40 Jahre – Die #LaTdH vom 3. September

Seit 40 Jahren bietet das Kirchenasyl Schutz vor Verfolgung und Bedrohung. Wie kann man es überflüssig machen? Außerdem: Kirchenkaffee und Gemeinwohl, #digitaleKirche und white privilege.

Herzlich Willkommen!

Bis ins hohe Lebensalter hinein werden digitale Medien konsumiert und Kontakte zu Freunden und Familie digital gehalten. In den jüngeren Alterskohorten werden digitale Begegnungen ebenso intensiv gelebt wie analoge.

So beginnt das ausführliche Social-Media-Trends-Update, das wir in dieser Woche in zwei Teilen veröffentlicht haben. Im ersten Teil geht es um aktuelle Entwicklungen auf den Social-Media-Plattformen Facebook, Instagram, TikTok & Co. sowie die Frage, ob und wie sie in verschiedenen kirchlichen Kontexten zum Einsatz kommen können. Der zweite Teil befasst sich mit dem Mikroblogging auf Twitter, Mastodon, Threads und Bluesky im Besonderen. Der Fokus des Updates liegt auf #digitaleKirche-Akteur:innen: Wie können christliche Organisationen, Medien und einzelne Nutzer:innen auf die Veränderungen in Social Media reagieren?

Das Nutzer:innenverhalten auf den großen Social-Media-Plattformen verändert sich ständig. Deshalb ist es gut, die eigene Social-Media-Strategie immer wieder zu überprüfen. Mir ist bei der Arbeit am Update erneut aufgefallen, wie erstaunlich gleichförmig und – sorry! – lustlos viele christliche Formate und Social-Media-Kanäle gestaltet sind. Manche Accounts sind wirklich nur Halden, auf denen eigentlich für andere Kontexte erstellte Inhalte abgekippt werden. So wird viel Potential verschenkt.

Gegenbeispiel gefällig? Auf Instagram bemüht sich die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, in einem Video, Interesse für die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der EKD zu wecken, die zur Tagung der EKD-Synode im November vorgestellt werden soll. Ein auf den ersten Blick ambitioniertes Ziel, angesichts dessen, dass viele Werke der umfangreichen evangelischen Studien-Bibliothek in der Vergangenheit in Bücherregalen vor sich hin verstaubten. Über 450 Personen haben den Beitrag inszwischen geliked. Mehr noch als auf das Marketing für Veröffentlichungen käme es allerdings darauf an, deren Inhalte digital so aufzubereiten, dass am Ende von Videos nicht einfach zum Download eines PDFs aufgerufen werden muss.

Wer sich privat oder beruflich für die Kirche in Sozialen Netzwerken interessiert, wird in den beiden Update-Artikeln – und in meiner Traurrede für Twitter/X – genügend Stoff zum Nachdenken und Nachjustieren finden. Auf Rückmeldungen, Hinweise und Kritik sind wir sehr gespannt und sind auf unseren Social-Media-Kanälen auf Facebook, Instagram, Mastodon und Twitter/X sowie per E-Mail und in den Kommentaren direkt unter den Artikeln #ansprechbar.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

PS: Die #LaTdH und die ganze Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Schon ab 3 € im Monat sind Sie dabei.

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Debatte

Seit 40 Jahren gibt es in Deutschland Kirchenasyle. In Kirchen und Klöstern wird gleichwohl seit Jahrhunderten Schutz vor Verfolgung und Sicherheit vor Bedrohungen gesucht. In der Aura (oder: dem Numinosen) der Kirche gründet bis heute die Schutzwirkung des Kirchenasyls. Der Respekt vor Kirche und Kirchenräumen gebietet Einhalt und sorgt zumindest für eine Unterbrechung der unmittelbaren Gefahr. Allerdings trägt diese lange Traditionslinie auch zu einer Romantisierung des Kirchenasyls bei, die einer aufrichtigen Debatte um Sinn und Notwendigkeit des Kirchenasyls eher nicht zuträglich ist.

