Frau Doktor (9): Auf den Spuren der Herrlichkeit Gottes
Cordula Heupts entdeckt für ihre Promotion die Schönheit Gottes in Islam und Christentum – und aktualisiert dafür das Werk eines berühmten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts.
Am Ende meines Studiums stand für mich fest: Ich möchte in der Systematischen Theologie promovieren. Wie kam es dazu? Wer mich zu Schulzeiten kannte, hätte zu Recht vermutet, dass ich meine Leidenschaft, Geige zu spielen, oder generell Musik als Berufsfeld wählen würde. Meine Freude an klassischer Musik, Orchester- und Kammermusik, war riesig.
Doch schon bei der Wahl der Leistungskurse in der Oberstufe gab es keinen Leistungskurs Musik, weshalb ich den Leistungskurs Religion wählte. Auch wenn ich katholisch aufgewachsen war, so war doch das Thema Glaube und Religion für mich bis dahin mehr ein privates Thema.
Im Nachhinein war der Leistungskurs Religion doch die beste Wahl, die es hätte geben können. Sie war sozusagen eine erste Weichenstellung. Dank unseres Lehrers lernten wir nicht nur wissenschaftliches Arbeiten kennen, sondern auch theologisch zu denken und die wichtigen Fragen des Lebens zu stellen.
Auch nach dem Abitur war mein Wunsch, Geige zu studieren, groß. Ich studierte Schulmusik und Instrumentalpädagogik Violine. Die Freude an der Musik konnte mir trotz negativen Drucks an der Musikhochschule nicht genommen werden. Doch die Schwerpunkte meines Studiums verschoben sich ganz langsam in Richtung meines Zweitfachs Theologie, denn die Vorlesungen in der Systematischen Theologie faszinierten mich sehr.
Besonders spannend fand ich die Trialog-Seminare, in denen Dozenten unterschiedlicher Religionen miteinander und mit den Studierenden diskutierten. Als mich der Professor für Systematische Theologie fragte, ob ich als Tutorin bei ihm arbeiten wolle, war ich für die Theologie gewonnen. Mir wurde viel zugetraut, ich bekam verantwortungsvolle Aufgaben und wuchs daran.
Hinzu kam, dass ich Kolleg*innen aus der islamischen Theologie begegnen durfte, die mein Interesse am Islam weckten. Mein theologisches Denken entwickelte sich sozusagen im interreligiösen Dialog. Nach dem Erlebnis einer interreligiösen Sommerschule mit vielen interessanten Professor*innen und Doktorand*innen wurde mir klar, dass ich im christlich-islamischen Dialog promovieren möchte.
Gott ist schön – Ästhetik der Offenbarung
Auf der Suche nach einem Thema für meine Promotion las ich das Werk „Gott ist schön. Das ästhetische Erleben der Rezitation des Koran“ von Navid Kermani und war durch meine Liebe zur geistlichen Musik sofort fasziniert. Navid Kermani ist nicht nur ein bekannter muslimischer Intellektueller in Deutschland und Autor von zahlreichen Romanen, sondern auch habilitierter Orientalist.
Sein Zugang zum Islam, die Gegenwart und Schönheit Gottes durch die musikalische Rezitation des heiligen Textes zu erleben, war mir sympathisch und konnte an mein Erleben von geistlicher Musik anknüpfen. Zudem hatte ich das Glück, Kermani meine ersten Fragen zum Werk in einem Kolloquium selbst stellen zu können.
Ich begann damit, mich in die Thematik der ästhetischen Wahrnehmung der Offenbarung im Islam einzulesen und entdeckte die Schriften von Ahmad Milad Karimi, Islamwissenschaftler, Dichter und Professor für islamische Philosophie in Münster. Auch auf seine Werke wie auch seine poetische Übersetzung des Koran konnte ich zurückgreifen. Es wurden Fragen in mir geweckt nach der Ästhetik im Christentum, die mir bisher nur aus meiner praktischen Erfahrung der geistlichen Musik bekannt waren.
