Die Kirche als gute Nachbarin

In der Kirche laufen die Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest. Aber wie sieht eine adventliche Kirche eigentlich aus, die auch Weihnachtschristen erreicht? Über Weihnachtspredigten und gute Nachbarschaft.

Zu Weihnachten geht es in den Kirchen hinter den Kulissen nur selten besinnlich zu. Die eine Stunde Christvesper am Heiligen Abend soll unbedingt gelingen, das spüren Vorbereitende wie Teilnehmer:innen. Für Krippenspiele und weihnachtliche Konzerte wird wochen- und monatelang geprobt, die Kirchen werden geschmückt, Bäume aufgestellt und Sterne entzündet. Wer kann die großen und unterschiedlichen Erwartungen erfüllen, mit denen Menschen in dieser besonderen Zeit schwanger gehen? Wie kann die Kirche Menschen tatsächlich nahe kommen in diesem Advent?

Knapp zwei Wochen vor dem Christfest schauen wir auf die Weihnachtspredigt und die Prediger:innen, die wie die Engel die Gute Botschaft ausrichten sollen: „Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren!“ Wie können die Kirchen auch die „Weihnachtschristen“ erreichen? Braucht es dafür einfach nur bessere Predigten – oder muss die Kirche selbst wieder kindlich werden?

Finde Deinen Platz!

Eine Predigt ist eine Predigt ist eine Predigt. Doch zu Weihnachten stellen sich den Prediger:innen andere Herausforderungen. Nichts ist so, wie am gewöhnlichen Sonntagmorgen. Statt ein paar müden Gesichtern finden sich erwartungsfrohe und gestresste Heerscharen ein. Statt dem Morgenlob leuchten die Lichter, weil es draußen dunkel ist. Und auch der Kirchenraum hat sich verändert: Baum und Krippe verdrängen Altar und Kanzel. Einen guten Weihnachtsgottesdienst zu gestalten, ist sehr schwer. Vor allem, weil unterschiedliche Menschen verschiedene Ansprüche und Wünsche an die Gestaltung haben.

Darum gilt für Prediger:innen wie Zuhörer:innen: Finde Deinen Platz! Es gibt eine Fülle von Weihnachtsangeboten und keine Pflicht, jedes Jahr dieselbe Christvesper zu besuchen. So schön der Gedanken ist, dass wir Weihnachten alle an der Krippe zusammenkommen: Eltern, Großeltern, Kinder, Alleinstehende, Ältere, Jüngere, Evangeliums- oder Kirchenmusikconnoisseure, Heiden und Kirchenvolk haben unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse.

Wer es also ruhig und besinnlich haben und die Pfarrer:in bei ihrer Predigt verstehen will, der meidet besser die nachmittägliche Christvesper mit dem Krippenspiel der Konfirmanden. Nachträgliche Beschwerden im Familienkreis über die schlechte Tonqualität („Wir haben das Krippenspiel früher ja ohne Mikro gespielt!“) sind zwar eine schöne Weihnachtstradition, wer sich aber wirklich grämt, der hält schon jetzt nach einem passenden Angebot für sich Ausschau. Und für die Prediger:in: In einer vollgestopften Christvesper ist Dein Platz zwischen Evangelium, Krippenspiel und „O du fröhliche“ eng begrenzt. Mach Deinen Frieden damit! Klar ist es schön, wenn die Kirche rappelvoll ist und Du endlich ein Publikum für deine Knallerpredigt hast, aber der Platz im Zentrum der Aufmerksamkeit gehört nicht Dir.

Keine:r der Beteiligten wird es perfekt machen, nicht alles kann gelingen. Es wird schon Weihnachten werden, das Licht in der Krippe brennen, der eine gute Satz der Predigt oder des Krippenspiels hängen bleiben, die Lichter und die Musik das Übrige tun. Zumindest einmal im Jahr und im Trubel des Festes geht es nicht darum, was wir zu bringen haben. Alles was wir bis dahin noch schaffen oder liegen lassen, wird geerdet und erhoben durch die Botschaft der Heiligen Nacht.

Keinen Bullshit predigen!

Um es gut zu machen, gibt es auch in diesem Jahr ein paar nützliche Hinweise und kleine Helferlein: Eine Predigt ist eine Predigt ist eine Predigt. Doch zu Weihnachten stellen sich den Prediger:innen besondere Herausforderungen. Für Pfarrkonvente und Prediger:innen hat Birgit Mattausch eine Anleitung für eine Predigtwerkstatt mit mehreren Arbeitsschritten zusammengestellt. Daraus kann sich auch die einzelne Prediger:in bedienen, wenn der eigenen Kreativität auf die Sprünge geholfen werden muss.