An den Auslöser der Kirchenasyl-Bewegung vor 40 Jahren erinnert radio eins mit einem Gespräch mit der Berliner Pfarrerin Margareta Trende und der Tagesspiegel mit einem ausführlichen Artikel (€). Bei der Glückstädter Fortuna schreibt Benjamin Lassiwe:

Der 30. August 1983 im damaligen West-Berlin: Der türkische Asylbewerber Cemal Kemal Altun hat einen Termin vor dem Oberverwaltungsgericht. Es soll geklärt werden, ob er in Deutschland bleiben darf oder nach einem Auslieferungsantrag in die von einer Militärdiktatur reagierte Türkei abgeschoben wird. In einer Verhandlungspause läuft Altun auf ein Fenster zu, springt hinaus und stürzt sechs Stockwerke in die Tiefe. Er ist sofort tot. Altuns Suizid wurde zu einer Initialzündung für die Kirchenasylbewegung. Schon wenige Wochen nach seinem Freitod nahm die Berliner Heilig-Kreuz-Kirchengemeinde die ersten von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge auf.

Lassiwe hat zum 40. Jahrestag mit Pfarrerin Dietlind Jochims gesprochen, der Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche und Bundesvorsitzenden der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“. „Stets in der Grauzone“ operieren die Gemeinden und Unterstützer:innen, die Kirchenasyle ermöglichen. Doch angesichts weiterer Verschärfungen in der Asyl- und Migrationspolitik und einer neuen Welle von Hass gegen Flüchtlinge bleibt die Arbeit dringend notwendig:

„Wir erleben derzeit nicht nur das Erstarken der AfD, sondern ein insgesamt sich erschreckend veränderndes Narrativ gegenüber Geflüchteten“, sagt Jochims. In der Gesellschaft erstarke eine „Abschreckungs- und Abwehrrhetorik“, die sich bis „in manche Aussagen der Bundesregierung hinein“ ziehe. „Geflüchtete werden verantwortlich gemacht für lange existierende Probleme etwa beim Wohnungsbau und beim Lehrermangel, während das Potenzial von Zuwanderung noch nicht genügend betont wird.“

In der Tat vergeht kaum eine Woche, da sich Oppositionspolitiker:innen und Regierungsvertreter:innen in Deutschland nicht mit immer neuen Vorschlägen für Verschärfungen der Flüchtlingspolitik überbieten wollen. Dabei ist es in Deutschland heute schon sehr schwer, als Flüchtling anerkannt zu werden oder Asyl zu erhalten. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz will, dass noch weitere Länder zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Er sieht die Grenzen des Machbaren bei der Flüchtlingsaufnahme überschritten. Die bürokratische Sprache solcher Forderungen darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Debatte von einer massiven Welle moralischer Panik angetrieben wird, wie der Politikwissenschaftler Maximilian Pichl im Eule-Interview von Juni 2023 erklärte:

Das Problem ist also qualitativ nichts Neues, man hat nur die letzten drei Jahre die Augen verschlossen und den strukturellen Fehler begangen, Aufnahmekapazitäten wieder abzubauen, die man nach 2015 in einem sehr starken Bündnis mit der Zivilgesellschaft und mit kirchlichen Trägern aufgebaut hatte. Man dachte wohl: „Das brauchen wir jetzt nicht mehr, es kommen keine Geflüchteten mehr!“

Aber die Konflikte der Welt sind nicht verschwunden, die Pandemie hat manche dieser Konflikte sogar verschärft. Jetzt haben wir eigentlich wieder den Normalmodus, sind aber in eine große moralische Panik verfallen, in der einige Akteure behaupten, wir durchlebten eine so außerordentliche Situation, dass man jetzt extrem harte Maßnahmen bräuchte.

Wo aber an „extrem harten Maßnahmen“ wie einem weiter verschärften EU-Grenzregime gearbeitet wird (wir berichteten), da braucht es auch außergewöhnliche Ideen, um Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen und ihr Leben zu beschützen. Das Kirchenasyl lässt sich also nicht vom Kontext der weiteren Migrations- und Flüchtlingspolitik trennen. Das wird vor allem deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass es sich bei den allermeisten Kirchenasylen um sog. „Dublin-Fälle“ handelt.

Systemisch verantwortungslos: Europas Flüchtlingspolitik – Maximilian Pichl (Blätter , €)

In den Blättern für deutsche und internationale Politik schildert Maximilian Pichl ausführlich die weltweite Problematik von Fluchtbewegungen und ihre Auswirkungen auf Europa. Die Hauptlast wird in Ländern des Globalen Südens getragen, denn mehr als die Hälfte der weltweit 108 Millionen Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Klimawandelfolgen sind, sind sog. Binnenflüchtlinge. Nur einem Bruchteil der Flüchtlinge gelingt das Anlanden an der „Festung Europa“.