Damit war die erste Idee für eine Arbeit in Komparativer Theologie gelegt. Diese Disziplin habe ich im Studium an der Universität Paderborn kennengelernt, an der mein Doktorvater Klaus von Stosch auch das Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften (ZeKK) gegründet hatte. In dieser Disziplin geht es kurz gesagt darum, sich einer eingegrenzten Thematik im interreligiösen Dialog zu widmen, um sich ganz in das Denken des religiös Anderen hineinzubegeben und aus diesem Gespräch heraus die eigene Theologie zu betreiben.
Zunächst war ich sicher, dass ich als christlichen Gesprächspartner für den Dialog die Theologie Karl Rahners zur Grundlage nehmen würde, weil mich sein Denken und seine Theologie im Studium begeistert hatten. Aber mein Doktorvater riet mir, lieber die theologische Ästhetik Hans Urs von Balthasars ins Auge zu fassen.
Groß, tief und mir unverständlich
Die Größe und Tiefe des Werkes Balthasars zur theologischen Ästhetik sollten in dieser Arbeit nicht außer Acht gelassen werden. Balthasar hat im 20. Jhd. ein siebenbändiges Werk mit dem Titel „Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik“ publiziert, in der er die Herrlichkeit der Gestalt Jesu Christi aus verschiedensten Blickwinkeln beschreibt und als Maßstab für jegliche Schönheit postuliert. Mit diesem Vorschlag erklärte ich mich einverstanden, auch wenn ich im Studium von Balthasar nur ein paar Einführungstexte und die sogenannte „Karsamstagstheologie“ kennengelernt hatte.
Mit großer Motivation stürzte ich mich in die erste Recherche und die Bände Balthasars. Und schon bald merkte ich, dass ich so meine Schwierigkeiten mit dem Schreibstil und der Theologie Balthasars hatte. Besonders seine metaphysischen Argumentationen waren mir fremd, hatte ich doch Metaphysik vor allem als eine von Kant kritisierte Philosophie kennengelernt. Schönheit, Wahrheit und Gutheit als Transzendentalien des Seins? Ich begann Einführungswerke in die Theologie Balthasars und die Metaphysik zu lesen und verstand danach so wenig wie zuvor. Die Bücher, die Balthasars Denken erklären sollten, blieben entweder sehr oberflächlich oder bedienten sich derselben Sprache wie Balthasar.
Nach meinen Aufgaben als Wissenschaftliche Hilfskraft hatte ich außerdem häufig nicht mehr genug Konzentration, um mich lange auf die schwierigen Texte einzulassen. Deshalb bewarb ich mich nach einem Jahr auf verschiedene Promotionsstipendien und war unendlich dankbar, für drei Jahre von die Studienstiftung des deutschen Volkes finanziert zu werden. Die Zeit erschien mir wie ein großes Geschenk, auch wenn ich erstmal lernen musste, den Tag für meine Promotion zu strukturieren. Es ergaben sich die wunderbaren Möglichkeiten, für einen Forschungsaufenthalt nach Boston zu reisen und einen Sprachkurs Arabisch in Jordanien zu absolvieren. Ich hatte das Gefühl, meine ganze Energie in die Forschung stecken zu können.
Ich habe mich also auf die Spuren der Herrlichkeit im Alten und Neuen Testament begeben und bin dafür zunächst der Bedeutung des hebräischen Wortes des kabod Gottes und dem griechischen Wort der doxa Gottes nachgegangen. Durch viele Gespräche bei Mittagessen und am Abend mit einem guten Freund und Kollegen, der sich auch mit Balthasar beschäftigte, wurde mir langsam das Denken Balthasars verständlicher.
Ein weiterer Schlüssel für mich war das Lesen der Originalwerke, Satz für Satz, bis ich mich sicher genug fühlte, Balthasars Intentionen mit eigenen Worten auszudrücken. Eine große Hilfe und wertvolle Zielmarker waren die Doktorandenkolloquien meines Doktorvaters. In diesen Treffen sollten wir einmal im Semester die Fortschritte unserer Arbeit vorstellen. Bis zu diesen Terminen musste also der nächste Abschnitt fertig sein und die Rückmeldung war Motivation für die weitere Arbeit. Zudem war mein Doktorvater jederzeit für weitere Gespräche bereit, ich fühlte mich also gut betreut.
