Von K wie Klimakrise bis Z wie Zuversicht – Die Themen 2019, Teil 2
Im zweiten Teil unseres Jahresrück- und Ausblicks schauen wir auf drei Schwerpunktthemen der Eule. Und es gibt Anlass, zuversichtlich in das neue Jahr zu gehen.
2020 verspricht ein spannendes Kirchen- und Religions-Jahr zu werden: Die Missbrauchskrise in der röm.-kath. Kirche ist längst nicht bewältigt und auch auf evangelischer Seite bleibt viel zu tun. Wichtige Zukunftsfragen für die Kirchen und das Religionsrecht in Deutschland bleiben auf der Tagesordnung. Da ist ein kritischer Blick umso wichtiger!
Zur Jahreswende haben wir uns die Themen des Jahres in der Eule noch einmal angeschaut. Einige wichtige von ihnen, die uns auch im kommenden Jahr weiter beschäftigen werden:
K Klimakrise I
Keine Debatte hat die Menschen hierzulande im vergangenen Jahr mehr bewegt als die Klimakrise, auf die #FridaysforFuture beinahe täglich aufmerksam macht. Was haben die Streiks der Schüler und ihrer Verbündeten gebracht? Die politischen Fortschritte halten sich in engen Grenzen, schaut man allein nach Berlin, Brüssel oder Madrid. Greta Thunberg hat Recht mit ihrer Kritik, dass die polemischen Begleiterscheinungen der Klimaproteste viel zu viel Raum in unseren gesellschaftlichen Debatten einnehmen.
Zunächst wurde darüber debattiert, ob Schülerstreiks ok sind und Eltern und Lehrer sie unterstützen dürfen. Ein endloser Strom aus Beschimpfungen und persönlicher Kritik ergießt sich seit Monaten über Thunberg. Und die meisten Reformen, die in den vergangenen Monaten diskutiert wurden, kratzen ohnehin nur an der Oberfläche des Problems.
Wir, d.h. die Weltgemeinschaft, brauchen die jugendliche Erinnerung daran, dass nur wenig Zeit bleibt für eine substantielle Kehrtwende in der Klimapolitik – und in unserem eigenen Verhalten. Aber wir haben auch keine Zeit mehr, jede Klimadiskussion vor allem auf der Ebene der Individualethik zu führen. Fakt ist: Allein durch Änderungen im persönlichen Lebensstil werden die gesetzten Klimaziele nicht zu erreichen sein. So wichtig es ist, das eigene Leben an der Messlatte der Nachhaltigkeit zu prüfen und auch als Konsument*in Druck auf Unternehmen und die Politik auszüben – es braucht politische Reformen.
Für Reformen müssen Mehrheiten organisiert werden, nicht allein in Umfragen, sondern an Wahltagen und in Parlamenten. Darum ist es kontraproduktiv, dass die Klima-Diskussion sich in Deutschland vor allem mit Problemen des Individualverkehrs beschäftigt. Themen wie Radfahren, Tempolimit und Flugreisen sind emotional aufgeladen. Man braucht kein Verschwörungsgläubiger zu sein, um zu begreifen, wem das eigentlich nützt.
What a year… I won’t even try to summarise it – but nothing would have been possible without your support. So thank you!
This coming decade humanity will decide it’s future. Let’s make it the best one we can.
We have to do the impossible.
So let’s get started.
Happy new year! pic.twitter.com/SXTmdyBpkP— Greta Thunberg (@GretaThunberg) December 31, 2019
Neben sinnvollen politischen Entscheidungen auch in der Verkehrspolitik (Vorrang und Investitionen für den öffentlichen Nahverkehr und die Schiene, empfindliche Besteuerung von Flugreisen), braucht es eine Refokussierung der Debatte: Wie kann eine klimagerechte Industriepolitik gestaltet werden?
Und wie kann die Weltgemeinschaft wieder zusammen kommen, um die anliegenden Probleme gemeinsam zu bewältigen? Beides wird das reiche Industrieland Deutschland und damit auch seine Bürger*innen viel kosten. Jedenfalls mehr, als eine halbe Stunde längere Reisezeit bei Tempolimit 130. (pg)
K Klimakrise II
Die Kirchen haben sich im vergangenen Jahr an vielen Stellen mit den #FridaysforFuture-Protesten solidarisch erklärt. Kirchenglocken läuten, Kirchenleute marschieren bei Demonstrationen mit – und sonst? Tatsächlich investieren sich Christ*innen und auch die großen Kirchen längst in erheblichem Ausmaß. Das haben wir in der Eule am Beispiel der nachhaltigen Investitionen der evangelischen Landeskirchen in Deutschland gezeigt.