Vor sechs Jahren haben wir hier in der Eule in zwei Artikeln nach der guten und schlechten Weihnachtspredigt gefragt, die wir nicht mehr oder gerne hören wollen. Erik Parker hatte 11 Predigten identifiziert, die er dem Orkus des Vergessens anheim stellen will. Weil es dabei zumeist um negative Bestimmungen geht, habe ich mich im Anschluss daran versucht, 10 gute Weihnachtspredigten zu beschreiben. In beiden Artikeln finden sich reichlich Hinweise für die gute Gestaltung von Gottesdienst und Predigt.

Der Versuchung, gerade zu Weihnachten die eigene Brillanz beim Formulieren unter Beweis zu stellen, muss gewehrt werden. Festlich, erhebend und gerade in der richtigen Dosis fremd sollten die Texte des Abends daherkommen. Das ist nicht leicht gemacht. „Mach’s so einfach wie möglich“, ist die Kernbotschaft der KISS-Regel, das sich alle Beteiligten der Weihnacht zu Herzen nehmen sollten.

Gott will uns ganz nah kommen

Der Versuch, die Botschaft der Weihnacht auf einen Satz zu bringen, kann schief gehen: Dann produzieren Prediger:innen auf der Kanzel Phrasen. Kein Grund zu verzweifeln! Mit dem Bullshit-Bingo Weihnachtspredigt wird aus jeder Predigt ein Vergnügen. Mehr zu diesem inzwischen elf Jahre alten Spiel / homiletischen Werkzeug habe ich im vergangenen Jahr zum 10. Geburtstag des Bullshit-Bingos hier in der Eule aufgeschrieben. Tiefere Gedanken zum Bullshit in der Predigt findet ihr hier.

Seit 2012 begeistert das Bullshit-Bingo zur Weihnachtspredigt große und kleine Menschen, jung und alt, kirchennahe und -ferne Leute und bietet immer wieder Anlass zum Schmunzeln und diskutieren. Jedes Jahr bietet das Bullshit-Bingo wieder Anlass, über die Predigt und Kirchensprache im Allgemeinen zu streiten. Es geht beim Weihnachts-Bingo aber nicht darum, sich über die Gute Nachricht von der Geburt Jesu Christi lustig zu machen oder jene Menschen zu verspotten, die sich mit vertrauten Sätzen am Festtag wohlfühlen. Es geht nicht um Störung, sondern darum, die Worte und Wörter der Heiligen Nacht ernst zu nehmen.

Ich habe in den letzten Jahren Weihnachtspredigten gehört, die keine einzige Bullshit-Phrase enthielten, und die trotzdem mies waren. Und ich habe Predigten gehört, die sogar an herausgehobener Stelle auf eine der Formulierungen zurückgriffen, die mich aber glücklich gemacht haben. Es kommt mehr darauf an, wie die Phrasen gebraucht werden, als darauf, sie einfach wegzulassen. Mit dem Bullshit-Bingo kann jede:r nach ihrer Fa­çon glücklich werden. Für mich verbindet sich mit ihm neben dem Spott über Sprachdrechslereien allerdings nach wie vor die Frage, wie man das Schwierig-Einfache der Weihnacht heute sagen kann.

Die „Weihnachtschristen“ erreichen

Wer in die Kirche geht oder sich online mit Kirche umgibt, der oder die glaubt womöglich echt an etwas. Auch und besonders zu Weihnachten. Darauf deuten auch die Ergebnisse der aktuellen 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) von Evangelischer und Katholischer Kirche hin (wir berichteten). Bei den „Religiös-Distanzierten“, „die 25 % der Bevölkerung ausmachen, handelt es sich überwiegend um Kirchenmitglieder, es sind aber auch 16 % Konfessionslose darunter“. Eine „engere soziale Anbindung an kirchliche Strukturen ist nicht festzustellen“. Früher einmal hat man solche Menschen abschätzig „Weihnachtschristen“ genannt (und hier in der Eule steht, warum die Kirchen sie brauchen).

Bei „ihnen überwiegt mit 70 % ein Glaube an Gott“, ohne dass sie den „traditionellen Formulierungen“ der christlichen Lehre, wie z.B. über die Offenbarung Gottes in Jesus Christus oder die Trinität zustimmen. In den vergangenen Tagen wurde das im Anschluss an die Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der KMU kritisch diskutiert. Erreicht die Kirche ihre eigenen Leute? Was muss man tun, um der religiösen Bildung Vorschub zu leisten? Braucht es Erwachsenenkatechesen? Nicht selten wird in solchen Diskussionen das Jesuskind mit dem Bade ausgeschüttet.