Theologe: Kirchenasyl entscheidend für Relevanz der Kirchen – Interview mit Benedikt Kern von Christoph Brüwer (katholisch.de)

Bei katholisch.de erklärt Benedikt Kern vom Ökumenischen Netzwerk „Asyl in der Kirche“ in NRW die aktuelle Lage. Kern war zuletzt u.a mit dem Bruch eines Kirchenasyls in Viersen befasst (wir berichteten) und mahnt die Kirche, sie verlöre weiter an Relevanz, wenn sie sich nicht laut für die Schwachen einsetzt:

Am Beispiel des Kirchenasyls wird sehr deutlich sichtbar werden, welche Relevanz Gemeinden in Zukunft eigentlich noch haben werden, ob sie sich also angreifbar machen, weil sie sich in gesellschaftliche Konflikte hineinwagen, oder ob sie das nicht mehr tun. Im Evangelium wird uns der prophetische Auftrag mitgegeben, die Strukturen des Unrechts innerhalb der Gesellschaft deutlich zu kritisieren. Wenn die Kirchen diesen Auftrag nicht mehr erfüllen, dann wird es gesellschaftlich auch keinen Unterschied mehr machen, ob es sie gibt oder nicht.

In Berlin fand in dieser Woche die Jubiläumstagung der BAG „Asyl in der Kirche“ statt, in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie zu Berlin statt. Vor Ort war auch der Flüchtlingsbeauftragte des Rates der EKD, Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Nicht nur entzünden sich am Kirchenasyl immer wieder Konflikte in den Kirchgemeinden, im Sozialraum und mit staatlichen und politischen Akteuren, es kann auch als Symbol für eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik dienen.

Dafür müsste es kirchenamtlich und -leitend noch stärker nach vorne gestellt werden. „Christliche Nächstenliebe kann an nationalen Grenzen nicht halt machen“, erklärt Anne Gidion, die Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, in einem Gastbeitrag im Magazin der Evangelischen Akademikerschaft, kommt dabei aber ganz ohne das Kirchenasyl aus. Obwohl sie doch mit ihrem Talmud-Zitat schon auf der richtigen Spur ist:

„Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte” (Babylonischer Talmud Traktat Sanhedrin 37a). Das ist Auftrag und Einordnung zugleich. Was Menschen tun können, sollen sie tun, so konkret wie es geht. Zugleich ist es eine Entlastung von dem Anspruch, die gesamte Welt retten zu müssen. Einzelne müssen sich nicht mit diesem Anspruch überfordern – aber wozu die Kräfte jetzt ausreichen, das gilt es im Sinne christlicher Überzeugung und entpaternalisierter Hilfe auch zu tun.

Kirchenasyle sind konkrete Hilfe. Sie sind in den meisten Fällen erfolgreich, d.h. nach erneuter Überprüfung der Fälle der Betroffenen wird ihnen ein Schutzstatus zugesprochen oder Asyl gewährt. Nein, es geht nicht darum, sich unter Kirchenbänken zusammenzukauern. Kirchenasyle verlangen Kirchgemeinden und Helfer:innen eine Menge ab. Vor allem, weil sie von Politik, Sicherheitsorganen und Rechtsradikalen schikaniert werden. Sie sind nicht glamourös-heroisch, aber ein mächtiges Symbol der Parteilichkeit der Kirche an der Seite der Schwachen.

Holt es aus der Grauzone – Benjamin Lassiwe (Herder Korrespondenz)

In der Herder Korrespondenz blickt Benjamin Lassiwe noch einmal pointiert auf 40 Jahre Kirchenasyl und das Mit- und Gegeneinander von Staat und Kirchen bei der Gestaltung dieses „illegalen, aber anerkannten“ Instruments der Nothilfe zurück. Und er legt den Finger in die Wunde und gibt auch den Skeptiker:innen zu denken:

Vielleicht wäre der 40. Jahrestag der Kirchenasylbewegung ein wichtiger Anlass, hier einmal über Veränderungen nachzudenken. Das könnten zum Beispiel großzügigere Härtefallregelungen im Ausländerrecht sein, die eine Einrichtung wie das Kirchenasyl schlicht überflüssig machen könnten. Denn generell ist es doch so: Wenn eine ursprünglich als Notlösung gedachte Institution 40 Jahre lang munter existiert, sollte man wohl annehmen, dass ein Bedarf dafür durchaus vorhanden ist.

