innen statt. In der Eule hatte ich bereits vergangene Woche ausführlich über Ansinnen der Konferenz und ihrer Akteure geschrieben. Nadja Stempel und Andrea Neumeier fassen beim Bayerischen Rundfunk die Kontroverse um die Konferenz ganz gut zusammen. Zwischenzeitlich gab es ein Gesprächsangebot der Organisatoren, das aber von den Kritiker:innen abgelehnt wurde.
Die Krisenkommunikation der UNUM24 hat in den vergangenen Tagen die Publizistin Birgit Kelle übernommen, die selbst mit transfeindlichen und rechtsradikalen Äußerungen hervortritt. So groß ist die „Schwarmintelligenz“ im rechtskatholischen Lager halt nicht, dass man nicht beständig auf die gleichen Akteur:innen träfe. Auch die emphatisch traditionell-konservativ-reaktionäre Tagespost hat sich in den vergangenen Tagen vor allem der Apologie der Konferenz verschrieben, obwohl die Katholizität der Veranstaltung durchaus in Frage steht. Die Übereinstimmung bei politischen Anliegen hat offenbar Vorrang vor der reinen katholischen Lehre.
Markus Nolte ist bei Kirche + Leben noch einmal der Beteiligung von Bischof Heinrich Timmerevers (Bistum Dresden-Meißen) an der Konferenz nachgegangen, die Überschrift – „Timmerevers kontert Kritik […]“- verspricht leider zu viel, denn den entscheidenden Fragen von Nolte (und zuvor der Eule) weicht Timmerevers aus. Wie kann man sich zugleich für den Segen für LGBTQI+ in der Kirche und den Kampf gegen Missbrauch in der Kirche engagieren und zu LGBTQI+-feindlichen Äußerungen von Ökumene-Partnern und Gefährdungen insbesondere von jungen Menschen schweigen?
Buntes
Buddhas in Berlin: Asiatische Nonnen eröffnen neuen Tempel – Christoph Strack (Deutsche Welle)
Die Religionslandschaft in der Hauptstadt Berlin ist bunt wie ein Regenbogen. Zunehmend suchen auch junge Menschen aus aller Welt, die zum Studium oder der Arbeit wegen in die Stadt kommen, Anschluss an Gemeinden und Religionsgemeinschaften. Christoph Strack berichtet für die Deutsche Welle über die Eröffnung des „repräsentativste[n] buddhistische[n] Tempel[s] Deutschlands“ und en passant auch über die Veränderung der religiösen Landschaft der Hauptstadt.
Die Hauptstadt mit mehr als 3,5 Millionen Menschen zeichnet sich durch religiöse Vielfalt aus. Die „Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ verweist im Internet auf Schätzungen, wonach mehr als 250 Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften in Berlin aktiv sind. [Sie] spielten eine „bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Leben einer multikulturellen Metropole“. Der Bau in der Ackerstraße ist längst nicht die einzige buddhistische Einrichtung der Stadt. Das „Buddhistische Haus“ in Frohnau im Norden von Berlin ist bereits über 100 Jahre alt. […]
Noch in diesem Jahr, so die Initiatoren, soll in der Hasenheide zwischen Kreuzberg und Neukölln ein seit bald 20 Jahren im Bau befindlicher Hindutempel eröffnet werden. Die katholische Kirche will Ende November nach einer rund vierjährigen Komplettsanierung wieder ihre St.-Hedwigs-Kathedrale am zentralen Bebel-Platz für ihre Gottesdienste nutzen. Dann das „House of One“, ein gemeinsames Projekt von Christen, Juden und Muslimen, das allerdings erst am Anfang steht. Kleinere Freikirchen oder auch Synagogenräume oder Moscheen entstehen ebenfalls hier und da, ohne dass es mediale Aufmerksamkeit erregt.
Großstadtgeister ohne Freunde – Lilly Schröder (taz)
Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für die Arbeit der Religionsgemeinschaften (vor allem) in den großen Städten könnte gleichwohl nicht schaden. Lilly Schröder schreibt in der taz anlässlich der „Aktionswoche gegen Einsamkeit“ über die Suche nach Gemeinschaft und Anschluss, die vielen Menschen schwer fällt – vor allem auch Jugendlichen, bei denen die Einsamkeit in Folge der Corona-Pandemie zugenommen hat.