Natürlich braucht es Kirchen nicht, die sich ausgerechnet im Advent und zu Weihnachten ihrer eigenen Botschaft(en) schämen. Aber Menschen, deren „Zugang zur Religion häufig tastend und fragend, nicht selten auch zweifelnd ist“, muss man nicht einfach nur effektiver be-predigen oder in Gespräche in Glaubenskursen und bei Hausbesuchen verstricken, um sie für die Kirche zu begeistern. So etwas gehört ins Reich der Fantasie derjenigen, die schon immer – aus zumeist pietistischer Tradition kommend – gemeindemissionarischen Ansätzen Vorrang einräumen. Unter dem Deckmantel der Aktualität werden althergebrachte Konzepte aufgewärmt, die obendrein in den vergangenen Jahrzehnten auch keine „Wende“ im Kampf gegen den Mitgliederschwund gebracht haben.

Zwei wichtige Sätze aus dem ersten Bericht zur KMU werden in der Debatte oft überlesen:

„In der Gruppe der Distanziert-Kirchlichen sind sozial benachteiligte Menschen überrepräsentiert. Bei ihnen wurzelt die ‚fuzzy fidelity‘ stärker in Elementen kirchennaher Religiosität als bei den anderen Subtypen.“

Mit diesen Menschen im Advent auf die Geburt des Erlösers zu warten und dann Weihnachten zu feiern, bedeutet also zunächst nicht, katechetische und pädagogische Anlässe zu inszenieren oder am Heiligen Abend besonders überzeugend zu predigen. Vielmehr muss sich die Kirche fragen, wo sie sozial benachteiligten Menschen – insbesondere inmitten der gnadenlosen Weihnachtsfeierei – eine Hilfe sein kann. Zum Beispiel, weil Kinder bei Krippenspielproben gut aufgehoben sind, weil alleinstehende Senior:innen sozialen Anschluss und persönliche Nähe erfahren, weil Singles und junge Menschen auch weit weg von ihren Herkunftsfamilien und Heimatgemeinden adventliche Gemeinschaft (im vollen Wortsinn) erfahren können.

Dabei können sich kirchliche Akteur:innen darauf einrichten, dass diese Menschen eigene Erfahrungen mit „kirchennaher Religiosität“ schon mitbringen, die man nicht vorrangig pädagogisch, sondern kommunikativ aktivieren muss. Nicht nur im Seniorenkreis spielt daher der Wiedererkennungseffekt eine große Rolle. Es geht nicht darum, die Botschaft(en) des Advents und der Weihnacht zwingend neu zu sagen, sondern bewusst an einmal Bekanntes und Vertrautes anzuknüpfen. Es hat halt schon seinen Grund, warum viele Menschen in dieser Jahreszeit gerne Mariah Careys „All I want for Christmas is You“ hören, die Kekse ihrer Kindheit backen, zu Nikolaus Schuhe putzen und am Heiligen Abend doch immer wieder zur Christvesper mit Krippenspiel und Orgelmusik pilgern – selbst dann, wenn sie die Lieder nicht mehr mitsingen können.

Als Kirche gute Nachbarin sein

„Eine Aufforderung, wieder wie ein Kind zu sein“, ist eine meiner liebsten Katastrophenphrasen aus dem Bullshit-Bingo. Ich persönlich will nämlich auch zu Weihnachten in der Kirche nicht wie ein Kind behandelt werden, sondern als mündiger Christ. Doch wie immer kommt es darauf an, was unter dem Kindsein verstanden wird. Die neue Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung erinnert – ebenso wie die midi-Sinnfluencer:innen-Studie vom vergangenen Jahr – daran, dass für viele religiös- und kirchlich-distanzierte Menschen positive Erfahrungen mit Glauben und Kirche in ihrer Kindheit und Jugend doch eine große Rolle spielen und ein Reservoir für eine gelingende Lebensgestaltung darstellen.

Zu Weihnachten wieder wie ein Kind zu werden, darf sicher nicht regressiv verstanden werden – so als ob wir zum „Fest der Liebe“ wieder unmündig werden müssten. An der Verletzlichkeit des Kindes in der Krippe aber können wir ablesen, wie sehr wir auch als Erwachsene auf das Funktionieren von liebenden Gemeinschaften angewiesen sind. Attraktive Kirchen sind im Advent und zu Weihnachten jedenfalls nicht allein Orte, an denen gut und besser gepredigt wird, sondern gute Nachbarinnen. Ungefähr so, wie es in diesem herzlichen Weihnachtsfilm eines kleinen walisischen Ladens zu sehen ist:


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