Katholische Theologin werden
Nach und nach wurde mir klar, dass mein Staatsexamen leider nicht als vollwertiges Theologiestudium angesehen wurde. Die Studienleistungen, die ich durch zahlreiche Oberseminare, Vorträge und Aufsätze quasi von selbst angesammelt hatte, konnten durch einen sogenannten Dr. phil. an der Universität nicht mehr ausgedrückt werden. Deshalb entschloss ich mich, die Kooperation der Universität mit der Theologischen Fakultät als eigener Hochschule zu nutzen, um einen Dr. theol. zu „machen“.
Dadurch kamen nicht nur weitere Veranstaltungen und Hebräisch als Fremdsprache hinzu, mir wurde auch bewusst, dass ich als Frau in der katholischen Theologie promoviere. Diese Tatsache hatte in meinem bisherigen Studium bis dahin keine große Bedeutung. Die Wahrnehmung, dass das Frausein in der Kirche einen Unterschied macht, hatte ich bisher weder in der Kirchengemeinde noch im Studium bewusst erlebt. Sie machte mich sensibler für die Wahrnehmung von Machtstrukturen, die Wertschätzung der Frau und der Kommunikationsweisen in der Wissenschaft, in der Kirche und darüber hinaus.
Ein wichtiger Faktor im Abschluss meiner Promotion war, dass ich mein Thema der Herrlichkeit und Schönheit Gottes bis zur Abgabe liebte. Ich fragte mich immer noch gerne, was aus christlicher Sicht der Gehalt der Herrlichkeit ist, die man in der Bibel und in jeder Liturgie findet. Wie lässt sich diese Herrlichkeit wahrnehmen?
Christus als Kunstwerk Gottes
Mit seiner phänomenologischen Methodik und großer literarischer Kenntnis beschreibt Balthasar die Strahlungskraft der Gestalt Christi als Kunstwerk Gottes. Dabei hat er nicht nur die Bibel und die Werke verschiedener Kirchenväter und Theologen betrachtet, sondern auch Künstler und ihre Werke.
Ich erkannte, dass es Balthasars größte Leistung war, die Hässlichkeit des Kreuzes in die Schönheit Gottes und sein Erlösungswerk einzubeziehen. Nach Balthasar ergreift den Menschen im Glauben eine ganz andere als die weltliche Herrlichkeit, nämlich eine Herrlichkeit der selbstlos dienenden Liebe. In mystisch inspirierten Bildern beschreibt Balthasar, wie die Herrlichkeit Gottes durch Jesus Christus auch die tiefsten Abgründe der Ablehnung Gottes erreicht, um sie in die Liebe hereinzuholen (Karsamstagstheologie). Das bedeutet für Balthasar nicht, dass die weltliche Schönheit an Wert verliert. Sie wird im hegelschen Sinne aufgehoben in die Herrlichkeit Gottes, also bewahrt und übertroffen.
Der Vergleich zwischen Balthasars, Kermanis und Karimis Denken machte mich auf die großen Gemeinsamkeiten aber auch die Unterschiede und christlichen Besonderheiten aufmerksam. Ich konnte neue Blickwinkel auf die problematisierten und angefragten Vorstellungen Balthasars gewinnen.
Zum Beispiel argumentiert Kermani für seine These des Erlebens der Schönheit Gottes in der Rezitation rezeptionsästhetisch durch die Wirkung der Rezitation auf die Hörer. Das könnte auch Balthasars Theologie guttun, der von objektiver Evidenz der Offenbarungsgestalt spricht. Eine Gemeinsamkeit fand sich in der Wichtigkeit der liebenden Hingabe des Menschen an Gott, die befreiend wirkt und zum eigentlichen Selbst führen kann. Diese bei Balthasar und Karimi an Hegel angelehnte Dialektik ist dabei nicht als Theorie misszuverstehen, sondern speist sich aus existentiellen Erfahrungen der Theologen.
Was hätte Balthasar dazu gesagt?