Auch die kirchlichen Hilfswerke haben die Auswirkungen des Klimawandels für ihre Projekte längst im Blick. Auf der EKD-Synode im Herbst wurde deutlich: Der Klimawandel bedroht nicht allein unsere gediegenen Lebensgewohnheiten, sondern den Frieden weltweit. Geopolitik und der Kampf um knapper werdende Ressourcen wie Wasser und Öl können die Kirchen nicht kalt lassen, weil sie selbst global agieren. Das Christentum ist die größte Religionsgemeinschaft des Planeten.
Die weltweite, christliche Ökumene hat zur Entwicklung von globalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen einen großen Beitrag geleistet. Noch heute muten die Dokumente zur Bewahrung der Schöpfung von vor 30 Jahren revolutionär an. Welche Rolle können die christlichen Kirchen heute auf der ganzen Erde bei der Bewältigung der Klimakrise spielen? Ist es Zeit für ein Ökumenisches Konzil zur Bewahrung der Schöpfung? (red)
M Missbrauchskrise
Wohl kein anderes Thema beschäftigt uns in der Eule und insbesondere in den „Links am Tag des Herrn“ (#LaTdH) so regelmäßig wie die Bewältigung der Missbrauchskrise in den Kirchen. Die Aufdeckung von Missbrauchsverbrechen unter dem Kreuz ist 2019 fortgeschritten, Gerechtigkeit für die Betroffenen aber noch immer nicht erreicht.
Die Missbrauchskrise ist im vergangenen Jahr stärker als zuvor ein Katalysator für Kirchenreform geworden, denn eines ist klar: Der sexuelle Missbrauch von Kindern, Schutzbefohlenen und Erwachsenen in den christlichen Kirchen hat systemische Ursachen. Auch wenn diese je nach Konfession und Weltregion verschieden sind.
Die röm.-kath. Kirche in Deutschland unternimmt – vom Rest der katholischen Weltkirche zumeist misstrauisch beäugt – im Anschluss an die Veröffentlichung der MHG-Studie im Herbst 2018 einen „Synodalen Weg“. Wir berichteten darüber ausführlich über das Jahr hinweg in den #LaTdH und weiteren Artikeln. Was wird die Synode, die keine sein darf, bringen?
Wichtig erscheint hier nicht allein der Blick auf die Kirche in Deutschland und ihre Reformbemühungen, sondern darauf, wie die röm.-kath. Weltkirche insbesondere in Ländern und Regionen handeln wird, in denen bisher kaum Bewusstsein für die Problematik und damit Bereitschaft zur Reform entstanden ist.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich auf ihrer Synode im Herbst 2019 erneut Rechenschaft über ihr Handeln bei der Aufdeckung, Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch in ihren Gliedkirchen und Werken abgelegt (Live-Blog von den Beratungen der Synode).
Eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene und eine neue Gewaltschutzrichtlinie sind Ergebnisse der Bemühungen, die seit dem Herbst 2018 verstärkt unternommen werden. Aber es ist auch evangelischerseits noch nicht genug: Die spezifischen systemischen Ursachen des Missbrauchs in evangelischen Kirchen, Werken und Gemeinschaften müssen tiefer ergründet und abgestellt werden und die Betroffenen Gerechtigkeit erfahren.
Darauf hat auf der EKD-Synode Kerstin Claus als Sprecherin der Betroffenen in einer bemerkenswerte Rede aufmerksam gemacht (ihre Rede im Wortlaut). Dass eine Betroffene auf der Synode der Organisation, unter deren Dach sie großes Leid erfahren hat, frei und kritisch sprechen kann, wurde von ihr selbst zurecht als Meilenstein bei der Aufarbeitung des Missbrauchs beschrieben. Ihre Rede und die Begegung mit Betroffenen hat bei den Synodalen erneut Betroffenheit ausgelöst. Nun muss es noch mehr um die konkrete Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen gehen. Die Missbrauchskrise bleibt auf der Tagesordnung auch der evangelischen Kirchen. (red)
(Weitere Berichte zum Missbrauch in den Kirchen findet ihr hier.)
R Rechtsradikale Christen
In einem Themenschwerpunkt „Kirche unterm Hakenkreuz“ haben wir uns 2019 mit rechtsradikalen Traditionslinien in den Kirchen befasst. Dazu gehört zweifelsohne auch die Kontinuität des christlichen Antisemitismus (s. Teil 1 des Jahresrückblicks), auch wenn dieser ganz und gar nicht nur „rechts außen“ angesiedelt, sondern auch unter dezidiert linken Christ*innen zu finden ist.
Mit dem Aufstieg der rechtsradikalen AfD verbindet sich in Deutschland ein Zusammengehen der christlichen mit der politischen Rechten. Gemeinsame politische Überzeugungen wie die Exklusivität der Ehe von Mann und Frau, die Ablehnung der Gleichstellung von Homo- und Transsexuellen und die Gegnerschaft zum Islam verbinden christliche Konservative und Rechtsradikale. Und es gibt auch personelle Überschneidungen und Kontinuitäten, keineswegs erst seit gestern. Darum ist ein gründlicher Blick in die jüngere Kirchengeschichte immer wieder notwendig, auch wenn er liebgewordene Erzählungen innerhalb der Kirchen zerstört.