Bis vor der Pandemie waren demnach bundesweit die über 75-Jährigen am stärksten von Einsamkeit betroffen. Seit Corona sind es vor allem die Jugendlichen. Das zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demzufolge liegt der Anteil der „stark“ und „moderat einsamen“ 16- bis 30-Jährigen, je nach Geschlecht und Altersgruppe, zwischen 33 und 51 Prozent. Ein weiterer Befund: In Städten ist die Einsamkeit ausgeprägter.
Einsamkeit ist ein Gesundheitsrisiko und stellt auch ein Problem für die Demokratie dar. Man möchte meinen, dass gerade Kirchen und Religionsgemeinschaften genügend Mittel gegen Einsamkeit im Angebot haben. Leider spielen die (nicht nur) im taz-Artikel anscheinend keine Rolle (mehr). Dabei haben die Kirchen, Diakonie und Caritas bei der Aktionswoche eine tragende Rolle inne. Mit Einsamkeit als „existenzielle[r] Erfahrung und gesellschaftliche[r] Herausforderung“ befasste sich auch die Jahrestagung des Deutschen Ethikrates Anfang der Woche in Berlin. Das Programm strotzt geradezu vor Kirchenvertreter:innen sowie Forschenden und Expert:innen von kirchlichen Hochschulen und Wohlfahrtsverbänden.
Wie kann man diese Kompetenz effektiver „auf die Strecke“ bringen? Wahrscheinlich nicht mit der nächsten halbherzigen Kirchen-PR-Kampagne, sondern nur mit Armschmalz und einem Kulturwandel an den Kirchorten. So richtig einladend sind die nämlich nicht durchgehend gestaltet. Wer nach Angeboten für Singles, junge Erwachsene und Anschlusssuchende sucht, der*die findet zwar in der Regel ein passables Angebot. Aber nur, wenn er*sie schon weiß, wonach und wo zu suchen ist. Ich glaube nicht, dass die Kirche hier nicht genügend im Köcher hat. Das Angebot muss aber deutlich besser dargestellt werden!
An dieser Stelle ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Genau solchen Fragen gehen Hanno Terbuyken und ich in unserem Buch „Vernetzt und zugewandt“ über die Digitalisierung von Kirchgemeinden nach. Das Buch ist seit dem Frühjahr im Handel und auf einer Website geben wir weitere Informationen (Rezensionen, Interviews, Podcasts etc.). Hier in der Eule gab es zur Buchveröffentlichung einen Ausschnitt aus dem Buch als Gastbeitrag und gerade erst vor einer Woche war ich mit dem Buch bei den „Digitalen Engeln“ in Sachsen zu Gast. Thema: Teilhabe älterer Menschen.
Brandenburg bekommt ersten Antisemitismusbeauftragten: Israel im Herzen – Benjamin Lassiwe (Domradio)
Auch Brandenburg hat nun einen Antisemitismusbeauftragten, den ersten in der Geschichte des Bundeslandes. Für das Amt hatte es eine Reihe interessanter Bewerberinnen gegeben, das Rennen gemacht hat Andreas Büttner (DIE LINKE), ein erfahrener Landespolitiker mit exzellenten Verbindungen zu den jüdischen Institutionen in der Region. Benjamin Lassiwe berichtet:
Wer ist dieser Büttner, der nun erster Antisemitismusbeauftragter des Landes Brandenburg wird? Ein nicht-praktizierender Mormone, von Hause aus Polizeibeamter, einst Fraktionsvorsitzender der FDP und nach deren Ausscheiden aus dem Landtag 2014 spektakulär zur Linken übergetreten. Ein Politiker, der in kein Klischee passt: Der in evangelischen Kirchen Orgel spielt, sich für den Christopher-Street-Day stark macht, und im Gesundheitsausschuss des Landtags von seinen Sorgen als Vater eines Kindes mit Handicap berichtet.
Er ist ein Mann, der ebenso Staatssekretär im Gesundheitsministerium sein konnte wie verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Ein Zugezogener, der in einem kleinen Dorf bei Templin sein Glück gefunden hat, und das Leben in der Großstadt ebenso kennt wie die Sorgen und Nöte des ländlichen Raums. Aber eben auch ein großer Freund des Judentums und des Staates Israel.
Seiner Vereidigung im Brandenburger Landtag blieben weite Teile der AfD-Fraktion demonstrativ fern, berichtet der SPIEGEL. Auch in Brandenburg haben in Folge des 7. Oktober die antisemitischen Übergriffe stark zugenommen.
Ein guter Satz
„Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.“
– Matthäus 25, 35