Für den Dialog mit der islamischen Theologie spielte es eine große Rolle, dass mir jederzeit muslimische Kolleg*innen meine Fragen beantworten konnten und bereit für einen persönlichen Dialog über meine Fragen waren. Denn das Gespräch mit Menschen ist noch viel spannender, als schriftlich Überzeugungen ins Gespräch zu bringen.
Trotz der Liebe zum Thema war die Abgabe der Arbeit keine leichte Sache. Die geschriebene Seitenanzahl wurde scheinbar unüberschaubar und das Ende nicht abzuschätzen. Da war es am besten, einfach weiterzumachen und wenigstens die To-do-Listen überschaubar zu halten. Für die Gespräche über Selbstzweifel, Frustration und auch Erfolgserlebnisse waren einige gute Freund*innen von Nöten, denen ich sehr dankbar bin.
Nach der Abgabe der Arbeit warteten acht Prüfungen (Rigorosa) in allen theologischen Fächern auf mich. Nun steht die Veröffentlichung meiner Arbeit kurz bevor. Das Promotionsprojekt lässt mich also so schnell nicht wieder los. Die Arbeit mit der Theologie Balthasars hat mich so sehr geprägt, dass ich nun in theologischen Debatten manchmal nicht nur meine Sicht einbringe, sondern auch überlege, was Balthasar dazu gesagt hätte.
Reichtum des interreligiösen Dialogs
Mit der Aussicht auf die bald publizierte Arbeit kann ich stolz berichten, dass mich der interreligiöse Dialog zu einer größeren Wertschätzung des Islams wie des Christentums geführt hat. Meine Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Rezeption und Aktualisierung der Theologie Balthasars und öffnet sie für einen christlich-islamischen Dialog auf Augenhöhe.
Die verschiedenen ästhetischen Zugänge Balthasars, Kermanis und Karimis zu ihrem Glauben machen die Anziehungskraft der beiden Religionen offensichtlicher. Diese Anziehungskraft sollte genutzt werden, um ihre befreienden Potentiale aufzuzeigen und eine andere Tiefe der Schönheit Gottes und der Welt zu offenbaren, die auch im eigenen Scheitern noch trägt.
Ich kann mich zum Schluss nur bedanken für die große Unterstützung, die ich in meiner Promotion von allen Seiten erhalten habe. Nun bin froh, in ein neues Thema einzusteigen und weiterhin an der Universität arbeiten zu können. Dabei bleibe ich der Komparativen Theologie treu, denn der Dialog mit Menschen und Theologien anderer Religionen soll mein theologisches Arbeiten auch weiterhin bereichern.
Ende der 2. Staffel: „Frau Doktor“ geht weiter!
Mit dieser Ausgabe geht die 2. Staffel unserer Serie „Frau Doktor“, in der Theologinnen von ihrem Weg zum Doktortitel berichten, zu Ende. Im Fokus der Theologie stehen viel zu häufig alte und tote Männer, noch immer trauen sich Mädchen und Frauen eine Promotion weniger zu als gleichaltrige Jungen und Männer. Wir wollen auch die Herausforderungen für Frauen in der Wissenschaft nicht ausblenden. Deshalb kommen sie hier zu Wort.
Die neun Promotions- und Lebensgeschichten unserer Serie „Frau Doktor“ haben nicht nur die Redaktion immer wieder begeistert, sondern auch viel Zuspruch bei unseren Leser:innen gefunden. Deshalb setzen wir „Frau Doktor“ im kommenden Frühling for. Seid gespannt!
Bisher erschienen:
Folge 1: Dr. Teresa Tenbergen – Can a song save your life?
Folge 2: Dr. Andrea Hofmann – Horizont in Sicht
Folge 3: Dr. des. Claudia Kühner-Graßmann – Frauensolidarität darf hier nicht aufhören!
Folge 4: Dr. Christiane Renner – Dr. theol. Christiane
Folge 5: Dr. Maike Maria Domsel – Zwischen den Welten
Folge 6: Dr. Annika Schreiter – Eine Zeit der Weichenstellungen
Folge 7: Julia Rath – Diversität in der Wissenschaft
Folge 8: Katharina Leniger – Versöhnung im Knast
Folge 9: Dr. Cordula Heupts – Auf den Spuren der Herrlichkeit Gottes