Oder in den Worten von Dietlind Jochims:

„Unser Wunsch ist, dass das europäische Asylsystem einen humanitären Raum der Sicherheit für Schutzsuchende gewährleistet – und das Kirchenasyl damit möglichst überflüssig wird.“

nachgefasst

Catholica

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat nun das komplette Konvolut ihrer „Zahlen und Fakten“ für dieses Jahr vorgelegt, hier als PDF zum kostenfreien Download (Papiertiger können dort auch das Heft bestellen). Mit den aktuellen Kirchenmitgliedschaftszahlen haben wir uns im Sommer bereits ausführlich hier & hier in der Eule befasst. In den #LaTdH vom 2. Juli haben wir die Stimmen von Akteur:innen dazu zusammengefasst. Etwas Neues zum Schwund hatten sie diese Woche nicht zu sagen.

Nach einem inzwischen rechtskräftigen Urteil muss das Erzbistum Köln einem Missbrauchsbetroffenen 300.000 Euro zahlen (s. #LaTdH vom 18. Juni). Im Bistum Aachen könnte es nun bald mehrere solcher Schmerzensgeldklagen geben, berichtet die KNA. Auf die (Erz-)Bistümer könnten also noch erheblich höhere Kosten für die Entschädigung von Missbrauchsbetroffenen zukommen als sie bisher schon im System der „Anerkennungsleistungen“ gezahlt haben (s. #LaTdH vom 16. Juli).

Wegmann sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass sich täglich in seiner Kanzlei in der Kirche missbrauchte Menschen meldeten. Inzwischen seien es über 300 Fälle. Ein anderer Anwalt aus Jülich verlangt für seinen Mandanten 600.000 Euro vom Bistum Aachen.

Papst Franziskus hat an einem katholischem Jugendtreffen in Russland vermittels einer Videoschaltung teilgenommen. In seiner Ansprache warb er ausführlich für den Frieden. Zum Schluss allerdings lobte er die Jugendlichen für ihr Festhalten an der russischen Tradition. Das hat zu Widerspruch aus der Ukraine und von Beobachter:innen und zu Lob aus Moskau geführt. Der Papst eigne sich nicht zum Vermittler zwischen Russland und der Ukraine, stellt Steffen Zimmermann bei katholisch.de noch einmal fest. Und Christiane Florin kommentiert im Deutschlandfunk, Franziskus sei „ohne moralischen Kompass unterwegs“.

Dass der Papst seltsam labbrig in seiner Verurteilung der propagandistischen Beihilfe der russischen Kirche(n) zum Krieg gegen die Ukraine ist, ist gleichwohl keine Neuigkeit. Bergoglio hängt einem Anti-Imperialismus an, der nicht untypisch für den Globalen Süden ist und es ihm erschwert, gegen Putin und Kyrill klar aufzutreten. Zu Gute halten muss man ihm, dass er bei jeder Gelegenheit auf das Leid der Ukrainer:innen hinweist und ständig das Schweigen der Waffen fordert. Ob nun jeder lapsus lingue, wie sie bei diesem Papst ja ständig vorkommen, Auslöser weiterer Empörungsschleifen sein muss – vor allem, wenn der Kontext der Äußerungen nicht mitbeachtet wird – darf bezweifelt werden. Ist wohl eine Begleiterscheinung des Amtes.

Kirchenräumlichkeiten sollte man nicht an Verschwörungsideologen vermieten. Es lohnt sich also eine Google-Suche, bevor man eine Nutzung gestattet. Für eine läppische Miete von 350 € hat sich die Bensheimer Kolpingsfamilie in einen ziemlichen Schlamassel manövriert. Hier & hier gibt’s für Schaulustige des Unglücks Lesestoff.

UN-Behindertenrechtskonvention: Deutschland versagt

Zum zweiten Mal haben die Vereinten Nationen überprüft, wie Deutschland die Uno-Behindertenrechtskonvention umsetzt. Die Einschätzung der Expert:innen ist „niederschmetternd“, erklärt Franziska Schindler in einem ausführlichen SPIEGEL-Artikel (€).