Die Leitungen der christlichen Kirchen in Deutschland sind heute deutlich und klar in ihrer Ablehnung von Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus, und dennoch gibt es auch in den Kirchen Potentiale für eine „konservative Revolution“, die von rechtsradikalen Politiker*innen bewusst bespielt werden. Und es sind auch Christ*innen, die die Verrohung der gesellschaftlichen Debatten, die Umwertung christlicher Überzeugungen und den Kampf gegen „die Anderen“ vorantreiben.
Dem können Christ*innen vor allem durch Aufklärung und (religiöse) Bildung entgegenwirken. Das bedeutet auch, sich ehrlich und kritisch der eigenen Geschichte und Gegenwart zu stellen, wie der Journalist Arnd Henze im Interview mit der Eule betont. (red)
R Rentzing, Carsten
Im Herbst ist der Sächsische Landesbischof Carsten Rentzing von seinem Amt zurückgetreten. Auslöser des Rücktritts war sein Engagament für die „Neue Rechte“ als Student. Der Rücktritt und seine Folgen sind für die evangelischen Christ*innen in Sachsen noch lange nicht ausgestanden, dazu hat vor allem Rentzing mit der Art und Weise seines Rücktritts beigetragen.
Noch immer sind Fragen offen, die wohl nur er beantworten kann. Stattdessen äußerte sich Rentzing zu seinem Rücktritt zuletzt nur in einer Rede im Eröffungsgottesdienst der Herbstsynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (EVLKS). Auch diese Rede warf neue Fragen auf. Eine Möglichkeit Carsten Rentzing auf einer Pressekonferenz oder im Interview zu befragen, wurde nicht eingeräumt.
Der Rücktritt Carsten Rentzings ist nicht allein wegen seines Anlasses und seiner politischen Hintergründe einmalig in der jüngeren Geschichte der Kirchen in Deutschland, sondern auch aufgrund des Umgangs mit der Öffentlichkeit, den Rentzing bis heute pflegt. Als Bischof stand er nicht allein den Christ*innen in Sachsen im leitenden geistlichen Amt vor, sondern bekleidete ein öffentliches Amt. Die Umstände seines Rücktritts sind diesem nicht würdig. (pg)
(Alle Beiträge zum Rücktritt Carsten Rentzings und seiner Vergangenheit in der „Neuen Rechten“ findet ihr hier.)
Z Zuversicht
„Manchmal muss man den Männern auf die Sprünge helfen!“ Diesen Satz habe ich vor allem von älteren Damen gehört. Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Sollen wir Frauen Männer denn ständig wie kleine Jungs behandeln? Muss Frau sich daran gewöhnen?
Jesus zieht mit den Jüngern durch das Land, als eine Frau nach ihm schreit. Ihre Tochter wird von einem bösen Geist geplagt, Jesus soll ihr helfen. Die Jünger nörgeln schon, das Geschrei der Frau geht ihnen auf die Nerven. Und Jesus drückt die Frau beiseite, ihr Flehen ist vergebens. Denn sie gehört nicht zum Volk Israel, zu dem Jesus gesandt wurde: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“
Doch so einfach lässt sich die verzweifelte Mutter nicht abwimmeln. Essen nicht auch die Hunde von den Resten, die unter den Tisch fallen? Dieser Widerspruch regt etwas an in Jesus. Es ist recht, dass man sich nach Heilung sehnt und das Beste für die eigenen Kinder wünscht. Ganz egal, was in den Regelbüchern dieser Welt geschrieben steht.
Die Evangelien sind voller Geschichten, in denen Jesus lernt. Es sind vor allem Frauen, wie die schreiende Frau aus Kanaan aus dem Evangelium nach Matthäus, die Jesus lehren, was es heißt, der Heiland und Retter der Welt zu sein. Jesus ist nicht allein zu den verlorenen Schafen Israels gesandt, sondern zu jeder verlorenen Seele. Und wir sollen uns seine Zuwendung und sein Heil einfordern.
Jesus lernt von den Menschen, die ihn begleiten. Er lernt, dass der Glaube hilft – gerade denen, die nach den traditionellen Gesetzen außen vor bleiben sollen. Dieser Refrain begleitet sein Leben von der Geburt im Stall bei den Hirten bis zur Kreuzigung als Verbrecher auf Golgatha. Jesus verkündigt mit seinen Heilungen und Worten einen Gott, der sich bitten lässt.
(Nadine Greifenstein ist Pfarrerin im Pfarrbereich Bad Frankenhausen (EKM).)