Die Mitglieder des Ausschusses kritisieren vor allem, wie sehr Menschen mit Behinderung in Deutschland von der Gesellschaft abgeschottet werden – von der Schule über Werkstätten bis hin zu Wohnheimen. »Sie sollten Ihr System hinterfragen«, sagt Ausschussmitglied Rosemary Kayess zu den deutschen Delegierten. Menschen mit Behinderung seien nicht so vulnerabel und schutzbedürftig, wie es die Antworten der deutschen Delegation implizierten. »Aber wenn sie in abgesonderte Räume gebracht werden, weit weg von der Gesellschaft, sind sie einem viel höheren Risiko von Gewalt und Missbrauch ausgesetzt.«

Mit dem Thema befasst sich auch ein kurzer TV-Beitrag bei n-tv und ein Gastkommentar von Pastoralreferent Werner Kleine beim Kölner Domradio:

Wer soll das bezahlen, woher sollen die Mittel, woher das Personal kommen? Das ist das Problem: Ohne ausreichende finanzielle, materielle und personelle Ressourcen wird Inklusion immer eine Illusion bleiben. Hinzu kommt noch der oft anzutreffende und gesellschaftlich verbreitete Egoismus: Mein Kind soll sich störungsfrei entwickeln können. Wer stört, muss weichen!

Buntes

Investieren gläubige Menschen mehr in die Gesellschaft? – Remo Vitelli (SRF)

Eine schweizerische Studie hat untersucht, wie sich Religiosität auf das soziale Vertrauen und das gesellschaftliche Engagement auswirkt, mit zum Teil überraschenden Ergebnissen:

«Religiosität hat tatsächlich einen positiven Einfluss auf freiwilliges Engagement», sagt Odermatt. Aber es sei vor allem die religiöse Praxis, die hier positiv wirke. «Insbesondere die Zeit und der Raum direkt nach dem Ritual, wo sich die Menschen treffen und sich gegenseitig austauschen». Es ist die Zeit, die Menschen nach der Messe oder dem Gebet miteinander verbringen. Salopp gesagt geht es um das «Kafichränzli» oder die Bierrunde. Dies führt letztlich zu sozialem Engagement. […]

Eine weitere Erkenntnis aus der Studie von Anastas Odermatt: Am meisten Sozialkapital gewinnt die Gesellschaft von jenen Menschen, die religiös und dabei liberal und tolerant sind. «Es braucht eine liberale Ausrichtung, eine offene Haltung oder eine offene Religiosität der einzelnen Menschen», so der Soziologe.

150 Jahre Alt-Katholizismus: „Cool und entspannt und ernsthaft katholisch“ – Annika Schmitz (KNA, kath.ch)

Zur 150-Jahrfeier des Alt-Katholizismus trafen sich Politiker:innen und alt- und römisch-katholische Akteur:innen in Bonn. #LaTdH-Autor Thomas Wystrach ist als engagierter Altkatholik davon natürlich besonders berührt, aber auch für Nicht-Alt-Katholiken ist das Jubiläum interessant, schreibt Annika Schmitz von der KNA bei kath.ch:

Als «cool und entspannt und ernsthaft katholisch» hat die Theologin Julia Knop die alt-katholische Kirche gewürdigt. Sie zeige, dass zukunftsfähiger Katholizismus nicht von oben nach unten geschehe […]

Auch der Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU), blickte besorgt auf die Situation der Kirchen in Deutschland. Sie brächen als Vermittler von Werten und Stifter von Gemeinsinn weg – das zeige insbesondere das Erzbistum Köln. «Kirche ist nur noch im Selbstrechtfertigungsmodus und nicht mehr im Sendungsmodus», so der Minister.

Nathanael Liminski hat ja eine schillerende katholische Biographie von der „Generation Benedikt“ in die Staatskanzlei und nun zum Festakt der Altkatholiken (s. #LaTdH vom 17. Juli 2022 und die „Sommer-Edition“ unseres „WTF?!“-Podcasts vom August 2021). Er gehört ganz sicher zu den immer seltener werdenden Politiker:innen, die sehr empfänglich für die Anliegen und Sorgen der Institution Kirche sind. Wenn er sich so deutlich äußert, sollte man bei den römischen Katholiken die Ohren spitzen.

Theologie

Segensfeiern als Akt pastoralen Ungehorsams können Lehre verändern – Matthias Remenyi (Kirche+Leben)

Segnungsfeiern für LGBTQI* und wiederverheiratete Paare sorgen in der römisch-katholischen Kirche für einen anhaltenden Streit. Der Vatikan hat Segensfeiern für homosexuelle Paare verboten. In einigen (Erz-)Bistümern und Pfarreien werden sie trotzdem durchgeführt (s. #LaTdH von letzter Woche). Insbesondere katholische Kirchenrechtler haben sich in den vergangenen Wochen auf Nachfrage katholischer Kirchenmedien in die Debatte eingeschaltet. Bei der Kirche+Leben meldet sich nun Matthias Remenyi, Professor für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Würzburg, zu Wort:

Wird hier kirchliches Handeln simuliert und werden die Gesegneten getäuscht? Nein. Nicht nur, weil immer „Gott der Akteur“ und ein Segen deshalb „kein moralisches Instrument“ […] ist. Auch nicht nur, weil alle – Segnende wie den Segen Empfangende – die Lehre der Kirche kennen und trotzdem handeln, wie sie handeln. […] Entscheidend ist, dass die Segnenden gerade nicht als Privatpersonen handeln, sondern im Vollzug ihres Amtes. Sie segnen als Amtsträger und berufen sich dabei […] nicht nur auf ihr Gewissen, sondern ausdrücklich auch auf ihren zweifachen Auftrag, den Menschen seelsorglich nah zu sein und Schaden von der Kirche abzuwenden.

Remenyi spricht sich also für öffentliche Feiern in Kirchenräumlichkeiten aus, um „das widerständige Potential solcher Segensfeiern nicht dadurch vorschnell zu zähmen“. Dadurch entließe „man die Bischöfe auch aus der Verantwortung, Wort zu halten und wirklich für Veränderung zu streiten“. Und wie steht es mit der Frage danach, ob die Paare für kirchenpolitische Zwecke instrumentalisiert werden?

Die Gefahr des Pinkwashings ist damit noch nicht gebannt: Kein Segen der Welt kann die jahrtausendealte Schuldgeschichte der Kirche gegenüber Homosexuellen ungeschehen machen. Und so lange die Lehre ist, wie sie ist, ist noch nichts gewonnen. Aber die Seelsorgenden setzen damit einen Akt des pastoralen Ungehorsams gegen Rom und ein Zeichen für die Veränderung der Lehre.

„I have a dream“ – 60 Jahre Marsch auf Washington – Michael Haspel (WortMelder.)

Auf dem Forschungsblog der Universität Erfurt erinnert Michael Haspel (Eule-Beiträge hier) an den Marsch auf Washington vor 60 Jahren und entdeckt Parallelen zu gegenwärtigen politischen Kämpfen. Verbindende Elemente sind zum einen die Forderung an die Aktivist:innen, es mit Radikalität und Tempo der Veränderungen bitte nicht zu übertreiben, zum anderen die Rolle, die white privilege spielt.

Diese Struktur der Argumentation findet sich immer wieder in Zusammenhängen, in denen Menschen ihre ungerechtfertigten Privilegien verlieren. Diese werden offensichtlich subjektiv als gerechtfertigt wahrgenommen, die Kosten für andere werden ausgeblendet bzw. idealisiert.

Neue Studie zur Bibelverwendung in Deutschland – Elisabeth Birnbaum (feinschwarz.net)

Eine neue Studie untersucht die Bibelverwendung in Deutschland. Was ihre ersten Ergebnisse (PDF) bedeuten, beleuchtet bei feinschwarz.net Elisabeth Birnbaum, die Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.

Gerade wenn jene, die am häufigsten Bibel lesen, sie besonders häufig wortwörtlich verstehen, dann könnten Gespräche auf Augenhöhe mit anders interpretierenden Menschen vielleicht zu einem vertieften Bibelverständnis für alle Beteiligten führen. Der Reichtum der hermeneutisch fundierten Bibelinterpretation böte jedenfalls ausreichend Gesprächsstoff. […]

Bibellesende stehen immer in einer Gemeinschaft. In Bildungsgemeinschaften, Glaubensgemeinschaften, Sozialgemeinschaften. Je bibelaffiner diese Gemeinschaften sind, desto mehr wird auch Bibel gelesen. Vielleicht gelingt also Bibelbegegnung am besten, wenn dahinter gute menschliche Begegnungen stehen, die den Boden bereiten für die vielen menschlichen und göttlichen Begegnungen der Bibel selbst.

Vielleicht bietet sich an dieser Stelle ein letzter Schwenk zum Beginn dieser #LaTdH-Ausgabe an: Mein Eindruck ist nämlich, dass die Bibel in kirchlichen Social-Media-Angeboten zwar allgegenwärtig ist, aber nicht wirklich gelesen wird. Bibelzitate zieren Sharepics und werden als Trostsprüche gepostet, aber zur gemeinsamen Bibellese wird nur selten animiert oder eingeladen. Vermutlich auch, weil Bibelarbeiten eben Arbeit machen. Diese Mühe sollten wir uns häufiger gönnen.

Ein guter Satz

„Ein Asyl für jeden Kummer ist das Gebet.“

– Johannes Chrysostomos